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ASoK 9/2021

25. Jahrgang / September 2021 / Nr. 9

TOPTHEMA: Das neue LSD-BG 2021

K. Daxkobler / V. Kalnein / M. Müllner A. Shubshizky / C.-G. Vogt / E. Wasinger

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis Korrekte Anwendung des Kollektivvertrags Maßgebliche Entgeltbestandteile Arbeitszeitrechtliche Aspekte Grenzüberschreitende Sachverhalte Strafen – neues Sanktionsregime Tabellarischer Überblick

Andreas Gerhartl

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INHALTSVERZEICHNIS

KATHARINA DAXKOBLER / VALERIE KALNEIN / MARGIT MÜLLNER / ALFRED SHUBSHIZKY / CARL-GEORG VOGT / ELISABETH WASINGER ........... 314 Topthema: Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Vorgeschichte und Überblick ...................................................................................... 314Korrekte Anwendung des Kollektivvertrags ................................................................ 315Maßgebliche Entgeltbestandteile hinsichtlich des LSD-BG ........................................ 319Arbeitszeitrechtliche Aspekte ...................................................................................... 325Grenzüberschreitende Sachverhalte ........................................................................... 331Strafen ......................................................................................................................... 346Tabellarischer Überblick .............................................................................................. 353

ANDREAS GERHARTL .............................................................................................. 357 Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

THOMAS RAUCH ....................................................................................................... 365 Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Impressum ................................................................................................................. 353

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Kollektivverträge, Entgelt, Arbeitszeit, grenzüberschreitende Sachverhalte, Strafen

KATHARINA DAXKOBLER / VALERIE KALNEIN / MARGIT MÜLLNER / ALFRED SHUBSHIZKY / CARL-GEORG VOGT / ELISABETH WASINGER*)

Am 7. 7. 2021 hat das Plenum des Nationalrats die LSD-BG-Novelle 2021 beschlossen, mit der die Anpassung des Gesetzes an die Entsende-RL erfolgt; ebenso reagiert der österreichische Gesetzgeber mit der Abschaffung des Kumulationsprinzips und einer Überarbeitung der Verwaltungsstraftatbestände auf zwei grundlegende EuGH-Entscheidungen. Die Neuregelungen treten im Wesentlichen am 1. 9. 2021 in Kraft. 1 ) Dieser Schwerpunktbeitrag bietet in fünf großen Themenblöcken – Kollektivverträge, Entgelt, Arbeitszeit, grenzüberschreitende Sachverhalte, Strafen – eine systematische Darstellung der im Hinblick auf die Bekämpfung von Unterentlohnungen für die Praxis besonders relevanten Aspekte der LSD-BG-Novelle 2021.

1. Vorgeschichte und Überblick

Ursprünglich war der Aspekt der Unterentlohnung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor den Arbeitsgerichten auszufechten. Für die Verwaltungsbehörden war eine Verkürzung des zustehenden Entgelts durch den Arbeitgeber nur insoweit relevant, als die ASVG-Beiträge seit jeher mindestens vom arbeitsrechtlichen Anspruchslohn zu bemessen waren.

Im Zusammenhang mit der Öffnung des Arbeitsmarktes für zahlreiche osteuropäische Staaten wurde mit 1. 5. 2011 im Rahmen eines Sammelgesetzes – des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSDB-G) – erstmals eine Verwaltungsstrafe für Unterentlohnungen eingeführt. Diese knüpfte ursprünglich am sogenannten „Grundlohn“ an. Seit 1. 1. 2015 bezieht sie sich auf das gesamte nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag (KV) zustehende Entgelt, wobei die von der ASVG-Beitragspflicht ausgenommenen Entgeltbestandteile ausgeklammert bleiben. Im Unterschied zum beitragsrechtlichen Anspruchslohnprinzip bleiben hier aber weiterhin Entgeltansprüche aufgrund anderer (nachrangiger) Rechtsgrundlagen – wie zB einer Betriebsvereinbarung (BV) oder einer einzelvertraglichen Regelung – unbeachtlich.

Durch das mit 1. 1. 2017 in Kraft getretene LSD-BG, das auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse mit privaten in- oder ausländischen Arbeitgebern Anwendung findet, 2 ) wurden die davor im AVRAG enthaltenen Regelungen herausgelöst, um im Rahmen dieses formal neuen Gesetzes eine klare und übersichtliche Struktur zu schaffen. Bei dieser Neukodifizierung blieb das materiellrechtliche Regelungskonzept zwar im Wesentlichen unverändert; Änderungen ergaben sich vor allem hinsichtlich der Verschärfung der Strafbestimmungen.

*) StB Dr. Katharina Daxkobler ist Senior Manager Tax und Prokuristin bei KPMG in Wien. Mag. Valerie Kalnein ist Rechtsanwaltsanwärterin im Bereich Arbeitsrecht/Immigration bei KPMG Law in Wien. Mag. Margit Müllner ist Senior Manager Tax bei KPMG in Linz. StB Mag. Alfred Shubshizky ist Tax Director und Prokurist bei KPMG in Linz. Mag. iur. Carl-Georg Vogt , MBA ist Senior Manager Personal Tax bei KPMG in Wien. Mag. Elisabeth Wasinger , LLM ist im Bereich Arbeitsrecht/Immigration spezialisierte Rechtsanwältin bei KPMG in Wien. 1 ) Der Bundesrat hat in seiner Plenarsitzung am 15. 7. 2021 den Antrag, keinen Einspruch zu erheben,

abgelehnt, aber auch nicht ausdrücklich beschlossen, Einspruch zu erheben. Somit war kein Beharrungsbeschluss des Nationalrats erforderlich; das Gesetz kann nach Ablauf von acht Wochen (siehe Art 42 Abs 3 B-VG) – im September – im BGBl kundgemacht werden. 2 ) Darüber hinaus gilt das LSD-BG auch für überlassene arbeitnehmerähnliche Personen, Heimarbeiter

und zum Teil auch für Landarbeiter. Keine Anwendung findet dieses Gesetz auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse und auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse zu einer öffentlichen Gebietskörperschaft oder zu Stiftungen, Anstalten und Fonds, die dienstrechtlichen Bestimmungen unterliegen.

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Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Die nunmehrige Novelle des LSD-BG bringt insbesondere für Fälle des Hereinarbeitens nach Österreich Änderungen. Dies betrifft die (längst fällige) Harmonisierung des Entsendebegriffs des LSD-BG mit dem Anwendungsbereich der Entsende-RL, der grundsätzlich auf den Einsatz von Arbeitnehmern im Rahmen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringungen zugeschnitten ist. Darüber hinaus wird entsprechend der letzten Adaption der Entsende-RL festgelegt, dass bei längerfristigen Entsendungen nach Österreich nicht nur die hier geltenden Eingriffsnormen, sondern das gesamte zwingende Arbeitsrecht beachtlich ist und entsendete Arbeitnehmer auch einen Rechtsanspruch auf kollektivvertraglich verankerte Aufwandersätze für Dienstreisen im Inland haben. Schließlich kommt es zu einer Adaption des Ausnahmekatalogs, womit auch eine generelle Ausnahme für besserverdienende Arbeitnehmer verankert wird, und zur Festlegung einer Toleranzregelung für Fälle der irrtümlichen Erstattung der ZKO-Meldung.

Letztlich wird mit der aktuellen Änderung das Sanktionsregime auf neue Beine gestellt. Nachdem die Höchstgerichte die gleichermaßen für die Verletzung von formalen Verpflichtungen und auch für Unterentlohnungen verankerte Strafenkumulation (Strafe pro Arbeitnehmer) ohne Obergrenzen als unverhältnismäßig erkannt haben, wird damit ein relativ langer Zeitraum der rechtlichen Ungewissheit beendet.

Die Lohnkontrolle im Hinblick auf das LSD-BG obliegt grundsätzlich dem Krankenversicherungsträger bzw im Baubereich der BUAK. Bei nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmern (bei Anwendbarkeit einer ausländischen Sozialversicherung) ist die Kontrollbehörde die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem AuslBG und dem LSD-BG des BMF (Zentrale Koordinationsstelle bzw ZKO), für die das Amt für Betrugsbekämpfung die Erhebungen durchführt und die den ermittelten Sachverhalt an das eigens für die Zwecke der Lohnkontrolle eingerichtete Kompetenzcenter LSDB der ÖGK weitergibt. Die Bearbeitung einer auf Verdacht der Unterentlohnung erfolgten Anzeige durch die genannten Behörden und die Ausstellung der Strafbescheide erfolgen durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde.

2. Korrekte Anwendung des Kollektivvertrags 2.1. Zentrale Bedeutung der Kollektivverträge

Das LSD-BG räumt Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich einen zwingenden Rechtsanspruch auf das nach Gesetz, Verordnung oder KV zustehende Entgelt ein. Dieser Anspruch steht für die Zeit des Inlandseinsatzes auch Arbeitnehmern zu, die vorübergehend vom Ausland nach Österreich entsendet werden. 3 ) Korrespondierend dazu erfüllt die Verwaltungsübertretung der Unterentlohnung, wer als Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern dieses Mindestentgelt vorenthält. 4 )

Zum angeführten Mindestentgelt ist einerseits festzuhalten, dass es in Österreich für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft – anders als teilweise im Ausland 5 ) – keine gesetzliche Regelung zur betraglichen Festlegung einer Mindestentlohnung gibt. Der Rechtsanspruch des § 1152 ABGB auf ein angemessenes Entgelt ist auf Fälle zweifelhafter Lohnabsprachen beschränkt. Soweit sonstige gesetzliche Regelungen Vergütungsansprüche festlegen, 6 ) handelt es sich um abgeleitete bzw relative Entgeltansprüche,

3 ) § 3 LSD-BG unterscheidet zwischen Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich (Abs 1),

Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, die für einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland tätig sind (Abs 2), und Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort im Ausland, die vorübergehend von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland (EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat oder Drittstaat) nach Österreich entsendet werden (Abs 3). 4 ) § 29 LSD-BG. Eine Verletzung des Anspruchs auf Mindestentgelt bildet daher die Grundlage für die

Sanktionierung der Unterentlohnung gemäß § 29 LSD-BG. 5 ) ZB das Mindestlohngesetz (MiLog) in Deutschland. 6 ) ZB § 10 AÜG, § 10 AZG sowie die Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Nichtleistungszeiten.

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die regelmäßig an Entlohnungsvorgaben in anderen lohngestaltenden Vorschriften anknüpfen. Derartige Ansprüche unterliegen nur auf Basis des nach dem LSD-BG geschützten und nicht auf Basis des Ist-Entgelts der behördlichen Unterentlohnungskontrolle. Ausgangspunkt für das Mindestentgelt iSd LSD-BG ist daher der für den betreffenden Betrieb maßgebliche Branchen-KV. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Bundeseinigungsamt für Branchen, für die kein KV besteht, durch Verordnung KV zu Satzungen erklären oder Mindestlohntarife bzw Lehrlingsentschädigungen festsetzen. Wenn weder ein KV noch eine solche Verordnung das Entgelt regeln, kann sich uE keine Unterentlohnung iSd LSD-BG ergeben.

Andererseits ist zu beachten, dass bei Arbeitgebern, die ihren Sitz im Ausland haben (und daher nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft in Österreich sind), auf jenes in den angeführten lohngestaltenden Vorschriften festgelegte Entgelt abzustellen ist, das am (österreichischen) Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt. Nach den zum LSDB-G erlassenen Richtlinien 7 ) ist diesbezüglich auf jenen KV abzustellen, der im Hinblick auf die konkreten Arbeitsverrichtungen der entsandten Arbeitnehmer in Österreich bei Vorhandensein einer inländischen Gewerbeberechtigung bzw nach dem Unternehmensgegenstand anwendbar wäre. 8 ) Es kommt insoweit daher zu einer fiktiven Anwendung des entsprechenden KV. Die korrekte Anwendung des maßgeblichen KV ist daher von entscheidender Bedeutung. Fehler, die in diesem Zusammenhang auftreten, basieren ua auf der Anwendung eines unrichtigen KV bzw anwendbaren Mindestlohntarifs, häufig aber auch auf einer zu niedrigen Einstufung in das Entlohnungsschema.

2.2. Welcher Kollektivvertrag ist anwendbar?

Der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende KV richtet sich nach der Branche bzw Organisationszugehörigkeit des Arbeitgebers und nicht nach der Berufszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Bei gewerblichen Tätigkeiten ist entscheidend, welchem Arbeitgeberverband der Wirtschaftskammer (Fachgruppe) der Arbeitgeber als Mitglied angehört, wobei diese Mitgliedschaft ex lege durch die Erteilung einer Gewerbeberechtigung erworben wird. Bei Zweifelsfragen zur Zugehörigkeit der Fachgruppe hat die Wirtschaftskammer diese festzulegen. Mitunter gibt es Bereiche, für die kein KV abgeschlossen wurde.

Für Arbeitgeber, die keine gewerbliche Tätigkeit ausüben bzw von der GewO ausgenommen sind, kommen jene KV in Betracht, die die Freiberuflerkammern als gesetzliche Interessenvertretungen sowie freiwillige Berufsvereinigungen, denen sich der Arbeitgeber angeschlossen hat, abgeschlossen haben.

Für Arbeitgeber, die aufgrund der Ausübung fachlich verschiedener Tätigkeiten mehrfach kollektivvertragsangehörig sind, können auch mehrere KV zur Anwendung kommen. Hier sind die Kollisionsregeln des § 9 ArbVG zu beachten, ua:

• Ist die Mehrfachmitgliedschaft auf mehrere abgrenzbare Betriebe (auch Haupt- und Nebenbetriebe) oder organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen bezogen, dann gilt für die dort eingesetzten Arbeitnehmer jener KV, der dem Betrieb bzw der Betriebsabteilung fachlich oder örtlich entspricht. Diese Regelung kommt analog zur Anwendung, wenn es in einem Unternehmen Betriebe bzw organisatorisch abgegrenzte Betriebsabteilungen mit und ohne anwendbaren KV gibt.

• Lässt sich eine solche fachlich-organisatorische Abgrenzung innerhalb des Unternehmens bzw Betriebs nicht ziehen, dann liegt ein sogenannter „Mischbetrieb“ vor.

7 ) Erlass des BMASK, LSDB-Richtlinien 2015 (LSDBR 2015), BMASK-462.203/006-VII/B/9/2015. Die

Frage des fiktiv anzuwendenden KV ist letztlich aber nicht geklärt. Genauso könnte man auf jenen KV abstellen, der in Österreich im Hinblick auf die Gesamttätigkeit des entsendenden Unternehmens anwendbar wäre. 8 ) Siehe dazu gleich Pkt 2.2.

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Bei diesem kommt grundsätzlich jener KV zur Anwendung, der dem Wirtschaftszweig entspricht, der für den Betrieb die maßgebliche Bedeutung hat, dem betreffenden Betrieb also das Gepräge gibt.

Dieser Vorrang des Wirtschaftsbereichs mit der maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung kommt allerdings nur dann zum Tragen, wenn für die Tätigkeiten innerhalb des Mischbetriebs zumindest zwei konkret anwendbare KV vorliegen. Werden hingegen in einem Mischbetrieb eine KV-unterworfene und eine KV-freie Tätigkeit ausgeübt, unterliegt der Mischbetrieb dem KV, auch wenn dies zu dem Ergebnis führt, dass alle Arbeitsverhältnisse dem KV des eigentlich untergeordneten Bereiches unterliegen.

Auf Arbeitnehmerseite gilt der Grundsatz der Tarifeinheit, dh, auf ein Dienstverhältnis kann immer nur ein KV einwirken. Wird ein Arbeitnehmer im Rahmen seines Dienstverhältnisses in mehreren Betrieben oder organisatorisch abgegrenzten Betriebsabteilungen des Arbeitgebers tätig, findet auf ihn jener KV Anwendung, der seiner überwiegend ausgeübten Beschäftigung entspricht.

2.3. Folgen der Nichtanwendung des maßgeblichen Kollektivvertrags

Bei Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit ohne die hierfür erforderliche Gewerbeberechtigung oder mit einer nicht passenden Gewerbeberechtigung wird der bei rechtmäßiger Ausübung anwendbare KV fingiert. 9 ) Die Mindestentgeltregelungen des tatsächlich maßgeblichen (tätigkeitseinschlägigen) KV werden letztlich daher immer – also auch für „Pfuscher“ – schlagend.

2.4. Einstufungskriterien

Die Entlohnungsschemata der Branchen-KV sehen für Arbeiter und Angestellte separate Mindestentlohnungs- bzw -gehaltsregelungen vor. Beiden gemeinsam ist, dass sich das Mindestentgelt in der Regel an der Verwendung des Arbeitnehmers und der Betriebszugehörigkeit orientiert.

Die Entlohnung der Arbeiter richtet sich in der Regel nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit bzw fachlichen Ausbildung des Arbeitnehmers, die in Lohngruppen abgebildet wird und innerhalb welcher der Mindestlohn nach Dauer der Betriebs- bzw Berufszugehörigkeit ansteigen kann. Im Angestelltenbereich wird das Mindestgehalt in den KV nach Verwendungs- oder Beschäftigungsgruppen (nach dem KV-IT nach Tätigkeitsfamilien mit Erfahrungsstufen) definiert. Innerhalb dieser Gruppen steigt das kollektivvertragliche Mindestgehalt in der Regel nach den Jahren der Berufserfahrung an.

Bei der Einstufung in die Lohn-, Verwendungs- oder Beschäftigungsgruppen sind – wenn die Berücksichtigung von Jahren der Berufserfahrung im KV vorgesehen ist – oft auch die bei anderen Arbeitgebern (auch in EU-/EWR-Staaten) erworbenen Jahre an Berufserfahrung zu berücksichtigen.

Nach dem alten Gehaltssystem des KV für die Angestellten in Handelsbetrieben sind zB für die Ermittlung des korrekten Mindestgehalts – egal in welcher Beschäftigungsgruppe – sogar sämtliche erworbenen Angestellten-Berufsjahre anzurechnen. Zu diesem Zweck ist der Arbeitgeber angehalten, sich die Nachweise bzw Informationen über Ausbildung und Berufserfahrung des Arbeitnehmers zu verschaffen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nachweislich aufzufordern, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Im Zuge der Umstellung auf das Gehaltssystem neu des KV für Handelsangestellte (spätestens 1. 1. 2022) entfällt die Anrechnung sämtlicher Berufsjahre als Angestellter.

9 ) § 2 Abs 13 GewO.

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Das Mindestentgelt verändert sich nicht nur mit wachsender Betriebszugehörigkeit bzw Berufserfahrung, sondern auch infolge einer auf Dauer angelegten Tätigkeitsveränderung.

Unterentlohnungen treten dabei häufig iZm der Nicht- oder zu geringen Anrechnung von Vordienstzeiten bei anderen Arbeitgebern oder der Nichtbeachtung von Zeitvorrückungen auf. Doch auch die Einreihung der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit in eine der vorgegebenen Lohn- oder Verwendungsgruppen ist in der Praxis nicht immer einfach. Nicht zuletzt kann es auch infolge einer KV-Umstellung (zB Verkürzung oder Verlängerung der KV-Normalarbeitszeit) zu Unterentlohnungen kommen.

Für fehlerhafte Einstufungen, die auf Auskunft der KV-Parteien oder der ÖGK beruhen, die diese auf Basis vollständiger Sachverhaltsgrundlagen erteilt haben, trifft den Arbeitgeber kein grobes Verschulden. Die Rechtsunkenntnis ist ferner nicht vorwerfbar, wenn der Arbeitgeber sein Verhalten an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung oder der Vollzugspraxis der Behörden orientiert. Nicht hinreichend sind aber Auskünfte unzuständiger Behörden bzw berufsmäßiger Parteienvertreter, wie zB von Rechtsanwälten und Steuerberatern.

2.5. Arbeitskräfteüberlassung – Entgeltanspruch nach Maßgabe des Beschäftigerkollektivvertrags

Überlassene Arbeitnehmer werden durch das AÜG – entsprechend den Vorgaben der Überlassungsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG) – hinsichtlich der Aspekte des (Mindest-)Entgeltanspruchs, der Arbeitszeit und des Urlaubs mit den vergleichbaren Arbeitnehmern im Beschäftigerbetrieb gleichgestellt. Darüber hinaus sieht das AÜG umfassende formal-rechtliche Verpflichtungen für Überlasser und Beschäftiger vor. Vom AÜG ausgenommen ist vor allem die vorübergehende Überlassung zwischen inländischen Konzernunternehmen.

Hinsichtlich des Entgeltanspruchs wird zwischen dem (überlassungsunabhängigen) Grundentgelt (Grundanspruch für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Überlasser) und dem Entgelt für den Zeitraum der Überlassung unterschieden.

• Für das Grundentgelt ist in erster Linie eine für den Überlasserbetrieb geltende kollektivvertragliche Regelung maßgeblich. Gibt es diese nicht, dann ist das angemessene Entgelt aufgrund eines sacheinschlägigen Kollektivvertrags zu bestimmen, wobei in diesem Fall auch eine auf die Region, in der sich der Überlasser befindet, bezogene Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts zu berücksichtigen, also letztlich auf den unteren Wert der ortsüblichen Istlohn-Bandbreite abzustellen ist. Die Problematik des Abstellens auf ortsübliche Istgehälter wurde im Falle der gewerblichen Arbeitskräfteüberlassung durch den am 1. 3. 2002 in Kraft getretenen KV für Arbeiter der Berufsgruppe Arbeitskräfteüberlassung entschärft.

• Für die Zeit der Überlassung ist auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende Mindestentgelt Bedacht zu nehmen. Abzustellen ist hier auf die Mindestentgelte nach dem Branchenkollektivvertrag des Beschäftigers, nicht aber auf die überkollektivvertraglichen Istlöhne des Beschäftigerbetriebs.

Darüber hinaus sind – in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie – aber auch die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Tätigkeiten geltenden „sonstigen verbindlichen Regelungen allgemeiner Art“ zu beachten, es sei denn, der Überlasser und der Beschäftiger unterliegen einer Tarifbindung.

• Das so ermittelte Entgelt ist mit dem Grundentgelt zu vergleichen: Sollte Letzteres höher sein, so bleibt dieser Anspruch unberührt; im umgekehrten Fall muss der Über-

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lasser für die Differenz zwischen dem vereinbarten Grundentgelt und dem kollektivvertraglichen Entgelt im Beschäftigerbetrieb aufkommen.

3. Maßgebliche Entgeltbestandteile hinsichtlich des LSD-BG 3.1. Grundsätzliches

Bereits vor der Änderung durch das ASRÄG 2014 (LSDB-G) war die Unterschreitung des Grundlohnes – das ist im Wesentlichen der für die erbrachte Arbeitszeit nach dem KV zustehende Grundbezug einschließlich des Überstundenentgelts, aber ohne Zulagen, Zuschläge, Sonderzahlungen oder sonstiges KV-Entgelt – verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert.

Seit 1. 1. 2015 fällt das gesamte „nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs 3 ASVG angeführten (beitragsfreien) Entgeltbestandteile“ unter die behördliche Unterentlohnungskontrolle. Damit bleibt diese aber weiterhin hinter dem beitragsrechtlichen Anspruchslohnprinzip, durch das – ungeachtet der Rechtsgrundlage – alle zustehenden Entgeltbestandteile erfasst werden, zurück.

In der letzten Adaption der Entsende-RL wird hinsichtlich der bei Entsendungen im Einsatzstaat zu gewährenden Mindestbeschäftigungsstandards statt des Begriffs der „Mindestlohnsätze“ der umfassendere Begriff der „Entlohnung“ verwendet. Da das LSD-BG aber – wie angeführt – schon seit 2015 sämtliche in den angeführten lohngestaltenden Vorschriften enthaltenen Entgeltbestandteile erfasst, bedurfte es im Hinblick darauf im Rahmen der aktuellen Novelle keiner Änderungen. 10 )

3.2. Abgrenzung zwischen unterentlohnungsrelevanten und nicht relevanten Entgeltbestandteilen

3.2.1. Entgeltbestandteile, die der Entgeltkontrolle unterliegen

Da der Anknüpfungspunkt der Unterentlohnungskontrolle das Entgelt gemäß Gesetz, Verordnung und KV ist, wird (seit 1. 1. 2015) auch die Nichtzahlung von Zulagen, Zuschlägen, Sonderzahlungen oder sonstigem KV-Entgelt verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert.

Der Lohnkontrolle unterliegen daher insbesondere:

• Zulagen, die für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft gebühren (zB Erschwerniszulagen, Gefahrenzulagen), sind – mit Ausnahme der (steuer- und) beitragsfreien Schmutzzulagen – Bestandteil der Entgeltkontrolle. Nicht der Entgeltkontrolle unterliegen Aufwandentschädigungen und beitragsfreie Zulagen (zB beitragsfreie Schmutzzulage, beitragsfreie Essenszuschüsse).

• Berücksichtigung finden auch Zuschläge (zB Mehr- und Überstundenzuschläge, Nachtzuschläge, Sonn- und Feiertagszuschläge). LSD-BG-relevant sind auch Urlaubszuschläge nach dem BUAG. Zu beachten ist aber, dass andere Zuschläge nach dem BUAG (zB Abfertigung, Überbrückungsgeld) nicht der Entgeltkontrolle unterliegen.

• Seit 1. 1. 2015 fallen auch zu niedrige Sonderzahlungen (zB Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration) unter den Tatbestand der Unterentlohnung.

Die arbeitsrechtliche Fälligkeit der Sonderzahlungen bestimmt sich jedenfalls nach der anspruchsbegründenden Rechtsvorschrift (im Regelfall nach KV). 11 )

Der Gesetzeswortlaut des LSD-BG sieht aber unabhängig davon bei Dienstverhältnissen, welche dem ASVG unterliegen, eine Unterentlohnung nur dann vor, wenn der

10 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 5 f. 11 ) ErlRV 319 BlgNR 25. GP, 11.

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Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis zum 31. 12. des jeweiligen Kalenderjahres geleistet hat. 12 ) Mit dieser Bestimmung wird aufgrund der sehr unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte oder Berechnungsmethoden bei Sonderzahlungen ein jahresbezogener Prüfzeitraum vorgesehen.

Bei Beendigung des Dienstverhältnisses sind die Sonderzahlungen zum Beendigungszeitpunkt abzugelten, in diesem Fall darf mit der Auszahlung nicht bis 31. 12. zugewartet werden.

Für Arbeitnehmer, welche nach Österreich entsendet oder überlassen 13 ) werden, sind Sonderzahlungen (sofern der fiktiv anzuwendende KV solche vorsieht – siehe bereits Pkt 2.1.) aliquot für den konkreten Lohnzahlungszeitraum zusätzlich zum laufenden Entgelt (und somit laufend) zu leisten. Das bedeutet, dass die Sonderzahlungen gemeinsam mit dem Grundgehalt abgerechnet werden und daher die Steuerbegünstigung für sonstige Bezüge gemäß § 67 Abs 1 und 2 EStG nicht zur Anwendung kommen kann, weshalb eine begünstigte Besteuerung mit einem fixen Steuersatz (grundsätzlich 6 %) nicht zulässig ist.

• Nach den LSDB-RL findet die Sonderregel betreffend die monatlich aliquote Sonderzahlung im Fall einer ausreichenden Überzahlung (dh, der tatsächlich geleistete [monatliche] Lohn des entsandten/überlassenen Arbeitnehmers liegt über dem sich aus dem fiktiv anzuwendenden KV ergebenden Entgeltanspruch inkl anteiliger Sonderzahlung) keine Anwendung. Dies wurde auch im Zuge der Kodifizierung des LSD-BG erneut klargestellt. Entgeltzahlungen, die das nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührende Entgelt übersteigen, sind auf eine allfällige Unterentlohnung im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen (siehe Pkt 3.4.).

