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VALI FIEL EIN BERG VOM HERZEN

Vali Höll ist mit ihren 21 Jahren Mountainbike-Weltmeisterin und einer der Superstars einer boomenden Branche. Sie hatte gelernt zu siegen – aber verlernt, sich zu freuen. Bis ein einziger Abend, ein einziges Gespräch alles veränderte … TEXT

MICHAEL PHILIPP BADER

ie war die erste Junioren-Weltmeisterin aus Österreich. Sie holte vier Siege im UCI Mountainbike World Cup, der traditionell von Französinnen, Amerikanerinnen und Engländerinnen dominiert wird. Und dann den ersten Gesamtsieg im World Cup für ein Land, dessen bester Platz im Radsport ein zweiter Gesamtrang von Rennfahrer Gerhard Zadrobilek im Jahr 1991 war. Was Valentina „Vali“ Höll im Mountainbike Downhill geleistet hat, ist höchstens vergleichbar mit Jochen Rindt im Motor- oder Annemarie Moser-Pröll im Skisport. Eine Pionierin, die Berge verschoben und Grenzen beseitigt hat, was man in Ländern mit mehr RadsportBegeisterung deutlicher wahrnimmt als in Österreich. Wenn Vali in Frankreich oder Italien startet, brüllen 50.000 Zuschauer an der Strecke. Das sind mehr als sich im gesamten Monat Februar zu alpinen SkiRennen versammeln.

Doch was macht ein Shooting-Star wie Vali Höll, wenn sie nicht gerade auf der Strecke ist? „Bislang habe ich mich immer

Sim Hotelzimmer verkrochen. Ich wollte niemanden sehen, weil ich mich in meiner Haut unwohl gefühlt habe“, sagt sie. Sie war zwar gut, oft die Beste, doch sie übersetzte das für sich so: „Ich war die Beste, aber …“ Gegnerinnen hätten Pech gehabt, sie Glück. Die Fahrt sei nicht perfekt gewesen. Wer weiß, wie das nächste Rennen ausgehen würde. Vali Höll ist ein introvertierter Mensch, schüchtern beinahe, was man ihr nie und nimmer anmerkt in ihren Insta-Clips oder Interviews in perfektem Englisch. „Mir war immer wichtig, was andere von mir gedacht haben. Und vor allem Ergebnisse: Wie kann man mit einem zweiten, dritten Platz happy sein? Das ist doch eine Katastrophe! Ich bin sehr ehrgeizig.“

Die programmierte Siegerin Vali Hölls Karriere startete früh. Ihren ersten Vertrag mit einem Bike-Hersteller unterschrieb sie mit dreizehn. Seither war der Karrierepfad der gebürtigen Saalbacherin dank perfekter Trails vor der Haustür klar: Mountainbike-Prof, nebenbei die Matura. Eins nach dem anderen hakte sie ab, Sieg für Sieg, Prüfung für Prüfung. Doch innerlich war sie eine Getriebene, sich selbst nicht gut genug, und zwischen all den Trophäen zu Hause war stets Raum für Selbstzweifel: Stürze ausgerechnet bei den Heimrennen in Leogang? Ein Grund mehr, sich im Zimmer einzusperren. Den Gesamtweltcup gewonnen? Doch nur weil ihre größte Rivalin auf der Nase gelandet war!

Dass es in ihrem Sport normal ist, hie und da zu stürzen, dass die anderen rein statistisch früher oder später ebenfalls fallen, dass die beiden größten Frauen, die der Downhill-Sport jemals gesehen hat – die Französin Anne-Caroline Chausson und Valis großes Vorbild Rachel Atherton aus Großbritannien –, zeit ihrer Karrieren mit Nervenfattern zu kämpfen hatten, drang nicht bis zu Vali durch. Auf der einen Seite war es „krass, im World Cup am Start zu stehen“, doch der Geist war noch nicht nachgeradelt: Das Bewusstsein, an der Spitze angekommen zu sein, tatsächlich zur Elite zu gehören, nicht bloß reingerutscht zu sein, diesen Gedanken erlaubte sie sich nicht.

Dominatorin Bereits in ihrer dritten Saison im UCI Mountainbike World Cup wurde Vali Höll Weltmeisterin.

