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4. Der Anfang der Sprache
from Zur Sprache kommen
Macht, in denen menschliches Leben sich in seinem Eigensten offenbart. Die Sprache ist in emphatischem Sinn ein Prinzip des Lebens, ein Anfang im Leben.
4. Der Anfang der Sprache
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Nach anderer Hinsicht hat Sprache einen Anfang im Leben. Sie entwickelt sich im Laufe der Jahre, sie bildet sich mit dem Werden und der Entwicklung des Menschen heraus. Die Menschwerdung ist wesentlich ein Zur-Sprache-Kommen der Gattung wie des Individuums und in eins damit eine Genese der Sprache im Leben; der Prozess, in welchem der Organismus sich als Träger der menschlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen ausbildet, geht einher mit der stufenweisen Ausbreitung und Gestaltung des sprachlichen Raums. Diese Ausfaltung der Sprache in ihren Schritten, ihren Wirksphären und Potentialen nachzuzeichnen ist ein Gegenstand der Sprachwissenschaft und zugleich eine Explikation des Wesens der Sprache. Für die philosophische Verständigung lässt sich der Prozess unter drei Leitfragen thematisieren, die das Woher, das Wie und das Was der Sprachgenese betreffen.
Die eine Frage betrifft den Ursprung und Herkunftsort der Sprache. Wo, woher kommt die Sprache im Leben zur Artikulation und Entfaltung? Schematisch lassen sich drei Ursprungsorte benennen: das menschliche Leben, das zwischenmenschliche Verhalten, das Sein.
Den einen Ort bildet das individuelle menschliche Leben mit allem, was es an Bedürfnissen, Fähigkeiten und Äußerungsweisen enthält. Zur Menschwerdung gehört die Ausbildung sprachlicher Kompetenzen und Praktiken, vom rezeptiv-mimetischen Verhalten bis zur Partizipation am rationalen Diskurs, wobei die Verankerung im Menschsein zugleich eine vielfältige
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funktionale Einbettung des Sprechens im Lebensvollzug bedeutet. Von Anfang an verschränkt sich die Ausbildung kognitiver und praktischer Vermögen mit Modalitäten des sprachlichen Aufnehmens und Äußerns. Im Ganzen und im Kern bildet das menschliche Leben den originären Ort, an dem und aus dem heraus Sprache sich bildet und entfaltet.
Eine zweite Ursprungsdimension der Sprache liegt in der zwischenmenschlichen Beziehung. Nach naheliegender Vorstellung entsteht die Sprache im kommunikativen Austausch. Sie entsteht motivational aus den Bedürfnissen der Interaktion, aus der Lust an der Kommunikation und aufgrund der Angewiesenheit auf andere, und sie hat ihren eigentlichen Wirkungsbereich im Zusammensein, im gemeinsamen Handeln und Sichverständigen mit anderen. In voraussetzungsreicheren Konzepten figuriert die Ich-Du-Beziehung als Grund und Ursprung des Sprechens und Sich-Unterredens. In der Sicht der Dialogik kommen wir vom Anderen her in den Raum des Verstehens und des menschlichen Seins überhaupt. Nicht das selbstbezügliche und sich äußernde Subjekt, sondern die Begegnung mit dem Anderen, die vorgängige Initiative des Anderen und das Angesprochenwerden durch andere sind Anfang und Quellpunkt des sinnhaften Wirklichkeitsbezugs und damit des Sprechens.
Nach einer dritten Konzeption liegt der tiefste Grund der Sprachlichkeit nicht im sprechenden Subjekt, sondern in dem sich offenbarenden, sich dem Wort öffnenden Sein. Einer klassischen metaphysischen Anschauung zufolge ist das Wirkliche von sich aus erkennbar und in sich verstehbar, und die ihr innewohnende Intelligibilität ist gleichsam die intrinsische Sprachlichkeit der Dinge, die dem menschlichen Verstehen entgegenkommt und auf welche das menschliche Sprechen antwortet. Dieses hat sein Prinzip nicht in sich, sondern im Seienden, das gemäß dem scholastischen Grundsatz ens et
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