• Wegzeitvergütungen (Entgelt für Fahrten zum Einsatzort) zählen auch zum Entgelt, soweit sie im KV vorgesehen sind.

• Auch das Ausfallsentgelt unterliegt der Lohnkontrolle (siehe Pkt 3.3.).

3.2.2. Entgeltbestandteile, die nicht der Entgeltkontrolle unterliegen

Entgeltbestandteile, die aufgrund einer BV oder eines Einzelvertrags gewährt werden, 14 ) fallen nicht in die Entgeltkontrolle. 15 ) Dies betrifft in der Regel etwa folgende Entgelte:

• Da sich der Anspruch auf Prämien (zB Zielerreichungsprämien, Gewinnbeteiligungen) in der Regel entweder aus dem Einzelvertrag oder einer BV ergibt, werden diesbezügliche Unterentlohnungen nicht verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert. Sollen durch eine Prämie aber auch andere gesetzliche oder kollektivvertraglich normierte zwingende Ansprüche abgegolten werden, wäre dies insoweit hingegen von der Entgeltkontrolle erfasst.

• Auch Provisionen gebühren häufig nur aufgrund eines Einzelvertrags oder einer BV und unterliegen in diesem Fall nicht der Entgeltkontrolle.

Zu beachten ist aber, dass manche KV eine Kombination von Fixum und Provision ermöglichen. Wird dabei das kollektivvertragliche (meist) Jahresmindestentgelt (inkl Sonderzahlungen) nicht gewährt, liegt eine Unterentlohnung vor.

• Bei Überstundenpauschalen liegt ua dann eine Unterentlohnung vor, wenn das Pauschale die geleisteten Jahresüberstunden nicht abdeckt und die Überstunden auch

12 ) § 29 Abs 1 LSD-BG. 13 ) Seit 1. 1. 2017 gilt die verpflichtende monatliche Zahlung allfälliger Sonderzahlungsansprüche gemäß § 3

Abs 4 LSD-BG auch für überlassene Arbeitnehmer (vorher nur im Fall der Entsendung) aus dem Ausland. 14 ) Dies betrifft auch Entgeltansprüche im Rahmen freier Betriebsvereinbarungen oder aufgrund betrieblicher Übungen. 15 ) Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass derartige Ansprüche natürlich aber gerichtlich eingeklagt werden können.

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nicht anderweitig abgegolten werden. Die diesbezügliche Deckungsprüfung am Ende des Kalenderjahres (oder eines vereinbarten kürzeren Beobachtungszeitraums) ist zur Entgeltkontrolle auf Basis der Mindestentgelte zu berechnen. 16 )

• Da kollektivvertragliche Istlohn-/-gehaltsklauseln an einzelvertragliche Überzahlungen anknüpfen, unterliegen sie nicht der Entgeltkontrolle, wenn das kollektivvertragliche Mindestentgelt nicht unterschritten wird.

Für die Entgeltkontrolle irrelevant sind darüber hinaus Vergütungen, die kein arbeitsrechtliches Entgelt darstellen bzw nach § 49 Abs 3 ASVG beitragsfrei sind. Dies betrifft insbesondere:

• Auslagenersätze (Vergütungen des Arbeitgebers für dienstliche Aufwendungen) stellen kein Entgelt dar und sind gemäß § 49 Abs 3 Z 1 ASVG beitragsfrei. Dazu gehören vor allem Fahrtkostenvergütungen für Dienstreisen inkl Vergütungen für Wochenend- und Familienheimfahrten sowie Tages- und Nächtigungsgelder, soweit sie nach § 26 Z 4 EStG bzw § 3 Abs 1 Z 16b EStG nicht der Lohnsteuerpflicht unterliegen (Taggelder derzeit bis maximal 26,40 Euro, Nächtigungsgelder bis maximal 15 Euro pro Tag). Der beitragspflichtige Teil der pauschalierten Taggelder zählt nicht zwangsläufig zum Mindestentgelt iSd § 29 LSD-BG. 17 )

Mit der aktuellen Novelle des LSD-BG wurde in Umsetzung der Entsende-RL verankert, dass nach Österreich entsandte Arbeitnehmer für Dienstreisen im Inland einen Anspruch auf jene Aufwandersätze haben, die am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern gebühren. 18 ) Ein Verstoß gegen diese Vorgabe kann uE iSd angeführten Regelung des LSD-BG aber (wie für reine Inlandsfälle) keine Unterentlohnung darstellen.

Entsendezulagen gelten nach der Entsende-RL im Zweifel nicht als (auf das zu gewährende Mindestentgelt anzurechnendes) Entgelt, sondern als Aufwandersatz. 19 )

• Vergütungen für den Mehraufwand, welcher bei Arbeiten außerhalb des Betriebs oder mangels zumutbarer Rückkehrmöglichkeit an den ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) entsteht (zB Trennungsgelder und Bauzulagen).

• Schmutzzulagen, soweit sie nach § 68 Abs 1, 5 und 7 EStG nicht der Lohnsteuerpflicht unterliegen (im maximalen Ausmaß von 360 Euro pro Monat). Dies bedeutet, dass bei der Gewährung von SEG-Zulagen der Anteil der steuer- und damit beitragsfreien Schmutzzulage an den gesamten Zulagen zu ermitteln ist und (nur) dieser Anteil bei der Entgeltkontrolle außer Betracht bleibt.

• Vergütungen, die aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, wie zB Abfertigungen, Abgangsentschädigungen und Übergangsgelder, sind betragsfrei. Urlaubsersatzleistungen und Kündigungsentschädigungen unterliegen aber sehr wohl der Entgeltkontrolle.

• Beiträge nach dem BMSVG und Zusagen zur betrieblichen Altersvorsorge nach dem BPG (direkte Leistungszusagen, Pensionskassenbeiträge des Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer) sind bei der Beurteilung einer allfälligen Unterentlohnung nicht zu berücksichtigen.

• Darüber hinaus sind bestimmte entgeltferne bzw Sozialleistungen nach § 49 Abs 3 ASVG beitragsfrei. Das betrifft vor allem freie oder verbilligte Mahlzeiten (als Naturalbezug am Arbeitsplatz oder in Form von Essensbons), Zuwendungen bei Katast-

16 ) Dies ersetzt aber nicht die „arbeitsrechtliche“ Deckungsprüfung auf Basis des gesamten Entgelts (Anspruchslohn). 17 ) Wir empfehlen eine Einzelfallprüfung, da nicht in jedem Fall der den steuerlichen Höchstwert überschreitende Teil als Entgelt zu beurteilen sein wird. 18 ) § 3 Abs 7 LSD-BG. Siehe dazu die Ausführungen unter Pkt 5.5.1. 19 ) Art 3 Abs 7 Entsende-RL. Siehe dazu die Ausführungen unter Pkt 5.5.1.

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rophenschäden, Zuschüsse für Begräbniskosten 20 ) oder für die Kinderbetreuung, 21 ) Zuwendungen zur Gesundheitsförderung und Prävention, die Benutzung von arbeitgebereigenen Sport- und Sozialeinrichtungen sowie die Teilnahme an Betriebsveranstaltungen. Beitragsfrei sind auch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und Umzugskostenvergütungen, wenn diese Maßnahmen im betrieblichen Interesse liegen. Besondere Steuer- und Beitragsbefreiungen sind überdies für Mitarbeiterbeteiligungen 22 ) und Mitarbeiterrabatte 23 ) verankert.

Wesentlich ist, dass die ursprüngliche Befreiung für Jubiläumszuwendungen seit 2016 deutlich eingeschränkt ist. Beitragsfrei sind nur mehr Sachzuwendungen bei (bestimmten) Jubiläen bis zum Wert von 186 Euro jährlich. Da Jubiläumsgelder nicht mehr beitragsfrei sind, unterliegen sie – sofern auf Gesetz, Verordnung oder KV beruhend – auch der Unterentlohnungskontrolle des LSD-BG.

3.3. Entgelt für Ausfallszeiten 3.3.1. Überblick

Auch das für leistungsfreie Zeiten fortzuzahlende Entgelt unterliegt der Lohnkontrolle, soweit der diesbezügliche Anspruch auf Entgeltbestandteilen basiert, die nach Gesetz, Verordnung oder KV zustehen und nicht unter den Ausnahmekatalog des § 49 Abs 3 ASVG fallen. Die Lohnkontrolle für derartige Entgeltfortzahlungsfälle greift daher nur insoweit, als bereits der fortzuzahlende Entgeltanspruch der behördlichen Lohnkontrolle unterliegt. 24 )

Das Ausfallsentgelt, das den Arbeitnehmer während bestimmter berechtigter Abwesenheiten einkommensmäßig so stellt, als hätte er die Arbeitsleistung erbracht (Ausfallsprinzip), gebührt in Zeiten von:

• Krankenstand in Form von Krankenentgelt; 25 )

• Urlaub in Form von Urlaubsentgelt; 26 )

• Feiertagen in Form von Feiertagsentgelt; 27 )

• sonstigen Dienstverhinderungen. 28 )

Zum Urlaubsentgelt sowie zum Krankenentgelt für Arbeiter definieren General-KV zusätzlich den Entgeltbegriff. Diese sind branchenübergreifend auf sämtliche Arbeitsverhältnisse anzuwenden, sofern für den Betrieb die Kammer der gewerblichen Wirtschaft die KV-Fähigkeit besitzt. Die Branchen-KV können aber eigenständige, von den General-KV abweichende Regelungen betreffend Urlaubsentgelt und Krankenentgelt treffen und enthalten vielfach auch betreffend sonstige Dienstverhinderungen Regelungen.

Gebührt einem Mitarbeiter nur ein fixer Bezug (zB Gehalt oder Stundenlohn für Normalstunden; keine Erbringung von in Geld abzugeltenden Mehrleistungen), so sind mit

20 ) Für das Begräbnis eines Dienstnehmers, seiner (Ehe-)Partnerin oder seiner Kinder. 21 ) Bis zu 1.000 Euro pro Kind und Kalenderjahr, wenn das betreffende Kind zu Beginn des Kalenderjahres

das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. 22 ) Befreiung von bis zu 3.000 Euro jährlich pro Mitarbeiter sowie im Ausmaß von bis zu 4.500 Euro jährlich für Mitarbeiterbeteiligungen iZm Mitarbeiterbeteiligungsstiftungen. 23 ) Rabatte für Produkte/Dienstleistungen des Dienstgeberunternehmens bzw eines damit verbundenen

Konzernunternehmens sind beitragsfrei, wenn sie allen oder bestimmten Gruppen von Dienstnehmern gewährt werden und im Einzelfall bis zu 20 % ausmachen (Freigrenze) bzw ansonsten (wenn die Einzelfall-Freigrenze überschritten wird) im Ausmaß eines Freibetrags von 1.000 Euro pro Mitarbeiter und Kalenderjahr. 24 ) ErlRV 1111 BlgNR 25. GP, 20. 25 ) § 8 Abs 1 und 2 AngG, § 3 EFZG. 26 ) § 6 UrlG. 27 ) § 9 ARG. 28 ) ZB Pflegefreistellung gemäß § 16 UrlG, Dienstverhinderungen gemäß § 8 Abs 3 AngG, § 1154b Abs 5

ABGB oder dem anwendbaren KV.

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dem Fixbezug auch Ausfallszeiten abgedeckt (eine gesonderte Berechnung ist nicht erforderlich). Bei Erbringung von Mehrleistungen (für die ein Geldanspruch gebührt) oder bei Anspruch auf variable Entgeltbestandteile (zB Zulagen) hat er in der Regel auch während der ausgefallenen Arbeitszeit Anspruch auf Fortzahlung dieses Entgelts. Dabei wird hinsichtlich der Methode zur Ermittlung des Ausfallsentgelts differenziert:

• Grundsätzlich soll diesbezüglich das zukunftsorientierte Ausfallsprinzip zur Anwendung kommen. Lässt sich exakt feststellen, welches Entgelt (inkl Mehrleistungen, Zulagen etc) während der Dienstverhinderung gebührt hätte (zB mittels Dienstplan), so ist dieses Entgelt fortzuzahlen.

• Ist eine solche Prognose nicht möglich, wird in der Regel hilfsweise das vergangenheitsorientierte Durchschnittsprinzip angewendet. Bei diesem wird für die Dauer der Dienstverhinderung der Durchschnitt der variablen Entgelte innerhalb eines repräsentativen Beobachtungszeitraums vor der Dienstverhinderung fortgezahlt. Der VwGH sieht dementsprechend aufgrund des Kontinuitätsgedankens 13 Wochen als einen geeigneten Beobachtungszeitraum an. 29 ) Bei stark schwankenden Bezügen (zB Schichtzulagen, saisonalen Schwankungen) wird demgegenüber eine Berechnung nach dem Jahresdurchschnitt als angemessen betrachtet. 30 ) Regelt der KV – wie häufig – nur das Urlaubs- oder Krankenentgelt, so ist aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit diese Bestimmung auch auf andere Nichtleistungsentgelte anzuwenden.

Fallen in den Beobachtungszeitraum auch Nichtleistungszeiten, sind diese grundsätzlich zu neutralisieren. 31 )

Enthält der anwendbare KV für die Ermittlung des Ausfallsentgelts eigenständige Regelungen und verweist er nicht lediglich auf die General-KV, ist diese Berechnungsart aber zwingend heranzuziehen. 32 )

Für Provisionen sieht der General-KV zu § 6 UrlG zur Beweiserleichterung zwingend die Anwendung des Durchschnittsprinzips auf Basis eines Beobachtungszeitraums von zwölf Monaten vor. Nach der Rechtsprechung des OGH ist diese Bestimmung auch auf das Krankenentgelt anzuwenden, 33 ) wenn der KV keine abweichende Regelung enthält. Für den Fall einer Dienstfreistellung hingegen hat der OGH die Fortzahlung der Provisionen dann verneint, wenn der Arbeitnehmer aufgrund betrieblich bedingter Umstände auch ohne Dienstfreistellung keine Provisionen verdient hätte. 34 )

3.3.2. Was ist fortzuzahlen?

Welche Entgeltbestandteile bei der Durchschnittsberechnung heranzuziehen sind, ergibt sich in erster Linie aus dem Gesetz, den beiden General-KV und dem jeweiligen Branchen-KV. Grundsätzlich sind die im Beobachtungszeitraum regelmäßig geleisteten variablen Bezüge zur Berechnung heranzuziehen. Entgelte gelten als regelmäßig geleistet, wenn sie im Beobachtungszeitraum überwiegend angefallen sind (zB in sieben von 13 Wochen, sieben von zwölf Monaten, an 143 Arbeitstagen in einem Jahr). Der anwendbare KV kann aber auch vorsehen, dass die Regelmäßigkeit unbeachtet bleibt und generell das durchschnittliche Entgelt eines vorgegebenen Zeitraums fortzuzahlen ist.

Werden Entgeltbestandteile im Beobachtungszeitraum nur ausnahmsweise geleistet, so sind diese in die Durchschnittsberechnung nicht einzubeziehen, sofern der KV nicht

29 ) VwGH 11. 12. 2013, 2011/08/0327. 30 ) RIS-Justiz RS0027935. 31 ) RIS-Justiz RS0058645. 32 ) VwGH 11. 12. 2013, 2011/08/0327. 33 ) RIS-Justiz RS0027926. 34 ) OGH 16. 12. 2008, 8 ObA 75/08z.

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Abweichendes vorsieht. Wenn sich feststellen lässt, dass ein Entgeltbestandteil selbst bei Arbeitsleistung nicht gebührt hätte (zB aufgrund einer Tätigkeitsveränderung oder betrieblicher Umstände, wie zB infolge von Kurzarbeit), kann dieser Entgeltbestandteil – mangels gegenteiliger Bestimmung im KV – bei der Berechnung außer Betracht bleiben. Zu beachten ist aber, dass der diesbezügliche, vom Arbeitgeber zu erbringende Beweis oftmals schwierig sein kann. Fortzuzahlen sind zB:

• regelmäßig geleistete Überstunden (sofern sie nicht in Freizeit ausgeglichen werden);

• Zulagen, Zuschläge;

• Provisionen (mit Ausnahme der Direkt- und Folgeprovisionen);

• Akkordlöhne, Leistungsprämien;

• Sonderzahlungen;

• Gewinnbeteiligungen.

Nicht zu berücksichtigen sind nach den beiden General-KV Sachbezüge und Aufwandersätze sowie ua Mehr- und Überstunden, die durch Freizeit abgegolten werden (sehr wohl aber die Zuschläge hierauf, sofern diese in Geld ausbezahlt werden), Fahrtkostenvergütungen, Entfernungszulagen sowie Tages- und Nächtigungsgelder. Überdies sind auch Direktprovisionen und Folgeprovisionen – also Provisionen, die ohnehin auch während Nichtleistungszeiten fortbezahlt werden – nicht in das Ausfallsentgelt miteinzubeziehen. 35 )

Zu beachten ist, dass eine pauschale Abgeltung des Kranken- bzw Urlaubsentgelts durch ein erhöhtes laufendes Entgelt nach der Rechtsprechung des OGH nicht zulässig wäre. 36 )

3.4. Möglichkeit der Anrechnung von Überzahlungen auf die Unterentlohnung

Alle tatsächlich geleisteten Entgeltzahlungen, die das nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührende Entgelt überschreiten, sind auf allfällige Unterentlohnungen anzurechnen. 37 ) Überzahlungen aus BV, Arbeitsvertrag oder auch nur faktisch Geleistetes können somit auf Unterentlohnungen (Unterschreiten des kollektivvertraglichen Mindestentgelts) angerechnet werden, soweit sie zeitlich kongruent sind, sich somit auf den gleichen Lohnzahlungszeitraum beziehen. Unter Lohnzahlungszeitraum ist grundsätzlich jener Zeitraum zu verstehen, nach dem das Entgelt bemessen und bezahlt wird (häufig jeweils ein Kalendermonat).

Hinsichtlich der Anrechnung von Überzahlungen ist Folgendes zu beachten:

• In einem Vergleich der Endsummen (nicht der einzelnen Entgeltbestandteile) ist das dem Arbeitnehmer in einem Lohnzahlungszeitraum (in der Regel Kalendermonat) bezahlte Bruttoentgelt dem nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden Mindestentgelt für diesen Zeitraum gegenüberzustellen. Nur dann, wenn die Summe der tatsächlichen Entgeltzahlungen im Lohnzahlungszeitraum die Summe des gebührenden Mindestentgelts unterschreitet, liegt eine Unterentlohnung nach dem LSD-BG vor.

• Eine Gegenverrechnung des nicht bezahlten Arbeitsentgelts mit Sachleistungen ist aufgrund des grundsätzlich geltenden Geldzahlungsgebots nur dann zulässig, wenn der KV dies vorsieht. 38 )

• Naturgemäß nicht anrechenbar sind Zuwendungen, die kein arbeitsrechtliches Entgelt darstellen bzw nach § 49 Abs 3 ASVG beitragsfrei sind (zB Aufwandentschädigungen) und deshalb vom Mindestentgelt des LSD-BG ausgenommen sind.

35 ) RIS-Justiz RS0064306. 36 ) RIS-Justiz RS0058567; RS0058620. 37 ) §§ 13 Abs 4 und 29 Abs 1 LSD-BG. 38 ) Siehe auch § 13 Abs 5 LSD-BG.

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• Auch wenn eine lohnperiodenübergreifende Betrachtung nicht zum Wegfall des Delikts einer lohnperiodenbezogenen Unterentlohnung führen kann, kann strafmindernde leichte Fahrlässigkeit angenommen werden, wenn sich periodenübergreifend keine Unterentlohnung ergibt. 39 )

Nach den Gesetzesmaterialien zur erstmaligen Kodifizierung des LSD-BG tritt die Fälligkeit allfällig noch abzugeltender Überstunden aus Pauschalentgeltvereinbarungen (zB Überstundenpauschale, All-in-Vereinbarungen) nicht während des Durchrechnungszeitraums ein. 40 ) Eine allfällige Unterentlohnung ist daher erst am Ende des Betrachtungszeitraums (im Zweifel: Kalenderjahr) feststellbar.

4. Arbeitszeitrechtliche Aspekte 4.1. Grundsätzliches zur Arbeitszeit 4.1.1. Rechtsgrundlagen

Vorschriften betreffend die Gestaltung bzw Verteilung der Normalarbeitszeit, die zulässige Tages- und Wochenhöchstarbeitszeit, die erforderlichen Ruhepausen und die damit verbundenen Entgeltansprüche finden sich im Arbeitszeitgesetz (AZG), im Arbeitsruhegesetz (ARG), in der diesbezüglichen Verordnung (ARG-VO) sowie in den anwendbaren KV oder Mindestlohntarifen (MLT), BV und Einzelvereinbarungen. In den erstgenannten Vorschriften wurde die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt.

Das AZG ist grundsätzlich auf alle Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, anzuwenden. Ausgenommen vom AZG sind ua leitende Angestellte iSd § 1 Abs 2 Z 8 AZG, Lehr- und Erziehungskräfte und Heimarbeiter. Im Rahmen einer Novellierung des AZG ab 1. 9. 2018 41 ) sind auch gewisse nahe Angehörige des Arbeitgebers ausgenommen, sofern deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird oder von ihnen hinsichtlich Lage und Dauer selbst festgelegt werden kann. In ähnlicher Hinsicht wurde auch der Begriff des „leitenden Angestellten iSd AZG“ modifiziert. Wurde vor dem 1. 9. 2018 maßgebliche selbstverantwortlich übertragene Führungsverantwortung verlangt, wird nun „maßgebliche selbständige Entscheidungsbefugnis“ und ausdrückliche Arbeitszeitautonomie (wie iZm den Angehörigen genannt) gefordert.

Das Arbeitszeitrecht ist für die Thematik des Lohndumpings vor allem auch deshalb wichtig, weil es die Zuschlagspflicht für Mehr- und Überstunden regelt. Für die vom AZG ausgenommenen leitenden Angestellten kann sich ein Zuschlagsanspruch nur dann ergeben, wenn ein Zuschlag im anzuwendenden KV vorgesehen ist.

Sondervorschriften sind ua zu beachten für Hausgehilfen- und Hausangestellte (HausgG), Bäckereiarbeiter (BäckAG), Landarbeiter (LAG), Krankenanstalten-Arbeitnehmer (KA-AZG), schwangere Arbeitnehmer (MSchG), Kinder- und Jugendliche (KJBG) oder Lenker (VO [EWG] 3821/85 und VO [EG] 561/2006).

4.1.2. Arbeitszeitbegriffe Terminologisch sind zu unterscheiden:

• Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Tagesarbeitszeit ist die Arbeitszeit innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von 24 Stunden. Wochenarbeitszeit ist die Arbeitszeit innerhalb eines Zeitraums von Montag bis einschließlich Sonntag.

39 ) Pkt 10.4 LSDB-RL 2015. Siehe auch Pkt 6.2. 40 ) ErlRV 1111 BlgNR 25. GP, 11 und 20. 41 ) BGBl I 2018/53.

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• Unter der (gesetzlichen) Normalarbeitszeit wird grundsätzlich die gesetzlich normierte Arbeitszeitobergrenze in Abgrenzung zur Überstundenarbeit verstanden. Überstundenarbeit, für die grundsätzlich ein 50%iger Entgeltzuschlag oder ein entsprechender Zeitausgleich zu gewähren ist, liegt demnach vor, wenn der Arbeitnehmer die Grenzen der zulässigen gesetzlichen wöchentlichen Normalarbeitszeit oder die tägliche Normalarbeitszeit, die sich aufgrund der Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit ergibt, überschreitet. 42 ) Nach § 3 AZG darf die tägliche Normalarbeitszeit grundsätzlich acht Stunden, die wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreiten.

• In KV sind vielfach kürzere Wochenarbeitszeiten vorgesehen, womit diese Wochenarbeitszeit als (kollektivvertragliche) Normalarbeitszeit gilt. In diesem Fall stellt eine darüber hinausgehende, 40 Stunden aber nicht überschreitende Arbeitsleistung grundsätzlich „bloße“ (nicht zuschlagspflichtige) Mehrarbeit dar. Der KV kann aber auch diese Zeiten als „Überstundenarbeit“ bezeichnen bzw diesbezüglich einen Zuschlag festlegen.

• Eine Auswahl flexibler Arbeitszeitmodelle, die primär dazu dienen, die Bandbreite für die nicht zuschlagspflichtige Normalarbeitszeit auszudehnen, wird unter Pkt 4.3. dargestellt.

• Passive Reisezeiten, die außerhalb der Normalarbeitszeit im Rahmen einer Dienstreise anfallen und bei welchen der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt, können unter gewissen Voraussetzungen niedriger entlohnt werden, sofern es eine dementsprechende Vereinbarung gibt (zB Arbeitsvertrag, KV, BV). 43 )

• Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit die gesetzliche oder, sofern der KV eine kürze Normalarbeitszeit vorgibt, diese unterschreitet.

• Ruhepausen und Ruhezeiten zwischen den Arbeitstagen regeln insbesondere die §§ 11 und 12 AZG; die §§ 13 bis 15c AZG enthalten Sonderbestimmungen für Lenker von Kraftfahrzeugen.

• Das ARG regelt die Wochen- bzw Wochenendruhe, die Ersatzruhe und die Feiertagsruhe.

Die absoluten Höchstgrenzen der Arbeitszeit gemäß § 9 Abs 1 AZG betragen (von wenigen Ausnahmen abgesehen) seit 1. 9. 2018 kurzfristig zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche, in der Regel zusammengesetzt aus Normalarbeitszeit und Überstunden. Allerdings darf (rollierend betrachtet) die Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraums von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten.

4.1.3. Aufzeichnungspflichten nach dem AZG 4.1.3.1. Allgemeines

Zur Überwachung der Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben hat der Arbeitgeber für alle Arbeitnehmer (auch geringfügig Beschäftigte, sonstige Teilzeitmitarbeiter und auch Arbeitnehmer mit All-in-Vereinbarung, nicht aber für leitende Angestellte nach dem AZG) in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen. Verpflichtet der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer, die Aufzeichnungen selbst zu führen, so hat er sie zur ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen anzuleiten und diese zu kontrollieren.

42 ) IZm der ab 1. 9. 2018 ausgeweiteten Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag bzw 60 Stunden pro

Woche (§ 9 Abs 1 AZG idF BGBl I 2018/53) ist die Möglichkeit einer Vereinbarung von „Sonderüberstunden“ gemäß § 7 Abs 4 und 4a AZG ab 1. 9. 2018 entfallen. 43 ) Durch passive Reisezeiten ist (unter Beachtung der Mindestruhezeiten) unter Umständen eine Überschreitung der Tages- bzw Wochenhöchstarbeitszeit zulässig (§ 20b AZG).

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Die Aufzeichnungen müssen die Lage der Arbeitszeit (Arbeitsbeginn und Arbeitsende), die Dauer der Arbeitszeit und die Ruhepausen enthalten. Letzteres gilt gemäß § 26 Abs 3 AZG 44 ) nicht bei Saldoaufzeichnungen (zB für Arbeitnehmer, die Arbeitszeit und Arbeitsort selbst bestimmen können, wie Außendienstmitarbeiter und bei überwiegend in der Wohnung ausgeübter Tätigkeit). 45 ) Bei Anwendung flexibler Arbeitszeitmodelle sind zusätzlich Beginn und Ende des Durchrechnungszeitraums anzugeben. Darüber hinaus sieht das AZG zB für Lenker weitere Aufzeichnungspflichten vor.