Zu Beginn der Saison 2022 befeuerten die Ergebnisse diese Zweifel: ein vierter oder fünfter Platz bei Rennen, in denen sie wusste, dass sie unter die Top 3 gehörte? Unwürdig, Vali, unwürdig! Ein Grund mehr, sich im Hotelzimmer zu verbarrikadieren. Schließlich der Wendepunkt: Wir wollen ihn den Lenzerheide-Moment nennen.

Party statt Einzelhaft im Hotel

Bei dem Rennen in der Schweiz war Vali „zum vierten Mal in dieser Saison auf der Pappn gelegen. Ich dachte mir: Was soll der Scheiß? Es macht null Spaß. Jedes Wochenende bin ich mies drauf. Was läuft bloß falsch mit mir?“ Die Selbstzweifel nahmen wieder mal überhand. Und fürs darauffolgende Wochenende stand das Weltcuprennen in Andorra an. Doch jetzt der Lenzerheide-Moment – die Begegnung mit der Schweizer Freeskierin Mathilde Gremaud: ähnliches Alter wie Vali, mit Olympiagold im Slopestyle ähnlich erfolgreich wie sie und mit ähnlichen mentalen Problemen –dem Gefühl, der Umwelt etwas zurückgeben zu müssen und dies nur mit guten Resultaten zu können. Siege als Pficht. „Es war so ein gutes Gespräch“, schwärmt Vali.

Und nach dem verpatzten Rennen auf der Lenzerheide ging Vali nicht ins Hotelzimmer, sondern auf eine Party. Tanzte mit ihrer Crew und den Schweizer Freeskiern und genoss die Nacht. Dann fuhr sie nach Andorra. Gewann das Rennen. Hörte überhaupt nicht mehr auf zu gewinnen. Demolierte bei der WM, dem wichtigsten Rennen des Jahres, die Konkurrenz und darf seither für immer und ewig die Regenbogenstreifen am Trikot tragen: Vali Höll, Weltmeisterin. Das kann ihr niemand mehr nehmen. Egal was passiert. Höher geht es nicht. Mit 21 Jahren hat Vali Höll alles erreicht, was es in ihrem Sport zu erreichen gibt.

„Es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich das begriffen habe – dass das echt ist. Ich bin Weltmeisterin.“

Das letzte Saisonrennen im italienischen Val di Sole war nicht mehr wichtig. Zum ersten Mal war ihr am Start im Prinzip egal, was passieren, welches Resultat sie erzielen würde. Ein Weltcuprennen nach dem Saisonhöhepunkt, der WM: eine Anomalie des Kalenders, ein Bewerb, den auch der Weltmeister in der Männer-Kategorie, der Franzose Loïc Bruni, nicht mehr sonderlich ernst nehmen konnte. Der Druck war aus dem Kessel. Vali: „Ich hoffe, dass sich das künftig ändert und die WM das letzte Rennen des Jahres ist.“

Pünktlich zu Saisonende gab der Körper auf und ließ alles fahren. Die Abschlussparty einer grandiosen Saison verpasste Vali vor der Toilettenschüssel. Wieder einmal war sie im Hotelzimmer – zum ersten Mal unfreiwillig. Im Herbst kämpfte sie dann mit dem Epstein-Barr-Virus. Viel Zeit also, um nachzudenken, das bisherige Leben zu verdauen und das künftige zu organisieren. „In dieser Zeit wurde ich erwachsen“, sagt Vali. Aus dem ständigen „Die Beste, aber …“ wurde „Besser kann’s nicht sein“, und als nächstes Ziel: „Ich möchte dominant sein.“

Vielleicht zum ersten Mal in ihrer Karriere war Vali Höll rundum zufrieden und begann, sich etwas zu gönnen. Erst als Weltmeisterin fng sie damit an, ihr Leben zu leben. Zog von Saalbach nach Innsbruck um, um näher bei ihren Freunden zu sein. „Ich lebe das Studentenleben, aber ohne studieren zu müssen“, sagt sie. „Früher bin ich von Saalbach nach Innsbruck gependelt, um sie zu sehen. Jetzt habe ich sie vor der Haustür, und zu den Bike-Revieren in der Schweiz, Südfrankreich oder Italien ist es auch näher.“

Endlich entdeckte Vali, die hauptberuflich schnell abwärts rast, den spannenden Aspekt des Reisens. Plötzlich gab es so was wie eine Bucket List, die sie ständig ausbaute: Freeskiing in Japan? Enduro-Fahren in Tasmanien? Vali steht am Start!