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Blickkontakt

Eine Weihnachtsgeschichte

Ich bin Brillenträger. Gefühlt seit meiner Geburt. Seit neuestem mit Gleitsicht. Beim Sport mit Kontaktlinsen. Damit kann ich leben. nur frage ich mich, wieso die linsen so heißen. Was den Kontakt angeht, sind sie zickig. Sie weigern sich regelmäßig, geschmeidig Platz im auge zu nehmen. Und wenn sie erstmal drin sind, kratzen sie. Und raus wollen sie auch nimmer. Mit linsen im auge habe ich auch nicht mehr zwischenmenschlichen Kontakt als sonst. Und beim Sport will ich eh keinen. Vielleicht ist es auch vollkommen egal, welche Sehhilfe ich trage. hauptsache, ich sehe scharf. Sehe klar. So wie Gott.

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Eine Frau in der Bibel betet: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ hagar heißt die Frau. Magd von abraham. Mutter eines gemeinsamen Sohnes. Ismael sein name. Die Dreiecksbeziehung mit abraham und seiner Frau Sara geht nicht gut. Sara ist eifersüchtig. hagar flieht. Sie kehrt nur zurück, weil ein Engel Großes verspricht: Zukunft für ihr Kind und ihre Kindeskinder. Saras Eifersucht aber ist Gift. „hagar muss gehen“, fordert Sara. Und hagar geht. Endgültig! Gegen abrahams Willen. aber mit Gottes Versprechen: hagar wird es an nichts fehlen. als der Proviant ausgeht, fehlt es an allem: an Essen, an trinken, an Kraft, an Zuversicht. Der Knabe droht zu sterben. Und wieder ist es ein Engel, der hagar aufhilft, ihr die augen öffnet. Sie sieht wie auf ihrer ersten Flucht einen Wasserbrunnen. Damals nannte sie den Ort „Brunnen des lebendigen, der mich sieht.“ aber beim Blick in die Krippe liegt auch die Verheißung auf ein gutes leben in Zukunft, wenn wir ansehen schenken. allem, was klein ist. Was wachsen will. Ich weiß: Kinder sind manchmal anstrengend. aber sie eröffnen mir auch eine neue Welt. auf einmal wird durch ein Kind aus dem alltag ein abenteuer. aus Sand eine Burg. aus Farbe ein Bild. aus einer Pfütze ein Ozean. aus Plänen Überraschungen. Und aus Gewohnheit leben.

Gott sieht scharf. Er sucht den Blickkontakt. Und zieht seine Schlüsse. Er sieht einen Menschen an. Gibt ihm ansehen. Und was not tut. nicht mehr und nicht weniger. Für hagar ist es erstmal Wasser, was ihre not lindert. Und die Seele füttert Gott mit dem Versprechen, dass ihr leben gut weitergeht. Es braucht – bei Gott – nicht viel, um wie Gott zu schauen und ansehen zu geben. Weihnachten sucht Gott den Blickkontakt mit dir und mir und der ganzen Welt. Und er zieht seine Schlüsse: ein Kind ist jetzt dran. Ein Kind ist die Rettung. Viele erwidern den Blick. Sie schauen in die Krippe, auch wenn sie Gottes namen nicht auf den lippen tragen. Manche lassen sich von dem holden Knaben und den lieblichen Geschichten und liedern verzücken. auch recht.

In dem historischen Stall, der im Museumshof an das Hauptgebäude angrenzt, wurde in der Vorweihnachtszeit erneut eine Krippe aufgebaut. Sie kann auch während der Schließzeit des Heimatmuseums noch bis 26.12. besucht werden.

Ich glaube: mit solchen augen sehe ich meine Welt größer, bunter, lebenswerter. Ich sehe genauer auf die not. Die unsichtbar hinter türen oder einem Gesicht steckt. Die sich nicht rührt und keine Stimme hat. Die kein Obdach hat in herz und haus.

Frohe Weihnachten und Gottes augen für das neue Jahr wünscht Ihnen

Ihr Pfr. Roland Sievers