Seit 1. 1. 2015 gelten bestimmte Erleichterungen für die Arbeitszeitaufzeichnung (Vereinfachungen bei schriftlich festgelegten fixen Arbeitszeiteinteilungen, erweiterte Möglichkeit bloßer Saldenaufzeichnungen, Erleichterungen bei der Pausenaufzeichnung). Außerdem haben Arbeitnehmer auf ihr Verlangen hin Anspruch auf monatliche Übermittlung der Arbeitszeitnachweise.

4.1.3.2. Sanktionen

Arbeitszeitübertretungen sowie Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht werden – unabhängig von den Bestimmungen über Lohn- und Sozialdumping – bestraft, wobei die Überwachung den Arbeitsinspektoraten obliegt.

Arbeitszeitübertretungen sind mit Strafen von 20 Euro bis 1.815 Euro pro Arbeitnehmer und Verwaltungsübertretung, im Wiederholungsfall sogar bis zu 3.600 Euro bedroht. Die Strafbarkeit verjährt seit 1. 7. 2013 erst nach einem Jahr ab Ende des strafbaren Verhaltens.

So wird bei Verstößen gegen die Aufzeichnungspflicht der Arbeitgeber (der Geschäftsführer) bzw ein ausdrücklich bestellter verantwortlicher Beauftragter hinsichtlich jedes einzelnen Arbeitnehmers gesondert bestraft. Fehlen die Arbeitszeitaufzeichnungen, so droht eine Verwaltungsstrafe iHv 72 Euro bis 1.815 Euro, im Wiederholungsfall iHv 145 Euro bis 1.815 Euro pro Arbeitnehmer, für den die Aufzeichnungen fehlen. 46 )

Darüber hinaus werden Verfallsfristen gehemmt,

• solange den Arbeitnehmern die Übermittlung der verlangten Arbeitszeitaufzeichnungen verwehrt wird bzw

• wenn durch das Fehlen der Aufzeichnungen die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unmöglich oder unzumutbar wird.

In diesen Fällen können Nachforderungen des Arbeitnehmers von diesem innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend gemacht werden.

4.2. Entlohnung von Mehr- und Überstunden 4.2.1. Grundsätzliches

Die Höhe des dem Arbeitnehmer gebührenden Mindestentgelts richtet sich grundsätzlich nach der vereinbarten Arbeitszeit. Darüber hinausgehende Arbeitszeiten sind gesondert abzugelten, wobei hier zu unterscheiden ist:

• Die Überstundenentlohnung setzt sich aus dem Grundlohn und dem Zuschlag zum Grundlohn zusammen:

44 ) Nach der Rechtsprechung des EuGH vom 14. 5. 2019, CCOO , C-55/18, sind Saldoaufzeichnungen nicht ausreichend. 45 ) An den bestehenden Regelungen von AZG und ARG wurde durch das sogenannte arbeitsrechtliche

Homeoffice-Paket, BGBl I 2021/61 (ua mit Definition von Arbeit im „Homeoffice“ in § 2h AVRAG), nichts geändert. 46 ) Anders als bei den Strafbestimmungen des LSD-BG, für die das Kumulationsprinzip mit der ab 1. 9. 2021

geltenden Novelle abgeschafft wird, gilt hier das Modell der Bestrafung „pro Arbeitnehmer“ (noch) weiter.

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– Das Entgelt für die Normalstunden (= Überstundengrundlohn) wird mit dem Stundenlohnteiler ermittelt (173 im Fall einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden, 167 bei einer 38,5-Stunden-Woche). KV oder Mindestlohntarife sehen (in der Regel zum Zwecke der Abgeltung von Sonderzahlungen) häufig für Überstunden (mitunter auch für Mehrstunden) günstigere Teiler (zB 143) vor. Auch kann der KV die BV ermächtigen, einen abweichenden Teiler zu normieren.

– Nach § 10 AZG gebührt für Überstunden ein Zuschlag von 50 %. Bei der Abgeltung der Arbeitsleistung durch Zeitausgleich ist der Zuschlag entsprechend in Freizeit zu berücksichtigen oder auszuzahlen.

Die jeweils maßgeblichen KV können dazu nähere bzw abweichende Regelungen enthalten. So sehen manche KV 100%ige Zuschläge für bestimmte qualifizierte Überstunden (zB während Nachtzeiten sowie an Sonn- und Feiertagen) vor. Darüber hinaus kann der KV auch vorgeben, dass eine Abgeltung der Überstunden nur in Geld zulässig ist.

• Soweit das Arbeitsausmaß von Vollzeitarbeitskräften die kollektivvertragliche Wochenarbeitszeit, nicht aber die gesetzliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden übersteigt, gebührt für diese „kollektivvertragliche Mehrarbeit“ nur dann ein Zuschlag, wenn der KV einen solchen vorsieht. Sieht der KV für diese Mehrarbeit keinen besonderen Teiler vor, gilt der Normalstundenteiler; fallweise ist der Teiler nach dem KV aber auch ident mit dem Überstundenteiler.

• Seit 2008 haben Teilzeitarbeitskräfte grundsätzlich einen Anspruch auf einen Mehrarbeitszuschlag von 25 %. Dieser gebührt nur dann nicht, wenn

– bei gleitender Arbeitszeit die vereinbarte Arbeitszeit innerhalb der Gleitzeitperiode (siehe Pkt 4.3.2.4.) im Durchschnitt nicht überschritten wird oder

– die Mehrarbeitsstunden innerhalb eines Kalendervierteljahres oder eines anderen festgelegten dreimonatigen Zeitraums, in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden (der KV kann einen anderen Ausgleichszeitraum vorsehen).

Soweit der maßgebliche KV für die Mehrarbeit von Vollzeitkräften keine oder geringere Zuschläge vorsieht, gilt dies auch hinsichtlich der Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitkräfte (bis zur Normalarbeitszeit der Vollzeitkräfte). Wenn daher zB der KV eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 38 Stunden festlegt und für die 39. und 40. Wochenstunde keinen Zuschlag vorsieht, so sind diese beiden Mehrarbeitsstunden eines Teilzeitmitarbeiters im gleichen zeitlichen Ausmaß ebenso zuschlagsfrei.

Seit 1. 1. 2015 unterliegen alle angeführten Entgeltbestandteile (Überstunden- bzw Mehrarbeitsgrundlohn sowie Zuschläge) der behördlichen Mindestentgeltkontrolle. Dabei ist aber nicht mit dem Ist-Entgelt, sondern mit dem nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden (Mindest-)Entgelt zu rechnen.

4.2.2. Form bzw Zeitpunkt der Abgeltung von Mehr- bzw Überstunden

Überstundenentgelte sind im Kalendermonat des Anfalls der Überstunden fällig, sofern nicht der Verbrauch in Freizeit durch KV (oder BV) vorgegeben oder mit dem Arbeitnehmer vereinbart wurde. Sieht der anwendbare KV nichts Gegenteiliges vor, so ist es (vor dem Hintergrund des LSD-BG) mitunter empfehlenswert, durch BV oder Einzelvereinbarung die Fälligkeit des Überstundenentgelts frühestens mit dem auf die Überstundenleistung folgenden Monat zu vereinbaren.

Häufig werden Überstundenvergütungen aber auch durch (echte) Überstundenpauschalen (gesonderte Widmung eines Betrags zur Abgeltung von Überstunden) oder im Rahmen von All-in-Verträgen abgedeckt. Seit 1. 1. 2016 47 ) muss bei Pauschalentgeltvereinbarungen zwingend der/das dem Arbeitnehmer zustehende Grundlohn/-gehalt

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(= der Lohn/das Gehalt für die Normalarbeitszeit) im Dienstzettel oder Dienstvertrag ausgewiesen werden. Fehlt diese Angabe, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den branchenund ortsüblichen Normalstundenlohn (Mindestentgelt laut KV zuzüglich Überzahlung), der am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt.

Zu beachten sind einerseits die Rechtsverbindlichkeit derartiger Vereinbarungen (einseitiges Abgehen nur bei Widerrufsvorbehalt im Rahmen eines echten Überstundenpauschales möglich) und andererseits die Notwendigkeit einer Deckungsprüfung, weil das Pauschale im Durchschnitt über einen längeren Zeitraum die zustehende Vergütung bei einer Einzelverrechnung der Überstunden nicht unterschreiten darf.

Bei der Deckungsprüfung ist – in Ermangelung einer anderen Vereinbarung – am Ende eines Kalenderjahres zu kontrollieren, ob das vereinbarte Entgelt die tatsächlich erbrachten Leistungen abdeckt. Da ein im Rahmen einer solchen Deckungsprüfung ermittelter Differenzbetrag erst am Ende des Beobachtungszeitraums 48 ) festgestellt und somit abrechenbar werden kann, liegt nur dann strafbares Lohndumping vor, wenn eine Unterdeckung nach Durchführung der Deckungsprüfung hinsichtlich des gemäß Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden Mindestentgelts (Grundlohn, Überstunden, Zuschläge, Ausfallsentgelt etc) nicht ausgeglichen wird.

4.3. Flexible Arbeitszeitmodelle 4.3.1. Grundsätzliches

Das AZG erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine der Vermeidung von Überstunden dienende Ausdehnung der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit während eines bestimmten Durchrechnungszeitraums. Durch ein solches Arbeitszeitkontokorrent (Auf- und Abbau von Normalarbeitszeitguthaben 1:1) wird gewährleistet, dass nur jene Mehrleistungen, die am Ende eines solchen Durchrechnungszeitraums (bzw im Zeitpunkt eines vorherigen Ausscheidens) noch nicht ausgeglichen werden konnten und auch nicht auf eine weitere Durchrechnungsperiode übertragen werden können, zuschlagspflichtige Mehr- oder Überstunden darstellen. Die vom AZG zur Verankerung flexibler Arbeitszeitmodelle Ermächtigten können hier aber – etwa durch einen zwingenden Zeitzuschlag für Mehrleistungen innerhalb der Durchrechnungsperiode – Einschränkungen vorsehen.

Voraussetzung für die Vermeidung von Überstunden (und -zuschlägen) ist, dass

• der Arbeitgeber ein vom AZG und KV zugelassenes Arbeitszeitmodell anwendet, das den Auf- und Abbau von Zeitguthaben innerhalb des Durchrechnungszeitraums zuschlagsfrei (die KV sehen zum Teil geringe Zeitzuschläge vor) ermöglicht und

• die für die Einführung des Arbeitszeitmodells vorgegebene Vorschrift (zB in Betrieben mit Betriebsrat durch BV, ohne Betriebsrat mit schriftlicher Einzelvereinbarung) eingehalten wird und

• die Arbeitsleistung innerhalb der in diesen Modellen vorgegebenen Rahmenbedingungen erbracht wird.

Das AZG selbst regelt das Abweichen von den starren Arbeitszeitregelungen nur für die Handelsbranche (§ 4 Abs 4 und 5 AZG), für andere Branchen ist die Durchrechnung im Rahmen der sogenannten „Bandbreitenmodelle“ nur mit Zulassung durch den KV möglich. Davon zu unterscheiden sind insbesondere die Durchrechnungsmodelle iZm dem Einarbeiten iVm Feiertagen, der Vier-Tage-Woche, der Schichtarbeit und der Gleitzeit.

47 ) Arbeitsrechts-Änderungsgesetz 2015, BGBl I 2015/152, § 2 Abs 2 Z 9 AVRAG iVm § 2g AVRAG. 48 ) OGH 29. 1. 2014, 9 ObA 166/13x.

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Das AZG ermächtigt den KV zu zahlreichen Regelungen. Besteht auf Arbeitgeberseite keine KV-fähige Körperschaft, können derartige Regelungen mit BV vorgenommen werden (§ 1a Z 2 AZG).

Bei der folgenden Auswahl von Flexibilisierungsmöglichkeiten ist immer zu beachten, dass es für besondere Personengruppen gesetzliche Beschränkungen gibt (zB MSchG und KJBG für werdende und stillende Mütter bzw Kinder und Jugendliche).

4.3.2. Varianten (Auswahl) 4.3.2.1. Kollektivvertragliche Durchrechnungsmodelle – Bandbreitenmodelle

Der KV kann zulassen, dass innerhalb eines Durchrechnungszeitraums von bis zu einem Jahr (unter bestimmten Voraussetzungen auch länger)

• die wöchentliche Normalarbeitszeit auf bis zu 50 Stunden (Durchrechnungszeitraum bis zu acht Wochen) bzw bis zu 48 Stunden (längerer Durchrechnungszeitraum) und

• die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu neun Stunden ausgedehnt wird.

Der KV kann auch die Übertragung von Zeitguthaben in den nächsten Durchrechnungszeitraum zulassen.

4.3.2.2. Einarbeitung iVm Feiertagen

Besteht seitens der Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Bedürfnis, an Tagen vor oder nach einem Feiertag (zB „Fenstertage“) frei zu haben, kann vereinbart werden, dass die dadurch ausfallende Arbeitszeit an anderen Werktagen eingearbeitet wird. Bei den eingearbeiteten Stunden handelt es sich nicht um Überstunden, sondern um Normalarbeitszeit, weshalb auch keine Überstundenzuschläge anfallen.

Die ausfallende Arbeitszeit darf dabei auf die Werktage von höchstens 13 zusammenhängenden, die Ausfallstage einschließenden Wochen verteilt werden. Der KV kann den Einarbeitungszeitraum verlängern. Bei einem Einarbeitungszeitraum von bis zu 13 Wochen darf die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden, bei längeren Einarbeitungszeiträumen auf bis zu neun Stunden.

4.3.2.3. Vier-Tage-Woche

Eine Vier-Tage-Woche liegt vor, wenn die gesamte Wochenarbeitszeit regelmäßig auf vier Tage verteilt wird. In Betrieben mit Betriebsrat ist dazu zwingend eine BV abzuschließen, in Betrieben ohne Betriebsrat ist eine schriftliche Einzelvereinbarung erforderlich.

Die tägliche Normalarbeitszeit darf bei einer Vier-Tage-Woche auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden.

4.3.2.4. Gleitzeit

Das Modell der gleitenden Arbeitszeit bietet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Arbeitszeit innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen flexibel zu gestalten. Zentrales Merkmal der Gleitzeit ist daher die Zeitsouveränität des Arbeitnehmers. Sie ermöglicht innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens (Gleitzeitperiode) den Aufbau von Zeitguthaben und einen späteren Abbau im Verhältnis 1:1, also zuschlagsfrei.

Die tägliche Normalarbeitszeit darf dabei aber zehn Stunden, die Wochenarbeitszeit 50 Stunden nicht überschreiten. Seit 1. 9. 2018 ist eine Verlängerung der täglichen Normalarbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden zulässig, wenn die Gleitzeitvereinbarung vorsieht, dass ein Zeitguthaben ganztägig verbraucht werden kann und ein Verbrauch iZm einer wöchentlichen Ruhezeit nicht ausgeschlossen ist. 49 )

49 ) § 4 Abs 4 AZG idF AZG-Novelle BGBl I 2018/53.

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Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Die Einführung der Gleitzeit ist (wie auch die Einarbeitung iVm Feiertagen und die Vier- Tage-Woche) auch ohne KV-Zulassung möglich. In Betrieben mit Betriebsrat ist aber zwingend eine BV abzuschließen. Gibt es keinen Betriebsrat, so ist der Arbeitgeber an den Abschluss einer schriftlichen Einzelvereinbarung mit dem Arbeitnehmer gebunden.

Zu regeln sind die Dauer der Gleitzeitperiode, der Gleitzeitrahmen, das Höchstausmaß allfälliger Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben in die nächste Gleitzeitperiode und die Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit.

Überstunden liegen vor bei:

• Leistungserbringung außerhalb des Gleitzeitrahmens;

• Überschreitung der täglichen (zehn bzw bei entsprechender Ausgestaltung sogar zwölf Stunden 50 )) oder der wöchentlichen (50 bzw bei entsprechender Ausgestaltung sogar 60 Stunden) Höchstgrenze der Normalarbeitszeit;

• Überschreitung der sonst geltenden Grenzen der Normalarbeitszeit, wenn in die Zeitsouveränität eingegriffen wurde (sogenannte „angeordnete Überstunden“ 51 ));

• Überschreitung des Zeitguthabens, welches für die Übertragung in die nächste Gleitzeitperiode vereinbart wurde.

Besteht am Ende der Gleitzeitperiode ein Zeitguthaben, das in die nächste Periode vorgetragen werden darf, so handelt es sich hierbei um Normalstunden. Wird dieses Zeitguthaben nicht vorgetragen oder ist ein Vortrag in die nächste Periode nicht möglich, so handelt es sich hierbei zum Zeitpunkt des Endes der Gleitzeitperiode (!) um Überstunden, die mit Zuschlag abzugelten sind.

Der Unterschied zwischen einer Durchrechnung der Normalarbeitszeit (Pkt 4.3.2.1.) und gleitender Arbeitszeit besteht darin, dass die Lage und das Ausmaß der Arbeitszeit bei Letzterer nicht vom Dienstgeber vorgegeben oder im Vorhinein einvernehmlich vereinbart wurden, sondern der Dienstnehmer das Recht hat, sich innerhalb der vereinbarten Gleitzeit-Rahmenbedingungen die Arbeitszeit selbst einzuteilen.

4.3.3. Fehlerhafte Anwendung der Arbeitszeitmodelle und daraus drohende Risiken

Werden die Voraussetzungen für die Einführung der genannten Arbeitszeitmodelle nicht eingehalten (zB fehlende KV-Ermächtigung, fehlende oder mangelhafte Gleitzeitregelung), ist der privilegierte Auf- und Abbau von Zeitguthaben mit 1:1 (oder mit geringem Zuschlag) nicht möglich. Da bei Überschreitung der Tagesnormalarbeitszeit (Mehroder) Überstundenarbeit vorliegt, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den Überstundengrundlohn und -zuschlag. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass bei unzulässigen Durchrechnungsmodellen die Mehr- und Überstunden samt Zuschlägen bereits im Kalendermonat der Leistung fällig werden.

Bei allen flexiblen Arbeitszeitmodellen ist gesondert zu prüfen, welche Auswirkungen diese auf Teilzeitkräfte haben. 52 )

5. Grenzüberschreitende Sachverhalte 5.1. Allgemeines

Der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr erfordert Rahmenbedingungen, die einerseits einen fairen Wettbewerb garantieren und andererseits die Rechte der Arbeitnehmer schützen. Dazu hat die EU eine Richtlinie über die Entsendung von Arbeitneh-

50 ) Schränkt der Kollektivvertrag bei Gleitzeit die tägliche Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden ein, gebühren für die elfte und zwölfte Stunde Überstundenzuschläge (OGH 16. 12. 2019, 8 ObA 77/18h). 51 ) Seit 1. 9. 2018 ausdrücklich in § 4b Abs 5 AZG klargestellt. 52 ) Vgl dazu zB OGH 25. 6. 2013, 9 ObA 18/13g.

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mern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Richtlinie 96/71/EG) erlassen, nach der einem entsendeten Arbeitnehmer die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften bzw allgemein verbindlichen Tarifverträgen geregelten arbeitsrechtlichen Mindeststandards (der „harte“ Kern der Beschäftigungsbedingungen) des Aufnahmemitgliedstaates zu gewähren sind. Im Zuge der Adaption der Entsende-RL im Jahr 2018 wurde der diesbezügliche Katalog erweitert und außerdem festgelegt, dass bei zwölf Monate überschreitenden Entsendungen ab Überschreiten dieser Frist unter Zugrundelegung des Günstigkeitsprinzips die gesamten in den angeführten Rechtsquellen enthaltenen Arbeitsrechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaates beachtlich sind.

Dem entspricht es, dass nach der Rom-I-VO über das anzuwendende Recht bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen die Eingriffsnormen des Gastlandes auch dann zu beachten sind, wenn ein vorübergehend entsendeter Arbeitnehmer weiterhin dem Vertragsstatut des Heimatstaates (Staat der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung) unterliegt. Die Entsende-RL stellt im Verhältnis zur Rom-I-VO daher eine lex specialis dar, nach der grenzüberschreitend eingesetzten Arbeitnehmern ungeachtet des an sich anwendbaren Arbeitsrechts des Herkunftsstaates die zentralen arbeitsrechtlichen Standards des Aufnahmemitgliedstaates zu gewährleisten sind.

Zur Entsende-RL ist auch eine Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie 2014/67/EU) ergangen, die Regelungen zur besseren Informationsgewährung, zur Verwaltungszusammenarbeit und zu den auf Unternehmen anwendbaren Kontrollmaßnahmen hinsichtlich der Umsetzung der angeführten Vorgaben vorsieht. Demnach sind die Mitgliedstaaten auch angehalten, für Verstöße wirksame und verhältnismäßige Sanktionen festzulegen.

Die Vorgaben der angeführten Richtlinien wurden innerstaatlich ursprünglich primär im AVRAG festgeschrieben. Mit Wirkung ab 2017 wurden diese Regelungen aus dem AVRAG herausgelöst und neu strukturiert im LSD-BG verankert. Die aktuelle Novelle des LSD-BG dient der Umsetzung der oben angeführten Adaption der Entsende-RL.

Die in der Folge erläuterte Verpflichtung zur Erstattung von Entsende- bzw Überlassungsmeldungen (ZKO 3 und ZKO 4) gilt nicht für Entsendungen bzw Überlassungen von Arbeitnehmern aus Drittstaaten. 53 ) Soweit Unternehmen aus Drittstaaten (insbesondere im Hinblick auf die GewO und das AÜG) überhaupt im Inland tätig werden können, kommt im Hinblick auf die Kontrolle der Einhaltung der Mindestentlohnung aber die Pflicht zur umfassenden Bereithaltung der Lohnunterlagen zum Tragen. Darüber hinaus sind hinsichtlich des Einsatzes von Drittstaatsbürgern als Arbeitskräfte in Österreich die beschäftigungs- und aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen zu beachten.

5.2. Von der Lohnkontrolle erfasste Inbound-Tatbestände 5.2.1. (Anwendungsbereich der) Entsende-RL

Die Entsende-RL ist nur für folgende länderübergreifende Maßnahmen anwendbar:

• Ein Arbeitnehmer wird zur Abwicklung einer Dienstleistungsvereinbarung, die sein Arbeitgeberunternehmen mit einem in einem anderen Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen hat, in diesen anderen Mitgliedstaat entsendet. Die Entsende-RL erfasst daher primär Entsendungen von Arbeitnehmern zur grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung (Dienstleistungsentsendung).

• Der Arbeitnehmer wird von seinem Arbeitgeber in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen entsendet. Bei diesen Konzernentsendungen wird gewissermaßen eine Dienstleistung unterstellt.

53 ) Nach § 1 Abs 4 LSD-BG sind für diese die §§ 17 bis 21, 23 und 26 LSD-BG und das dritte Hauptstück, ausgenommen § 41 LSD-BG, nicht anwendbar.

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• Der Arbeitnehmer wird von seinem Arbeitgeberunternehmen im Zuge einer Arbeitskräfteüberlassung in einem anderen Mitgliedstaat eingesetzt.

Grundvoraussetzung für die Anwendung der Entsende-RL ist nach der EuGH-Judikatur, dass die im anderen Mitgliedstaat erbrachte Arbeitsleistung ein bestimmtes Mindestausmaß erreicht und somit eine „hinreichende Verbindung“ zum Hoheitsgebiet dieses Staates vorliegt. Trifft dies nicht zu, liegt keine Entsendung im Sinne dieser Richtlinie vor.

Nach dem EuGH kann sich Österreich zB nicht auf die Entsende-RL stützen, wenn ungarische Arbeitnehmer eines dort ansässigen Unternehmens, das das Catering für grenzüberschreitend verkehrende ÖBB-Züge übernommen hat, in Österreich nur das unmittelbare Bordservice während des Inlandstransits, alle darüber hinausgehenden Arbeitsleistungen aber im ausländischen Herkunftsstaat erbringen. 54 ) Der OGH ist zB davon ausgegangen, dass sich ein Arbeitnehmer eines in Salzburg ansässigen Taxiunternehmens hinsichtlich eines Flughafentransfers von Salzburg nach München nicht auf die Anwendung der Entsende-RL berufen kann. 55 )

5.2.2. Entsendebegriff des LSD-BG

Der Entsendebegriff des LSD-BG ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil er den Ausgangspunkt für die in der Folge erläuterten Verpflichtungen aus dem LSD-BG bildet. Eine Entsendung ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass ein Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort außerhalb Österreichs für seinen Arbeitgeber vorübergehend Arbeitsleistungen im Inland erbringt.

Bis 2014 setzte der AVRAG-Entsendebegriff – der Entsende-RL entsprechend – einen Dienstleistungsvertrag zwischen einem leistungserbringenden ausländischen Unternehmen und einem inländischen Leistungsempfänger voraus. 56 ) Seit 2015 war der Entsendebegriff im gegebenen Zusammenhang aber weit auszulegen. Im Rahmen des seit 2017 geltenden LSD-BG wurde ausdrücklich festgelegt, dass eine Entsendung im Sinne dieses Gesetzes keinen Dienstleistungsvertrag zwischen einem ausländischen Arbeitgeber und einem im Inland tätigen Dienstleistungsempfänger voraussetzt. Gleichzeitig konnte nach den Gesetzesmaterialien zum LSD-BG 57 ) und den zum LSDB-G erlassenen Richtlinien 58 ) in Einzelfällen, die zwar nicht vom expliziten Ausnahmenkatalog erfasst werden, bei denen aber die Zielsetzungen der Entsende-RL (Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Schutz des nationalen Arbeitsmarktes) bei objektiver Betrachtung nicht gefährdet sind, von keiner Entsendung iSd LSD-BG ausgegangen werden.

Dieser Widerspruch wird nunmehr durch die aktuelle Novelle des LSD-BG beseitigt. Durch die Streichung der angeführten Regelung, dass Entsendungen iSd LSD-BG keine grenzüberschreitenden Leistungsaustauschbeziehungen voraussetzen, soll eine Harmonisierung des Entsendebegriffs des LSD-BG mit dem der Entsende-RL bewirkt werden.

Es werden nur mehr jene Fälle des Hereinarbeitens nach Österreich erfasst, die die Entsende-RL hinsichtlich ihrer Anwendung als länderübergreifende Maßnahmen anführt (Dienstleistungsentsendung, Konzernentsendung und grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung). Nur in solchen Fällen stellt sich die Frage nach einer Ausnahme vom LSD-BG, 59 ) sind die formalen Verpflichtungen dieses Gesetzes (Melde- und Be-

54 ) EuGH 19. 12. 2019, Dobersberger , C-16/18; VwGH 30. 1. 2020, Ra 2017/11/0093. 55 ) OGH 29. 11. 2016, 9 ObA 53/16h. 56 ) VwGH 26. 2. 2015, Ro 2014/11/0100. 57 ) ErlRV 1111 BlgNR 25. GP, 3. 58 ) LSDB-RL 2015, 13. 59 ) Diese Aussage in den Gesetzesmaterialien zur aktuellen Novelle ist insoweit widersprüchlich, als der

Ausnahmekatalog offensichtlich auch bloße Klarstellungen enthält, worauf die Gesetzesmaterialien bei vielen Tatbeständen auch ausdrücklich hinweisen (siehe dazu auch die Ausführungen unter Pkt 5.3.).

