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Tuilerien, 10. August 1792
Der Sturm auf die Tuilerien von Jean Duplessis-Bertaux, Öl auf Leinwand, 1793. Das Werk entstand bereits wenige Monate nach dem blutigen Geschehen im August 1792. Napoleon war als 22-jähriger, unbekannter Offizier zufällig Augenzeuge des Massakers.
Schweissnass standen die rotuniformierten Schweizer Leibgardisten auf den Steintreppen der Tuilerien und feuerten auf den fanatisch anstürmenden Pöbel.2 Schwere Kanonen donnerten auf den prächtigen, unter Katharina von Medici erbauten Königspalast, Fenster zerbarsten, schwarze Rauchschwaden drangen hervor. Danton hatte 80 000 Patronen unter den Angreifern austeilen lassen, die zusätzlich zu ihren Gewehren mit Piken, Äxten, Messern und Bratspiessen bewaffnet waren. Die 700 tapferen Schweizer Gardisten3 verteidigten die Tuilerien, ihrem Eid getreu, Saal für Saal. Als einigen Dutzend von ihnen in den oberen Stockwerken die Munition ausging, wurden sie ergriffen und lebendig aus den Fenstern geworfen.4
Da sich der französische König Ludwig XVI. in den Schutz der Nationalversammlung begeben hatte, verteidigten die Schweizer ein leeres Gebäude und starben für ein steinernes Symbol der dem Untergang geweihten Königsherrschaft. Ein Symbol, das der König aber gar nicht verteidigt sehen wollte. Als der Kanonendonner zur Nationalversammlung herüberdrang, unterzeichnete er ängstlich einen Befehl, der die Garde zur sofortigen Einstellung aller Kampfhandlungen und zum Rückzug in die Kasernen aufforderte. Ohne es zu ahnen, hatte Ludwig XVI. damit das Todesurteil seiner Garde unterschrieben.
Der Befehl erreichte die Offiziere an der östlichen Seite der Tuilerien nahe des Louvre. Obwohl 200 Mann das Feuer unverzüglich einstellten, wurden sie von den Angreifern weiter beschossen und zum Teil an Ort und Stelle massakriert. Da der Befehl nicht auf die andere Seite der Tuilerien vorgedrungen war, wurde der Kampf um Leben und Tod dort fortgesetzt. In den königlichen Gärten erlagen die Schweizer der tausendfachen Übermacht, wurden mit Knüppeln erschlagen, niedergestochen oder erschossen. In einem kollektiven Blutrausch wurden ihre Leichen in Stücke gehauen, die abgehackten Köpfe und Körperteile auf Piken gesteckt und wie Trophäen durch die Strassen getragen. Ein junger Artillerieleutnant in Zivil, der in diesen Augenblicken über die Rue des Petits Champs in Richtung der Tuilerien unterwegs war, berichtete, wie ihm «ein Haufen zerlumpter Kerle entgegen [kam], die einen auf eine Spitze aufgespiessten Kopf vor sich hertrugen. Da sie
mich einigermassen anständig gekleidet sahen und wohl einen Herrn in mir vermuteten, kamen sie auf mich zu, um mich ‹Vive la Nation› rufen zu lassen. Wie man sich denken kann, fiel mir das nicht schwer.»5
Der Augenzeuge war der zu diesem Zeitpunkt vollkommen unbekannte Napoleon Bonaparte. Nach dem Massaker wagte sich der 22-Jährige in die verwüsteten Gärten der Tuilerien, wo die verstümmelten und enthaupteten Leichen Hunderter Schweizer Gardisten ein Bild des Grauens boten.
«Niemals», erinnerte sich Napoleon, «hat mir später eins meiner Schlachtfelder auch nur annähernd den Eindruck so vieler Leichen gemacht, wie es mir hier bei der Menge toter Schweizer der Fall zu sein schien.»6