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Im Dialog mit dem Ich

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1, 2 oder 3?

1, 2 oder 3?

Warum wir öfter mit uns reden sollten

Selbstgespräche sind kein Zeichen von Verwirrtheit, sondern wichtiger Bestandteil der Psychohygiene. Was den Dialog mit sich selbst wertvoll macht.

Text: Andreas Grote Illustration: Anja Wicki

Sich anfeuern und niemals abwerten

Monologe an uns selbst halten wir häufig dann, wenn wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren und den nächsten Schritt dahersagen. Studien zeigen, dass wir dadurch bei Aufgaben konzentrierter sind und bessere Ergebnisse erzielen. Wir lernen auch effektiver. Selbstgespräche führen wir auch, um uns selbst anzufeuern. Sportlerinnen und Sportler haben sich das antrainiert. Aufkommenden negativen Gedanken setzen sie sofort einen positiven entgegen, indem sie ihn aussprechen. Negative Gedanken sollten wir nie laut aussprechen oder uns selber abwerten.

Sinnvoller emotionaler Puffer

Vor einer sozialen Inter aktion wie einem Bewerbungsgespräch oder einer Rede simulieren wir mit Selbstgesprächen diese Aufgabe vorab und spielen sie im Kopf durch. Genauso gehen wir auch vergangene Szenen und Unterhaltungen im Kopf durch und bewerten sie verbal. Das Selbstgespräch wirkt dabei wie ein Puffer, wie ein Ventil, das Emotionen herauslässt. Es dient auch dazu, das eigene Verhalten zu hinterfragen oder zu kommentieren.

Zu sich selbst direkt per Du

Forschende haben herausgefunden, dass Selbstgespräche besonders gut wirken, wenn die Ansprache in der zweiten (du) oder dritten Person (sie, er) stattfindet und nicht in der ersten (ich). So nimmt man eine gewisse Distanz zu sich selbst ein, kritisiert quasi eine andere Person. Oder gibt ihr Ratschläge und kann emotional gefasster damit umgehen. Es ist einfacher, seine Gedanken an der scheinbar anderen Person abzuarbeiten. Studien zeigen, dass Selbstgespräche in der direkten Ansprache «du» zu mehr Selbstvertrauen und Motivation führen: «Du schaffst das!» Auch nimmt die Nervosität ab.

Selbstgespräche dienen der verbalen Verarbeitung

Jeder Mensch führt Selbstgespräche, egal, wie gebildet er ist. «Vor allem Menschen, die ihr Leben im Griff haben wollen, viel nachdenken, strukturiert vorgehen, neigen dazu, Situationen verbal zu verarbeiten», sagt die Zürcher Psychotherapeutin Agnes von Wyl. Sie ist Leiterin der Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Auch wer eher auf sich selbst fixiert ist, neigt dazu. Genauso Menschen, die als Einzelkind aufgewachsen oder Singles sind.

Nettigkeiten vor dem Spiegel

Vor dem Spiegel mit einem Kompliment an sich selbst den Tag zu beginnen kann eine positive Wirkung haben, zum Beispiel kurz nach dem Aufstehen, unter der Dusche, im Stau oder im Zug. Dadurch wird im Körper das Glückshormon Endorphin ausgeschüttet, auch wenn man sich auf diese Weise quasi selbst überlistet. Droht der Tag stressig zu werden – etwa wenn ein Streitgespräch mit jemandem ansteht –, kann man durch positive Selbstgespräche in eine bessere Grundstimmung kommen.

Schon Kleinkinder ordnen so ihr Leben

Kinder reden besonders häufig mit sich selbst. Vor allem im Alter zwischen zwei und fünf Jahren tun sie es fast ständig. Es kümmert sie auch nicht, ob jemand zuhört. Indem sie Schritt für Schritt Erlebtes reflektieren, ordnen sie ihr Leben besser. Etwa ab dem fünften Lebensjahr nimmt dieser Impuls ab. Wie Erwachsene verlagern sie ihre Selbstgespräche immer mehr nach innen – führen sie zwar, sprechen sie aber nicht aus.

Hilfreich bei Einsamkeit

Wer einsam ist, allein wohnt und nicht viel unterwegs ist, spricht eher mit sich selbst. Diese Menschen versuchen sich durch Selbstgespräche, oder indem sie ihre Haustiere ansprechen, an ein Gegenüber zu richten und in Kontakt mit einem Lebewesen zu sein. Das funktioniert deshalb, da bei Selbstgesprächen dieselben Hirnregionen aktiv sind wie bei Gesprächen mit einem realen, menschlichen Gegenüber.

Monologe ohne Zuhörer gelten als Tabu

Erwachsene achten darauf, in der Öffentlichkeit keine Selbstgespräche zu führen. Es könnte ja peinlich werden. Man will nicht verwirrt oder einsam rüberkommen. Menschen mit psychischen Erkrankungen, die Selbstgespräche führen, sprechen weniger mit sich selbst als mit nicht anwesenden Personen, die sie sich vorstellen. Im Unterschied zu «normalen» Selbstgesprächen sind diese von Wiederholungen geprägt, es wird nicht gemurmelt, sondern laut gesprochen. Auch die begleitende Gestik ist oft auffällig.

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