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reithaltungspflichten) zu beachten und finden Lohnkontrollen statt. Als Tätigkeiten, die vorweg nicht (mehr) unter das LSD-BG fallen, führen die Materialien zur aktuellen Novelle den bloßen Besuch einer Messe oder eines Seminars im Auftrag des ausländischen Arbeitgebers oder die Durchführung von Erprobungsfahrten mit dem Auto im Auftrag eines ausländischen Autoherstellers an. 60 )

5.2.3. Arbeitskräfteüberlassung

Die Abgrenzung des Entsendebegriffs von dem der (grenzüberschreitenden) Arbeitskräfteüberlassung ist hier 61 ) deshalb von zentraler Bedeutung, weil für Letztere – neben den besonderen, generell (auch für reine Inlandsfälle) geltenden Vorgaben nach dem AÜG – besondere Verpflichtungen 62 ) und Verantwortlichkeiten gelten.

Bei einer Arbeitskräfteüberlassung stellt der Auftragnehmer (Überlasser) dem Auftraggeber (Beschäftiger) eine Arbeitskraft zur Verfügung, damit diese auf dessen Risiko in dessen Betrieb tätig wird. Die Überlassung des Arbeitnehmers ist der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung; der Auftragnehmer schuldet keinen bestimmten Leistungserfolg. Nach dem AÜG ist für die Abgrenzung der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts entscheidend (Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise). 63 ) Im Falle des Tätigwerdens im Betrieb des Auftraggebers sprechen folgende Kriterien für eine Arbeitskräfteüberlassung: 64 )

• keine Beauftragung eines/einer von der Leistungspalette des Auftraggebers (Beschäftigers) abweichenden Produkts/Dienstleistung oder

• Leistungsabwicklung vorwiegend mit Arbeitsmitteln des Auftraggebers (Beschäftigers) oder

• Eingliederung beim bzw Dienst- und Fachaufsicht durch den Auftraggeber (Beschäftiger) oder

• keine Erfolgshaftung des Auftragnehmers (Überlassers).

Ursprünglich ist der VwGH davon ausgegangen, dass eine Arbeitskräfteüberlassung bereits bei Vorliegen nur eines dieser Kriterien erfüllt ist. Zuletzt hat er diese Auffassung im Hinblick auf die EuGH-Judikatur in der Rs Martin Meat 65 ) aber revidiert (revidieren müssen). Demnach ist für die Abgrenzung in grenzüberschreitenden Fällen 66 ) eine Gesamtbeurteilung notwendig, die alle Aspekte, die für bzw gegen eine Arbeitskräfteüberlassung sprechen, berücksichtigt. Insbesondere ist zu prüfen, ob der Auftragnehmer aufgrund eines konkret vereinbarten Leistungsgegenstands für einen bestimmten, ihm zurechenbaren Leistungserfolg einzustehen hat, von dem auch die Leistungsvergütung abhängt. Letzteres impliziert, dass der Auftragnehmer selbst die Zahl der für die Auf-

60 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 2. 61 ) Die (eigenständig – wenn auch in Anlehnung an das Arbeitsrecht – vorzunehmende) Abgrenzung zwischen

grenzüberschreitenden Aktivleistungen einerseits und Arbeitskräftegestellungen andererseits ist auch aus steuerlicher Sicht von entscheidender Bedeutung, weil für Überlassungen DBA-rechtlich der Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers greift und Österreich zur Sicherung des inländischen Besteuerungsrechts eine besondere Abzugsteuer vorsieht. 62 ) Die irrtümliche Erstattung mittels des falschen Formulars – ZKO 3 (Entsendemeldung) statt ZKO 4

(Überlassungsmeldung) bzw umgekehrt – stellt nach der aktuellen Novelle aber keinen Meldeverstoß mehr dar (siehe dazu die Ausführungen unter Pkt 6.1.). 63 ) § 4 Abs 1 AÜG. 64 ) § 4 Abs 2 AÜG. 65 ) EuGH 18. 6. 2015, Martin Meat , C-586/13. 66 ) Der OGH hat hinsichtlich eines reinen Inlandsfalls auch nach der EuGH-Rechtsprechung zum Fall Martin

Meat an der isolierten Kriterienberücksichtigung festgehalten (OGH 23. 10. 2020, 8 ObA 63/20b). Eine Inländerdiskriminierung ergibt sich demnach aus dieser Beurteilung nicht, weil in einem grenzüberschreitenden Fall nach der EuGH-Rechtsprechung zwar keine Arbeitskräfteüberlassung, sehr wohl aber eine Entsendung iSd Entsende-RL vorliege, sodass auf diesem Wege die Standards des Beschäftigerbetriebs zu gewährleisten sind.

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tragsabwicklung eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt, diese unter seiner Dienst- und Fachaufsicht auf sein Risiko tätig und somit in dessen Betrieb eingegliedert sind. Eine Arbeitskräfteüberlassung kann nicht mit dem Vorliegen einzelner untergeordneter Kriterien (zB Materialfrage) begründet werden.

5.3. (Generelle) Ausnahmen 5.3.1. Allgemeines

In den im Folgenden angeführten Fällen liegen keine Entsendungen iSd LSD-BG vor und sind somit die formellen und materiellrechtlichen Verpflichtungen dieses Gesetzes 67 ) nicht zu erfüllen („Totalausnahmen“).

Im Sinne von Ausnahmebestimmungen sollten diese Fälle betreffen, die grundsätzlich Entsendungen iSd LSD-BG darstellen bzw in den Anwendungsbereich der Entsende-RL fallen. Ungeachtet dessen handelt es sich in vielen Fällen offensichtlich um bloße Klarstellungen, was auch durch die Gesetzesmaterialien zur aktuellen Novelle mehrfach zum Ausdruck gebracht wird.

5.3.2. Arbeiten von geringem Umfang und kurzer Dauer

Das LSD-BG ist nicht anzuwenden für Arbeitnehmer, die ausschließlich zur Erbringung folgender Arbeiten von geringem Umfang und kurzer Dauer nach Österreich entsandt sind:

• geschäftliche Besprechungen ohne Erbringung weiterer Dienstleistungen;

• Teilnahme an Seminaren und Vorträgen ohne Erbringung von weiteren Dienstleistungen;

• Teilnahme an Messen und messeähnliche Veranstaltungen (Fach- und Publikumsmessen), ausgenommen Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten für derartige Veranstaltungen (Auf- und Abbau, Anlieferung von Gütern etc);

• Besuch von und Teilnahme an Kongressen und Tagungen;

• Teilnahme an und Abwicklung von kulturellen Veranstaltungen, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Tournee stattfinden, bei welcher dem Österreichanteil in zeitlicher Hinsicht nur untergeordnete Bedeutung zukommt und die Arbeitnehmer für einen Großteil der Tour (nicht nur für den Inlandsteil) engagiert werden;

• Teilnahme an und Abwicklung von internationalen Wettkampfveranstaltungen (exkl Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten für die Veranstaltungen sowie die Bewirtung im Rahmen der Veranstaltung).

Nach den Gesetzesmaterialien zur aktuellen Novelle kann grundsätzlich nur bei Arbeitseinsätzen im Inland bis zu einer Woche von kurzer Dauer ausgegangen werden. 68 )

5.3.3. Mobile Arbeitnehmer im Transitverkehr

Vom LSD-BG ausgenommen ist die Tätigkeit als mobiler Arbeitnehmer (Fahrer und Begleitpersonal) oder als Besatzungsmitglied in der grenzüberschreitenden Güter- und Personenbeförderung, sofern der gewöhnliche Arbeitsort nicht in Österreich liegt und es sich um Transitverkehr handelt.

Die EU hat für die angeführte Berufsgruppe zuletzt eine eigene Richtlinie für Kraftfahrer im Straßenverkehr (Richtlinie [EU] 2020/1057) erlassen, die die Entsende-RL ergänzt

67 ) Die angeführten Ausnahmetatbestände beziehen sich nur auf die Anwendung des LSD-BG. Ob im

Falle einer Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich die Verpflichtungen des AÜG anwendbar sind, ist nach Maßgabe dieses Gesetzes gesondert zu beurteilen. Der dort verankerte Ausnahmekatalog erfasst ua vorübergehende Überlassungen von Arbeitnehmern innerhalb von Konzernen, schränkt diese Ausnahme aber auf reine Inlandsfälle (Überlasser und Beschäftiger sind im Inland ansässig) ein. 68 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 3.

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Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

und bis 2. 2. 2022 umzusetzen ist. Darin wird definiert, in welchen Fällen bei Kraftfahrern im Straßenverkehr im Hinblick auf die notwendige hinreichende Verbindung zum jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat von einer Entsendung auszugehen und in welchen Fällen dies nicht der Fall ist. Demnach stellen nicht nur Transitfahrten, sondern auch bilaterale Güter- bzw Personenbeförderungen keine Entsendungen dar.

5.3.4. Besserverdiener

Eine Unterentlohnung ist ausgeschlossen, wenn Arbeitnehmer ein Entgelt erhalten, das über dem höchstmöglichen Lohnsatz nach den KV liegt.

Das LSD-BG sah bisher aber nur für Tätigkeiten von Arbeitnehmern in international tätigen Konzernen eine entgeltabhängige Ausnahme vor. Mit der aktuellen Novelle werden nunmehr sinnvollerweise alle nach Österreich entsandten oder überlassenen Arbeitnehmer, die in den letzten zwei Entgeltperioden vor dem Inbound-Einsatz und während dieses Einsatzes eine monatliche Bruttoentlohnung iHv durchschnittlich mindestens 120 % 69 ) des Dreißigfachen der täglichen ASVG-Höchstbeitragsgrundlage (Wert 2021: 6.660 Euro) erhalten, ausgenommen.

5.3.5. Austauschprogramme im tertiären Bildungssektor

Vom LSD-BG ausgenommen sind Entsendungen oder Überlassungen im Rahmen von Austausch-, Aus- und Weiterbildungs- oder Forschungsprogrammen und von Vortragenden an Universitäten, Hochschulen oder Fachhochschulen.

Diese nach den Gesetzesmaterialien ohne zeitliche Einschränkung geltende Ausnahme ist darin begründet, dass die angeführten Tätigkeiten keine Auswirkung auf den inländischen Arbeitsmarkt haben werden, wenn sie unmittelbar für die angeführten inländischen Bildungseinrichtungen erbracht werden. Nicht von der Ausnahme erfasst sind Entsendungen und Überlassungen iZm Forschungstätigkeiten, die von Dritten finanziert werden und diesen zugutekommen. 70 )

5.3.6. Tätigkeiten iZm Lieferungen

Zum Ausnahmekatalog des LSD-BG gehören auch Mitarbeiterentsendungen, die der grenzüberschreitenden Lieferung oder Abholung von Waren dienen und von Arbeitnehmern der Vertragsparteien eines Kauf- bzw Mietvertrags durchgeführt werden. Transportfahrten Dritter (etwa eines Spediteurs oder eines Beförderungsunternehmens), die im Auftrag dieser Vertragspartner durchgeführt werden, werden von der Ausnahme nicht erfasst.

Weiters sind Tätigkeiten, die für die Inbetriebnahme und Nutzung von gelieferten Gütern unerlässlich sind und von entsandten Arbeitnehmern des Verkäufers oder Vermieters mit geringem Zeitaufwand durchgeführt werden, ausgenommen.

5.3.7. Konzernausnahmen

Eine zusätzliche Ausnahme normiert das LSD-BG für konzerninterne vorübergehende Entsendungen und Überlassungen von besonderen Fachkräften, wenn sie zwei Monate 71 ) je Kalenderjahr nicht übersteigen und zu einem der folgenden Zwecke erfolgen:

• Forschung und Entwicklung;

• Abhaltung von Ausbildungen durch die Fachkraft;

69 ) Die alte entgeltabhängige Ausnahme und der Ministerialentwurf sahen hinsichtlich der Begrenzung noch einen Satz von 125 vH vor. 70 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 4. 71 ) Solange insgesamt die Höchstdauer von zwei Monaten pro Kalenderjahr nicht überschritten wird, wird

auch ein mehrmaliger Arbeitseinsatz in Österreich zulässig sein.

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• Planung der Projektarbeit;

• Erfahrungsaustausch;

• Betriebsberatung;

• Controlling;

• Mitarbeit im Bereich von für mehrere Länder zuständigen Konzernabteilungen mit Planungs- und Steuerungsfunktion (= sogenannte „Cluster-Abteilungen“, in denen konzernintern die Kompetenz für bestimmte Bereiche und Länder gebündelt sind, wie zB Personal, Finanzmanagement, Regional-Management); oder

• Lieferung, Inbetriebnahme (und damit verbundene Schulungen), Wartung, Servicearbeiten und Reparatur von Maschinen, Anlagen und EDV-Systemen.

Der letztgenannte Ausnahmetatbestand wurde im Rahmen der aktuellen Novelle verankert. 72 )

Als besondere Fachkräfte gelten innerhalb des Konzerns tätige Personen, die über die für die Tätigkeitsbereiche, Verfahren oder Verwaltung des aufnehmenden Konzernunternehmens unerlässliche Spezialkenntnisse verfügen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Fachkraft über ein hohes Qualifikationsniveau einschließlich einer angemessenen einschlägigen Berufserfahrung verfügt.

5.3.8. Schulungsmaßnahmen

Die aktuelle Novelle stellt klar, dass Entsendungen vom Ausland nach Österreich für längere Dauer zu Schulungszwecken unter folgenden Voraussetzungen nicht unter das LSD-BG fallen: 73 )

• Das ausländische Arbeitgeberunternehmen schuldet dem inländischen Betrieb keine Arbeitsleistung, sondern konsumiert bei diesem eine Schulungsleistung zugunsten seiner Arbeitnehmer.

• Der Einsatz des Arbeitnehmers im Inland dient dessen Einschulung oder Weiterbildung auf Grundlage eines entsprechenden Programms des Arbeitgebers oder des inländischen Unternehmens.

Der zu schulende Arbeitnehmer ist daher auch nicht in den Organisationsablauf des Betriebs, in dem die Schulungen erfolgen, eingegliedert und unterliegt keinen über den Ausbildungszweck hinausgehenden Weisungen und Kontrollen.

• Allfällige vom Arbeitnehmer schulungsbedingt erbrachte Dienstleistungen oder erstellte Produkte sind für den Produktionsprozess bzw das Betriebsergebnis des Betriebs, in dem die Schulung stattfindet, nur unwesentlich.

Dies impliziert, dass im Falle eines zB krankheitsbedingten Ausfalls des Einzuschulenden kein Ersatz notwendig ist.

• Der Arbeitnehmer wird nur so lange geschult, wie dies für den Erwerb der geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich ist.

Liegen die angeführten Voraussetzungen vor, sind auch mehrere Wochen dauernde Schulungen vom LSD-BG ausgenommen.

5.4. Formale Verpflichtungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten 5.4.1. Entsendung

Bei einer Entsendung durch einen Arbeitgeber mit Sitz in einem EWR-Staat oder der Schweiz sind folgende formale Verpflichtungen wahrzunehmen:

72 ) § 2 Abs 6 Z 3 LSD-BG. 73 ) § 1 Abs 7 LSD-BG.

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• Der Arbeitgeber hat das Formular „Entsendemeldung – ZKO 3“ vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme (im Fall von mobilen Arbeitnehmern im Transportgewerbe vor Einreise in das Bundesgebiet) elektronisch an die beim BMF angesiedelte Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (im Folgenden: Zentrale Koordinationsstelle) zu übermitteln. Darin sind insbesondere Angaben iZm der Bestimmung des nach österreichischem Recht gebührenden Mindestentgelts notwendig.

Falls Drittstaatsbürger eingesetzt werden, müssen auch Nachweise zur ordnungsgemäßen Beschäftigung und zum Aufenthalt im Sitzstaat des Arbeitgebers erbracht werden. Diese werden gemeinsam mit der ZKO-Meldung an das AMS übermittelt, das für die Beschäftigung eine EU-Entsendebestätigung 74 ) ausstellt.

Grundsätzlich ist für jede Entsendung eine gesonderte Meldung erforderlich. Seit 1. 1. 2017 bestehen jedoch folgende, mit der LSD-BG-Novelle 2021 erweiterte Optionen, Einzelmeldungen in gewissen Konstellationen zusammenzufassen:

– Ist in Erfüllung von Dienstleistungsverträgen, Dienstverschaffungsverträgen oder Konzernentsendungen der regelmäßige grenzüberschreitende Einsatz von Arbeitnehmern vereinbart, kann vor der (erstmaligen) Arbeitsaufnahme in Bezug auf einen inländischen Auftraggeber oder Beschäftiger jeweils für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten eine sogenannte „Rahmenmeldung“ erstattet werden. Der Beschäftigungsort ist für jeden Auftraggeber/Beschäftiger gesondert anzugeben.

Durch die LSD-BG Novelle 2021 wurde der angeführte Rahmenzeitraum von höchstens drei auf sechs Monate verlängert. Ebenso wurde klargestellt, dass die Möglichkeit einer Rahmenmeldung nicht für Arbeitnehmer iSd § 33d BUAG gilt.

– Wurden mit mehreren Auftraggebern gleichartige Dienstleistungsverträge geschlossen, können in einer sogenannten „Sammelmeldung“ für einen Arbeitnehmer alle Auftraggeber angeführt werden, sofern die Erfüllung der Dienstleistungsverträge durchgehend im Bundesgebiet und innerhalb einer Woche erfolgt. Mit der Novelle wurden hier der örtliche und der zeitliche Parameter präzisiert. 75 ).

– Für Entsendungen von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich muss für jeweils sechs Monate eine besondere pauschale Meldung erstattet werden. 76 ) Im Rahmen dieser Meldung sind neben Angaben zum Unternehmen insbesondere die Daten zu den innerhalb des angeführten Zeitraums voraussichtlich in Österreich eingesetzten Arbeitnehmern, zu den Kennzeichen der verwendeten Fahrzeuge und zum nach unter Berücksichtigung des maßgeblichen österreichischen KV zustehenden Entgelt notwendig. Allfällige nachträgliche Änderungen sind unverzüglich zu melden.

(Auch) Die Entsendemeldung ist während des Entsendezeitraums am inländischen Arbeits(einsatz)ort bereitzuhalten bzw in elektronischer Form zugänglich zu machen.

• Wenn der entsendete Mitarbeiter ausländischem Sozialversicherungsrecht unterliegt, hat der Arbeitgeber die Bescheinigung A1 am inländischen Arbeitsort 77 ) bereit-

74 ) § 18 Abs 12 AuslBG. 75 ) Bisher war in § 19 Abs 6 LSD-BG geregelt, dass Sammelmeldungen für die Erfüllung von Dienstleistungsverträgen, die „in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang“ stehen, möglich sind. 76 ) § 19 Abs 7 LSD-BG. 77 ) Alternativ können die Unterlagen nach § 21 Abs 2 LSD-BG auch im Inland bei der in der Entsendemeldung genannten Ansprechperson oder einer im Inland eingetragenen Zweigniederlassung, an der der ausländische Arbeitgeber seine Tätigkeit nicht nur gelegentlich ausübt, oder einer inländischen selbständigen Tochtergesellschaft oder Muttergesellschaft eines Konzerns oder einem im Inland niedergelassenen berufsmäßigen Parteienvertreter (Steuerberater, Rechtsanwalt, Bilanzbuchhalter, Notar) bereitgehalten werden. Diese Ausnahme gilt nicht für mobile Arbeitnehmer im Transportbereich. Hier sind die Unterlagen ab der Einreise im Fahrzeug bereitzuhalten bzw in elektronischer Form zugänglich zu machen.

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zuhalten. Die angeführte Bescheinigung stellt einen für die österreichischen Behörden bindenden Nachweis über das nach Maßgabe der VO (EG) 883/2004 für den betreffenden Arbeitnehmer anzuwendende Sozialversicherungsrecht dar.

Kann der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Erhebung durch Nachweise in deutscher oder mit der LSD-BG-Novelle 2021 auch in englischer Sprache (Beglaubigung ist nicht erforderlich) belegen, dass ihm die Ausstellung der Bescheinigung A1 vor der Entsendung nicht möglich war, sind gleichwertige Unterlagen in deutscher oder englischer Sprache vorzulegen. Zu diesen gleichwertigen Unterlagen gehören insbesondere der Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung A1 in Kombination mit anderen Dokumenten, aus denen sich die Anwendbarkeit ausländischen Sozialversicherungsrechts für den Arbeitnehmer ergibt, wie zB ein älteres A1-Formular oder Lohnzahlungsnachweise für den Zeitraum unmittelbar vor der Entsendung, die die Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen belegen. 78 )

• Am Arbeitsort 79 ) müssen für den Gesamtentsendezeitraum 80 ) folgende Lohnunterlagen bereitgehalten oder in elektronischer Form zugänglich gemacht 81 ) werden: 82 )

– Arbeitsvertrag bzw Dienstzettel; – Lohnzettel; – Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege;

– Lohnaufzeichnungen für die aufgrund der konkreten Tätigkeiten oder des konkreten Einsatzes zustehenden Zulagen und Zuschläge;

– Arbeitszeitaufzeichnungen; und

– Unterlagen, die eine Überprüfung der Lohneinstufung ermöglichen, sofern sich diese nicht aus anderen Lohnunterlagen ergibt.

Bisher mussten die angeführten Unterlagen in deutscher Sprache bereitgehalten werden. Nur für den Arbeitsvertrag genügte ausnahmsweise auch eine Fassung in englischer Sprache. Mit der aktuellen Novellierung des LSD-BG können sämtliche Lohnunterlagen auch in englischer Sprache bereitgehalten werden. Für die Übersetzungen gibt es keine besonderen Vorschriften, sie müssen daher, wie in den Gesetzesmaterialien zur aktuellen Novelle festgehalten wird, nicht beglaubigt sein. 83 )

Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege müssen nach den Materialien zur aktuellen Novelle im Hinblick auf die international zu beachtenden Bankenstandards nur dann in deutscher oder englischer Sprache bereitgehalten werden, wenn auf Basis der in einer anderen Fremdsprache vorgelegten Belege die jeweiligen Lohnzahlungsperioden, das Entgelt oder der Empfänger nicht festgestellt werden können. 84 )

In folgenden Fällen ist eine vereinfachte Bereithaltung der Lohnunterlagen vorgesehen:

– Bei der Entsendung von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich sind nur der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen (Fahrten-

78 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 8 f. 79 ) Grundsätzlich kann hier auf die FN 72 verwiesen werden, jedoch können die Lohnunterlagen auch für

mobile Arbeitnehmer bei Zweigniederlassungen bzw Tochter-/Muttergesellschaften (nicht aber bei Ansprechpersonen oder Parteienvertretern) bereitgehalten werden. 80 ) Als Gesamtentsendezeitraum gilt jener Zeitraum, in welchem Arbeitnehmer im Rahmen einer (wirtschaftlich zusammenhängenden) Dienstleistung insgesamt (unabhängig davon, wie lange einzelne Arbeitnehmer im Rahmen dieses Zeitraums) entsendet werden. 81 ) Auch bei Bereithaltung von Lohnunterlagen in elektronischer Form muss die Möglichkeit der sofortigen

Einsichtnahme für die Kontrollorgane gewährleistet sein (VwGH 8. 3. 2021, Ra 2019/11/0027). Eine Übermittlung der digitalen Dokumente muss daher in einer für die Kontrollorgane nutzbaren Form erfolgen. 82 ) Bei einer Rahmenmeldung sind die bereitzuhaltenden Lohnunterlagen für den gesamten in der Meldung genannten Zeitraum bereitzuhalten, auch wenn der gemeldete Arbeitnehmer gar nicht in Österreich ist (so ausdrücklich nun § 22 Abs 1 LSD-BG). 83 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 9. 84 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 9.

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schreiber) bereits ab der Einreise ins Inland im Fahrzeug bereitzuhalten oder bei einer Kontrolle in elektronischer Form zugänglich zu machen.

– Nach einer Neuregelung im Zuge der aktuellen Novelle 85 ) sind auch im Falle einer Entsendung, die nicht länger als 48 Stunden dauert und nicht mobile Arbeitnehmer betrifft, während des Entsendezeitraums lediglich der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen bereitzuhalten oder in elektronischer Form zugänglich zu machen.

Der Lauf der Entsendefrist beginnt mit der Aufnahme der Arbeit im Rahmen der Entsendung, in der Regel daher mit dem in der Arbeitszeit liegenden Grenzübertritt ins Inland. Einzurechnen sind in der Folge auch Zeiten ohne Arbeitsleistungen (Pausen, Nachtruhen). Darüber hinaus sind bei der Berechnung der Entsendedauer nach dem Gesetz auch von anderen Arbeitnehmern bereits zurückgelegte Entsendezeiten zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung zur Zusammenrechnung der Entsendestunden gilt aber nur für jene Entsendungen der einzelnen Arbeitnehmer, die sich auf die Erfüllung eines Vertrags gegenüber einem Auftraggeber beziehen. Entsendungen, die sich auf die Leistungserfüllung gegenüber unterschiedlichen inländischen Auftraggebern beziehen, sind gesondert zu betrachten.

Die restlichen Lohnunterlagen sind in den angeführten Fällen auf Verlangen der Behörde innerhalb von 14 Tagen nach dem Ende des Kalendermonats, in dem die Kontrolle erfolgt, dem Amt für Betrugsbekämpfung zu übermitteln. Geschieht dies nicht oder nicht vollständig, gilt dies als Nichtbereithalten der Lohnunterlagen. 86 )

• Letztlich sind auch die gewerberechtlichen Ausübungsvorschriften Österreichs zu beachten. Insbesondere ist für reglementierte Gewerbe die Dienstleistungsanzeige nach § 373a GewO zu erstatten.

Bei Entsendungen durch einen Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat gelten folgende Verpflichtungen: 87 )

• Der österreichische Auftraggeber 88 ) hat die Verpflichtung, hinsichtlich der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen eine Beschäftigungsbewilligung oder eine Entsendebewilligung beim AMS zu beantragen (für Schulungsprogramme sind lediglich eine Anzeige und das Vorliegen der daraufhin vom AMS ausgestellten Anzeigebestätigung erforderlich). Dies gilt seit 1. 1. 2021 auch für Entsendungen/Überlassungen aus Großbritannien. Grundsätzlich sieht das Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien 89 ) zwar Ausnahmen insbesondere für Geschäftsreisen ohne weitere Dienstleistungen 90 ) vor, auf „klassische“ Entsendungen im Rahmen von grenzüberschreitenden Dienstleistungen sind diese Ausnahmen in der Regel aber nicht anwendbar.

Dauert allerdings die Beschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers länger als vier Monate oder der Einsatz des betriebsentsendenden Unternehmens in Österreich länger als sechs Monate, so ist eine Beschäftigungsbewilligung erforderlich.

Für Bautätigkeiten ist hinsichtlich des Einsatzes von Drittstaatsbürgern immer eine Beschäftigungsbewilligung notwendig, und es hat eine umfangreiche (der ZKO-Meldung entsprechende) Meldung nach § 33g BUAG zu erfolgen.

85 ) § 22 Abs 1b LSD-BG. 86 ) Zu den Sanktionen siehe Pkt 6.2. 87 ) Wie unter Pkt 5.1. ausgeführt, ist hier keine Entsendemeldung (ZKO 3) zu erstatten. 88 ) Zu beachten ist, dass nicht der ausländische Arbeitgeber, sondern der österreichische Auftraggeber

den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung stellen muss. Der österreichische Auftraggeber und nicht der ausländische Arbeitgeber ist bei bewilligungsloser Beschäftigung Strafsubjekt gemäß § 28 Abs 1 Z 1 lit b AuslBG. 89 ) ABl L 444 vom 31. 12. 2020, S 14. 90 ) Auf eine abschließende Darstellung aller Ausnahmetatbestände des Kooperationsabkommens wurde

an dieser Stelle verzichtet.

