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Rettet das Rechnen!

Viele Schulkinder fürchten sich vor Mathematik. Das muss nicht sein: Esther Brunner, Pionierin auf dem Gebiet der Mathematikdidaktik, weiss, was Eltern und Lehrpersonen dagegen tun können.

Text: Simon Koechlin

In unserer Gesellschaft hat die Mathematik zwei Gesichter. Auf der einen Seite gilt sie als Schlüsselkompetenz: Ohne Mathematik würde kein Computer laufen, kein Auto fahren, kein Flugzeug fliegen. Wer sich mit Zahlen nicht auskennt, versteht Grafiken und Statistiken falsch. Aber Fakt ist auch: Kein Schulfach ist unbeliebter als die Mathematik. Manche Kinder entwickeln eine regelrechte Mathi-Angst. Mädchen sind eher betroffen als Buben.

Dabei erbringen Mädchen heute kaum mehr schlechtere Mathi-Leistungen, sagt Esther Brunner, Professorin für Mathematikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau in Kreuzlingen. «Aber Mädchen schätzen sich schlechter ein als Buben.» Ein Grund dafür sind gesellschaftliche Rollenbilder. In vielen Familien ist es noch immer Männersache, dem Kind bei den Mathematikhaus- aufgaben zu helfen, weil die Frauen das Gefühl haben, sie verstünden das nicht. Und noch immer gelten technische Berufe als Männerberufe. «Das muss nicht sein», sagt Brunner. «In Indien etwa ist Programmiererin ein Frauenberuf.»

Lieblingsfach bis zur 3. Klasse Interessanterweise gilt Mathematik oder Rechnen bis zur dritten Primarschulklasse als Lieblingsfach vieler Schülerinnen und Schüler. Erst später entstehen Ängste. In den meis- ten Fällen, sagt Brunner, seien sie zeitlich begrenzt und an eine bestimmte Situation gebunden – zum Beispiel vor Prüfungen. In einer neuen Studie aus Deutschland hätten von gut

1100 Kindern der 4. und 5. Klasse

28 Prozent Angst vor Mathematik angegeben. Doch nur bei sieben Prozent handelte es sich um eine lange andauernde, von der Situation unabhängige Angst.

Geschürt werden diese Ängste durch Leistungsdruck. Mathi sei wichtig, wird den Kindern eingetrichtert, man müsse gut sein darin. «Das nimmt den Kindern die Freude an dem Fach», sagt Brunner. Dass Mathi-Ängste verbreiteter sind als die Angst vor Sprachen oder Geografie, führt die Expertin auf eine Besonderheit des Fachs zurück: Mathematik baut stets auf Vorwissen auf – wer die Multiplikation verstehen will, muss die Addition verstanden haben. «Frühe Lücken rächen sich deshalb sofort», sagt Brunner. Ein wichtiges Mittel gegen die Angst vor dem Rechnen ist deshalb, das Vorwissen aufzuarbeiten.

Ein anderer Tipp der Expertin: Eltern sollten nicht nur auf Ergebnisse und Leistung

Mädchen entwickeln häufiger Angst vor Rechenaufgaben, weil sie sich schlechter einschätzen als Buben.

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