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#Sweetcamp 2018

#Sweetcamp 2018ERGEBNIS-HANDOUT

WIE SÜß WIRD DIE ZUKUNFT?

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Um diese Frage zu beantworten, sammelten sich Vertreter aus Wissenschaft,Industrie und Verbraucherorganisationen in Bonn zum „Sweetcamp“.

Also meine Einschätzung: Die Zukunft wird weiterhin süß bleiben, ist nur die Frage, wie wir damit umgehen. Verbote helfen an der Stelle gar nicht.

Alexander Bernhardt, Soldan Holding + Bonbonspezialtäten

Die Zukunft wird glaub ich erst mal noch süßer, weil es ganz viele Leute gibt, denen es wirklich egal ist.

Verena Hädrich, Diabetikerbund Bayern e. V.

Ich denke, die Zukunft wird süß bleiben. Wir müssen jedoch die Übersättigung besser kontrollieren und mit weniger Zucker, weniger Salz und Fett auskommen.

Christina Ostertag, Contraf-Nicotex-Tobacco GmbH

Ob Zuckersteuer, die Reduzierung von Süße im und durch den Handel oder die geplante Reformulierung von Lebensmitteln durch das BMEL: Die Frage „Wie süß wird die Zukunft?“ ist in aller Munde und wurde auch auf dem Sweetcamp in Bonn heiß diskutiert.

Mit dem Sweetcamp konnten wir unseren Teil zur Debatte beitragen. Wir haben gemeinsam mit Ihnen – Fachleuten aus Verbänden, Industrie, Ernährungswissenschaft und Verbraucherorganisationen – Antworten gesucht und dank Ihrer regen Beteiligung auch an vielen Stellen gefunden. In der Deutschen Welle in Bonn haben wir leidenschaftlich über die Wahrnehmung von Süße und Süßstoffen aus Verbrauchersicht diskutiert sowie Ideen, wie in Zukunft die Konsumenten-aufklärung aussehen kann, vorgestellt und ausgetauscht. Wir haben über Mythen wie „Machen Süßstoffe dick?“ aufgeklärt und uns speziell dem Thema Kinderernährung gewidmet. Alle Themen wurden, wie es bei einem Barcamp üblich ist, durch die Teilnehmer bestimmt. Sie haben die gut besuchten Sessions durch Impulsvorträge bereichert und die Themen gemeinsam und offen diskutiert.

Auffällig dabei: Egal welches Thema auf der Agenda stand, immer wieder griffen die Sachverhalte ineinander. Wenn es um das Thema Süße und Ernährung geht, das wurde auf dem Sweetcamp deutlich, ist es wichtig, keinen Blickwinkel außer Acht zu lassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Ergebnisse des Barcamps nicht anhand der Sessions aufzuführen, sondern thematisch gegliedert zu besprechen.

Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern für ein bereicherndes Sweetcamp und wünsche viel Spaß beim Lesen!

Danny Gandert Vorsitzender Deutscher Süßstoff-Verband

Machen Süßstoffe dick?

Mehrere Studien zeigen, dass beim Einsatz von Süßstoffen das Körpergewicht gesenkt werden kann. Nicht nur, weil die Kalorien fehlen, sondern auch, weil der Genuss bleibt. So konnten Probanden, die statt gezuckerter Softdrinks Light-Getränke konsumierten, ihr Körpergewicht sogar besser reduzieren als diejenigen, die Wasser trinken mussten – wahrscheinlich, weil sie durch den Süßgeschmack und den damit verbundenen Genuss eher auf kalorienreiche Getränkeund Snacks verzichten konnten. „Trotzdem ist das keine Frage, auf die man einfach mit Ja oder Nein antworten kann“, wirft Heidrun Mund ein, ehemalige Vorsitzende des Süßstoff-Verbands. Süßstoffe alleine machen nicht schlank. Sie sind nur ein Teil des Ganzen und müssen insgesamt in ein ausgewogenes Ernährungs- und Bewegungsmuster integriert werden. „Essen an sich macht nun mal dick“, so Mund.

Verbraucher besser informieren – ohne wissenschaftliche Studien?

