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Hahn & Henne

Die Henne auf der Tasse: Geboren wurde sie bereits im Jahr 1898.

Die Henne auf der Tasse: Geboren wurde sie bereits im Jahr 1898.

HANDWERK

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Hahn & Henne

Kaum zu glauben: Ein beigefarbenes Hühnergeschirr sichert seit mehr als 100 Jahren die Existenz einer einzelnen Firma. Wie soll das denn funktionieren? Und wer mag bitte Hühnertassen? Ein Besuch in der ZELLER KERAMIKMANUFAKTUR in Zell am Harmersbach – der Brutstätte von Hahn und Henne.

✒ Nadja Dilger

Farbe, Granulat und alle Zutaten stehen bereit …

Farbe, Granulat und alle Zutaten stehen bereit …

der Tassenteig wird in Formen gepresst …

der Tassenteig wird in Formen gepresst …

… bevor Erika Börsig zum Pinsel greift.

… bevor Erika Börsig zum Pinsel greift.

Illustration: Alexander Aczél

Eigentlich müsste es laut gackern. Und nach Mist riechen – so viele Hühner und Hähne wie hier stehen. Mehr als 1000 Stück starren in den Verkaufsraum der Zeller Keramikmanufaktur. Ihr roter Kamm ragt in die Höhe, das Gefieder ist ganz schwarz. Ob sie sich wohl anfassen lassen? Klar! Sie sind ja eingefangen auf den beigefarbenen Tassen, Tellern und Eierbechern: Hahn und Henne, das gackernde Paar. Die Kassenschlager in der Zeller Keramikmanufaktur.

Seit 125 Jahren werden sie in dem über 200 Jahre alten Betrieb hergestellt und von dort aus weltweit in Hausschränke und Kaufhäuser verfrachtet. Sogar in die ZDF-Kinderserie Löwenzahn hat es eine Hühnertasse geschafft. Spätestens seit dem Zeitpunkt ist sicher: Jeder kennt die Henne aus dem 8000-Einwohner- Städtchen Zell am Harmersbach. So versteht es sich beinahe von selbst, dass die Manufaktur auch ein eigenes Museum hat – mit großen Glasvitrinen und unzähligen Fotografien in Schwarzweiß.

Vom Verkaufsraum aus sind es nur wenige Schritte dorthin. Neben Fotos von Gründer Josef Anton Burger ist auch das einer jungen Frau zu erkennen: Mit einem hauchdünnen Pinsel malt sie einen Namen auf eine Hühnertasse: „E, v“ – „a“, ergänzt eine tiefe Stimme aus dem Hintergrund. Ein älterer Mann mit riesigem Schnauzer hat sich ganz unbemerkt in das Museum geschlichen. Oder arbeitet er etwa hier? Verstohlen grinst er unter seinem großen Schnauzer hervor und streckt die Hand zum Gruß aus: „Urmar Herrmann.“

Vor 38 Jahren hat Herrmann hier seine Lehre zum Keramikmaler gemacht. Gemalt hat er schon immer gerne, und die Manufaktur stand quasi vor seiner Haustür. Das hat dann alles so gut gepasst, dass er in Höhr-Grenzhausen auch noch Keramik studierte. Anschließend arbeitete er einige Jahre als Produktionsleiter in der Glasindustrie und als Keramikkünstler, bis er 2016 zur Manufaktur zurückkehrte. Zu Hahn und Henne. Die er vermisst hat, genauso wie das robuste Material. Das Glas zerbrach dem großen Herrmann oft beim Bemalen, die Keramik nie – was er auch gerne seinen Lehrlingen erzählt. Herrmann ist es sehr wichtig, das Handwerk weiterzugeben. Immerhin haben in der Zeller Keramikmanufaktur zu Hochzeiten bis zu 300 Mitarbeiter gearbeitet! Bis Plastik und Porzellan kamen.

Viele traditionelle Betriebe mussten um 1980 herum schließen, weil sie mit den günstigen Produktionen im Ausland nicht mithalten konnten. Die Zeller Manufaktur konnte sich mit 35 Mitarbeitern halten. Dank Hahn und Henne! Herrmann will zeigen, wie sie entstehen.

Auf einer großen moosgrünen Rutsche, die selbst für übermütige Lausbuben zu steil ist, gleiten Körner aus Ton hinab. Jene weißen Körner, die sich auch über Herrmanns dunkle Schuhe sowie den steinigen Boden der Produktionshalle ziehen.

Verschiedene Pinselstärken und Schablonen helfen bei dem Dekor.

Verschiedene Pinselstärken und Schablonen helfen bei dem Dekor.

Die Hühner müssen schnell noch trocken werden.

Die Hühner müssen schnell noch trocken werden.

Die unkomplizierteren Teller sind schon fertig für den Verkauf.

Die unkomplizierteren Teller sind schon fertig für den Verkauf.

Karl Schöner zeichnete 1898 zur Geburt seiner Tochter den ersten Gockel auf die Tasse.

Ziemlich staubig und sehr trocken ist die Luft hier. Herrmann greift mit seinen breiten Händen in einen Sack und lässt die feinen Körner durch seine Finger rieseln. „Daraus machen wir ganz tolle Keramik“, schwärmt er. „Dieses Material ist so leicht zu formen und wenn es gebrannt ist, besonders gut zu bemalen.“

Die Körner sind die Grundzutat für Keramik. Der einzige Ort in Deutschland, in dem sie noch zu bekommen sind, ist der Westerwald in Hessen. Sonst gibt es das Gut nur noch in den benachbarten Ländern. Aus Frankreich und England kamen um 1700 übrigens die ersten Rohstoffe für helle Keramik und Porzellan. Davor hatten die deutschen Keramikmaler nur braune Masse zu bepinseln. Die Zeller Keramikmanufaktur stellte 100 Jahre lang, von 1845 bis 1945 sogar selbst Porzellan her. Das feine Material Bone China war allerdings sehr teuer und es zu brennen ebenso. Die Manufaktur konzentrierte sich schließlich wieder ganz auf die Keramik – die günstiger herzustellen ist.

