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Lou Andreas-Salomé
L O U A N D R E A S - S A L O M É
d i e b r i l l a n t e F i g u r a u ß e r h a l b d e s R a m p e n l i c h t s
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Der Name mag etwas hervorrufen, denn "Lou Salome" wird historisch mit ihren aufsehenerregenden Beziehungen zu den prominentesten deutschen Intellektuellen des Finde-Siècle in Verbindung gebracht. Darunter befinden sich Berühmtheiten wie Nietzsche, Rilke und Freud. Mediale Darstellungen von ihr, wie Frank Wedekinds Opernfigur LouLou, Rilkes Liebesgedichte über sie oder die berühmte Fotografie, die Lou neben Nietzsche und Paul Ree in einem scheinbar sadomasochistischen Dreiecksbeziehung zeigt, sicherten Lous Existenz im Reich des Skandalösen.
Aber wer verbirgt sich hinter dem Namen und der Darstellung in den Medien?
Objekt der Begierde und Furcht
Von Männern idealisiert und von Feministinnen als aufmerksamkeitssüchtige Männer-Puppe abgestempelt, hat Lou Salome unabsichtlich den Ruf als ‘femme fatale' erhalten. Trotz dieser einschränkenden Projektionen hat Lou der Welt viel mehr zu bieten, als ihr die Medien erlauben. Wenn eine so schwerzufassende und nonkonformistische Figur wie Andreas-Salome sich weigert, ihre Privatsphäre ihrem Publikum preiszugeben, ist die soziale Reaktion verständlicherweise die Erfindung einer Erzählung. Ihre Schönheit, ihre Unzugänglichkeit, ihr Anziehung von Drama und ihr enger Kontakt mit den avantgardistischen Kreisen der europäischen intellektuellen Elite eigneten sich gut zur Konstruktion eines Wunscherfüllenden Mythos. Im Laufe der Zeit wurde diese aufschlussreiche, aber erfundene Erzählung mehr oder weniger zu Lous gesamter Identität in der Öffentlichkeit - auf Kosten ihrer literarischen und psychoanalytischen Leistungen.
Der Blick kehrt zurück
Dass ihre riskanten Reize die Ängste und Sehnsüchte der Menschen um sie herum konfrontierten, war sich Lou Salome voll bewusst. Die stets autarke Künstlerin benutzte ihr Image augenzwinkernd als psychoanalytisches Werkzeug, um das Unterbewusstsein der Gesellschaft ihrer Epoche zu erfassen. Indem sie sich weigerte, einfach die Muse von Männern zu sein und eine liberale Haltung gegenüber Beziehungen und Liebe einnahm, drohte sie einerseits, das männliche Ego zu ‘entmannen‘ . Andererseits symbolisierte sie die Furcht einiger kontemporärer Feministinnen, dass ‘Weiblichkeit’ im Wesentlichen nur die Unterwerfung unter den männlichen Blick bedeutet.
Obwohl sie vom feministischen Kanon lange Zeit ungerecht ignoriert wurde, war Lou die erste weibliche Psychoanalytikerin, die auch als erste eine theoretische Grundlage für weibliche Sexualität geschaffen hat. Ihre gesamte Philosophie und Literatur lassen sich nicht als feministisch bezeichnen, dennoch hat sich Salome nie als Vorbild oder Repräsentantin einer ganzen Bewegung gesehen. Dies sollte aber nicht die Wichtigkeit von ihren vorausschauenden Ideen schmälern.
Ihr Text,
‘Die Erotik’ stellt viele Ideen Freuds auf den Kopf und nähert sich dem Thema des sexuellen Ausdruck aus einem völlig neuen und kompromisslosen Blickwinkel. Lou hat keine Angst davor, ihre idiosynkratischen Erfahrungen, ihren philosophisch geschulten Verstand und ihr eigenes, von den Sinnen abgeleitetes Wissen auf ein Gebiet anzuwenden, dass traditionell männlich dominiert und strukturiert war. Während Freud versuchte, den gesamten Begriff des Libidos in ein kompaktes, allgemeingültiges und vor allem das Patriarchatbekräftigendes Schema zu kompressen, kam Lou der komplexen und oft nicht greifbaren Natur der Sexualität zur Rettung. Als jemand, die einen großen Anteil an unterschiedlichen Liebesserien hatte, machte Lou, ihr Recht auf eine Definition von Erotik zu ihren eigenen Bedingungen, geltend. Das Libido kann in ihrer Hinsicht nicht einfach auf Urbedürfnissen, bzw. auf die Fortpflanzung reduziert werden. Anhand der Mutter-Kind-Beziehung vertrat sie die These, dass das Begehren nach einer anderen Person nicht primär sexuell, sondern sozial motiviert ist. Grundsätzlich betrachtete Lou das Libido als Katalysator für die Bildung von tiefen Bindungen. Faszinierend ist, dass Lou ihre Reise in die Psychoanalyse begann, bevor sie Freud überhaupt begegnete - ein Zeugnis ihres originellen und eigenständigen Denkens. Ihre Erweiterung von den revolutionären Ideen Freuds setzt sich noch lange nach ihrer anschließenden Begegnung fort. im Mutterleib lösen sich die Barrieren zwischen den gegensätzlichen Kräften - männlich und weiblich, innerlich und äußerlich, Besessenheit und Verzicht - auf. Davor sind diese oppositionellen Kräfte zu einem vollständigen Ganzen verschmolzen. Dieser Zustand der Totalität oder ‘ewige Weiblichkeit’ , wie Lou es nennt, kann nur im Mutterleib nachgestellt werden. Zu Ehren jeder Frau, die sich durch jahrhundertelange patriarchalische Herrschaft, unterlegen fühlte, liefert Lou einen eleganten Coup d’état, der Geschlechtsunterschiede als Ausgangspunkt benutzt. Weit davon entfernt, kraftlos oder passiv zu sein, erhebt sie das weibliche Geschlecht auf den Rang der Göttlichkeit. Die Vision der Frau als Ort der Schöpfung ist zudem in Einstimmung mit dem natürlichen Rhythmus' des Empfangen und Geben. In diesem Sinne ist “man kann nicht geben, ohne zu empfangen" , die Hymne, die durch Lous Theorie der Sexualität ertönt.
Der vielleicht gewagteste Beitrag, den Lou zur Psychologie geleistet hat, ist ihre positive Interpretation des Mythos' von Narcissus. Anstelle einer mentalen Verwirrung, argumentiert sie, dass Narzissmus aus einem ekstatischen Gefühl der Konvergenz mit der Umgebung entsteht. Indem Narcissus seine Spiegelgestalt im See erkennt, wird sein Wesen mit der Natur um sich herum verschmolzen. Zu erkennen, dass man ein Teil der Natur ist und sich deshalb lieben sollte, ist ein universelles Erbe, das Lou uns allen hinterlassen hat - egal ob man Mann oder Frau ist. Jedoch ist dieses Erbe vor allem für Frauen, deren jede Bewegung oder Erscheinung vom Stimmengewirr neugieriger, verurteilender oder einfach mysoginistischer Stimmen beurteilt wird, von besonderer Bedeutung.
Die Konfrontation mit Freud
Im Gegensatz zu Freuds phallozentrischem Modell und seinem Konzept des “Penis-Neids” , schlägt Lou ein koreaktives Modell vor, das auf der sexuellen Macht von Frauen beruht. Wenn Frauen nach Freud “Penis-Neid” erfahren - da der Penis als Sitz der libidinösen Aktivität Macht repräsentiert - dann erfahren Männer “Mutterleib-Neid” , den Wunsch zu gebären. Erst