„Die eigentliche Frage ist doch, wie wir Verbraucher besser informieren können, ohne immer mit wissenschaftlichen Studien zu argumentieren“, betonte Gerhard Fuchs von der Beneo GmbH Mannheim. Denn Studien, die keine Negativergebnisse liefern, stoßen auf wenig Interesse in der Gesellschaft. Ein Beispiel, das verdeutlicht, welchen Einfluss Studien – trotz harscher Kritik aus der Wissenschaft – haben können, ist

die „Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota“-Studie, in der Presse oft „Israel-Studie“ genannt. Die Test-Mäuse zeigten eine veränderte Glucosetoleranz. Die Wirkung soll durch veränderte Darmbakterien ausgelöst worden sein. Die Studie, die 2014 Schlagzeilen machte, hat keine Praxisrelevanz, weil mit unrealistisch hohen Saccharinmengen gearbeitet wurde. Durch die Veröffentlichung in zahlreichen Medien sind ihre Ergebnisse trotzdem bis heute bei Verbrauchern und Ernährungsexperten präsent.

Studien ohne Praxisrelevanz bleiben oft lange in Erinnerung

„Das Studiendesign der Israel-Studie kann allerhöchstens den Stellenwert einer Hypothesengenerierung einnehmen“, so Anja Krumbe, Oecotrophologin und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Süßstoff-Verbandes. Die von den israelischen Wissenschaftlern vorgelegte Studie basiert größtenteils auf Tierversuchen und auf einer sehr kleinen Gruppe von Personen. Sie lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen.

Im Gegenteil: Aus Untersuchungen an Mäusen beziehungsweise sieben Probanden solche weitreichenden Schlüsse zu ziehen, sei aus wissenschaftlicher Sicht nicht akzeptabel. „Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass Wissenschaftler richtig enttäuscht sind, wenn sie feststellen, dass ihre Untersuchungen kein negatives Licht auf Süßstoffe werfen“, betont Krumbe. Diese Einstellung beeinflusse das Studiendesign und so gegebenenfalls auch die Ergebnisse, vor allem aber die Art der Veröffentlichung.

Süßstoff-Verband – Standpunkt

Süßstoffe sind kalorienfrei, das zeichnet sie aus. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Aspartam. Hier spricht man von „praktisch kalorienfrei“, das heißt, obwohl Kalorien enthalten sind, fallen diese – wegen der geringen Einsatzmenge – im praktischen Einsatz nicht ins Gewicht. Da Süßstoffe also keine Energie liefern, ist auch eine Gewichtszunahme durch Süßstoffe ausgeschlossen. Denn Gewicht zulegen kann man nur, wenn die

Energieaufnahme langfristig höher ist als der Energieverbrauch. Süßstoffe sind also kein Teil des Problems, sondern – neben beispielsweise einer ausgewogenen Ernährung und mehr Bewegung – ein zumindest kleiner Teil der Lösung: Schließlich ermöglichen sie denjenigen, die nicht vollständig auf Süße verzichten möchten, süßen Genuss ohne zusätzliche Kalorien.

Süße in derKinderernährung

Seit den neunziger Jahren ist die Zahl der übergewichtigen Kinder in Deutschland um rund 50 Prozent gestiegen. Die Folgen: Immer mehr Kinder leiden unter zu hohem Blutdruck, Stoffwechselstörungen, Gicht und sogar Diabetes Typ 2, einer Krankheit, die früher fast ausschließlich ältere Menschen betraf.

„Heute kann man zu jeder Zeit und an jeder Ecke Softdrinks und Industrienahrung bekommen“, sagt Dr. Burkhard Lawrenz, Sprecher des Verbandes Kinder- und Jugendärzte. Die Folgen seien verheerend, betont der Kinderarzt. „Eltern und Lehrer sollten öfter den Leitwolf spielen: Kinder essen und trinken, wenn sie Hunger und Durst haben, und dann auch gerne mal Wasser“, so Lawrenz. Die Absprache mit den Eltern erweist sich jedoch immer wieder als große Herausforderung. Insgesamt findet der Kinderarzt, es solle mehr auf natürliche Süße gesetzt werden.