340 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

• Arbeitskräfte aus Drittstaaten, die für einen längeren Zeitraum als sechs Monate entsendet werden, benötigen zusätzlich eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung. Überschreitet die Entsendung die sechsmonatige Grenze nicht, so benötigt die Arbeitskraft aus dem Drittstaat ein Visum, das bei der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland beantragt werden kann.

• Auch hier müssen am Arbeitsort umfangreiche Lohnunterlagen bereitgehalten werden (siehe oben).

• Die Ausübung des Gewerbes in Österreich bedarf grundsätzlich einer vorherigen Genehmigung bzw der Gewerbeanmeldung (diese kann für eine inländische Zweigniederlassung oder eine österreichische Tochtergesellschaft erfolgen). Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein reglementiertes oder ein freies Gewerbe handelt.

5.4.2. Überlassung

Neben den allgemeinen Informations-, Melde-, Aufzeichnungspflichten 91 ) nach dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz sind im Falle einer Inbound-Überlassung (= Überlassung nach Österreich) folgende formale Verpflichtungen einzuhalten:

• Bei einer Überlassung durch einen Arbeitgeber mit Sitz im EWR bzw der Schweiz ist Folgendes zu beachten:

– Der Überlasser hat die „Überlassungsmeldung – ZKO 4“ vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme in Österreich elektronisch an die Zentrale Koordinationsstelle zu erstatten.

Hier ist neben zeitlichen und inhaltlichen Aspekten der Überlassung primär die Höhe des nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts anzugeben.

Die Ausführungen zur Rahmen- sowie zur Sammelmeldung in Pkt 5.4.1. sind auch für Überlassungen anwendbar.

Auch hier müssen, falls Drittstaatsbürger eingesetzt werden, im Rahmen der Überlassungsmeldung Nachweise zu ordnungsgemäßer Beschäftigung und Aufenthalt im Sitzstaat des Arbeitgebers erbracht werden. Diese werden gemeinsam mit der ZKO-Meldung an das AMS übermittelt, das für die Beschäftigung eine EU-Überlassungsbestätigung ausstellt.

Die Zentrale Koordinationsstelle hat die Überlassungsmeldung an die zuständige Gewerbebehörde, die ÖGK bzw die BUAK und an das Sozialministerium zu übermitteln. Die Meldung ist vom Beschäftiger am Arbeits(einsatz)ort in geeigneter Form zur Überprüfung bereitzuhalten oder zugänglich zu machen.

– Der Beschäftiger hat für jede überlassene Arbeitskraft, die nicht der österreichischen Pflichtversicherung unterliegt, die Bescheinigung A1 bereitzuhalten, wobei auch bei der grenzüberschreitenden Überlassung die Ausführungen in Pkt 5.4.1. zu den Sozialversicherungsdokumenten (Bereithaltung in deutscher oder englischer Sprache, Ersatz des A1-Formulars durch Antrag und weitere Nachweise über das Bestehen der ausländischen Sozialversicherung) gelten.

– Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der oben angeführten Lohnunterlagen den inländischen Beschäftiger. Diese Unterlagen sind vom Überlasser nachweislich bereitzustellen.

• Bei einer Überlassung durch einen Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat ergeben sich folgende Verpflichtungen: 92 )

91 ) Den Überlasser und den Beschäftiger treffen die Mitteilungs-, Informations- und Aufzeichnungspflichten der §§ 12 bis 13 AÜG. 92 ) Wie unter Pkt 5.1. ausgeführt, ist hier keine Überlassungsmeldung (ZKO 4) zu erstatten. Die Verpflichtung

zur Bereithaltung der Lohnunterlagen gilt aber schon. Die übrigen genannten Verpflichtungen ergeben sich aus dem AuslBG sowie dem AÜG.

ASoK 2021 341

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

– Hier ist eine Überlassung nur nach Erteilung einer Bewilligung gemäß § 16 Abs 4 AÜG zulässig. Diese Bewilligung kann die zuständige Gewerbebehörde über Antrag des Beschäftigers erteilen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (zB bestimmte Arbeitskräfte sind nur im Wege der grenzüberschreitenden Überlassung verfügbar). Die Bewilligung kann nur für eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern und nur für einen bestimmten Zeitraum erteilt werden.

– Hinsichtlich des Einsatzes von Arbeitnehmern aus Drittstaaten hat der Beschäftiger überdies eine Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG zu erlangen.

– Wie im Falle von Entsendungen durch einen Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat benötigen drittstaatsangehörige Arbeitnehmer auch bei der Überlassung aus dem Drittstaat einen Aufenthaltstitel (Beschäftigung länger als sechs Monate) oder ein Visum (Beschäftigung weniger als sechs Monate).

– Auch hier hat der Beschäftiger alle erforderlichen Lohnunterlagen (siehe oben), die ihm vom Überlasser zur Verfügung zu stellen sind, bereitzuhalten.

5.5. Materiellrechtliche Verpflichtungen bei Entsendungen und Überlassungen 5.5.1. Anwendbarkeit des „harten Kerns“ der Arbeitsbedingungen

Das LSD-BG legt fest, dass zur Arbeitsleistung nach Österreich entsandte (an sich nicht dem inländischen Arbeitsrecht unterliegende) Arbeitnehmer entsprechend den Vorgaben der Entsende-RL bereits mit Beginn der Tätigkeit einen Anspruch auf den sogenannten „harten Kern“ der Arbeitsbedingungen haben. Dazu zählen:

• das (Mindest-)Entgelt, das für die Zeit des Einsatzes in Österreich nach Gesetz, Verordnung oder KV am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt;

• bezahlter Urlaub nach § 2 UrlG, falls der Anspruch nach dem an sich anzuwendenden Recht geringer ist; und

• die Einhaltung der Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten einschließlich der kollektivvertraglichen Arbeitszeit- und -ruheregelungen, die am Arbeitsort für vergleichbare Arbeitnehmer und vergleichbare Arbeitgeber gelten.

Hinsichtlich des (Mindest-)Entgelts ist auf die in Österreich verbrachte Arbeitszeit und nicht etwa auf ganze Monate abzustellen, wenn nur Teile davon in Österreich zur Arbeitsleistung verbracht wurden. 93 ) Die angeführte Regelung führt dazu, dass grundsätzlich der für vergleichbare Arbeitnehmer von vergleichbaren Arbeitgebern in Österreich anwendbare Kollektivvertrag „fiktiv“ anzuwenden ist. In Bezug auf die Sonderzahlungen gilt eine besondere Fälligkeitsbestimmung, wonach diese (unabhängig vom letztlich anzuwendenden KV) in jedem Monat anteilig ausgezahlt werden müssen.

Entsendungszulagen gelten in diesem Zusammenhang nicht als Bestandteil der Entlohnung, wenn sie der Erstattung von infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten (wie zB Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten) dienen. Im Zweifelsfall, also wenn nicht festgelegt ist, ob bzw inwieweit die Zulage der Erstattung tatsächlich entstandener Mehrkosten dient, ist – nach der letzten Adaption der Entsende-RL im Sinne einer Vermutung zugunsten der Arbeitnehmer 94 ) – die gesamte Zulage als Aufwandersatz (und nicht als auf die Mindestentlohnung anrechenbarer Teil der Entlohnung) anzusehen. 95 ) Dies steht in einem gewissen Spannungsfeld zur VwGH-Judikatur, die Aufwandersätze, denen keine konkreten vom Arbeitnehmer getragenen Kosten ge-

93 ) VwGH 30. 6. 2016, Ra 2014/11/0074. 94 ) ErwGr 20 zur Adaption der Entsende-RL. Vgl zB auch Niksova , Entsende-RL neu, ZAS 2019, 152

(156). 95 ) Art 3 Abs 7 UAbs 2 Entsende-RL. Vgl dazu auch VwGH 15. 2. 2021, Ra 2020/11/0179.

342 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

genüberstehen, als Entgelt qualifiziert. Schon bisher benötigte es jedoch für die Frage, ob ein Entgeltbestandteil auf das Mindestentgelt anrechenbar ist, „einwandfreie Feststellungen über den Zweck und allfällige sonstige Besonderheiten der Zulage“. 96 )

Durch die aktuelle Novelle des LSD-BG wird – entsprechend der Änderung der Entsende-RL – der harte Kern der Arbeitsbedingungen um Aufwandersätze für Dienstreisen erweitert: 97 ) Entsandte Arbeitnehmer haben nunmehr für die Dauer der Entsendung auch einen Anspruch auf jene gesetzlichen, durch Verordnung festgelegten oder kollektivvertraglichen Aufwandersätze für Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten, die am Arbeitsort für vergleichbare Arbeitnehmer von vergleichbaren Arbeitgebern gebühren.

Diese Regelung bezieht sich auf Reisebewegungen innerhalb Österreichs von einem regelmäßigen Arbeitsplatz im Inland zu einem anderen Arbeitsplatz im Inland. Die Reisebewegung vom Entsendestaat (vom Ausland) ins Inland hingegen bleibt von dieser Bestimmung unberührt.

5.5.2. Teilausnahme Montageprivileg

Für bestimmte kurzfristige Entsendungen nach Österreich sind die oben angeführten materiellrechtlichen inländischen Standards nicht zur Gänze maßgeblich: Nach dem sogenannten „Montageprivileg“ gelten die arbeitsrechtlichen Ansprüche für ins Inland entsandte Arbeitnehmer, die

• iZm der Lieferung von Betriebsanlagen,

• welche im Ausland durch den Arbeitgeber oder ein mit diesem verbundenes Konzernunternehmen gefertigt wurden,

• mit Montagearbeiten, der Inbetriebnahme, und damit verbundenen Schulungen oder mit Reparatur- und Servicearbeiten,

• die nicht von inländischen Arbeitnehmern erbracht werden können, beschäftigt sind, nur eingeschränkt:

• Dauern die Arbeiten jeweils nicht länger als drei Monate, gelten die Ansprüche auf das gesetzliche, per Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Mindestentgelt nicht.

• Dauern die Arbeiten nicht länger als acht Tage, gelten auch die Regelungen über den zwingenden Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht.

Zu beachten ist jedoch: Für Arbeitnehmer, die mit Bauarbeiten beschäftigt sind, gelten die Vorschriften über arbeitsrechtliche Ansprüche auf Mindestentgelt und Urlaub jedenfalls ab dem ersten Tag der Beschäftigung – auch die angeführten formalen Verpflichtungen sind wahrzunehmen.

5.5.3. Weitergehender Schutz grenzüberschreitend überlassener Arbeitskräfte

Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) gilt auch für grenzüberschreitend überlassene Arbeitskräfte. 98 ) Für ins Inland überlassene Arbeitskräfte gilt in Bezug auf die einzuhaltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wie für reine Inlandsüberlassungsfälle daher § 10 AÜG, eine Kernbestimmung des AÜG, die in vielen Aspekten eine Gleichbehandlung der überlassenen Arbeitskräfte mit den Arbeitnehmern des (inländischen) Beschäftigerbetriebs anordnet. 99 )

Zum einen muss (vereinfachend gesagt und spezielle Regelungen ausklammernd) für die Dauer der Überlassung zumindest eine Entlohnung nach dem Niveau des auf den

96 ) VwGH 9. 11. 2016, Ro 2015/11/0015. 97 ) § 3 Abs 7 LSD-BG; siehe dazu auch die Ausführungen unter Pkt 3.2.2. 98 ) So ausdrücklich § 6 Abs 3 LSD-BG; ergibt sich letztlich auch aus § 1 Abs 5 AÜG. 99 ) § 6 Abs 3 LSD-BG sieht hier eine entsprechende Anordnung vor.

ASoK 2021 343

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Beschäftigerbetrieb anwendbaren KV eingehalten werden. Auch hinsichtlich der Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs sind den überlassenen Arbeitskräften jene Ansprüche, die im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmer nach einem solchen KV zustehen, einzuräumen.

Darüber hinaus gelten für die überlassenen Arbeitskräfte auch die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer gültigen sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art. Dies betrifft zB (freie) Betriebsvereinbarungen, betriebliche Übungen oder Richtlinien des Beschäftigerunternehmens. Uneingeschränkt gilt die Beachtlichkeit dieser Bestimmungen aber nur betreffend Arbeitszeit und Urlaub. Hinsichtlich des Entgelts sind derartige Regelungen nicht maßgeblich, wenn der Überlasser einem KV unterworfen und auch das Entgelt für den Beschäftigerbetrieb durch Gesetz, Verordnung oder KV geregelt ist. Diesbezüglich ist zu beachten, dass das LSD-BG hinsichtlich der Überlassung von Arbeitskräften vom Ausland nach Österreich die Anwendung der für gewerbliche Arbeitskräfteüberlasser geltenden KV vorschreibt. 100 ) Für Angestellte ist das der KV für Angestellte im Handwerk und Gewerbe und in der Dienstleistung. Für Arbeiter gilt der KV für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung. Wenn im Beschäftigerbetrieb ein KV anwendbar ist, ist daher für Zwecke des Entgeltanspruchs der überlassenen Arbeitskraft „nur“ ein Günstigkeitsvergleich auf KV-Ebene – also ein Vergleich zwischen den Entgeltregelungen des Überlasser-KV und des Branchen-KV des Beschäftigers – anzustellen. Nur wenn für den Beschäftigerbetrieb kein Kollektivvertrag gilt, sind diesbezüglich auch die im Beschäftigerbetrieb geltenden sonstigen verbindlichen Rechtsvorschriften allgemeiner Art zu beachten. 101 )

Bei grenzüberschreitenden Überlassungen nach Österreich räumt das LSD-BG der überlassenen Arbeitskraft auch einen Anspruch auf die inländische Entgeltfortzahlung, 102 ) Beachtung der für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden Kündigungsfristen und Kündigungstermine sowie Normen über den besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz 103 ) und Kündigungsentschädigung ein, soweit diese günstiger sind als die Ansprüche nach den Rechtsvorschriften des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts. 104 )

5.5.4. Erweiterte Anwendbarkeit der österreichischen Arbeitsbedingungen für Langzeitentsendungen

Mit der LSD-BG-Novelle 2021 werden nun im Einklang mit der geänderten Entsende-RL (Richtlinie [EU] 2018/957) erweiterte Regelungen für „Langzeitentsendungen“ 105 ) geschaffen: 106 ) Überschreitet die Dauer der Entsendung bzw Überlassung zwölf Monate, sind ab dem Zeitpunkt dieser Überschreitung die österreichischen gesetzlichen, durch

100 ) Dies gilt nach den überwiegenden Lehrmeinungen auch dann, wenn die überlassenden Unternehmen

selbst keine Arbeitskräfteüberlasser sind (also ihr Betriebszweck nicht in der Arbeitskräfteüberlassung liegt); vgl mwN Schindler in Neumayr/Reissner , Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht 3 (2018) § 6 LSD-BG Rz 10. 101 ) Weitere Ansprüche betreffen den Zugang zu Wohlfahrtseinrichtungen sowie die Aufnahme in bestimmte

Betriebspensionszusagen. Letztere greifen nur für Langzeitüberlassungen (länger als vier Jahre) und sind daher für grenzüberschreitende Überlassungen nur von untergeordneter Bedeutung. 102 ) Krankheit, Unfall, Feiertage, persönliche Dienstverhinderung. Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit fällt

allerdings in den Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 und ist als Geldleistung bei Krankheit nach den Rechtsvorschriften des für Sozialversicherungszwecke zuständigen Staates zu leisten. 103 ) § 6 Abs 1 Z 2 LSD-BG; insbesondere ist hier der besondere Kündigungsschutz nach MSchG, VKG,

BEinstG, APSG zu beachten; nicht erfasst ist hingegen der betriebsverfassungsrechtliche allgemeine Kündigungs- und Entlassungsschutz nach § 105 ArbVG. 104 ) Dies wird in der Regel das Recht des Herkunftsstaates sein. 105 ) Die Regelungen gelten auch für Langzeitüberlassungen, werden aber durch die teils noch umfassenderen

Schutzbestimmungen des AÜG bzw LSD-BG überlagert. 106 ) § 2 Abs 3 LSD-BG. § 2 Abs 4 LSD-BG nimmt nach Österreich entsendete Bauarbeiter aus, weil diesbezüglich § 33j BUAG eine dem LSD-BG entsprechende Regelung für Langzeitentsendungen vorsieht. Für Inbound-Überlassungen sind weiterhin – unabhängig von der Dauer der Überlassung – die Sonderregelungen des § 6 LSD-BG zu beachten (siehe dazu Pkt 5.5.3.).

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Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Verordnung oder durch KV festgelegten Arbeitsbedingungen fast zur Gänze anzuwenden, soweit sie günstiger sind als die Normen des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts (in der Regel des Entsendestaates). 107 )

Diese Anpassung des LSD-BG hat im Vergleich zur davor geltenden Rechtslage in folgender Hinsicht nur eingeschränkte Bedeutung:

• Wie oben ausgeführt war in Österreich schon bislang das Gros der Arbeitsbedingungen auch für entsendete bzw (in noch höherem Ausmaß) überlassene Arbeitnehmer anwendbar. Eine Auswirkung der Neuregelung kann sich zB bei den Dienstverhinderungsregelungen nach § 8 Abs 3 AngG und § 1154b ABGB oder Dienstfreistellungen nach kollektivvertraglichen Regelungen ergeben (Sonderurlaub), die durch die Novelle nach zwölf Monaten nun ebenfalls anzuwenden sind. 108 )

• Die folgenden maßgeblichen Regelungsgegenstände sind von der Anwendung der angeführten Neuregelung ausgenommen:

– Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags einschließlich von Wettbewerbsverboten; sowie

– BMSVG (Abfertigung neu) 109 ) und Betriebspensionsgesetz (BPG).

Daher können sich entsendete Arbeitskräfte auch im Falle von Langzeitentsendungen zB nicht auf einen Kündigungsschutz oder die gesetzlichen Beschränkungen von Konkurrenzklauseln stützen. 110 )

Unverändert bleibt das Günstigkeitsprinzip: Die österreichischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind nur dann auf entsandte bzw überlassene Arbeitnehmer anzuwenden, wenn sie günstiger sind als die Normen des Herkunftsstaates (bzw das Recht, das auf das Arbeitsverhältnis des entsendeten bzw überlassenen Arbeitnehmers generell anzuwenden wäre). Die Entsende-RL hält dazu fest, 111 ) dass im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nicht die einzelnen Bestandteile der Entlohnung, sondern die Bruttobeträge der Entlohnung insgesamt verglichen werden sollen. Auch bezüglich der übrigen Beschäftigungsbedingungen ist uE – wie schon bisher in der Literatur vertreten – ein Sachgruppenvergleich anzustellen.

Wie auch schon bisher gibt das LSD-BG nicht vor, welches Recht auf den Arbeitsvertrag im Allgemeinen anzuwenden ist. Dies richtet sich nach dem für Arbeitsverträge geltenden Kollisionsrecht (und sohin nach der Rom-I-VO 112 )). Die Bestimmungen des LSD-BG legen lediglich fest, welche Standards (der österreichischen arbeitsrechtlichen Regelungen) jedenfalls eingehalten werden müssen. Ist das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht ohnehin günstiger, können die österreichischen Regelungen unangewendet bleiben. Umgekehrt ist aber nicht zu vergessen, dass diese Regelungen nur für Entsendungen bzw Überlassungen (also vorübergehende grenzüberschreitende Tätigkeiten) gelten. Verändert ein Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Arbeitsort dauerhaft (zieht nach Österreich, um von dort zB im Homeoffice die Arbeitsleistung zu erbringen), schlägt das österreichische Recht als Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes bereits am ersten Tag durch.

107 )§2 Abs3 LSD-BG. 108 ) Vgl ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 6. 109 ) § 3 Abs 3 LSD-BG. Die diesbezügliche Beitragspflicht richtet sich nach dem objektiv anzuwendenden

Arbeitsrecht (vgl Frage 156.1 des Fragen-Antworten-Protokolls zum BMSVG). 110 ) Überlassene Arbeitskräfte haben allerdings – wie unter Pkt 5.5.3. ausgeführt – generell gemäß § 6 Abs 1

LSD-BG einen Anspruch auf Beachtung der für vergleichbare Arbeitnehmer gültigen Kündigungsfristen und -termine sowie der Normen über den besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz und Kündigungsentschädigungen. 111 ) ErwGr 18 Entsende-RL (ABl L 173 vom 9. 7. 2018, S 16 [S 18]). 112 ) Dieses wird im Regelfall das Recht des Entsendestaates sein. Gemäß Art 8 Abs 1 Rom-I-VO gilt in erster

Linie das zwischen den Parteien vereinbarte Recht. Das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes schlägt jedoch, soweit es zwingend ist, immer dann durch, wenn es für den Arbeitnehmer günstiger als das gewählte Recht ist.

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Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Die neuen Regelungen sehen auch einen Umgehungsschutz vor: Wird ein entsendeter bzw überlassener Arbeitnehmer durch einen anderen ersetzt, der dieselbe Arbeitsleistung im Rahmen desselben Entsende- oder Überlassungsauftrags erbringt, werden die Zeiten der Arbeitseinsätze zusammengerechnet – die erweiterte Anwendbarkeit der Arbeitsbedingungen kann daher nicht durch „Austausch“ von Arbeitnehmern umgangen werden. 113 )

Der zwölfmonatige Zeitraum kann durch Vorlage einer begründeten Mitteilung auf 18 Monate verlängert werden. Auf die demonstrative Auflistung möglicher Gründe wurde im Gesetzestext verzichtet. In Frage kommen nach den Erläuterungen in der Regierungsvorlage etwa Gründe, die auf den vertraglichen Grundlagen (Dienstleistungsoder Dienstverschaffungsvertrag) basieren, oder faktische und rechtliche Gründe (verspätete Materiallieferungen, behördliche Maßnahmen, Verzögerungen durch die Zusammenarbeit mit anderen Firmen etc). 114 )

Ist von vornherein bekannt, dass die Entsendung bzw Überlassung länger als zwölf Monate dauern wird, kann der Arbeitgeber bereits mit begründeter Mitteilung in der ZKO- Meldung die Erstreckung des Zeitraums der Anwendbarkeit „nur“ des „harten Kerns“ der Arbeitsbedingungen auf bis zu 18 Monate erwirken. 115 )

Ist nicht von vornherein bekannt, dass die Entsendung bzw Überlassung zwölf Monate übersteigen wird und möchte der Arbeitgeber von der Möglichkeit der 18-Monate-Ausweitung Gebrauch machen, ist eine Änderungsmeldung iSd § 19 LSD-BG zu erstatten.

Die Nichterstattung der Mitteilung ist zwar nicht verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert, 116 ) uE sind diesfalls jedoch alle Arbeitsbedingungen iSd § 3 Abs 3 LSD-BG bereits nach zwölf Monaten anwendbar, da es an der begründeten Mitteilung mangelt.

6. Strafen 6.1. Grundsätzliches

Bei einem Verstoß gegen das Verbot der Unterentlohnung bzw gegen die in diesem Zusammenhang vorgeschriebenen Melde-, Dokumentations- und Bereithaltungspflichten können gegenüber den zur Vertretung nach außen berufenen Organen (Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder) bzw den verantwortlichen Beauftragten 117 ) primär Geldstrafen verhängt werden. Die vertretene Gesellschaft trifft diesbezüglich eine Haftung zur ungeteilten Hand.

Darüber hinaus haben die Behörden zusätzliche Sanktionsmöglichkeiten, die von der Untersagung der Dienstleistung, der Erlangung von Sicherheitsleistungen, der Aufnahme in eine Evidenzliste bis zum Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren reichen und die betroffenen Unternehmen unter Umständen stärker treffen als die Geldstrafen selbst.

Im gegebenen Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Behörden den Arbeitnehmer über eine sein Arbeitsverhältnis betreffende Anzeige wegen des Verdachts der Unterentlohnung zu informieren haben.

113 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 6. 114 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 6. 115 ) Vgl ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 6, wobei die Erläuterungen auf eine von vornherein bekannte Dauer von

über 18 Monaten abstellen – dies muss jedoch auch bei kürzerer Dauer gelten, sofern die Entsendung/ Überlassung zwölf Monate übersteigt. 116 ) ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 6. 117 ) Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche können unter strengen Auflagen (§ 9 Abs 2

bis Abs 4 VStG iVm § 24 LSD-BG) sogenannte „verantwortliche Beauftragte“ bestellt werden. Diesbezüglich enthält die Novelle 2021 eine präzisierende Klarstellung: Die für die wirksame Bestellung des verantwortlich Beauftragten vorgesehene Obliegenheit zur Mitteilung der Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten samt Nachweis der Zustimmung an die ZKO und den Krankenversicherungsträger bezieht sich nicht auf Personen, die zu den Vertretungsorgane iSd § 9 Abs 1 VStG zählen. Deren Bestellung ist der ZKO oder dem Krankenversicherungsträger nicht extra anzuzeigen (VwGH 3. 2. 2020, Ra 2018/11/0237).

346 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Die Rechtsprechung des EuGH 118 ) und die darauffolgende österreichische höchstgerichtliche Judikatur des VwGH 119 ) und VfGH 120 ) haben die bisher geltenden Verwaltungsstrafbestimmungen betreffend Lohn- und Sozialdumping als unverhältnismäßig und damit unionsrechtswidrig erkannt. Die nunmehr im Rahmen der aktuellen Novelle des LSD-BG verankerten Neuregelungen sollen diesen Zustand beenden und die Verhältnismäßigkeit der Bestrafung vor allem durch den Entfall der Kumulation („Bestrafung pro Arbeitnehmer“), aber auch durch die Schaffung von Strafrahmen ohne Mindeststrafen herstellen. Diese Adaptierungen erfolgen sowohl hinsichtlich der Bestrafung für die Verletzung formaler Verpflichtungen als auch für Unterentlohnungen.

Im Zuge der aktuellen LSD-BG-Novelle wird außerdem klargestellt, dass kein sanktionsbedrohter Meldeverstoß vorliegt, wenn bei der Meldung einer Inbound-Entsendung bzw -Überlassung irrtümlich anstelle eines ZKO-3-Formulars ein ZKO-4-Formular oder umgekehrt verwendet wird. Dies setzt aber voraus, dass das irrtümlich verwendete Formular vollständig ausgefüllt ist. 121 )

Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Arten von Sanktionen dargestellt und die Möglichkeiten, die Sanktionen zu vermeiden bzw zu vermindern, aufgezeigt werden.

6.2. Sanktionen 6.2.1. Geldstrafen

Die folgende Darstellung gilt für Entsendungen bzw Überlassungen ab Inkrafttreten der aktuellen Novelle des LSD-BG sowie alle zu diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren einschließlich Verfahren vor dem VwGH und dem VfGH, wobei für die im Einzelfall vorzunehmende Strafbemessung grundsätzlich § 19 VStG gilt.

