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KARLEN SWISS : NACHHALTIGE HANDWERKSKUNST

Im Jahr 1951 gründete Titus Karlen in Törbel seine eigene Schuhmacher-Sattlerei. Sein Sohn Hans-Jörg und dessen Frau Yvonne übernahmen sie im Jahr 2000. Heute beschäftigt das Unternehmen ein Team von rund 10 Angestellten und bleibt seinem Grundsatz treu, Produkte aus recycelten Materialien herzustellen und dabei traditionelles Handwerk mit modernen Designs zu verbinden.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eigene Produkte mit ökologischen Materialien herzustellen? Was war die treibende Kraft?

Hans-Jörg: «Mein Vater, der damals die Schuhmacher-Sattlerei gegründet hat, lebte stets nach dem Motto «Flicko statt wägkio». Nicht umsonst lautet unser Motto seit Beginn an «Recycling, Handarbeit, Bergregion». Ganz am Anfang wollte einer unserer Lieferanten Produkte aus Loden. Da diese nicht sehr häufig in unserer Region vorkommen, war dies kein optimaler Rohstof für uns. Ich hatte eine Militärdecke im Auto, die wir dann nutzten. Uns wurde schnell bewusst, dass die Produkte polarisieren: Jede:r hat eine eigene Geschichte zu diesen Decken und die Produkte weckten Emotionen. Dadurch entstand unser Geschäftsmodell, aus alten, noch brauchbaren Materialien neue Gegenstände herzustellen.»

Wo bezieht ihr den Rohstof für die Produkte? Gibt es spezielle Kriterien für Stofe, die ihr verarbeitet?

Yvonne: «Wir benutzen beispielsweise alte Sitzbezüge der SBB. Damals gab es grüne Sitze im Nichtraucherabteil, rote in den Raucherabteilen. Das waren auch die ersten Materialien, die wir eigenhändig aus alten Zügen rausgeschnitten haben, die anschliessend verschrottet wurden. Zudem stellen wir aus alten Säcken der Post oder alten Militärdecken

Produkte her. Seit 2021 verfolgen wir ein neues Projekt und produzieren Taschen mit Schweizer Flachs aus dem Emmental. Da Flachs ein Rohstof ist, der nicht recycelt wird, bauen wir pro verkaufte Tasche gleich viel Flachs wieder an, wie für die jeweilige Tasche verarbeitet wurde. Zudem verarbeiten wir oft Leder. Das Gerben von Leder ist sehr umweltschädigend, wenn es nicht richtig gemacht wird. In der Schweiz und in Deutschland ist die Lederproduktion sehr stark geregelt. Deshalb beziehen wir unser Leder nur von diesen zwei Ländern.

Das Leder aus der Schweiz und aus Deutschland kostet dann bestimmt auch mehr als aus dem Rest der Welt?

Hans-Jörg: «Ja genau, das ist so. Das gehört für mich zur Nachhaltigkeit dazu. Wir können hier nicht auf Kosten der Umwelt in anderen Ländern leben. In unserer modernen Welt des Überflusses sollten weder Mensch noch Tier leiden müssen, damit wir unsere Bedürfnisse befriedigen können. Ich bin nicht gegen Konsum an sich, aber für etwas weniger, bewussteren Konsum.»

Wie wichtig sind euch Individualität und Einzigartigkeit der handgefertigten Produkte im Vergleich zur Massenware?

Hans-Jörg: «Diese Individualität ist einer unserer zentralen Punkte. Wir arbeiten mit alten Materialien, die alle ähnlich, aber nie gleich sind. Jedes Produkt, das wir herstellen, ist einzigartig und es ist handgemacht. Die Designs stammen von verschiedenen Designer:innen, die wir im Abstand von zirka drei bis fünf Jahren wechseln. Wichtiger als die Individualität ist uns aber, dass unsere Produkte alle wieder repariert werden können.»

Gibt es besondere Herausforderungen, denen ihr euch gegenüberseht, wenn ihr mit recycelten Materialien arbeitet?