Es gibt keine ungesunden Lebensmittel, nur einen schlechten Umgang damit

Große Hersteller haben sich bereits 2007 ein „verantwortungsvolles Marketing“ für Kinderlebensmittel auf die Fahnen geschrieben. Hersteller informieren über die Inhaltsstoffe und klären auf. „Es wurde viel seitens der Industrie getan, zum Beispiel stellt Coca-Cola keine Automaten mit zuckerhaltigen Getränken in Schulen auf“, erklärt Carolin Seitz, Nutrition Communications Manager bei Coca Cola. Doch die in dieser freiwilligen Selbstverpflichtung verankerten Nährwertgrenzen zeigen noch nicht ausreichend Wirkung. „Das ist ein klares Anzeichen dafür, dass die Industrie diese Aufgabe nicht alleine bewältigen kann.“, ist auf dem Sweetcamp in Bonn zu hören. Handeln müsse vor allem die Politik. „Was wir brauchen ist Bildung, Bewegung und Balance, gerade für Kinder“, so Thomas Fiege, Sprecher des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL).

Wir brauchen Bildung, Bewegung und Balance, gerade für Kinder. – Thomas Fiege, Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde

15 Prozent der Kinder und Jugendlichen gelten als übergewichtig

Handlungsbedarf gibt es in jedem Fall: 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen gelten laut aktueller Studie des Robert-Koch-Instituts als übergewichtig. Damit sind 2018 genauso viele Kinder und Jugendliche übergewichtig oder fettleibig wie vor zehn Jahren, als es im Zeitraum von 2003 bis 2006 erstmals eine solch groß angelegte Untersuchung zur Kinder- und Jugendgesundheit (Kiggs) gab.

Die Ergebnisse lassen daran zweifeln, dass Kinder und auch ihre Eltern immer richtig einschätzen können, wie viel gesund ist. „Die Menschen schaffen das nicht“, ist das Fazit vieler Ernährungsberater. Danny Gandert, Vorsitzender des Süßstoffverbands, macht darauf aufmeksam, dass Übergewicht auch ein soziales Problem ist.

„Es ist auch immer noch eine Preisfrage: Die Masse greift zum zuckerhaltigen Riegel für unter einem Euro.“ Alternativen mit besseren Nährwerten für über zwei Euro haben es da sehr schwer.

Süßstoff-Verband – Standpunkt

Süßstoffe liefern keine Kalorien und wirken sich nicht negativ auf die Zahngesundheit oder den Blutzuckerspiegel aus. Gerade aus diesen Gründen sind Produkte, in denen Süßstoff zum Beispiel anstelle von Zucker verwendet wird, eine mögliche Alternative, die auch für Kinder geeignet ist. Dass Eltern nicht nur ihre Kinder, sondern auch sich selbst möglichst ausgewogen und nicht ausschließlich süß ernähren sollten, versteht sich von selbst. Mit Süßstoff gesüßte Produkte können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, um die Ernährung möglichst vielfältig und voller Genuss zu gestalten.

Mögen’s Verbraucher immer noch süß?

Die Lust nach Süßem ist jedem Menschen angeboren. Schon das Fruchtwasser und die Muttermilch schmecken süß. Und so kommt kaum ein Lebensmittel im Supermarkt ohne Zucker aus: Er steckt im Brot, in Fleischwaren, in Joghurt und anderen Milchprodukten, im Müsli und natürlich in fast allen Fertigprodukten. Der Pro-Kopf-Konsum an Weißzucker ist laut einer Erhebung von Statista seit 2011 um knapp 7 Prozent angestiegen.

Lebensmittel, die alternativ mit Süßstoffen wie beispielsweise Aspartam oder Stevia ihren süßen Geschmack erhalten, sind in Supermarktregalen längst keine

Ausnahme mehr. Vom Verbraucher werden sie unterschiedlich gut angenommen. Ein Grund: Mit Süßstoff gesüßte Produkte haben nicht die gleiche sensorische Qualität wie gezuckerte Produkte. „Ich gewöhne mich aber auch an das Süßeprofil eines Süßstoffes“, argumentiert Harmut Bollinger von Bollinger food consulting. Das sei bei Diabetikern, die fast keine andere Wahl haben, als zu Süßstoffen zu greifen, wenn sie nicht auf Süße verzichten wollen, immer wieder zu beobachten. „Der gesunde Konsument

wird sicherlich weiterhin seine zuckerhaltigen Süßwaren konsumieren“, mutmaßt Bollinger. Es sei denn, er möchte Gewicht verlieren. Die Wahrnehmung des Konsumenten ist also flexibel: „Es kommt immer darauf an, wie die Interessenlage ist“, so Bollinger.