Grundlage für die Strafbemessung ist demnach die Intensität der Beeinträchtigung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes durch die Tat. Erschwerungs- und Milderungsgründe sind gegeneinander abzuwägen. Ausdrücklich wird im Zuge der aktuellen Novelle festgelegt, dass es als Milderungsgrund zu werten ist, wenn auf der einzurichtenden Website Informationen, welche innerstaatlichen gesetzlichen Normen auf Entsendungen/ Überlassungen anzuwenden sind, fehlen. 122 ) Besondere Bedeutung für die Strafbemessung hat das Ausmaß des Verschuldens. Auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Die Verwaltungsstrafen für Unterentlohnungen, die Arbeitgebern drohen, 123 ) die einem oder mehreren Arbeitnehmern nicht das diesen nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührende Entgelt leisten, werden nunmehr primär nach der Summe des vorenthaltenen Entgelts (und ausdrücklich unabhängig von der Anzahl der unterentlohnten Arbeitnehmer) grundsätzlich wie folgt gestaffelt:

Summe des vorenthaltenen Entgelts bis zu 50.000 Euro höher als 50.000 Euro bis zu 100.000 Euro höher als 100.000 Euro

Tabelle 1: Staffelung der Verwaltungsstrafen

Geldstrafe bis zu 50.000 Euro bis zu 100.000 Euro bis zu 250.000 Euro

118 ) EuGH 12. 9. 2019, Maksimovic , C-64/18; 14. 11. 2018, Cepelnik , C-33/17. 119 ) ZB VwGH 15. 10. 2019, Ra 2019/11/0033. 120 ) ZB VfGH 27. 11. 2019, E 2047/2019 ua; 26. 6. 2020, E 4329/2019. 121 ) § 26 Abs 1a LSD-BG. ErlRV 943 BlgNR 27. GP, 8 und 10. 122 )§25a LSD-BG. 123 ) Die Verwaltungsstrafen für Unterentlohnung nach dem LSD-BG betreffen ausschließlich die Arbeitgeber,

eine Bestrafung der Auftraggeber kommt auch im Falle einer Arbeitskräfteüberlassung für den Beschäftiger nicht in Betracht.

ASoK 2021 347

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Für folgende Fälle gelten Sonderregelungen:

• Bei Kleinunternehmen (Arbeitgeber mit maximal neun Arbeitnehmern) wird in einem Erstfall (nicht Wiederholungsfall) der Strafrahmen auf 20.000 Euro herabgesetzt, wenn auch die Summe des vorenthaltenen Entgelts geringer als 20.000 Euro ist.

• Wenn die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 100.000 Euro ist und das Entgelt im Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung vorsätzlich (!) im Schnitt um mehr als 40 % vorenthalten wird, sind Geldstrafen bis zu 400.000 Euro möglich.

• Wenn der Arbeitgeber bei der Aufklärung unverzüglich und vollständig zur Wahrheitsfindung mitwirkt, ist anstelle des Strafrahmens bis 100.000 Euro oder bis 250.000 Euro der jeweils niedrigere Strafrahmen anzuwenden. Das Kriterium der Unverzüglichkeit ist im gegebenen Zusammenhang nach den Materialien nur dann gegeben, wenn der Arbeitgeber unmittelbar nach Einleitung des Strafverfahrens (ab wirksamer Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung) und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt mitwirkt. Generell kann sich die Mitwirkung aber im Rahmen der Strafbemessung mildernd auswirken. 124 )

Diese Regelung findet nur Anwendung, wenn der Strafrahmen nach der Schadenssumme den angeführten Beträgen entspricht. Sie ist daher nicht auf Fälle des maximalen Strafrahmens von 400.000 Euro bzw der minimalen Strafen von 50.000 Euro bzw 20.000 Euro anwendbar.

Umfasst eine Unterentlohnung durchgehend die Dauer mehrerer Lohnzahlungszeiträume, so liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor (Dauerdelikt). Hingegen wird der Straftatbestand mehrmals verwirklicht, wenn zwischen den Lohnzahlungszeiträumen die Unterentlohnung wieder beendet wurde (es sei denn, es liegt im Einzelfall dennoch ein fortgesetztes Delikt vor).

Hinsichtlich Sonderzahlungen für dem ASVG unterliegende Arbeitnehmer liegt eine Verwaltungsübertretung nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. 12. des jeweiligen Kalenderjahres leistet.

Verstöße gegen die formalen Verpflichtungen sowie für Vereitelungshandlungen iZm der Lohnkontrolle gelten als einzige Verwaltungsübertretung, für die sich – wiederum ausdrücklich ungeachtet der Anzahl der von der Unterentlohnung betroffenen Arbeitnehmer – folgende Strafrahmen ergeben:

Delikt Inhalt Geldstrafe

Entsendemeldung (ZKO 3) bzw Überlassungsmeldung (ZKO 4) nicht wie gefordert (§ 26 Abs 1 Z 1 und Z2 iVm Abs1a LSD-BG)

Nichtbereithalten oder Nichtzugänglichmachung der erforderlichen Unterlagen durch den Arbeitgeber (§ 26 Abs 1 Z 3 LSD- BG)

Der Arbeitgeber bzw Überlasser erstattet die Entsendemeldung (ZKO 3) bzw Überlassungsmeldung (ZKO 4) oder Änderungsmeldungen

• nicht,

• nicht rechtzeitig,

• nicht vollständig oder

• vorsätzlich unrichtig.

Die irrtümliche Verwendung des falschen ZKO-Formulars (wenn vollständig ausgefüllt) stellt keinen Meldeverstoß dar.

Der Arbeitgeber hält die Entsendemeldung oder die Bescheinigung A1 nicht zur Überprüfung bereit oder diese sind vor Ort nicht unmittelbar zugänglich.

bis zu 20.000 Euro

bis zu 20.000 Euro

124 ) ErlRV 934 BlgNR 27. GP, 11.

348 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Delikt Inhalt Geldstrafe

Nichtbereithalten oder Nichtzugänglichmachung der erforderlichen Unterlagen durch den Beschäftiger (§ 26 Abs 2 LSD-BG)

Nichtbereithalten bzw Nichtübermittlung von Lohnunterlagen (§ 28 LSD-BG)

Nichtübermittlung von Lohnunterlagen bzw Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung (§ 27 Abs 1 LSD-BG)

Verweigerung des Zutritts zu Betriebsstätten bzw -einrichtungen, Verweigerung von Auskünften oder sonstige Erschwerung bzw Behinderung von Kontrollen (§ 27 Abs 2 LSD-BG)

Verweigerung der Einsichtnahme in die bereitzuhaltenden Unterlagen (§ 27 Abs 3 LSD-BG)

Unterlassene Änderungsmeldung zum verantwortlichen Beauftragten (§ 30 LSD-BG)

Ausübung der Tätigkeit trotz Untersagung der Dienstleistung (§ 31 Abs 4 LSD-BG)

Unzulässige bewilligungspflichtige Überlassung aus Drittstaaten (§ 22 Abs 1 AÜG)

Nichteinhaltung der Mitteilungspflichten (§ 22 Abs 1 Z 3 AÜG)

Nichteinhaltung der Aufzeichnungsund Meldepflicht gemäß § 13 AÜG (§ 22 Abs 1 Z 3 AÜG)

Tabelle 2: Strafrahmen im Überblick

Der Beschäftiger hält die Überlassungsmeldung, die Bescheinigung A1 oder die behördliche Genehmigung zur Arbeitskräfteüberlassung im Sitzstaat des Überlassers nicht bereit oder macht diese nicht zugänglich.

Lohnunterlagen werden vom Arbeitgeber bzw vom Beschäftiger nicht bzw nicht in einer der geforderten Sprachen bereitgehalten bzw übermittelt.

Der Arbeitgeber bzw Beschäftiger kommt der Verpflichtung zur Übermittlung der Melde- und Lohnunterlagen gegenüber der Abgabenbehörde, dem KV-Träger bzw der BUAK nicht nach.

Der Arbeitgeber bzw Beschäftiger setzt die angeführten Vereitelungshandlungen iZm der Lohnkontrolle.

Der Arbeitgeber bzw Beschäftiger setzt die angeführten Vereitelungshandlungen iZm der Lohnkontrolle.

Der Arbeitgeber, Überlasser bzw Beschäftiger meldet den Widerruf der Bestellung oder das Ausscheiden eines verantwortlichen Beauftragten nicht.

Trotz Untersagung der Dienstleistung wird eine Tätigkeit erbracht.

Der Überlasser oder Beschäftiger ist an einer nach § 16 AÜG unzulässigen grenzüberschreitenden Überlassung beteiligt.

Der Arbeitgeber bzw der Beschäftiger informiert die überlassene Arbeitskraft nicht über wesentliche Umstände der Beschäftigung (§ 12 Abs 1 AÜG und § 12a AÜG), und dadurch besteht die Gefahr eines Schadens für die Arbeitskraft.

Der Überlasser bzw bei Inbound- Überlassungen aus dem EWR der Beschäftiger führt nicht die gemäß § 13 AÜG erforderlichen Aufzeichnungen bzw übermittelt nicht die demnach notwendigen statistischen Daten an das BMASK.

bis zu 20.000 Euro

bis zu 20.000 Euro;

im Wiederholungsfall bis zu 40.000 Euro

bis zu 40.000 Euro

bis zu 40.000 Euro

bis zu 40.000 Euro

41 Euro bis 4.140 Euro;

im Wiederholungsfall 83 Euro bis 4.140 Euro (unverändert)

2.000 Euro bis 20.000 Euro (unverändert)

1.000 Euro bis 5.000 Euro;

im Wiederholungsfall 2.000 Euro bis 10.000 Euro (unverändert)

bis zu 1.000 Euro;

im Wiederholungsfall 500 Euro bis 2.000 Euro (unverändert)

bis zu 1.000 Euro;

im Wiederholungsfall 500 Euro bis 2.000 Euro (unverändert)

ASoK 2021 349

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

In Tabelle 2 sind auch die bei Arbeitskräfteüberlassung in § 22 AÜG geregelten (in der LSD-BG-Novelle 2021 unverändert gebliebenen) Geldstrafen dargelegt.

6.2.2. Sonstige Sanktionsmaßnahmen 6.2.2.1. Untersagung der Dienstleistung

Ausländischen Arbeitgebern, die wiederholt rechtskräftig bestraft worden sind, hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Ausübung der den Gegenstand der Dienstleistung bildenden Tätigkeit für die Dauer von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren zu untersagen. Einer Untersagung der Dienstleistung kann bei Nachweis, dass bestimmte organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Verstöße vorgenommen wurden, entgegengetreten werden.

6.2.2.2. Vorläufige Sicherheit bzw Zahlungsstopp Liegt der begründete Verdacht auf

• Verstöße gegen die Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendungen bzw Überlassungen;

• Vereitelungshandlungen iZm der Lohnkontrolle;

• Nichtbereithalten von Lohnunterlagen;

• Unterentlohnung; oder

• Erbringung einer untersagten Dienstleistung

vor und ist anzunehmen, dass die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus Gründen, die in der Person des Arbeitgebers (Auftragnehmers bzw Überlassers) liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird, können die Organe der Abgabenbehörden bis zum Höchstmaß der angedrohten Geldstrafe

• eine vorläufige Sicherheit festsetzen und einheben oder (falls dies nicht möglich ist)

• dem Auftraggeber oder Beschäftiger schriftlich auftragen, den noch zu leistenden Werklohn oder das noch zu leistende Überlassungsentgelt oder Teile davon nicht zu zahlen (Zahlungsstopp).

Wenn das Amt für Betrugsbekämpfung (bzw die BUAK) einen Zahlungsstopp verordnet, hat es in der Folge bei der Bezirksverwaltungsbehörde zu beantragen, dass diese den Auftraggeber bzw Beschäftiger beauftragt, den zu leistenden Werklohn bzw das Überlassungsentgelt bzw einen Teil davon im Zeitpunkt der zivilrechtlichen Fälligkeit als Sicherheit an die Bezirksverwaltungsbehörde zu zahlen. Die Bezirksverwaltungsbehörde muss in der Folge vom Auftragnehmer bzw Überlasser eine Stellungnahme einholen und nach Einlangen dieser Stellungnahme (bzw nach Ablauf der diesbezüglich eingeräumten Frist) binnen drei Wochen mit Bescheid gegenüber dem Auftraggeber oder Beschäftiger entscheiden, widrigenfalls der Zahlungsstopp außer Kraft tritt.

Die angeführten Regelungen wurden im Zuge der aktuellen Novelle im Hinblick auf die Rechtsprechung des VfGH 125 ) und des EuGH 126 ) überarbeitet. Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung können zwar weiterhin – trotz der Kritik des EuGH – bereits bei begründetem Verdacht auf eine Verwaltungsübertretung geltend gemacht werden. Klargestellt ist nunmehr aber, dass die Sicherheitsleistung erst nach Eintritt der zivilrechtlichen Fälligkeit und nicht bei mangelnder Zahlungsverpflichtung wegen zivilrechtlicher Einreden/ Einwendungen zu erlegen ist. Außerdem dem Auftragnehmer oder Überlasser im Verfahren ein rechtliches Gehör einzuräumen.

125 ) VfGH 2. 3. 2018, G 260/2017. 126 ) EuGH 14. 11. 2018, Cepelnik, C-33/17.

350 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

6.2.2.3. Evidenz über Verwaltungsstrafverfahren

Zum Zwecke der Strafbemessung bzw der Beurteilung der Frage, ob eine Untersagung der Dienstleistung verhängt werden soll, hat das Kompetenzzentrum LSDB eine Evidenzdatei über rechtskräftige Bescheide und Erkenntnisse in Verwaltungs(straf)verfahren zu führen. Das Kompetenzzentrum LSDB hat öffentlichen Auftraggebern auf Anfrage Auskunft darüber zugeben, ob gegen künftige potenzielle Auftragnehmer rechtskräftige Bescheide und Erkenntnisse im Verwaltungsstrafverfahren (Anzahl der Bestrafungen, maßgebliche Daten der Erkenntnisse und Bescheide, mit denen eine Ermahnung erteilt wurde) verhängt worden sind. (Straf-)Bescheide und (Straf-)Erkenntnisse sind daher auch bei der öffentlichen Auftragsvergabe von Bedeutung. Nach dem Bundesvergabegesetz (BVergG 2018) besteht für öffentliche Vergabeverfahren die Verpflichtung zur Einholung der Auskunft darüber, ob dem in Betracht kommenden Bewerber, Bieter und deren Subunternehmern eine rechtskräftige Bestrafung wegen Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen oder wegen Unterentlohnung bzw eine rechtskräftige Entscheidung zur Untersagung der Dienstleistung zuzurechnen ist. 127 )

6.3. Möglichkeiten, einer Strafe zu entkommen bzw sie zu mindern 6.3.1. Verjährung nach LSD-BG

Seit 2015 (inkl für Unterentlohnungen, die sich im Jahr 2015 fortgesetzt haben) gilt folgende Rechtslage:

• Die Frist für die Verfolgungsverjährung (nach deren Ablauf die Behörde nicht mehr erstmals tätig werden darf) beginnt mit Fälligkeit des Entgelts und beträgt drei Jahre. Umfasst die Unterentlohnung durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume, so beginnt die Frist aber erst mit Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung (bzw mit Beendigung des Dienstverhältnisses).

Die Strafbarkeit einer Unterentlohnung kann daher auch Entgeltansprüche betreffen, die der betroffene Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber aufgrund Verjährung oder Verfall des vorenthaltenen Entgelts nicht mehr geltend machen kann. 128 )

• Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung beträgt fünf Jahre ab Fälligkeit des letzten Entgelts.

Bei Nachzahlung des Entgelts verkürzt sich die Frist für die Verfolgungsverjährung auf ein Jahr ab Nachzahlung, für die Strafbarkeitsverjährung auf drei Jahre ab Nachzahlung.

6.3.2. Anrechnung von Überzahlungen Siehe dazu die Ausführungen unter Pkt 3.4.

6.3.3. Nachzahlung der Entgelte gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern 6.3.3.1. Nachzahlung vor Erhebung durch die Behörde

Wird dem Arbeitnehmer die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden Entgelt vom Arbeitgeber nachweislich vor einer Erhebung der jeweils zuständigen Kontrollbehörde geleistet, so ist eine Strafbarkeit wegen Unterentlohnung nicht gegeben.

Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung im Rahmen der sogenannten „tätigen Reue“ ist die volle Schadensgutmachung, also die Zahlung des gesamten, dem einzelnen Dienstnehmer nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden (Mindest-)Entgelts, somit auch der von der Lohnkontrolle nicht umfassten Entgeltbestandteile, wie etwaiger noch

127 ) §§ 82 Abs 3 und 252 Abs 2 BVergG 2018. 128 ) OGH 26. 1. 2018, 8 ObS 9/17g.

ASoK 2021 351

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

offener, gemäß § 49 Abs 3 ASVG beitragsfreier Entgeltbestandteile. 129 ) Ob der Arbeitgeber sein Verhalten bereut oder mit der Nachzahlung nur sein Verschulden eingesteht, ist für die Straffreiheit irrelevant, weil es diesbezüglich nur auf die rechtzeitige, tatsächliche und nachweislich vollständige Schadensgutmachung ankommt. Nachzahlungen zur Vermeidung einer Bestrafung wegen Unterentlohnung können auch bereits verfallene Ansprüche betreffen.

6.3.3.2. Nachzahlung nach Erhebung durch die Behörde Die Behörde hat zudem von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn 130 )

• dem Arbeitnehmer die Entgeltdifferenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem nach Gesetz, Verordnung oder KV gebührenden (Mindest-)Entgelt binnen einer von der Behörde festgesetzten Frist nachweislich nachbezahlt wird und

• die Unterentlohnung gering ist oder

• das Verschulden des Arbeitgebers bzw der zur Vertretung nach außen berufenen Person leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt.

Als geringfügig ist eine Unterentlohnung nach der Rechtsprechung einzustufen, wenn

• nur niedrige Geldbeträge vorenthalten wurden und

• die Unterentlohnung von kurzer Dauer war.

In Bezug auf die bis 31. 12. 2014 geltenden Regelungen wurde eine Unterentlohnung zwischen 3 % und 4,33 % vom Grundlohn als geringfügig erachtet. 131 ) Eine geringfügige Unterschreitung lag nach dem VwGH 132 ) auch im Falle einer Unterentlohnung iHv 4,33 % bei einer absoluten Höhe von 44,59 Euro für sechs Arbeitnehmer vor. In einem anderen Fall hat die Rechtsprechung jedoch Unterentlohnungen zwischen 3,76 % und 4,71 % deshalb nicht mehr als gering eingestuft, weil sie sich über lange Zeiträume (drei, fünfeinhalb und 18 Monate) erstreckte und Beträge zwischen 182,70 Euro und 1.750,40 Euro ausmachte. 133 ) Nach den Richtlinien zur ab 1. 1. 2015 geltenden Rechtslage ist ein Unterschreiten des gebührenden Mindestentgelts dann gering, wenn es nicht mehr als 10 % ausmacht. 134 ) Dabei ist eine sich über mehrere Lohnzahlungsperioden erstreckende Unterentlohnung durchzurechnen. Auch wenn sich der Dachverband der Krankenversicherungsträger im Sinne einer einheitlichen Vorgehensweise an der 10-%- Grenze orientiert, ist vor dem Hintergrund der genannten Judikatur davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte auch Unterentlohnungen, die weniger als 10 % ausmachen, nicht mehr als geringfügig betrachten. Dies droht umso mehr, je länger der Zeitraum der Unterentlohnung andauert.

Die Fahrlässigkeit wird widerleglich vermutet; im Verwaltungsstrafrecht gibt es bei „Ungehorsamsdelikten“ keine Unschuldsvermutung! Der Arbeitgeber hat daher zu beweisen, dass ihn kein Verschulden oder bloß leichte Fahrlässigkeit trifft. Leichte Fahrlässigkeit ist dann gegeben, wenn der Fehler gelegentlich auch sorgfältigen Menschen unterlaufen könnte. IZm einer Unterentlohnung kann eine leichte Fahrlässigkeit zB dann angenommen werden, wenn bei Betrachtung eines lohnperiodenübergreifenden Zeitraums zB aufgrund einer Überzahlung keine Unterentlohnung vorliegen würde. 135 )

Der Nachweis der Nachzahlung des gebührenden Entgelts ist bei der Strafbemessung jedenfalls strafmildernd zu berücksichtigen.

129 ) § 29 LSD-BG; Pkt 10.6 LSDB-RL; ErlRV 1111 BlgNR 25. GP, 21. 130 ) § 29 Abs 3 LSD-BG; Pkt 10.2 und 10.8 LSDB-RL 2015. 131 ) VwGH 23. 10. 2014, Ro 2014/11/0071. 132 ) VwGH 23. 10. 2014, Ro 2014/11/0071. 133 ) VwGH 10. 6. 2015, Ra 2015/11/0035. 134 ) Pkt 10.3 LSDB-RL 2015. 135 ) Vgl ErlRV 319 BlgNR 25. GP, 13.

352 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Tabelle 3 fasst die Wirkung von Nachzahlungen überblicksweise zusammen. 136 )

Zeitpunkt der Nachzahlung der Entgeltdifferenz

vor Erhebung der zuständigen Kontrollbehörde (im Folgenden: Kontrolle)

Nachzahlung nach Kontrolle, aber noch vor Einlangen der Zahlungsaufforderung (wenn Entgeltdifferenz ≤ 10 % oder leichte Fahrlässigkeit)

Nachzahlung nach Kontrolle über Aufforderung der Kontrollbehörde (wenn Entgeltdifferenz ≤ 10 % oder leichte Fahrlässigkeit)

Nachzahlung nach Kontrolle und nach erfolgter Anzeige (vor allem wenn Entgeltdifferenz > 10 % oder nicht mehr nur leichte Fahrlässigkeit)

Nachzahlung nach Kontrolle und Anzeige, aber vor Einlangen der Zahlungsaufforderung der Bezirksverwaltungsbehörde (wenn Entgeltdifferenz ≤ 10 % oder leichte Fahrlässigkeit)

Nachzahlung nach Kontrolle und Anzeige über Aufforderung der Bezirksverwaltungsbehörde (wenn Entgeltdifferenz ≤ 10 % oder leichte Fahrlässigkeit)

Nachzahlung in sonstigen Fällen (vor allem wenn Entgeltdifferenz > 10 % oder nicht mehr nur leichte Fahrlässigkeit bzw bei Versäumen der Nachzahlungsfrist)

Verfahrensrechtliche Folgen

tätige Reue – Strafaufhebungsgrund

Absehen von der Anzeige

Absehen von der Anzeige

Verkürzung der Verfolgungsverjährungsfrist auf ein Jahr, Verkürzung der Strafbarkeitsverjährungsfrist auf drei Jahre

Absehen von der Einleitung des Strafverfahrens

Absehen von der Einleitung des Strafverfahrens

Nachzahlung ist ein gesetzlich anerkannter Strafmilderungsgrund

Tabelle 3: Wirkungen von Nachzahlungen im Überblick

136 ) Pkt 10.1 LSDB-RL 2015.

Impressum

Periodisches Medienwerk: Arbeits- und Sozialrechtskartei. Grundlegende Richtung: Umfassende Fachinformation zum Arbeits- und Sozialrecht. Escheint einmal monatlich. Jahresabonnement 2021 (12 Hefte) zum Preis von EUR 267,– (Print) bzw. EUR 294,– (Print & Digital) – jeweils inkl. MwSt., exkl. Versandspesen. Auslandsversandspesen werden separat verrechnet. Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement automatisch zu den jeweils gültigen Konditionen auf ein Jahr weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis jeweils spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck — auch auszugsweise — ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages oder Autors ausgeschlossen ist. Für Publikationen in den Fachzeitschriften des Linde Verlags gelten die AGB für Autorinnen und Autoren (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/agb) sowie die Datenschutzerklärung (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/datenschutz).

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ASoK 2021 353

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Grundsatz

Harter Kern 1

Mindestentgelt 3 Urlaub 4 Arbeitszeit 5

Anwendung sonstiger durch Gesetz/VO/KV festgelegter Arbeitsrechtsnormen

Bereithaltung Lohnunterlagen und A 1

Meldeverpflichtungen

Arbeitgeber mit Sitz in EU/EWR

Arbeitgeber mit Sitz in Drittstaat

Ja Ja Ja Nein Ja ZKO 3 Keine

Entsendungen über 12 bzw

18 Monate

Ja

Ja

Ja

Ja 6 Ja ZKO 3 Keine

Betriebsanlagenlieferung bzw -montage („Montageprivileg“)

Jegliche Bauarbeiten

< 8 Tage< 3

Monate

Ausnahmen für: - Arbeiten von geringem Umfang und kurzer Dauer 8 - Kurzfristige Entsendung von besonderen Fachkräften im

Konzern 9

- Sonstige 10

Nein

NeinJa

Ja Nein Ja ZKO 3 Keine

Ja Ja Ja Nein 7 Ja ZKO 3

Meldung an BUAK

Bewilligungen nach dem AuslBG für drittstaatsangehörige Arbeitnehmer 2

Arbeitgeber mit Sitz in EU/EWR

ZKO 3 + Entsendebestätigu ngZKO 3 +

Entsendebestätigu ng

ZKO 3 + Entsendebestätigu ng

ZKO 3 + Entsendebestätigu ng

Mögliche Nein Nein Nein Nein Nein Keine Keine Ausnahmen nach

Einzelfall zu prüfen

Arbeitgeber mit Sitz in Drittstaat

Entsende- oder Beschäftigungsbewilligung

Beschäftigungsbewilligung

Entsende- oder Beschäftigungsbewilligung

Beschäftigungsbewilligung

Mögliche Ausnahmen nach Einzelfall zu prüfen

Abbildung 1 – Verpflichtungen bei grenzüberschreitender Entsendung nach Österreich

1 Siehe Punkt 5.5.1. In diesem Überblick nicht berücksichtigt sind Bestimmungen, die als sogenannte Eingriffsnormen noch zusätzlich zur Anwendung kommen.

2 Zusätzlich zu den Bewilligungen nach AuslBG sind auch Aufenthaltstitel/Visum erforderlich. Für visumspflichtige Personen muss zusätzlich eine Sicherungsbescheinigung beim AMS beantragt werden.

3 Entsandte Arbeitnehmer haben für die Dauer der Entsendung Anspruch auf das durch Gesetz, durch Verordnung oder KV festgelegte Entgelt (§ 3 Abs 3 LSD-BG).

4 Entsandte Arbeitnehmer haben für die Dauer der Entsendung Anspruch auf bezahlten Urlaub nach § 2 UrlG, falls dieser günstiger ist als nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Recht (§ 4 Abs 2 LSD-BG).

5 Entsandte Arbeitnehmer haben für die Dauer der Entsendung Anspruch auf die gesetzlichen und kollektivvertraglich festgelegten Arbeitszeitregelungen (§ 5 LSD-BG)

6

Nach § 2 Abs 3 LSD-BG sind für Langzeitensendungen und -überlassungen ab Überschreiten der Frist von 12 Monaten (in Ausnahmefällen ab Überschreiten der Frist von 18 Monaten) unter Beachtung des Günstigkeitsprinzips die gesamten durch Gesetz, Verordnung oder KV festgelegten Arbeitsrechtsnormen anwendbar. Ausgenommen sind Regelungen betreffend Abschluss und Beendigung des Arbeitsvertrages einschließlich Wettbewerbsverboten sowie betriebspensionsrechtliche Regelungen und Abfertigung neu (siehe Punkt 5.5.4.)

7 Außer die angeführten Fristen für Langzeitentsendungen werden überschritten.

8 Die einzelnen Tatbestände sind in § 1 Abs 5 LSD-BG aufgezählt (siehe Punkt 5.3.2.).

9

Nach § 1 Abs 6 LSD-BG sind konzerninterne Entsendungen und Überlassungen von besonderen Fachkräften, die in bestimmten Bereichen (zB Forschung und Entwicklung, Cluster-Abteilungen) eingesetzt werden, ausgenommen, wenn sie zwei Monate pro Kalenderjahr nicht überschreiten (siehe Punkt 5.3.7.)

10

Zu den sonstigen, teils mit der LSD-BG Novelle 2021 adaptierten oder neu eingeführten Ausnahmen (mobile Arbeitnehmer im Transitverkehr, Besserverdiener, Austauschprogramme im tertiären Bildungssektor, Tätigkeiten iZm Lieferungen und Schulungsmaßnahmen) siehe Punkt 5.3.