Yvonne: «Die Aufbereitung des Rohstofs ist ein Punkt, der viel Zeit und Arbeit frisst. Wir bekommen unseren Rohstof nicht einwandfrei in Rollen von unseren Lieferanten geliefert. Die Militärdecken beispielsweise müssen gewaschen und teils chemisch gereinigt werden, damit wir sie verarbeiten können.

Eine weitere Herausforderung ist es, an diese Produkte überhaupt ranzukommen. Zum Glück haben wir früh grosse Mengen gekauft und sind so nicht ständig im Stress, um neues Material zu besorgen.»

Wie seht ihr die Entwicklung der Kleiderindustrie momentan?

Hans-Jörg: «Ich habe letzte Woche im Internet ein Hemd für 9 Franken und einen Rucksack für 13 Franken gesehen. Und da muss mir noch jemand erzählen, dass für diese Produkte nicht jemand – Umwelt oder Mensch – leidet.

Und auch hier macht jemand Profit. Um diese Bewegung zu stoppen, braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft. Das geschieht nicht von heute auf morgen.»

Erkennt ihr allgemein ein wachsendes Interesse an euren nachhaltigen Produkten in der letzten Zeit?

Yvonne: «Bei uns ist das Interesse sowie die Nachfrage seit jeher relativ konstant. Vielleicht könnte man noch mehr pushen und die Nachfrage erhöhen, aber wir sind mit der Grösse unseres Betriebs zufrieden und haben auch in Zukunft nicht im Sinn, enorm zu wachsen. Es gibt aber auch immer mehr Produzenten, die mit alten oder nachhaltigen Materialien arbeiten und Upcycling betreiben, was auch gut ist.»

Wie geht ihr mit dem Thema Innovation um?

Hans-Jörg: «Unternehmen leben von Innovation. Da wir regelmässig mit neuen Designern arbeiten, haben wir oft neue Produkte. Wir nehmen selten Produkte aus unserem Sortiment, die wir einmal produziert haben. Deshalb wächst unser Sortiment ständig weiter. Für uns ist Innovation auch wichtig, da die Materialien, die wir verbrauchen, nicht in endloser Menge vorhanden sind. Wir sind praktisch dazu gezwungen, regelmässig neue Materialien für neue Produkte zu finden, die auch zu unserem Konzept und unserer Einstellung passen.»

Welche Ratschläge würdet ihr anderen geben, die daran interessiert sind, in die nachhaltige Modebranche einzusteigen oder ihre eigenen Produkte herzustellen?

Yvonne: «Alte Materialien brauchen ist gut und recht. Man sollte die Produkte aber auch so produzieren, dass sie repariert werden können. Das ist ein zentraler Punkt unserer Denkweise. Zudem würde ich den Ratschlag geben, Produkte herzustellen, die man nicht für jeden Preis im Internet von irgendwoher bestellen kann. Möglichst regionale Produkte sind da sicher von Vorteil.»

Seht ihr nachhaltiges Handeln auch an konkreten Beispielen hier in der Moosalpregion?

Hans-Jörg: «Was mir Spass macht, sind die vielen jungen Leute, die hier in der Region Tiere halten und die Umgebung bewirtschaften. Diese jungen Leute übernehmen damit Verantwortung. Die Bäuerinnen und Bauern leisten einen Riesendienst, und viele von ihnen tun dies in ihrer Freizeit. Ich habe das Gefühl, dass wir hier in der Moosalpregion einen guten, nachhaltigen Tourismus pflegen im Vergleich zu anderen Regionen und Städten in der Schweiz, in denen längst der Massentourismus eingekehrt ist. Dieser Massentourismus ist alles andere als nachhaltig.»

Was wünscht ihr euch für eine nachhaltige Zukunft?

Yvonne: «Ich wünsche mir, dass jede und jeder von uns eine gewisse Verantwortung gegenüber unserem Planeten wahrnimmt. Bevor gekauft wird, sollte man sich die Frage «Brauche ich das?» stellen. Wenn diese Frage mit nein beantwortet wird, man es aber dennoch will, sollte man es so kaufen, dass weder die Umwelt noch der Mensch dafür bezahlen muss.»

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