Verbrauchergruppe: Diabetiker

Verena Hädrich, Vertreterin des Diabetikerbunds Bayern, lebt seit vielen Jahren mit Süßstoffen. „Und natürlich geht es mir gut damit“, betont Hädrich. Die Diabetikerin versorgt auch ihre Kinder und Enkelkinder regelmäßig mit Süßstoff-gesüßten Produkten. Und auch da: nichts. Trotzdem muss sich Hädrich viel Kritik gefallen lassen: „Es wird immer geredet: Du mit deinem blöden Süßstoff,“ so Hädrich. Die Leute sagen, Süßstoffe seien nicht sicher oder sogar gefährlich. Einen Grund für die sich hartnäckig haltenden Mythen sieht Hädrich in der Berichterstattung der Medien: „Süßstoff ist nicht schädlich. Da war ich mir eigentlich schon immer sicher, aber man hört ja in der Presse immer nur Negatives.“

Überernährung ist das Problem, nicht die Süße

Nicht nur der Süßstoff wird sein schlechtes Image nicht los: Zucker und Süße ganz allgemein sind Handel, Krankenkassen und Medien aktuell ein Dorn im Auge. Die weißen Kristalle sollen verschiedene Krankheiten wie Diabetes und Übergewicht begünstigen. Zucker ist eine Ursache für Karies und es steht außer Frage, dass er, in Massen verzehrt, dick macht. Zwar gilt für Zucker wie für alles andere auch: Die Dosis ist entscheidend. Die Medien scheint das jedoch wenig zu interessieren, so zumindest der allgemeine Tenor bei den Sweetcamp-Teilnehmern.

„Wir haben nicht den Zucker, der gewisse Krankheiten fördert, sondern die Überernährung“, positioniert sich Meike Veit, Vertreterin von Pfeiffer & Langen.

Das Gegenargument mancher Ernährungswissenschaftler lautet: „Es gibt keinen Bedarf, Zucker, konkret Mono- und Disaccharide, als Lebensmittel entscheidend.“ Das menschliche Gehirn benötige zwar etwa 130 Gramm Glucose am Tag, der Körper sei jedoch in der Lage, diese Glucose aus Polysacchariden, also Stärke selbst aufzuspalten. „Kohlenhydrate wie Zucker sind grundsätzlich nicht schädlich“, bezieht Dr. Burkhard Lawrenz vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Stellung. Studien belegen, dass sowohl sehr wenige als auch sehr viele Kohlenhydrate ungesund sind. „Nur ein moderater Genuss ist sinnvoll“, resümiert der Arzt.

Die Wirkung von Zucker und Süßstoffim Körper lässt regelmäßigleidenschaftliche Debatten ausbrechen,die vor allem eines aufzeigen:Interdisziplinärer Austauschist wichtig und in jedem Fall richtig.Wenn selbst die Wissenschaftsich nicht einig ist, wie sollen esdann die Verbraucher sein?

Ich denke, dass der Konsument weiter die Präferenz auf einen guten Geschmack legt. – Hartmut Bollinger, Bollinger food consulting

Wie kann man den Verbraucher heute noch erreichen?

Danny Gandert, Geschäftsfeldleiter bei Nutrisun und Vorsitzender des Süßstoff-Verbands, setzt auf einfache und plakative Aufklärung: „Ich glaube, die Verbraucher werden zugeschüttet mit Informationen und sind auch überdrüssig, irgendwie tiefgehende Informationen zu lesen.“ Deshalb sei die Kampagne des Süßstoff-Verbandes „So süß wie Du“ genau der richtige Schritt für eine unterhaltsame, prägnante und transparente Aufklärung. Thomas Fiege vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) zeigt in der Barcampsession, dass die Kommunikation über soziale Netzwerke wie Facebook immer wichtiger wird: „Wir vom BLL versuchen über Facebook und Co. die Verbraucher zu erreichen und falsche Berichterstattungen aufzudecken.“ Die Posts und aufklärenden Videos des Spitzenverbands erfahren auf Twitter, Youtube und Facebook große Aufmerksamkeit. Der Beitrag „Wie viel Zucker ist drin“ wurde bisher zum Beispiel über 5 000 Mal angeschaut.

