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Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten Monika Hensen-Busch
„Sichtbarer werden“
Bis Ende 2022 war Monika Hensen-Busch Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Mönchengladbach. Was Vielfalt mit gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen zu tun hat, verrät sie im Gespräch.
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Frau Hensen-Busch, warum ist Gleichstellungsarbeit so wichtig?
Monika Hensen-Busch: Man stößt immer wieder darauf, dass mit unterschiedlich bewertendem oder benachteiligendem Blick auf die Geschlechter geschaut wird. Es ist in sehr vielen Bereichen notwendig und wichtig, eine Geschlechtersensibilität zu entwickeln. Nehmen wir das Beispiel Stadt- und Verkehrsplanung: Es gibt Angsträume, für Frauen nochmal andere als für Männer. Außerdem haben Frauen andere Mobilitätswege, sie sind öfter als Fußgängerinnen oder im ÖPNV unterwegs. In vielen weiteren Bereichen gelten Männer als Maßstab für Forschung und Entwicklung, beispielsweise für Airbags und Sicherheitsgurte im Auto, in der Medikamentenforschung, bei unterschiedlichen Symptomen von Krankheiten etc. Weitere Themen in der Gleichstellungsstelle sind Gewalt gegen Frauen, Sexismus und Belästigung am Arbeitsplatz. Viele Frauen haben geschlechterspezifische Stereotype selbst so sehr verinnerlicht, dass sie sich nach solchen Vorfällen fragen: ‚Habe ich mich falsch verhalten? Was hatte ich an? Warum habe ich provoziert?‘. Sie fühlen sich erniedrigt und minderwertig. Das ist schwer aufzufangen. Es gibt diese Vorfälle durchaus, aber sie werden selten sichtbar, da die meisten Frauen nicht offen gegen den Verursacher vorgehen möchten.
Was kann jeder dafür tun, dass Gleichstellung in der Gesellschaft funktioniert?
Wir sind alle von der Gesellschaft geprägt, das geschieht bewusst und unbewusst. Und diese unterschiedliche Bewertung von Tätigkeiten, je nachdem, ob sie von einem Mann oder von einer Frau ausgeführt werden, ist so tief in unserem Denken verankert. Letztendlich ist Gleichstellung ein Gemeinschaftsprojekt und nur, wenn an vielen, vielen Stellschrauben gedreht wird, kann sich was verändern. Gleichstellung funktioniert nur, wenn wir in den Austausch und den Dialog gehen und wenn wir Fragen thematisieren, wie: Wie wollen wir in der Stadtverwaltung zusammenarbeiten? Wie verstehen wir uns? Wie verhalten wir uns gegenüber den Menschen der Stadt Mönchengladbach, für die wir als Stadtverwaltung tätig werden?
Findet in der Gesellschaft ein Umdenken statt?
Uneingeschränkt ja. Gesellschaftlich betrachtet ist Vieles im Umbruch, aber die wissenschaftlichen Untersuchungen belegen, dass zugleich noch sehr viel Luft nach oben ist. Die jungen Menschen in unserer Gesellschaft haben häufig das Ziel, alles gleichberechtigt Händeln zu wollen. Aber wir müssen auch darüber reden, wie wir unsere Gesellschaft verändern müssen, damit das überhaupt möglich ist. Wenn sich zum Beispiel nicht grundlegend etwas daran ändert, dass Erwerbsarbeit auf der einen Seite und Sorgearbeit, Erziehungsarbeit oder Pflegearbeit auf der anderen Seite, also die Arbeiten, die überwiegend Frauen zugeordnet werden, nicht gleichmäßig verteilt sind, kann sich nichts verändern. Die jungen Generation hat zwar das Ideal, Familie gleichberechtig leben zu wollen. Wenn aber die tatsächliche Situation eintritt, passiert zumeist das genaue Gegenteil: Die Männer arbeiten noch mehr anstatt ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren. Natürlich spielen hier viele andere Dinge, wie die Berufe und das Gehalt eine große Rolle. Es braucht daher ebenfalls Unterstützungsangebote für Männer, die sich in der Familienplanung befinden. Mittlerweile nehmen immer mehr Männer zumindest zwei Monate Elternzeit.
Welche weiteren Maßnahmen erachten sie als zielführend, um Gleichberechtigung gesellschaftlich umzusetzen?
Ich persönlich halte eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche für sinnvoll. Zum einen kann man dadurch mehr Menschen in Arbeit bringen und zum anderen wird so ein Ausgleich und eine Balance geschaffen zwischen Erwerbsarbeit und der anderen Tätigkeiten, die wir Menschen tun, um zu leben und um an der Demokratie und der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben zu können und sich zu engagieren.
Wie sieht die Berücksichtigung von Männern in der Gleichstellungsarbeit aus?
Es gibt bei uns in der Gleichstellungsstelle eine Vollzeitstelle Sachbearbeitung Geschlechtergerechtigkeit mit einem Schwerpunkt bezüglich Jungen und Männer-Arbeit. Gleichstellung funktioniert nur, wenn Frauen und Männer gleichsam an ihrer Realisierung beteiligt sind.
Sie arbeiteten seit 2009 in der Gleichstellungstelle der Stadt, seit 2012 waren sie Gleichstellungsbeauftragte. Was hat sich seitdem verändert?
Seitdem hat sich sehr viel verändert. Wir sind an einer Art ‚Zeitenwende‘ angelangt. Jetzt tritt häufiger der Fall ein, dass eine Frau und ein Mann um dieselbe Stelle konkurrieren. Denn früher sind Frauen zum Beispiel gar nicht in diese Ausbildung gelangt. Auch das Selbstwertgefühl der Frauen ist heute ein anderes, sie sind selbstbewusster und treffen ihre eigenen Entscheidungen. Das Thema Gleichstellung mit all seinen Facetten findet in immer mehr Bereichen Eingang und wird verstärkt berücksichtigt. Beispielsweise ist im Hinblick auf Teilzeitmodelle mittlerweile gesetzlich festgelegt, dass Stellen grundsätzlich teilbar sind und auch eine Ausbildung in Teilzeit ist möglich. Wir als Gleichstellungsstelle werden viel häufiger in Entwicklungsprozesse einbezogen und haben die Möglichkeit, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Nichtsdestotrotz müssen wir lösungsorientiert nach vorne schauen und weiterhin die Strukturen im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit verändern.