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Langlauf(s)pass

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Auf die Plätze

Auf die Plätze

Herr der Loipen

Hilfsbereit und mit einem Karl-Marx-Bart: Für Langläufer im Oberengadin ist Simon Willy eine Attraktion. Seit 30 Jahren verkauft er Loipenpässe und wurde schon mit dem Tod bedroht.

Text: Dario Aeberli Bilder: Nicola Pitaro

Seit 1991 steht Simon Willy jeden Wintertag vor seinem Kabäuschen und verkauft Langlaufbegeisterten Loipenpässe, meist in Surlej GR. Nur an diesem Dienstagmorgen fehlt von ihm jede Spur. An einer Wand des Häuschens hängt ein Bild von ihm: graue Mütze, gelbe Jacke, mächtiger Bart, Sonnenbrille. So würde er also aussehen. Später spaziert er in diesem Outfit über die Strasse und hinunter zum Häuschen. Eine langjährige Kundin und Freundin im Arm, den Migros-Magazin-Fotografen und zwei Freunde im Schlepptau. «So viele Fotos wie heute habe ich das ganze Leben nicht gemacht», witzelt er und fragt den Fotografen: «Darf ich meine Sonnenbrille wieder anziehen?» Nein, noch nicht. «Heute muss ich alles mitmachen», sagt Willy und befreit die Langlaufschuhe seiner Kundin beiläufig vom Schnee.

Das menschliche Tagblatt Der 73-Jährige lässt sich nicht stressen. Weder von Regieanweisungen des Fotografen noch von Todesdrohungen. Letzteres ist ihm vor ein paar Jahren passiert. Ein Deutscher wollte mit seinen Hunden über den Silvaplanersee spazieren, doch der war noch nicht ganz gefroren. Willy liess ihn nicht passieren. «Da rief er aus: ‹Scheiss Schweizer mit euren Regeln! Ich hole meine Dienstwaffe, wenn du mich nicht durchlässt.›» Willy riet ihm davon ab: «Erschiessen Sie mich, kommen Sie noch in die Zeitung.» Darauf sei der Tourist davongelaufen.

Zum Glück sind Drohungen die Ausnahme. Die meisten Kundinnen und Kunden freuen sich,

«Leute beschweren sich bei mir, wenn sie bei Nordwind kaum den Hügel hochkommen.»

Simon Willy (73) Loipenpassverkäufer

Loipenpassverkäufer Simon Willy vor «seinem» Holzschlag bei der Brücke von Silvaplana nach Surlej Willy hilft Marlies Stamm, die Schuhe vom Schnee zu befreien. Im Hintergrund Schloss Crap da Sass (links). Unten: Der Bauer im Stall seines Betriebs in Champfèr

Simon – Willy wird von allen geduzt – zu sehen. Zum Beispiel Marlies Stamm, deren Schuhe Willy gerade vom Schnee befreit hat. «Er ist seit 30 Jahren mein Loipenfreund. Ich kaufe meinen Pass immer bei ihm und fahre nie vorbei, ohne ‹Hoi› zu sagen. Auch wenn ich warten muss, weil er mit anderen plaudert.» Wer so viel in Kontakt mit Menschen ist, hat jede Menge zu erzählen, darum nennt Stamm Willy «menschliches Tagblatt». Denn neuesten Tratsch und Klatsch gibt es bei ihm. «Einer kam mal mit einer neuen Dame bei mir vorbei und bat mich, seiner Frau nichts davon zu erzählen», verrät Willy.

In dem Moment kommt eine deutsche Langläuferin vorbei. «Einen Monatspass?», fragt Willy. Nein, nur einen Tag, das sei teuer genug. «Dafür schreibe ich das Datum extra schön auf den Pass», sagt Willy. Einen Tag langlaufen kostet zehn Franken. Das Geld geht an die Pistenpräparierer. Als Willy 1991 seinen ersten Tagespass verkaufte, kostete der noch fünf Franken. «Wir brauchten damals aber noch keinen Kunstschnee für die Langlaufwege.»

Loipenpassverkäufer werden war nie Willys Ziel. Lange Zeit arbeitete der Landwirt im Winter als Skilehrer, später, wegen der Frau und geregelter Arbeitszeiten, als Postbote. Bis im Oktober 1991 seine Stelle gestrichen wurde. Kurz vor der Saison waren alle Stellen für Skilehrer besetzt. «Ich benötigte aber dringend Geld, weil ich gerade einen neuen Stall gebaut hatte», erzählt Willy.

Für eine Saison? 30 Jahre! In der Engadiner Post las er, dass ein Loipenpassverkäufer gesucht werde. Willy sah darin die perfekte Übergangslösung. Länger als eine Saison wollte er aufgrund der «nervigen» Menschen jedoch nicht bleiben. Hier sei er für alles verantwortlich, selbst für das Wetter. «Leute beschweren sich bei mir, wenn der Nordwind bläst und sie kaum den Hügel hochkommen.» Dass er trotzdem 30 Jahre geblieben ist, liegt an den neu geschlossenen Freundschaften – und daran, dass ihm seine Frau 26 Jahre lang im Stall den Rücken freigehalten hat.

Willy war 42 Jahre verheiratet, heute ist er Witwer. Seine Frau sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mit seiner direkten Art verwickelt er Leute in Gespräche. «Hier blüht er richtig auf. Das tut ihm gut», so Peter Salutt, ein langjähriger Freund. «Es ist der perfekte Ausgleich zur Arbeit mit den Tieren.» Während Willy von 10 bis 15.30 Uhr in seinem Kabäuschen ist, schaut die Tochter zu Hause nach den Kühen, Geissen, Hühnern und Eseln. Gerade an diesem Nachmittag soll eine Geiss ein Junges werfen.

Auf den Loipen hat er immer etwas selbst gemachten Käse und Salsiz in einem blauen Sack dabei, seinem «Hoflädeli». So können sich hungrige Langläuferinnen und Langläufer bei ihm mit salzigen Snacks eindecken. Willy selbst isst bei der Arbeit nichts. «Zum Zmorga gibt es bei mir Brot und Käse. Zum Znacht dann Käse mit Brot.» Er grinst, vergräbt die Hände in den Hosentaschen und blickt zwei Langläufern hinterher. Willy selbst läuft schon länger nicht mehr: «Ich bin 73, mein Bart wird immer grauer, aber solange es meine Gesundheit zulässt, will ich hier weitermachen.»  MM

Engadin Skimarathon

Am Sonntag, 13.März, nehmen in Maloja GR die Eliteläufer um 8.25Uhr den 52. Engadin Skimarathon in Angriff, gestaffelt folgen die weiteren Blöcke. Zielschluss ist um 16 Uhr in S-chanf. Es ist die erste Austragung nach zweijähriger Coronapause.

Der «Engadiner» ist die grösste Skilanglaufveranstaltung der Schweiz. Den Streckenrekord hält seit 2019 Dario Cologna mit der Zeit von 1:22:22 Stunden.

Für die diesjährige Ausgabe von Halbmarathon und Marathon haben sich bereits über 11000 Langläuferinnen und Langläufer angemeldet, davon knapp 3000 Frauen. Maximal sind 14200 zugelassen.

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