354 ASoK 2021

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Grundsatz

Hinweis Bautätigkeit

Überlassungen über 12 bzw 18 Monate

Ausnahmen für:

- Kurzfristige Überlassung von besonderen Fachkräften im

Konzern 5

- Sonstige 7

Harter Kern 1

Sonstige durch Gesetz/KV/Verordnung festgelegte Arbeitsrechtsnormen

Bereithaltung Lohnunterlagen und A 1

Mindestentgelt Urlaub Arbeitszeit Arbeitgeber

2 Ja Ja3 Ja13

12

Ja Ja13 Ja13

§ 6 LSD-BG: - Anspruch auf Ö-

Entgeltfortzahlung

- Beachtung von Kündigungsfristen und -terminen

- besonderer Kündigungs- und Entlassungsschutz, Kündigungsentschädigung

- Anwendung KV Arbeitskräfteüberlasser

§ 6 LSD-BG - Umfang siehe oben, zusätzlich gilt § 2 Abs 3

LSD-BG 5

Meldeverpflichtungen

mit Sitz in EU/EWR

Ja ZKO 4

Ja ZKO 4

Ja 8 Ja18 Ja18 Nein Nein Keine

Arbeitgeber mit Sitz in DrittstaatKeine ZKO- Meldung erforderlich

Meldung gem § 22 BUAG

Keine ZKO Meldung, erforderlich 6

Keine ZKO Meldung, erforderlich

Bewilligungen nach dem AuslBG für drittstaatsangehörige Arbeitnehmer 3 sowie nach AÜG

Arbeitgeber mit Sitz in EU/EWR

Mögliche Ausnahmen nach

Einzelfall zu prüfen

Arbeitgeber mit Sitz in Drittstaat

ZKO 4 + Überlassungsbestätigung

Beschäftigungsbewilligung sowie Bewilligung gem § 16 AÜG erforderlich 4

ZKO 4 + Überlassungsbestätigung

Beschäftigungsbewilligung sowie Bewilligung gem § 16 AÜG erforderlich 14

Mögliche Ausnahmen nach Einzelfall zu prüfen

Abbildung 2 – Verpflichtungen bei grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung

1

Hier ergibt sich auch betreffend Mindestentgelt, Urlaub und Arbeitszeit ein erweiterter Anwendungsbereich der österreichischen Arbeitsbedingungen, weil der für gewerbliche Überlasser anwendbare KV und überdies das AÜG anzuwenden sind (§ 6 Abs 2 und 3 LSD-BG, siehe Punkt 5.5.3.).

2

Die überlassene Arbeitskraft hat Anspruch auf die Mindestentgelte nach dem Branchen-KV des Beschäftigers (§ 3 LSD-BG iVm § 10 Abs 1 AÜG). Gilt für den Beschäftiger kein KV, ist auch auf die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten geltenden sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art Bedacht zu nehmen.

3

Neben gesetzlichen Regelungen sind auch die im Beschäftiger-KV sowie die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art zu beachten (§ 10Abs 3 AÜG).

4 Der Antrag ist bei der zuständigen Gewerbebehörde einzubringen.

5

Wie bei Langzeitentsendungen gilt auch bei Langzeitüberlassungen, dass ab dem 12. bzw 18. Monat der Überlassung sämtliche auf KV, Gesetz oder Verordnung beruhenden Arbeitsrechtsnormen (ausgenommen betriebspensionsrechtliche Regelungen, Abfertigung neu, Kündigungs(schutz)bestimmungen, Wettbewerbsverbote) anzuwenden sind (§ 2 Abs 3 LSD-BG). Durch die teilweise bereits weitergehende Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Normen via AÜG (§ 10 AÜG) und LSD-BG (§ 6 LSD-BG) verbleibt im Bereich der grenzüberschreitenden Überlassung aktuell faktisch kein relevanter eigenständiger Anwendungsbereich für diese neue Bestimmung.

6 Der Antrag ist bei der zuständigen Gewerbebehörde einzubringen.

7

Die Ausnahmekatalog des LSD-BG bezieht sich großteils (abgesehen von der Konzernausnahme für den Einsatz besonderer Fachkräfte ausdrücklich auch betreffend Besserverdiener, Austauschprogramme im tertiärenBildungssektor und Schulungsmaßnahmen) gleichermaßen auf Entsendungen und Überlassungen.

8

Der Ausnahmen des LSD-BG entsprechen nicht denen im AÜG. Wesentlich ist vor allem, dass sich die Konzernausnahme des § 1 Abs 3 Z 4 AÜG auf Überlassungen zwischen inländischen Konzernunternehmen beschränkt und daher für Inbound-Überlassungen nicht anwendbar ist. Wenn keine Ausnahme nach § 1 Abs 3 AÜG greift, gelten die Ansprüche betreffend Entgelt, Arbeitszeit und Urlaub gemäß § 10 AÜG.

ASoK 2021 355

Das neue LSD-BG 2021 – Leitfaden für die Praxis

Grenzüberschreitende Überlassung – Aufteilung der Pflichten von Überlasser und Beschäftiger Was? Vorschrift Wer?

Pflichten nach dem LSD-BG

Überlasser

Beschäftiger

Einhaltung der Mindestlohnvorschriften

§ 29 LSD-BG iVm

§ 10 AÜG

x

Meldung ZKO 4

§ 19 LSD-BG

x

Bereithaltung Lohnunterlagen und A1

§§ 21, 22 LSD-BG

x

Bereitstellung der Lohnunterlagen an den

Beschäftiger

§ 22 LSD-BG

x

Pflichten nach dem AÜG

Überlassungsmitteilung (Information an den überlassenen

Arbeitnehmer über die Umstände der Beschäftigung)

§ 12 AÜG

x

Information des ausländischen Arbeitgebers über die nötige Qualifikation und die Einstufung in den österreichischen KV oder MLT und über die Arbeitszeit bzw Urlaubsbedingungen sowie über die für die überlassene Arbeitskraft geltenden gesetzlichen arbeitsrechtlichen Regelungen, die für deren Entlohnung geltenden kollektivvertraglichen Bestimmungen sowie gegebenenfalls eine Weiterentsendung/-überlassung in einen anderen EU-Mitgliedstaat

§ 12a AÜG x

Aufzeichnungspflichten und Übermittlungspflichten § 13 AÜG x Leistungen an den Sozial- und Weiterbildungsfonds § 22d AÜG x

Einholung der Beschäftigungsbewilligung

§4 AuslBG iVm §16

AÜG

x

Fürsorgepflicht für die überlassene Arbeitskraft

§ 6 AÜG

x

x

Information an den Überlasser, wenn die überlassene Arbeitskraft (Nacht-)Schwerarbeit leistet

§5 AÜG

x

schriftliche Information der überlassenen Arbeitskraft bei Meldungen iSd NSchG oder der Schwerarbeitsverordnung

§5 AÜG

x

Führung der Arbeitszeitaufzeichnungen

Einhaltung des Arbeitnehmerschutzgesetzes und der Informationspflichten nach § 9 ASchG

Information des Arbeitnehmers über

§ 26 AZG iVm § 6 AÜG

§6 AÜG iVm §9 ASchG

x

x

• die Gefahren, denen er auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz ausgesetzt sein kann,

• die für die Tätigkeit erforderliche Eignung oder Fachkenntnisse,

• die Notwendigkeit von Eignungs- und Folgeuntersuchungen

§9 Abs4 ASchG x

Sonstige Pflichten

im Falle einer Bautätigkeit: Meldung gemäß § 22 BUAG

§ 22 BUAG x

Abbildung 3: Grenzüberschreitende Überlassung – Aufteilung der Pflichten von Überlasser und Beschäftiger

356 ASoK 2021

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

Verdienstentgang der Parteien des Arbeitsvertrages

ANDREAS GERHARTL*)

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

Das EpiG räumt einen Anspruch auf Vergütung des durch die Verhängung bestimmter zur Bekämpfung einer Epidemie ergriffener Maßnahmen eingetreten Verdienstentgangs ein. Diese Bestimmung wirft allerdings etliche, zum Teil grundsätzliche Fragen auf. Eine Beschäftigung mit der Thematik ist daher lohnenswert.

1. Einleitung

Der im EpiG geregelte Anspruch auf Vergütung für den Verdienstentgang führte Jahrzehnte lang ein Schattendasein, hat durch die COVID-19-Pandemie aber plötzlich hohe praktische Bedeutung erlangt. 1 ) Es verwundert daher aber nicht, dass dabei viele Fragen ungeklärt sind. Dazu kommt, dass der Gesetzgeber aufgrund der Pandemie sowohl das EpiG (mehrfach) novelliert – und dabei unter anderen auch spezielle Bestimmungen für die Corona-Krise eingeführt – als auch mit dem COVID-19- MG eine weitere gesetzliche Grundlage für die Pandemiebekämpfung geschaffen hat. Das war wahrscheinlich gut gemeint, verursacht aber zusätzliche Probleme. 2 ) In diesem Beitrag sollen einige zentrale Themenfelder zumindest im Überblick behandelt werden.

2. Gesetzliche Grundlagen 2.1. Grundsätzliches

Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an „2019-nCoV“ („2019 neuartiges Coronavirus“) wurden mit Verordnung explizit in die Anzeigepflicht gemäß § 1 Abs 2 EpiG einbezogen. 3 ) Corona (SARS-CoV-2 bzw COVID-19) unterliegt daher – unabhängig von der dafür verwendeten Bezeichnung (wie beispielsweise als „Pandemie“, „Seuche“ oder „Epidemie“) – dem EpiG. 4 ) Das EpiG enthält darüber hinaus aber auch spezielle Bestimmungen für die Dauer der Pandemie mit SARS-CoV-2.

Dazu tritt das (derzeit) bis 31. 12. 2021 befristete COVID-19-MG als eigene Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Einerseits wurde infolge der Pandemie daher das EpiG (mehrfach) novelliert, andererseits mit dem COVID-19-MG eine weitere, separate Rechtsgrundlage für die Anordnung von Maßnahmen erlassen. Diese betreffen auch arbeitsrechtliche Problemstellungen. 5 )

2.2. Individuelle und generelle Maßnahmen

Das EpiG ermöglicht es der Gesundheitsbehörde (das ist auf Bezirksebene die Bezirksverwaltungsbehörde), bestimmte (individuelle oder generelle) Maßnahmen (zB Anord-

*) Dr. Andreas Gerhartl ist Mitarbeiter des AMS Niederösterreich. 1 ) Dies zeigt sich auch an der innerhalb kurzer Zeit beinahe explosionsartig angewachsenen Literatur, die daher nur (mehr) teilweise berücksichtigt werden konnte. 2 ) Die Kodifizierung in einem einzigen Gesetz (etwa einem Infektionsschutzgesetz) wäre meines Erachtens zielführender. 3 ) Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 2020/15. 4 ) Die unterschiedlichen Bezeichnungen für den Erreger und der von ihm ausgelöste Infektion werden hier synonym verwendet. 5 ) Vgl zB Wiesinger , Die Bedeutung der COVID-19-Gesetze für das Arbeitsrecht, ASoK 2020, 122; Felten/

Pfeil , Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme, DRdA 2020, 295.

ASoK 2021 357

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

nung einer Quarantäne) zu ergreifen, die (direkt oder indirekt) bewirken, dass das Erbringen der Arbeitsleistung unterbleibt. Dies kann den Arbeitnehmer, aber auch den Arbeitgeber betreffen (zB Anordnung häuslicher Quarantäne für den Arbeitnehmer oder vorübergehende Betriebsschließung bzw -einschränkung). 6 ) Derartige Anordnungen ergehen mittels Bescheides oder Verordnung. 7 )

Im Gegensatz zur Hotline 1450 kann die Gesundheitsbehörde Bescheide gemäß § 7 oder § 17 EpiG aber auch telefonisch erlassen (§ 7 EpiG regelt die Absonderung, § 17 EpiG die Überwachung bestimmter Personen). 8 ) Der Inhalt und die Verkündung eines telefonischen Bescheides sind zu beurkunden und dem Betroffenen zuzustellen. Eine telefonisch verfügte Quarantäne endet jedoch gemäß § 46 Abs 2 EpiG automatisch, wenn die Gesundheitsbehörde nicht innerhalb von 48 Stunden einen (schriftlichen) Bescheid darüber erlässt. 9 )

2.3. Absonderung

Eine Quarantäne (Absonderung) kann gegen kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtigte Personen verhängt werden. 10 ) Wird über einen Arbeitnehmer ein Absonderungsbescheid erlassen, bedeutet das nicht zwingend, dass der Betreffende arbeitsunfähig ist. 11 ) Dies ist beispielsweise für die Frage relevant, ob die Erbringung von Arbeitsleistungen im Homeoffice möglich ist. Begibt sich eine Person freiwillig in Quarantäne, besteht allerdings kein Antragsrecht auf Erlassung eines Absonderungsbescheides. 12 )

Der OGH bezweifelte die Verfassungskonformität der Regelungen für die gerichtliche Überprüfbarkeit von Absonderungsmaßnahmen nach dem EpiG. Er erblickte darin einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltentrennung und gegen das Rechtsstaatsprinzip und beantragte daher beim VfGH (ebenso wie einige andere Zivilgerichte), die entsprechenden Bestimmungen im EpiG aufzuheben. 13 ) Der VfGH teilte diese Bedenken und hob in der Folge § 7 Abs 1a Satz 2 EpiG (Zuständigkeit der Bezirksgerichte für die Überprüfung von Absonderungsmaßnahmen) als verfassungswidrig auf. 14 )

3. Anspruch auf Entschädigung 3.1. Behördliche Maßnahmen

Das EpiG sieht in seinem § 32 Entschädigungsansprüche für den Verdienstentgang vor. Demnach ist natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechts wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbs entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

• sie gemäß § 7 oder § 17 EpiG abgesondert worden sind,

• ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß § 11 EpiG untersagt worden ist,

6 ) Die in Betracht kommenden Maßnahmen (nach dem EpiG) können zum Teil durch Verordnung (zB

Erlassung einer allgemeinen Verkehrsbeschränkung) und zum Teil durch Bescheid (zB Schließung eines einzelnen Betriebs) verfügt werden. 7 ) Vgl dazu etwa VwGH 24. 2. 2021, Ra 2021/03/0018. 8 ) Da Bescheide gemäß § 62 Abs 1 AVG ohnehin schriftlich oder mündlich erlassen werden können,

ergibt dies nur Sinn, wenn hier „telefonisch“ („fernmündlich“) als aliud zu (und nicht als Subkategorie von) „mündlich“ verstanden wird. Mündliche Bescheide werden dagegen im Anwendungsbereich des EpiG nach dessen Sinn und Zweck nicht in Betracht kommen. 9 ) Vgl Stupar , „Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen, ASoK 2021, 2. 10 ) Die Überschrift zu § 7 EpiG („Absonderung Kranker“) ist daher irreführend. 11 ) Auf die Abgrenzung zur Dienstverhinderung durch Krankheit, wenn ein abgesonderter Arbeitnehmer

auch Krankheitssymptome aufweist, wird hier nicht eingegangen; vgl dazu etwa Gerhartl , Krankheit, Quarantäne und Selbstisolierung, ASoK 2020, 362; Mitschka , (Kranke) Arbeitnehmer in Quarantäne – wer trägt die Kosten? GRAU 2020, 54. 12 ) LVwG Vorarlberg 14. 10. 2020, LVwG-408/3/2020-R1. 13 ) OGH 2. 11. 2020, 7 Ob 139/20x, RdM 2021/106 (Kopetzki ). 14 ) VfGH 10. 3. 2021, G 380/2020 ua.

358 ASoK 2021

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

• ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 17 EpiG untersagt worden ist,

• sie in einem gemäß § 20 EpiG im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind,

• sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß § 20 EpiG in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist,

• sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß § 22 EpiG angeordnet worden ist, oder

• sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß § 24 EpiG verhängt worden sind, 15 )

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs ist somit zum einen eine von der Gesundheitsbehörde aufgrund des EpiG angeordnete Maßnahme (zB Verhängung einer Quarantäne, Anordnung einer Betriebsschließung). 16 ) Die dafür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen sind in § 32 Abs 1 EpiG im Einzelnen aufgezählt. 17 ) Die Differenzierung zwischen kleinräumigen Verkehrsbeschränkungen und solchen gegenüber dem Ausland, die letztlich alle betreffen, verstößt dabei nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. 18 )

3.2. Verdienstausfall

Die zweite Voraussetzung ist das Eintreten eines Verdienstausfalls, für den die betreffende Maßnahme kausal sein muss. Muss sich der Arbeitnehmer daher beispielsweise in häusliche Quarantäne begeben und erleidet er dadurch einen Verdienstausfall, ist dieser Fall von § 32 EpiG umfasst. Gleiches gilt für den Unternehmer, der aufgrund einer behördlichen Anordnung seinen Betrieb schließen muss und für den betreffenden Zeitraum seine Produkte bzw Dienstleistungen nicht mehr anbieten kann. § 32 EpiG ist aber auch auf Konstellationen anwendbar, bei denen etwa aufgrund von Verkehrsbeschränkungen der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht erreichen oder der Arbeitgeber seinen Betrieb nicht öffnen kann.

Da der Vergütungsanspruch auch einem Arbeitnehmer eingeräumt wird, stellt sich die Frage, ob (zunächst) die arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsvorschriften bei Arbeitsverhinderung zur Anwendung kommen, da der Arbeitnehmer bejahendenfalls (für diesen Zeitraum) keinen Verdienstentgang erleiden würde. 19 ) Für den Fall, dass die Arbeitsverhinderung auf Umständen in der Sphäre des Arbeitgebers beruht, würde dies daher bedeuten, dass in der Regel überhaupt kein Vergütungsanspruch nach dem EpiG besteht, da der Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für unbegrenzte Zeit auf § 1155 ABGB stützen könnte. 20 )

Meines Erachtens ist diese Frage zu verneinen, da § 32 EpiG für diese Konstellationen als lex specialis anzusehen ist. 21 ) § 32 Abs 1 Z 4 EpiG räumt den Anspruch auch Perso-

15 ) Verkehrsbeschränkungen gegenüber dem Ausland (§ 25 EpiG) sind daher nicht erfasst. 16 ) Vgl zB Assadi/Cvikl/D. P. Schmidt , Entschädigungsansprüche für Betretungsverbote und Betriebsschließungen aufgrund von COVID-19-Maßnahmen, ecolex 2020, 583 und 743; Keisler/Hummelbrunner in Resch , Da Corona-Handbuch 1.04 (2021) Kap 1. 17 ) Vgl zu deren Kommentierung Hummelbrunner in Neumayr/Resch/Wallner , Gmundner Kommentar

zum Gesundheitsrecht (2016) §§ 7, 11, 17, 20, 22 und 24 EpiG. 18 ) VfGH 26. 11. 2020, E 3412/2020; 26. 11. 2020, E 3417/2020; 26. 11. 2020, E 3544/2020. 19 ) Vgl unter anderem Wiesinger , Arbeitsrechtliche Fragen zu Epidemien, SWK 2020, 469; Resch , Verhältnis Vergütung nach Epidemiegesetz zur arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung, ecolex 2020, 285; Spitzl , Entgeltanspruch bei Quarantänemaßnahmen, ecolex 2021, 288 (292); Gruber-Risak , Die Seuche, das Risiko und der Arbeitsvertrag, ÖJZ 2021, 165. 20 ) Vgl etwa M. Haider , § 1155 ABGB in der COVID-19-Krise, DRdA-infas 2020, 199; Aichberger-Beig ,

Entgeltfortzahlung bei Betriebsschließungen in der COVID-19-Pandemie, ecolex 2021, 292. 21 ) Einzuräumen ist, dass § 32 Abs 5 EpiG gegen diese Auslegung spricht. Mit dieser Bestimmung sind meines Erachtens allerdings Entgeltfortzahlungsvorschriften nicht gemeint.

ASoK 2021 359

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

nen ein, die in einem (gemäß § 20 EpiG) im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmern beschäftigt sind. 22 ) Diese Bestimmung soll § 1155 ABGB daher vorgehen, da sie andernfalls faktisch keinen Anwendungsbereich hätte. 23 ) Die Voraussetzung, dass durch die betreffende Maßnahme ein Verdienstentgang eingetreten ist, ist daher meines Erachtens in Bezug auf das Arbeitsverhältnis so zu verstehen, dass die einschlägigen Entgeltfortzahlungsvorschriften dabei auszublenden sind. 24 )

3.3. Anrechnung und Verschulden

Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen. Der Anspruchsberechtigte muss sich also andere Entschädigungen oder anderweitig erzieltes Einkommen anrechnen lassen.

Weitgehend ungeklärt ist meines Erachtens die Frage, ob bzw inwieweit ein Verschulden des Antragstellers (Beispiel: Ein Unternehmer arbeitet selbst im Betrieb weiter, obwohl er weiß, dass er infiziert ist, was in der Folge eine Cluster-Bildung auslöst und die behördliche Schließung des Betriebs bewirkt) den Anspruch bzw die Geltendmachung eines übergegangenen Anspruchs ausschließt oder reduziert. 25 ) Obwohl es sich um keinen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch handelt, ist es meines Erachtens im Ergebnis schwer vorstellbar, dass ein Mitverschulden (oder sogar ausschließliches Verschulden) des Antragstellers an der Herbeiführung des Verdienstentgangs keine Rolle für den Vergütungsanspruch spielt, sodass für diesen Fall wohl die einschlägigen zivilrechtlichen Grundsätze anzuwenden sind. 26 )

4. Berechnung der Vergütung 4.1. Arbeitnehmer

Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des EFZG zu bemessen. Dies ist gemäß § 3 Abs 3 EFZG das Entgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wäre keine Arbeitsverhinderung eingetreten. Die Arbeitgeber haben den den an der Erbringung der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmern gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. 27 ) Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 BUAG sind ebenfalls vom Bund zu ersetzen.

Die Bemessung des Anspruchs des Arbeitnehmers orientiert sich daher an einer Dienstverhinderung bei Krankheit. Im Regelfall wird der Arbeitnehmer aufgrund der gesetzlichen Konstruktion den Erstattungsanspruch also nicht selbst gegen den Bund geltend machen. Damit der Arbeitgeber seiner Zahlungsverpflichtung nachkommen

22 ) Dieser Umstand fällt daher (unzweifelhaft) in die Arbeitgebersphäre. 23 ) Dafür spricht meines Erachtens auch, dass die Vergütung gemäß § 32 Abs 2 EpiG für jeden Tag zu

leisten ist, der von der betreffenden behördlichen Verfügung umfasst ist; vgl dazu etwa UVS Oberösterreich 2. 8. 2004, VwSen-590067/4/Ste. 24 ) Es spielt daher auch keine Rolle, ob der Arbeitsausfall der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmersphäre

zuzuordnen ist, also der Arbeitnehmer daran gehindert ist, seine Arbeitskraft anzubieten. 25 ) Vgl dagegen zum Verlust des Entschädigungsanspruchs für Gegenstände § 30 EpiG. 26 ) Etwaige (verwaltungs)strafrechtliche Konsequenzen bleiben hier außer Betracht. 27 ) Daher besteht meines Erachtens ein zivilrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem

Arbeitgeber. Dieser ist somit (innerhalb der allgemeinen Verjährungsfristen) klagbar.

360 ASoK 2021

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

kann, muss ihn der Arbeitnehmer allerdings allenfalls erst darüber in Kenntnis setzen, dass er (aufgrund einer ihn berührenden Maßnahme nach dem EpiG) an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist. 28 )

4.2. Übergegangener Anspruch

Ist der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber übergegangen, so gilt für den Umfang des Rückforderungsanspruchs des Arbeitgebers gegen den Bund Folgendes: 29 ) Die Zahlung des Arbeitgebers ist beitragspflichtig. Daher sind auch Beiträge zur betrieblichen Vorsorgekasse (BV-Beiträge) zu entrichten. Es besteht aber keine Lohnnebenkostenpflicht, weil es sich bei der Zahlung des Arbeitgebers um kein Entgelt, sondern um eine auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhende Entschädigung (Vergütung) handelt, für die der Arbeitgeber in Vorlage tritt. 30 )

Dienstgeberbeiträge zur Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung werden ebenfalls vergütet. Eine Vergütung für die vom Arbeitgeber entrichteten Dienstgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung, Nebenbeiträge und BV-Beiträge ist vom BMSGPK nicht vorgesehen. Für den Anspruch auf Vergütung von Sonderzahlungen ist nach einer Entscheidung des LVwG Wien nicht relevant, ob diese im Monat der Absonderung ausbezahlt werden, solange sie sich auf den Absonderungszeitraum beziehen und diesem verrechnungstechnisch aliquot zuzuordnen sind. 31 )

4.3. Selbständige

Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist deren (originäre) Entschädigung dagegen nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen. 32 ) Es ist also danach zu fragen, welches Einkommen während des Zeitraums, zu dem die Maßnahme andauert, ohne Verhängung dieser Maßnahme erzielt worden wäre. Der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister kann, wenn und soweit dies zur Gewährleistung einer einheitlichen Verwaltungsführung erforderlich ist, durch Verordnung nähere Vorgaben zur Berechnung der Höhe der Entschädigung oder Vergütung des Verdienstentgangs erlassen. Diese Verordnung 33 ) sowie ein Erlass des BMSGPK 34 ) enthalten Details zur Berechnung.

5. Geltendmachung 5.1. Antragsfrist

Der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs ist gemäß § 33 EpiG grundsätzlich binnen sechs Wochen vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der

28 ) Der Arbeitgeber wird dabei auch die Beibringung von Nachweisen verlangen können, soweit dies

dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar ist. Verspätungen bei der Erstattung der Meldung bzw der Vorlage der Nachweise werden den Anspruch des Arbeitnehmers zwar nicht ausschließen, aber den Fälligkeitszeitpunkt verschieben. Liegt dabei ein Verschulden des Arbeitnehmers vor, kommen auch andere arbeitsrechtliche Konsequenzen (bis hin zur Entlassung) in Betracht. 29 ) Vgl ausführlich Höfle/Platzer , Vergütungsanspruch des Arbeitgebers nach dem Epidemiegesetz bei

Quarantäne des Arbeitnehmers, ASoK 2020, 402; dieselben, Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz bei Quarantäne des Arbeitnehmers, ASoK 2021, 12. 30 ) VwGH 29. 3. 1984, 84/08/0043. 31 ) LVwG Wien 4. 2. 2021, VGW-101/032/16118/2020. 32 ) ZB Eypeltauer , COVID-19: Anspruch auf Ersatz von Verdienstentgang für Unternehmer? ecolex 2020,

725. 33 ) Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über

nähere Vorgaben zur Berechnung der Höhe der Vergütung des Verdienstentgangs für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen nach Epidemiegesetz 1950 (EpG 1950-Berechnungs- Verordnung), BGBl II 2020/329. 34 ) Erlass des BMSGPK vom 20. 7. 2020, 2020-0.406.069.

ASoK 2021 361

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt. 35 ) Nach § 49 EpiG ist abweichend davon seit 8. 7. 2020 für den Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, eine Frist von drei Monaten maßgeblich. Sowohl vor dem 8. 7. 2020 laufende als auch bereits abgelaufene Fristen beginnen mit 8. 7. 2020 neu zu laufen.