Süßstoff-Verband – Standpunkt

Im Sinne eines wirkungsvollen Vorgehens gegen Übergewicht kann es nicht um eine generelle Reduzierung von „Süße“ gehen. Der Weg zu einer verbesserten Kalorienbilanz führt nicht über Verbote oder Einschränkungen, sondern über aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbraucher, die wir dabei unterstützen, sich individuell gesünder zu ernähren. Mit dem Mythen-Checker auf www.so-suess-wie-du.de bietet der Süßstoff-Verband eine verständliche und unterhaltsame Möglichkeit, sich mit Vorurteilen zum Thema Süßstoff auseinanderzusetzen. Der Verbraucher erhält ein Werkzeug, das es ihm erleichtern soll, eine fundierte Meinung bezüglich der Verwendung von Süßstoffen zu entwickeln und diese in die tägliche Ernährung einfließen zu lassen.

Weniger Süßeweniger

Übergewicht

Hilft eine Zucker- bzw. Süßesteuer beim Abnehmen?

Eine so genannte Zuckersteuer wurde unter anderem bereits in Großbritannien, Frankreich und Mexico eingeführt. Einige Hersteller reduzierten daraufhin den Zuckergehalt ihrer Speisen oder Getränke. Belastbare Zahlen, ob diese Zuckerreduktion tatsächlich zu weniger Übergewicht führt, liegen noch nicht vor. Unabhängig davon werden auch hierzulande erste Forderungen nach einer generellen Süßesteuer laut – also auch auf Produkte, die kalorienfrei mit Süßstoffen gesüßt wurden. Das Ziel dahinter ist klar: Es geht nicht mehr um eine Reduzierung der Kalorienaufnahme, sondern um eine Veränderung des Verbrauchergeschmacks.

Übergewicht ist ein ernst zu nehmendes Problem und Zuckerreduktion ein oft genanntes Gegenmittel: Die Bundesregierung arbeitet mit einer groß besetzten Expertenkommission an der Reformulierungsstrategie für Zucker und Salz, die die Lebensmittelproduktion insgesamt zucker- und salzärmer machen soll. Gleichzeitig ist die Angst vieler Unternehmen groß, Kunden zu verlieren, wenn sie den Süßanteil vermindern. „Aktuell ist es der Handel, der lautstark vorangeht, während die Industrie Veränderungen nicht an die große Glocke hängt“, fasst es Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung zusammen. Ein viel diskutiertes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Aktion „Wie viel Zucker brauchst du noch?“ der Supermarktkette Rewe. Die Rewe Group ließ Verbraucher Anfang des Jahres abstimmen, wie viel Zucker sie in ihrem Schokopudding haben möchten. Neben der Original-Rezeptur gab es Pudding mit 20, 30 und 40 Prozent weniger Zucker zu probieren. Online konnte dann

abgestimmt werden. Das Ergebnis: 45,02 Prozent aller Teilnehmer stimmten für den Pudding mit 30 Prozent weniger Zucker – genau der Prozentwert, ab dem ein Produkt im Supermarkt als zuckerreduziert gekennzeichnet werden darf.

Verwunderlich, dass in keinem weiteren Eigenprodukt von Rewe der Zucker so stark reduziert wurde. Joghurts, Müslis und Eis sind bis jetzt nur mit 8–12 Prozent weniger Zucker auf dem Markt.

Kleine Senkungen bleiben unsichtbar

Die kleinen Senkungen bleiben auf der Verpackung unsichtbar. „Ich frage mich an dieser Stelle, ob es nicht sinnvoller wäre, dass auch eine geringere Senkung des Zuckergehalts ausgelobt werden dürfte“, so Julia Icking, Oecotrophologin. Der Geschmacksunterschied wäre geringer, die Werbewirkung unter Umständen groß.

