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CHRiSTMAS WiNdOW, LOUiS vUiTTON LONdON IN KOOPERATION MIT JEFF KOONS, 2017 © THE ARTIST

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AKTUELLSTES FOTO dES WEiHNACHTSMANNS, AUGUST 2021, NÜRNBERG © UND FOTO: GERALD SCHWÖRK, CC-BY-SA 3.0 DE

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Oh du Fröhliche? Süßer die Glocken nie klingen? Weihnachten ist zuckersüß, aber Santa Claus hatte die letzten Jahre immer wieder wirklich beunruhigende Krisen. Euer Kunstredakteur Marian hat sich wagemutig auf Spurensuche begeben.

vORGESCHiCHTE Meine Recherche begann mit einer recht harmlosen Frage: Was macht eigentlich Jeff Koons, wenn die Feiertage kommen? Der US-amerikanische Schöpfer gewaltiger Ballontiere, der sich auch schon zusammen mit seiner Ehefrau, der ehemaligen Pornodarstellerin und Politikerin Cicciolina, von Schwarzwälder Kuckucksuhrschnitzern in Originalgröße beim Geschlechtsverkehr in Holz verewigen ließ, gestaltete 2017 die Weihnachtsschaufenster von Louis Vuitton in London. Da sind ein Schneemann und ein Hase mit Karotte zu sehen, komplett in einer weißen Aufblasversion, oder ein weißer Hirsch, der sich wie ein tierischer Filmstar im Sprung zu den Betrachterinnen und Betrachtern umwendet als gäbe es kein Morgen und keine Sorgen; über der Szenerie schweben weiße Herzen und bunte Ballonlogos. Der Hirsch ist in fast Dalí-hafter Manier mit Konsolen versehen und präsentiert zwei von Koons gestaltete Taschen, die berühmten Malern der beginnenden Moderne gewidmet sind. Manets und Gauguins, zum Herumtragen und zum darin die Schlüssel Verlegen. Das ist kitschig und schräg, aber auch fabelhaft, mich ließ aber die Frage nicht los, was eigentlich unser geliebter Weihnachtsmann von so einer auffälligen Mischung aus Markenlabel, Künstlermonogram und klassischer Kunst hält? Steht er kopfschüttelnd vor dem Schaufenster, in seiner Pause zwischen dem soliden, altmodischen Geschenkeausliefern, und denkt über den tieferen Sinn seiner Arbeit und seinen Platz in einer bonbonbunten Markenwelt nach? Womöglich sind Schaufenster wie diese der berühmte Tropfen, der das Fass des männlichen Christkinds zum Überlaufen bringt, und der Weihnachtsmann flippt irgendwann aus. Aber was wäre dann? Meine Recherche förderte basierend auf vergangenen Ereignissen zwei mögliche Zukunftsszenarien zu Tage.

SzENARiO 1: SANTA CLAUS WECHSELT dEN JOb Im Jahr 2001 stand der in rot-weiß gekleidete Mann mit Rauschebart offenbar dem US-amerikanischen Bildhauer Paul McCarthy Modell, der ihm kurz darauf mit einer gewaltigen Bronzestatue in der Fußgängerzone von Rotterdam ein Denkmal setzten sollte. Was muss der gebeutelte Geschenkebringer sich damals gefreut haben, womöglich war es der Moment seiner ersten größeren Sinnkrise, und er freute sich einfach über die gewaltige Glocke und den kleidsamen, wenn auch exzentrischen … nun ja … sagen wir Weihnachtsbaum, den McCarthy ihm als Attribute in die Hände drückte. Stolz präsentiert seine Statue

seitdem beide Accessoires den niederländischen Passanten, der Weihnachtsmann wirkt knuffig und fröhlich mit seinen wulstigen Stiefeln und dem modischen Gürtel. Ob er jemals nachgeforscht hat, was er da tatsächlich in die Luft reckt? Ich fürchte ja, und danach war er mit Sicherheit sehr, sehr irritiert, wenn nicht wütend. Seine Spuren verlieren sich in den folgenden Jahren, nach einem besorgniserregenden Auftritt 2003 in der schonungslosen US-amerikanischen Dokumentation „Bad Santa“, in den südlichen USA.

SzENARiO 2: SANTA CLAUS dREHT dURCH Hinweise auf seinen Aufenthaltsort finden sich erst 2007 wieder, als die US-Rockband The Killers ihren (im Rückblick wie ein Hilferuf wirkenden) Weihnachtssong „Don’t shoot me Santa“ veröffentlicht. Der Refrain und das Musikvideo offenbaren das ganze Drama. So singt der Frontmann Brandon Flowers:

Don‘t shoot me Santa Claus / I‘ve been a clean living boy / I promise you / Did every little thing you asked me to / I can‘t believe the things I‘m going through.

Don‘t Shoot me Santa Claus / Well no one else around believes me / But the children on the block they tease me / I couldn‘t let them off that easy.“

Das Video zeigt dazu beunruhigendes Archivmaterial von einem mit einer Schaufel in der Hand umhertanzenden Weihnachtsmann und einem gefesselten Frontsänger, wahnhafte Szenen in der trockenen Wüste von Nevada. Santa hebt ein Grab aus, offenbar für den bösen Jungen, den Killers-Sänger, der mithilfe seiner Bandkollegen buchstäblich nur in letzter Sekunde entkommen kann. Ob Santa in den Jahren davor noch weitere Bands in der Wüste von Nevada verschwinden hat lassen, konnte ich nicht mit Sicherheit recherchieren, nach dem Video verliert sich die Spur des so tief gestürzten Idols wieder. Was war geschehen? Hat Santa zeitweise die Beherrschung verloren, und war sein Erlebnis mit dem Schaufenster von Louis Vuitton ähnlich unheilvoll, wie die Begegnung damals mit Paul McCarthy? Ein aktuelles Foto, das diesen Sommer auftauchte, lässt womöglich nichts Gutes erwarten. Ist dem Weihnachtsmann klar, dass er da auf keinem echten Rentier sitzt? Man kann es nur hoffen…

iM ERNST: diE KUNSTSCHAFFENdEN bRAUCHEN UNS Die letzten zwei Jahre haben die Kunst- und Kulturszene wohl ähnlich stark mitgenommen wie diese ganzen Krisen unseren lieben Weihnachtsmann, und aktuell zerschlägt sich erneut die Hoffnung auf eine unbeschwerte Adventszeit. Gerade viele freischaffende Künstlerinnen und Künstler sind auf die Präsentation und Verkäufe ihrer Arbeiten in der Vorweihnachtszeit angewiesen um über die Runden zu kommen. Wenn sie ihre Weihnachtsgeschenke nicht unter die Leute bringen können, müssen sie womöglich irgendwann genauso den Beruf wechseln wie Santa, und sich mit riesigen, unanständigen Weihnachtsbäumen in der Hand in die Fußgängerzone stellen. Davor sollten wir sie bewahren! Also lasst uns die Augen und Ohren offen halten und die entsprechenden Kunstweihnachtsmärkte, Adventsveranstaltungen und Atelieröffnungen besuchen, die in nächster Zeit analog und digital aufploppen werden. Und wenn ihr noch ein originelles Weihnachtsgeschenk braucht und Künstlerinnen und Künstler aus der Region kennt und gut findet, fragt doch einfach mal direkt nach. Die meisten Gefragten werden sehr glücklich darüber sein.