Herrmann geht zu einer Grube mit braunem Wasser. Tonpulver wird mit Wasser zu einer gießfähigen, keramischen Masse aufgerührt. Herrmann schaut fasziniert zu – als würde er das zum ersten Mal beobachten. Dabei weiß er genau, wie hier alle Maschinen funktionieren. Was er tun muss, wenn eine mal streikt; bei 60 Jahre alten Geräten kann das schon einmal vorkommen. Wie oft? Verrät er nicht. Er drängt lieber zum Weitergehen, denn seine Lieblingsmaschine kommt jetzt: der Tassenautomat. Nicht zu verwechseln mit Kaffeeautomat. Obwohl dieser ganz ähnlich funktioniert.

Über ein Fließband rollen weiße Behälter, die an einen Trichter erinnern. Gräuliche Masse fließt hinein, um so eine Tasse zu formen. Ein Mitarbeiter muss sie jetzt nur noch an den Kanten säubern – „so dass der Rand schön glatt ist“, erklärt Herrmann, während er den Vorgang mit den Händen nachspielt. An ihm rauschen große Wagen vorbei. Ein Mitarbeiter kutschiert das geformte Geschirr Richtung Ofen. Bei 1040 ° Celsius wird dort die Keramik zum ersten Mal gebrannt.

Im Hintergrund läuft Udo Jürgens’ „Aber bitte mit Sahne“, als Herrmann nun Erika Börsig vorstellt. Eine ältere Dame, die an ei er Töpferscheibe sitzt. Vergnügt zi eht sie ihren grünen Pinsel über einen hellen Eierbecher – „Aha, oh yeah!“ Weil sie sich beim nächsten Schritt ein wenig konzentrieren muss, dreht sie die Musik leiser. Auf einer Seite des Eierbechers hält sie eine dunkle Schablone fest, die sie behutsam mit schwarzer Farbe ausmalt. Was für ein Muster es wird, ist noch schwer zu erkennen. Nach wenigen Sekunden lächelt Börsig und zieht die Schablone ganz locker vom Becher ab. Zu sehen: die Henne. Doch fehltnicht etwas? Die Malerin nickt abwesend und tauscht eifrig ihrePinsel. Mit roter Farbe tupft sie nun auf den Hühnerkopf. Aha: der Kopfschmuck! Jetzt muss nur noch der dunkelgrüne Rand auf die obere Tassenkante gemalt werden.

Mit der rechten Hand setzt Börsig erneut den Pinsel an und dreht mit derlinken den Eierbecher. Ganz langsam entsteht so einegeschwungene Linie.Nicht mal eine Minute hat sie für die Hennegebraucht. Seit 36 Jahrenarbeitet Börsig bereits in der Manufaktur, Herrmann und sie kennen sichseit ihrer Malerausbildung. Den Vater von Hahn und Henne haben beide niegetroffen: Karl Schöner. Im Jahr 1898 zeichnete er zur Geburt seinerTochter den ersten Gockel auf die Tasse.Er wollte ihr ein Motivschenken, das einfach zu merken und kindgerechtist. So, wie vermutlichder nächste Vorgang in der Brutstätte.

Ist Börsigs Bild auf dem Eierbecher trocken, bekommt er noch einedurchsichtige, gelbliche Glasur, der das Geschirr hart und glänzendmacht. Im Museum werden die Hühner dafür in ein planschbeckengroßesGefäß getaucht. Zange um Zange, Hahn um Henne. Zum Glattbrand, das istder zweite Brand bei 1140 °Celsius, geht es erneut in den Ofen. Doch essind beileibe nicht nur Tassen, Teller und Eierbecher, die gebrannt undverkauft werden. Herrmann schätzt, dass es rund 200 Hühner-Accessoiresgibt. Darunter Brotdosen, Töpfe, Lampen und viele andere Gegenstände.Woher kommt nur dieser Hühner-Hype?

Herrmann zuckt mit den Schultern. Er vermutet, dass es schlichtweg Kult geworden ist. Seit 125 Jahren werden die Gockel von Eltern und Großeltern mit dampfenden Kakao gefüllt und den Kindern in die Hand gedrückt. Wenn sie groß sind, bekommen sie das Geschirr geschenkt oder gar vererbt, um die Tradition fortzusetzen. Vielleicht sind sie aber auch nur durch Löwenzahn auf sie aufmerksam geworden. Denn es sind auch die jungen Leute, die immer wieder in die Zeller Manufaktur kommen oder über das Internet bestellen.

An Weihnachten dürfen die Hähne sogar ein Mützchen tragen.

An Weihnachten dürfen die Hähne sogar ein Mützchen tragen.

Seit langem dabei: Keramikmaler Urmar Herrmann – der Herr der Hühner

Seit langem dabei: Keramikmaler Urmar Herrmann – der Herr der Hühner

Herrmann hält eine der beigefarbenen Tassen hoch und streicht dem schwarzen Gockel sanft über die Brust – als wollte er prüfen, ob auch alle Federn glatt sind. Er lächelt zuversichtlich: „Hahn und Henne kann man doch nur mögen.“ Wohl wissend, dass es die beiden sympathischen Lieblinge, die längst zu einem Symbold des Schwarzwalds geworden sind, noch viele Generationen auf den Tisch schaffen werden.

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