Das Gegenargument der Industrie: Werbung mit Zuckerreduktion könnte den Verbraucher abschrecken. Tests zeigten, dass Produkte mit weniger Zucker dann besser akzeptiert werden, wenn die Zuckerreduktion im Versuchsaufbau nicht kommuniziert wird. Weiß die Testperson über die Reduktion Bescheid, beurteilt sie das gleiche Produkt oft schlechter. Trotzdem bringen viele Hersteller zuckerreduzierte Produkte auf den Markt. Große Marken fürchten

jedoch die Rezepturänderung. Bricht das Zugpferd der Marke weg, kommt das ganze Unternehmen ins Wanken. So werden zuckerreduzierte Produkte eher als zweites Standbein in die Regale gebracht. Unbeantwortet bleibt dabei die Frage, ob sich die Verbraucher vielleicht an weniger Süße gewöhnen würden, wenn sie länger im Handel wäre. Antworten von Rewe und anderen Handelsketten blieben in Bonn aus: „Wir hoffen, dass sie unsere Einladung zum Dialog beim Sweetcamp 2019 annehmen werden“, so Danny Gandert, Vorsitzender des Süßstoff-Verbands.

Zucker raus, andere Kalorien rein?

Oft zitiert wurde auch die Bemerkung des Einkaufschefs Hans-Jürgen Moog: Der fehlende Zucker werde bei der Rewe-Eigenmarke nicht durch Süßstoffe ersetzt. Im Schokopudding ist also lediglich der Zuckeranteil reduziert – von 14 Gramm (Original) auf bis zu 9,8 Gramm je 100 Gramm (Minus-30-Prozent-Variante). Der fehlende Zucker wird durch mehr von den übrigen Zutaten ersetzt, zum Beispiel durch mehr Fett.

Die Kalorienzahl verringert sich so kaum: 100 Gramm Originalpudding haben 163 Kilokalorien, der zuckerreduzierte immer noch 153 Kilokalorien. „Was nützt mir das, wenn ich den Zucker wegnehme und dafür andere kalorienreiche Sachen hineinpacke“, war die Frage, die sich den Teilnehmern des Sweetcamps immer wieder stellte. Mit einer Zuckersteuer würde aber möglicherweise genau das passieren.

Zuckersteuer in Deutschland

Was kann man also von einer Zuckersteuererwarten? Um dieseFrage zu beantworten, schweiftder Blick oft nach Großbritannien.Seit April 2018 gilt dort eine Zuckersteuerfür zuckerhaltige Getränkemit Ausnahme von Fruchtsäften,Getränken auf Milchbasisund den Produkten sehrkleiner Unternehmen.Getränke mit mehr alsfünf Gramm Zucker pro100 Milliliter werden miteiner Abgabe von 18Pence pro Liter belegt.Softdrinks mit mehr alsacht Gramm Zucker pro100 Milliliter werden mit 24 Pencepro Liter besteuert. „Die Steuerhat dazu geführt, dass Getränkehersteller ihre Rezepte veränderthaben“, betont Gerhard Fuchs vonder Beneo GmbH Mannheim. Obdie Reduzierung einen nachhaltigenEffekt auf die Gesundheithaben wird, bleibe abzuwarten. „Es gab die Zuckersteuer auch schon mal in Deutschland“, soFuchs weiter. Die Verbrauchsteuerauf Zucker musste im Hinblick auf den EG-Binnenmarktzur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zum 1. Januar1993 abgeschafft wurde. In dieser wirtschaftlichenBetrachtungsweise zeigt sich einweiterer Effekt: „Der Staat kommt in einen Gewissenskonflikt“, macht Burkhard Lawrenz vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte aufmerksam. Ähnlich wie beim Rauchen profitiert der Staat durch die Steuer von der Nikotinsucht. Die Folge: Der Staat hat kein Interesse mehr daran beispielsweise Tabakwerbung zu verbieten.

Süßstoff-Verband – Standpunkt

Maßnahmen wie beispielsweise eine Zuckersteuer mögen vielleicht kurzfristig die eine oder andere Kundenentscheidung im Supermarkt beeinflussen, sie bieten aber keine Lösung für die eingangs geschilderten Ursachen von Übergewicht. Erst recht gilt diese Einschätzung im Hinblick auf etwaige Softdrinksteuern, die auch kalorienfreie Erfrischungsgetränke

– allein wegen ihres süßen Geschmacks – einschließen würden. Erfolg versprechend hingegen ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher für eine (ernährungsphysiologisch und geschmacklich) individuell an den Bedarf angepasste Ernährung zu gewinnen.