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DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW

SCHOPENHAUER SAGT:

„Selbstverwirklichung ist Blödsinn“

Wer wirklich zu sich selbst finden will, muss sich zuerst selbst vergessen. Denn prinzipiell steht unserem Glück nur eines im Weg: Wir wollen zu viel. Das behauptet der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer in unserem fiktiven Interview mit Christoph Quarch.

an Burnout leiden? Weil sie zu viel wollen. Deshalb warne ich Sie eindringlich: Von dem, was da in Ihnen steckt, lassen Sie besser die Finger.

the red bulletin: „Du musst dein wahres Selbst fnden!“ – „Du musst dich selbst verwirklichen!“ – „Du musst dein Potenzial entfalten!“ So oder ähnlich bekommen wir es ständig gepredigt. Was halten Sie davon?

Arthur schopenhAuer: Nichts halte ich davon, rein gar nichts. Das ist in meinen Augen Küchenpsychologie, die vielleicht für bunte Wochenend-Illustrierte taugt, aber nicht fürs wirkliche Leben.

Sich selbst zu verwirklichen, halten Sie für kontraproduktiv? Damit stehen Sie ziemlich alleine da.

Ist mir doch egal, solange es der Wahrheit entspricht. Und das tut es: erstens, weil es dieses ach so tolle Selbst gar nicht gibt; zweitens, weil uns das Wollen auf Dauer versklavt. Ist doch furchtbar, ewig ein Sklave des Willens zu sein – ewig irgendetwas sein zu wollen, was es in Wahrheit gar nicht gibt.

Das heißt: Wir sind nichts anderes als das, was wir zu sein glauben. Kein Selbst, keine Seele, kein Wesenskern oder so etwas? Und alle Bemühungen, das wahre Selbst zu fnden, sind Quatsch?

Sagen wir mal so: Da ist schon etwas im Hintergrund Ihres Ichs, dessen Sie sich nicht bewusst sind und was Sie unaufhaltsam vor sich hertreibt. Psychologen nennen es „das Unbewusste“. Ich nenne es „den Willen“. Und ich verstehe darunter eine schwer greifbare Dynamik, die überall in der Welt zugange ist: Evolution, Fortschritt, Entwicklung, Geschichte, Ihre Biografe – das alles wird unermüdlich vom Willen angetrieben. Wenn es irgendetwas wie Ihr wahres Wesen gibt, dann ist das dieser in Ihnen wabernde Wille.

Aber ist das nicht nur ein anderes Wort für die Seele oder das Selbst, das zu entdecken uns die von Ihnen so wenig geschätzten Psychologen nahelegen?

Nein, der Wille, von dem ich rede, ist unpersönlich. Er ist die treibende Kraft, die nichts und niemanden je zur Ruhe kommen lässt. Dieser elende Wille macht uns fertig. Ihn als „Potenzial zu entfalten“ wäre das Dümmste, was Sie tun können. Das führt zu nichts als Stress. Wollen, wollen – immer mehr, immer Neues. Mein Gott! Das mag zwar gut fürs Business sein, aber Sie, mein Freund, gehen in diesem Hamsterrad vor die Hunde. Was glauben Sie, weshalb so viele Leute

Okay, aber was gibt’s dann eigentlich noch für uns zu tun? Gar nichts zu wollen und gar nichts zu sein klingt irgendwie trostlos.

Bingo, genau so ist es: trostlos. Das „Ich warne Sie Leben ist eine ziemlich trostlose eindringlich: Angelegenheit – oder sagen wir so: Es wäre komplett trostlos, wenn es da Von dem, was in nicht etwas gäbe, was uns von dem

Ihnen steckt, ganzen Elend des Wollens befreit. lassen Sie besser Da machen Sie mich jetzt aber die Finger.“ neugierig. Was denn? Resignation! Na, na, nun schauen Sie nicht so bedröppelt. Ich meine das zwar ernst, habe aber noch mehr zu bieten. Das Beste, was Sie tun können, wenn Sie glücklich werden wollen, ist, dieses ganze Rumgestochere in sich selbst aufzugeben und sich etwas hinzugeben, bei dem Sie sich komplett selbst vergessen. Kunst oder Musik zum Beispiel. Das schaltet den Willen aus, da kommen Sie zur Ruhe – und vielleicht ja auch zur Wahrheit, die dort beginnt, wo der Wille aufhört. Fußballgucken ist übrigens auch gut. Werde gleich einmal schauen, was die Eintracht macht …

ARTHUR SCHOPENHAUER (1788–1860) ist der wohl einflussreichste Philosoph Europas. Seine vollständig erhaltenen Dialoge verraten nicht nur eine beachtliche literarische Begabung, sondern auch die Fähigkeit, die Weisheit der griechischen Antike in einer Philosophie zusammenzufassen. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher. Zuletzt erschienen: „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“.

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