Auch der Anspruch des Arbeitnehmers wird in der Regel vom Arbeitgeber geltend gemacht werden (da dieser mit dem Zeitpunkt der Auszahlung an den Arbeitnehmer auf ihn übergeht). Sollte der Arbeitgeber seiner Zahlungsverpflichtung zu Recht (aufgrund von Meldepflichtverletzungen des Arbeitnehmers) oder zu Unrecht nicht nachgekommen sein, steht es dem Arbeitnehmer aber meines Erachtens frei, den Vergütungsanspruch selbst geltend zu machen. 36 ) Der Arbeitnehmer ist daher nicht dazu verpflichtet, seinen Anspruch gegen den Arbeitgeber zu richten.

5.2. Antragstellung

Unter dem (für den Beginn des Fristenlaufs maßgeblichen) „Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahme“ ist meines Erachtens deren Wirksamwerden bzw – bei rückwirkender Aufhebung – die Kundmachung 37 ) bzw Zustellung des die Aufhebung verfügenden Dokuments zu verstehen. Als einschlägige Dokumente kommen Verordnungen oder Bescheide (bei telefonischen Bescheiden deren Beurkundung) in Betracht. Das Vorhandensein eines schriftlichen Dokuments ist – insbesondere bei individuellen Maßnahmen – deshalb wichtig, weil dies der Antragsteller in der Regel zum Nachweis seines Anspruchs benötigen wird. 38 )

Ein unvollständiger Antrag (zB Fehlen erforderlicher Beilagen) muss gemäß § 13 Abs 3 AVG unter Setzung einer angemessenen Nachfrist zur Korrektur bzw Ergänzung zurückgestellt werden. Werden die geforderten Verbesserungen (Ergänzungen) rechtzeitig vorgenommen, so gilt der Antrag als zum ursprünglichen Zeitpunkt eingebracht (dies ist insbesondere für Fälle bedeutsam, bei denen der [unvollständige] Antrag relativ knapp vor Fristablauf gestellt wird).

5.3. Entscheidung

Die Bezirksverwaltungsbehörde ist gemäß § 49 Abs 3 EpiG verpflichtet, über Anträge auf Vergütung des Verdienstentgangs, die aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme eingebracht werden, ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber 12 Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Dies ist daher eine Verschlechterung gegenüber der allgemeinen Regel des § 73 Abs 1 AVG, nach der über Anträge von Parteien spätestens sechs Monate nach deren Einlangen ein Bescheid zu erlassen ist. 39 )

35 ) Vgl dazu VwGH 23. 4. 2002, 2000/11/0061. Bei Maßnahmen, die (durch Verordnung) auf Bundesoder Landesebene getroffen wurde, wird meines Erachtens für die Ermittlung der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde nach § 3 AVG vorzugehen sein. 36 ) Für Fälle, in denen der Anspruch des Arbeitnehmers wegen Meldepflichtverletzungen erst zu einem

späteren Zeitpunkt auf den Arbeitgeber übergeht (weil der Arbeitgeber in der Folge erst später zahlt), stehen dem Arbeitgeber bei der Geltendmachung des auf ihn übergegangenen Anspruchs verwaltungsverfahrensrechtliche Instrumente (wie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zur Verfügung. 37 ) Gemäß § 2 ABGB kann sich niemand darauf berufen, ein ordnungsgemäß kundgemachtes Gesetz

nicht gekannt zu haben, was auch für ordnungsgemäß kundgemachte Verordnungen gelten muss. 38 ) Bei allgemein geltenden Rechtsvorschriften (wie Verordnungen) ist die Schriftform in der Regel ohnehin Tatbestandsmerkmal der (als Wirksamkeitserfordernis notwendigen) gehörigen Kundmachung. 39 ) Dies ist vor allem für die Möglichkeit, einen Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs 2 AVG einbringen zu können, relevant.

362 ASoK 2021

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

Nach § 18 Abs 2 AVG haben Erledigungen jedenfalls schriftlich zu ergehen, wenn dies in den Verwaltungsvorschriften ausdrücklich angeordnet ist oder von der Partei verlangt wird. Unter „schriftlicher Erledigung“ ist in diesem Zusammenhang die Erstellung eines (schriftlichen) Bescheides zu verstehen, da nur gegen Erledigungen in Bescheidform Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen. 40 )

Als „Anträge von Parteien“, welche nach § 73 Abs 1 AVG die Entscheidungspflicht (durch Erlassung eines schriftlichen Bescheides) zur Folge haben, kommen alle Begehren in Betracht, über die durch Bescheid abzusprechen ist, das heißt, die ihrem Inhalt nach abstrakt dazu geeignet sind, durch die angerufene Behörde mittels Bescheides erledigt zu werden. Dazu gehören jedenfalls das Verfahren in der Sache einleitende Anträge. 41 ) Dies gilt auch dann, wenn dem Antrag vollständig entsprochen wird, da in diesem Fall gemäß § 58 Abs 2 AVG lediglich die Bescheidbegründung entfallen kann.

6. Konkurrierende Rechtsgrundlagen 6.1. Subsidiarität

Gemäß § 13 Abs 2 und 3 COVID-19-MG gelangen die Bestimmungen des EpiG betreffend die Schließung von Betriebsstätten (und somit auch die Regelungen für den damit verbundenen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs) im Rahmen des Geltungsbereichs einer Verordnung im Sinne des § 3 COVID-19-MG nicht zur Anwendung. Ansonsten bleiben die Bestimmungen des EpiG aber unberührt. 42 )

Der VfGH hat diese Subsidiaritätsklausel für verfassungskonform erklärt, da die einschlägigen Bestimmungen des EpiG nicht auf eine großflächige Schließung von Betriebsstätten ausgelegt sind und im Zusammenhang mit COVID-19 umfangreiche Maßnahmen und Rettungspakte für Betriebe ins Leben gerufen wurden. 43 ) Da alle durch Verordnung nach § 3 COVID-19-MG verfügten Maßnahmen (die das Betreten und Befahren von Betriebsstätten oder Arbeitsorten regeln) den Anspruch ausschließen, liegt dadurch auch keine (allenfalls unsachliche) Differenzierung zwischen Betriebsschließungen, Betretungsverboten und anderen (weniger eingreifenden) Maßnahmen vor.

6.2. Taugliche Rechtsgrundlage

Die den Vergütungsanspruch begründende Maßnahme muss (zumindest auch) auf das EpiG zurückzuführen sein. Maßnahmen, die ausschließlich im COVID-19-MG Deckung finden, reichen daher nicht aus. Nach der Rechtsprechung des VfGH können Menschen aber aufgrund des § 2 COVID-19-MG alte Fassung (würde nunmehr § 4 COVID- 19-MG entsprechen) nicht dazu verhalten werden, an einem bestimmten Ort zu verbleiben. 44 ) Ein durch Verordnung statuiertes Verbot, bestimmte Orte zu verlassen, kann sich daher nicht auf § 2 COVID-19-MG alte Fassung stützen.

Als taugliche Rechtsgrundlage dafür käme allerdings § 24 EpiG in Betracht. Dies hat zur Folge, dass ein Anspruch auf Entschädigung (sofern er nicht durch § 13 Abs 2 COVID-19-MG ausgeschlossen ist) auch dann besteht, wenn eine Verordnung nicht (auch) auf eine in § 32 EpiG angeführte Rechtsgrundlage (wie eben beispielsweise § 24 EpiG), die dafür aber in Betracht gekommen wäre, gestützt wurde. 45 )

40 ) Dass eine Erledigung in Bescheidform zu ergehen hat, folgt auch aus § 32 Abs 6 EpiG. 41 ) ZB Hengstschläger/Leeb , AVG 2 , § 73 Rz 7. 42 ) Vgl zB K. Holzinger , Keine Entschädigungen für COVID-19-Beschränkungen: Die Würfel sind gefallen!

(oder doch nicht?), ecolex 2020, 661; dieselbe, Die Covid-19-Judikatur des VfGH – eine verfassungsrechtliche Analyse, ZVG 2020, 344; J. Wagner , Rechtsprechungs-Update: Entschädigungsansprüche nach dem EpiG bei Betretungsverboten nach dem COVID-19-MG, ecolex 2021, 414. 43 ) VfGH 14. 7. 2020, G 202/2020, V 408/2020; vgl etwa Th. Rabl/Illo Ortner , Der VfGH zu den bisherigen

COVID-19-Maßnahmen! ecolex 2020, 756. 44 ) VfGH 14. 7. 2020, V 363/2020; 10. 12. 2020, V 512/2020. 45 ) VfGH 23. 6. 2021, E 4044/2020.

ASoK 2021 363

Vergütungsanspruch im Epidemiegesetz

6.3. Praktische Auswirkungen

Dies hat folgende praktische Auswirkungen: Liegt eine Verordnung vor, die sowohl auf § 3 COVID-19-MG als auch auf einen Tatbestand nach dem EpiG, der einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs begründet, gestützt werden kann, so wird das EpiG verdrängt. 46 ) Derartige Verordnungen sind daher nicht (auch) als Anordnungen zur Betriebsbeschränkung im Sinne des EpiG zu qualifizieren. 47 )

Liegt hingegen eine Verordnung vor, die auf § 4 COVID-19-MG (oder eine andere Bestimmung des COVID-19-MG als § 3 leg cit) gestützt werden kann, schließt dies den Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs nach § 32 EpiG (für den Fall einer Betriebsschließung) nicht aus. 48 ) Dies gilt auch dann, wenn die nach dem EpiG anspruchsbegründende Norm nicht als Rechtsgrundlage genannt wird. 49 ) Die aktuell (auf Bundesebene) einschlägige Verordnung 50 ) stützt sich sowohl auf § 3 als auch auf § 4 COVID-19-MG. In einem solchen Fall müssen daher die jeweiligen Bestimmungen der Verordnung dem jeweiligen Kompetenztatbestand im COVID-19-MG zugeordnet werden.

Ist der Arbeitnehmer aus einem anderen Grund (etwa weil er sich in Quarantäne befindet) ohnehin daran gehindert, seine Arbeitsleistung anzubieten, so spielt es meines Erachtens unter Zugrundelegung der Sphärentheorie 51 ) keine Rolle, ob der Arbeitgeber aufgrund einer auf § 3 COVID-19-MG basierenden Verordnung daran gehindert wäre, diese anzunehmen. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall also auch bei Vorliegen einer Verordnung im Sinne des § 3 COVID-19-MG bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 32 EpiG einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstausfalls. 52 )

Auf den Punkt gebracht Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs auf Vergütung des Verdienstentgangs nach dem EpiG ist eine von der Gesundheitsbehörde aufgrund des EpiG angeordnete Maßnahme. Die dafür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen sind im EpiG im Einzelnen aufgezählt. Das EpiG stellt dabei gegenüber arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsvorschriften eine lex specialis dar. Für die Geltendmachung des Anspruchs aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme steht eine Frist von drei Monaten zur Verfügung. Durch Verordnung verfügte Betriebsschließungen, die (auch) auf das COVID-19-MG zurückgehen, schließen den Anspruch nach dem EpiG aus.

46 ) Dies wird meines Erachtens konsequenterweise auch dann gelten müssen, wenn in der betreffenden Verordnung nicht § 3 COVID-19-MG, sondern fälschlicherweise eine andere Bestimmung des COVID-19-MG oder lediglich das EpiG als Rechtsgrundlage angeführt wird. 47 ) Für den Arbeitnehmer bedeutet dies daher, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach Maßgabe

des § 1155 ABGB besteht. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall aber keinen Anspruch auf Rückerstattung des fortgezahlten Entgelts nach dem EpiG. 48 ) Dies muss meines Erachtens auch für den (praktisch kaum relevanten) Fall gelten, wenn in der betreffenden Verordnung etwa zu Unrecht § 3 COVID-19-MG als Rechtsgrundlage angeführt wird. 49 ) Eine Verordnung, die das Betreten und Befahren von bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit regelt, schließt den Vergütungsanspruch daher nicht aus. 50 ) Verordnung über weitere Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID-19-Öffnungsverordnung – 2. COVID-19-ÖV), BGBl II 2021/278 in der Fassung BGBl II 2021/328. 51 ) Vgl zur Sphärentheorie im Zusammenhang mit COVID-19 etwa Mazal , Entgeltfortzahlung bei pandemiebedingter Einschränkung des sozialen Lebens, ecolex 2020, 280; Friedrich , Entgeltfortzahlung nach § 1155 ABGB und COVID-19, ZAS 2020, 156; Th. Dullinger , COVID-19-bedingte Dienstverhinderung in der Arbeitnehmersphäre, ZAS 2021, 12; Kietaibl , Grundfragen der Verteilung des Entgeltrisikos bei COVID-bedingten Ausfällen der Arbeitsleistung, JPR 2021, 18. 52 ) Auf die sogenannte neutrale Sphäre wird hier nicht eingegangen.

364 ASoK 2021

Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Bei einer einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses im Krankenstand besteht keine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung nach dem Ende des Lehrverhältnisses

THOMAS RAUCH*)

Anlässlich der sogenannten Angleichung von Arbeitern und Angestellten 1 ) wurden die Ansprüche der Lehrlinge auf Krankenentgelt nach § 17 a Abs 1 BAG hinsichtlich der Dauer verdoppelt. 2 ) § 5 EFZG und § 9 AngG wurden dahin gehend ergänzt, dass im Falle einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsvertrages (eines Arbeiters bzw eines Angestellten) während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand das Krankenentgelt vom Arbeitgeber bis zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit bzw bis zur Erschöpfung des Krankenentgeltanspruchs fortzuzahlen ist. § 5 EFZG und § 9 AngG sind auf Lehrverhältnisse nicht anzuwenden (§ 17 a Abs 7 BAG; § 5 AngG). Dies hat zur Folge, dass die einvernehmliche Beendigung eines Lehrverhältnisses während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand keine Entgeltfortzahlungspflicht über das Ende des Lehrverhältnisses hinausgehend bewirken kann. Im Folgenden wird diese Rechtslage näher erörtert.

1. Auflösung von Lehrverhältnissen

Lehrverhältnisse können automatisch, also ohne eine Erklärung oder einen Auflösungsvertrag, nach § 14 Abs 1 BAG mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit oder aufgrund bestimmter Ereignisse, die in § 14 Abs 2 BAG taxativ angeführt sind (insbesondere mit dem Ende der Woche, in der die Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt wird), 3 ) enden.

§§ 15 und 15a BAG nennen geschlossen die Formen der vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses durch eine Erklärung oder einen Vertrag. Dies betrifft die Auflösung während der Probezeit (§ 15 Abs 1 BAG), die Entlassung (§ 15 Abs 3 BAG), den vorzeitigen Austritt (§ 15 Abs 4 BAG), die einvernehmliche Auflösung (§ 15 Abs 5 BAG) und den Ausbildungsübertritt (außerordentliche Auflösung nach § 15a BAG). 4 )

Die Kündigung wird im BAG nicht erwähnt und daher ist eine Beendigung eines Lehrverhältnisses durch eine Kündigung nicht möglich. 5 )

*) Dr. Thomas Rauch ist Mitarbeiter der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Wien im Ruhestand, Fachbuchautor, Seminartrainer und Parteienvertreter in arbeitsgerichtlichen Verfahren. 1 ) Bundesgesetz, mit dem das Angestelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz, das Berufsausbildungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch und das Landarbeitsgesetz 1984 geändert werden, BGBl I 2017/153; siehe dazu Marhold , Ein Torso mit Widersprüchen, Die Presse vom 11. 10. 2017, S 28, online abrufbar unter https://www.diepresse.com/5300454/ein-torso-mit-widerspruchen; Rauch , Arbeitsrecht 2018 (ASoK- Spezial, Jänner 2018) 8; derselbe, EFZG 2 (2021) § 8 AngG Einleitung. 2 ) Die neuen Regelungen sind mit 1. 7. 2018 in Kraft getreten und auf Krankenstände anzuwenden, die in

Arbeitsjahren eintreten bzw eingetreten sind, die nach dem 30. 6. 2018 begonnen haben; vgl § 20 Abs 11 EFZG; Art X Abs 2 Z 15 AngG; § 36 Abs 11 BAG. 3 ) Vgl § 14 Abs 2 lit e BAG. 4 ) Alle Auflösungsformen sind schriftlich vorzunehmen. Beendigungserklärungen von minderjährigen Lehrlingen bedürfen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 15 Abs 2 BAG). Besondere Formvorschriften sind insbesondere beim Ausbildungsübertritt (§ 15a BAG) sowie bei der einvernehmlichen Beendigung (§ 15 Abs 5 BAG) vorgesehen. 5 ) Der Austrittsgrund der Aufgabe des Lehrberufs (§ 15 Abs 4 lit g BAG) beruht auf einem freien Willensentschluss des Lehrlings und ist nicht näher zu begründen und kann daher als Quasi-Kündigung angesehen werden; vgl OGH 26. 1. 1994, 9 ObA 287/93.

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Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

2. Auflösung von Arbeitsverhältnissen während eines Krankenstands 2.1. Allgemeines

Wird ein Arbeitnehmer während eines Krankenstands gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die gesetzliche Dauer bestehen. Das Arbeitsverhältnis endet mit dem Ablauf der Kündigungsfrist bzw dem Eintritt des Kündigungstermins. Seit 1. 7. 2018 gilt dies auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen solchen (§ 5 EFZG; § 9 AngG).

Im BAG ist – abgesehen von § 17 a Abs 8 BAG, welcher aber nur den Ausbildungsübertritt nach § 15a BAG betrifft – eine vergleichbare Bestimmung nicht enthalten.

2.2. Beendigung während eines Krankenstands nach dem BAG

Die Fortzahlung des Krankenentgelts durch den Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausgehend ist nach § 5 EFZG und § 9 AngG auf Auflösungen durch den Arbeitgeber oder wegen eines Vertragsbruchs durch den Arbeitgeber sowie bei einvernehmlicher Auflösung vorgesehen, um zu vermeiden, dass Krankenentgeltansprüche durch vom Arbeitgeber vorgenommene oder verschuldete Beendigungen verkürzt werden (wobei dies nach einer Entscheidung des OLG Linz 6 ) und der Lehre 7 ) – entsprechend dem angesprochenen Zweck dieser Bestimmungen – auf einvernehmliche Beendigungen, die vom Arbeitgeber veranlasst wurden, zu beschränken ist).

§ 9 AngG kann auf Lehrverhältnisse nicht angewendet werden, weil § 5 AngG die Anwendung von Bestimmungen des AngG auf Lehrverhältnisse ausdrücklich ausschließt. Die Normen des EFZG, die auf Lehrverhältnisse anzuwenden sind, sind in § 17a Abs 7 BAG taxativ angeführt. In dieser Aufzählung fehlt § 5 EFZG.

Der Umstand, dass eine § 5 EFZG und § 9 AngG entsprechende Regelung für Lehrverhältnisse fehlt, ist damit begründbar, dass ein Lehrverhältnis vom Lehrberechtigten nicht gekündigt werden kann und die unbegründete Entlassung das Lehrverhältnis nicht beendet. 8 ) Der Lehrling kann daher die Fortsetzung des Lehrverhältnisses mittels Feststellungsklage begehren. Im Rahmen seines Wahlrechts kann der Lehrling auch Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) nach § 1162b ABGB begehren. 9 ) Da der Schadenersatz am weiteren fiktiven Verlauf des Lehrverhältnisses zu orientieren ist, 10 ) ist das Krankenentgelt über das (gewählte) Ende des Lehrverhältnisses hinausgehend vom Lehrberechtigten zu bezahlen. Dies gilt ebenso für den Schadenersatz nach § 1162b ABGB nach einem vom Lehrberechtigten verschuldeten vorzeitigen Austritt. 11 )

Für den Ausbildungsübertritt (bzw die außerordentliche Auflösung von Lehrverhältnissen nach § 15a BAG) ist jedoch im BAG eine ausdrückliche Bestimmung enthalten, die den Regelungsinhalten von § 5 EFZG und § 9 AngG folgt (§ 17a Abs 8 BAG) und daher bei der Auflösung durch den Lehrberechtigten 12 ) während eines Krankenstands die

6 ) OLG Linz 10. 2. 2021, 12 Rs 95/20g, ARD 6750/8/2021 (Lindmayr ). 7 ) Stella , Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung – bleibt alles

beim Alten? ecolex 2018, 8 (9 f); Rauch , Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während eines Krankenstands, ASoK 2021, 245. 8 ) OGH 18. 9. 1980, 4 Ob 129/79; 13. 4. 2000, 8 ObA 297/99f. 9 ) OGH 13. 4. 2000, 8 ObA 297/99f; 26. 4. 2001, 8 ObA 177/00p. 10 ) OGH 20. 8. 2008, 9 ObA 17/08b; 28. 1. 2021, 8 ObA 115/20z. 11 ) Daher gilt dies insbesondere nicht bei einem vorzeitigen Austritt wegen Aufgabe des Lehrberufs oder

aus gesundheitlichen Gründen. 12 ) Die außerordentliche Auflösung nach § 15a BAG kann vom Lehrberechtigten oder vom Lehrling

erklärt werden; vgl § 15a Abs 1 BAG. Die Entgeltfortzahlung nach Ende des Lehrverhältnisses ist aber nach der ausdrücklichen Regelung in § 17a Abs 8 BAG nur bei der Auflösung durch den Lehrberech-

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Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Entgeltfortzahlung nach Ende des Lehrverhältnisses anordnet, wenn das Krankenentgelt noch nicht erschöpft ist.

2.3. Auflösung des Lehrverhältnisses durch einvernehmliche Beendigung

Ein Lehrverhältnis kann nach § 15 Abs 1 und 5 BAG einvernehmlich aufgelöst werden. Die einvernehmliche Auflösung erfordert die vorherige Belehrung des Lehrlings über die Bestimmungen betreffend die Beendigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses (§ 15 Abs 5 BAG). Eine rechtswirksame einvernehmliche Beendigung eines Lehrverhältnisses setzt weiters die Schriftform voraus und bedarf bei minderjährigen Lehrlingen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 15 Abs 2 BAG). Im Unterschied zum Ausbildungsübertritt 13 ) fehlt jedoch eine Regelung zur Auflösung im Einvernehmen während eines Krankenstands.

Wie schon angesprochen, wurden mit 1. 7. 2018 die Bestimmungen zum Krankenstand für Arbeiter und Angestellte angeglichen und § 5 EFZG und § 9 AngG dahin gehend ergänzt, dass auch im Falle einer einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand der Arbeitgeber das Krankenentgelt auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zur Ausschöpfung des Anspruchs oder bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit weiterhin zu bezahlen hat.

Im Rahmen der Angleichung wurde auch § 17a Abs 1 BAG geändert, indem die Ansprüche der Lehrlinge auf Krankenentgelt gegen den Lehrberechtigten hinsichtlich der Dauer verdoppelt wurden. Im Zuge dieser Änderung (oder allenfalls danach) hätte auch in das BAG eine Bestimmung zur einvernehmlichen Auflösung im Krankenstand oder im Hinblick auf eine solche aufgenommen werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Wenn der Gesetzgeber eine solche Regelung gewünscht hätte, wäre einer entsprechenden Normierung im BAG nichts im Wege gestanden.

Wie schon dargestellt, wurde eine solche Bestimmung anlässlich der Einführung des Ausbildungsübertritts mit der Novelle BGBl I 2008/82 in das BAG aufgenommen (§ 17a Abs 8 BAG). Für die Fälle der unberechtigten Entlassung und des berechtigten Austritts aus Verschulden des Lehrberechtigten fehlt eine solche Regelung, weil sie – wie unter Punkt 2.2. dargestellt – keine Funktion erfüllen würde. Eine Norm zur einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses im Krankenstand könnte zwar eine Funktion erfüllen, ist aber nicht vorhanden und daher fehlt eine Rechtsgrundlage für Entgeltfortzahlungsansprüche in diesen Fällen. 14 )

3. Planwidrige Lücke?

Eine Rechtslücke ist eine – gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung – planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts. Das Gesetz ist in einem solchen Fall – betrachtet bezüglich seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie – ergänzungsbedürftig, ohne dass seine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. 15 )

Eine Planwidrigkeit liegt meines Erachtens nicht vor, weil § 15 Abs 5 BAG den Lehrling vor einer übereilten bzw unüberlegten einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses schützt, indem die Schriftlichkeit und eine vorherige Belehrung durch die Arbeiter-

12 ) tigten (entsprechend dem System von § 5 EFZG und § 9 AngG) vorgesehen und auch dies unterstützt

die zuvor angesprochene Auffassung, dass sich die Entgeltfortzahlungspflicht nur auf vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen bezieht. 13 ) Siehe Punkt 2.2. 14 ) So auch Rauch , EFZG 2 , § 17a BAG Anm 13. 15 ) OGH 23. 3. 1976, 4 Ob 313/76; 30. 10. 2017, 9 ObA 107/17a.

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Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

kammer oder das Arbeitsgericht 16 ) angeordnet wird (bei Minderjährigkeit des Lehrlings ist überdies die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 15 Abs 2 BAG erforderlich). Die Belehrung hat sich auf die „Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses“ zu beziehen.

Daher sollte in die Belehrung aufgenommen werden, dass im Falle des Krankenstands bei der einvernehmlichen Auflösung der Lehrberechtigte nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 138 ff ASVG von der ÖGK ein Krankengeld bezahlt wird, welches zu beantragen ist. 17 ) Es ist also von einem ausreichenden Schutz des Lehrlings bei einvernehmlichen Auflösungen auch während eines Krankenstands auszugehen.

Abgesehen davon liegt eine planwidrige Unvollständigkeit nur dann vor, wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift zwar vorhanden, aber in einer bestimmten Richtung nicht präzisiert ist. 18 ) In der gegenständlichen Konstellation ist jedoch keine Rechtsvorschrift vorhanden, bei der eine Lücke vorliegt, die durch eine Präzision gefüllt werden könnte. Es liegt schlechthin keine Regelung für den Fall der einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses während eines Krankenstands vor, weil – wie schon ausgeführt – ohnedies ein ausreichender Schutz gewährleistet ist.

Der mögliche Umstand, dass manche eine Regelung aus rechtspolitischer Sicht für wünschenswert halten, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Lücke. 19 )

Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Schaffung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu. 20 )

Auf den Punkt gebracht

Mit 1. 7. 2018 wurden § 5 EFZG und § 9 AngG dahin gehend erweitert, dass auch im Falle der einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands (oder im Hinblick auf einen Krankenstand) der Arbeitgeber das Krankenentgelt nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses (bis zu dessen Ausschöpfung bzw zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers) weiterzubezahlen hat. Gleichzeitig wurden die Ansprüche der Lehrlinge auf Entgeltfortzahlung im Krankenstand verdoppelt.

Eine Regelung zur einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands ist im BAG aber nicht erfolgt. Es fehlt daher eine Rechtsgrundlage für den Anspruch auf ein Krankenentgelt nach der einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses.

Aufgrund des besonderen Schutzes des Lehrlings bei einvernehmlichen Auflösungen insbesondere durch eine vorherige Belehrung, die auch die Beendigung im Krankenstand und den Anspruch auf Krankengeld nach §§ 138 ff ASVG umfassen sollte, ist ein solcher zusätzlicher Schutz nicht erforderlich und unter anderem deswegen kann nicht von einer planwidrigen Rechtslücke ausgegangen werden.

16 ) OGH 4. 5. 2006, 9 ObA 20/06s. 17 ) Abgesehen davon kann der Lehrling als Pflichtmitglied der Arbeiterkammer unentgeltliche Unterstützung in allen arbeits- und sozialrechtlichen Anliegen begehren. 18 ) OGH 29. 5. 1995, 1 Ob 7/95. 19 ) OGH 4. 9. 1991, 7 Ob 586/91; 27. 10. 1998, 1 Ob 235/98k. 20 ) OGH 6. 6. 2000, 10 ObS 236/99z.

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