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Lebenshilfe plädiert für Gemeinschaftswohnen

Gemeinschaftswohnen „Nicht mehr zeitgemäß?“

In meinem Artikel zum Umgang mit der Coronapandemie in unseren Wohnhäusern im letzten Dorfecho habe ich den Satz formuliert, dass man unsere Einrichtungen als „nicht mehr zeitgemäß“ betrachtet. Bewusst in Anführungszeichen gesetzt, war die Aussage durchaus provokant gewählt, deckt sich aber mit der Meinung eines nicht unerheblichen Teils der progressiv denkenden Aktivisten und Vordenker der Umsetzung von Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Um die Problematik in dieser Aussage zu erkennen, muss man kurz die Veränderung in der Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigungen betrachten, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat.

Paradigmenwechsel Die meisten Wohneinrichtungen sind in den letzten 50 Jahren ursprünglich als Wohnheime gestartet, wurden dann umbenannt und Wohnstätten und heißen derzeit Sonderwohnformen. Mit dem Wechsel der Benennung gingen auch immer wieder Wechsel in der grundsätzlichen Ausrichtung der Betreuung einher; neue personelle Anforderungen, Erweiterungen der Mitwirkungsrechte der dort lebenden Menschen und nicht zuletzt auch bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Wohnqualität (Barrierefreiheit, energetische Maßnahmen). Seit 2020 sind im Zuge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) weitreichende Änderungen der Finanzierung erfolgt, so dass mittlerweile alle in diesen Häusern lebenden Personen individuelle Mietvereinbarungen für die von ihnen bewohnten Räume haben.

Leben in der Gruppe Was geblieben und im Auge vieler ein bleibendes Problem ist: die in den Häusern lebenden Menschen wohnen nach wie vor in Gruppen zusammen und werden umfänglich betreut. Obwohl bewusst neutral formuliert, führt diese Tatsache bei vielen Menschen zu einer Menge von negativen Assoziationen: Ghettoisierung, Gängelung, strukturelle Gewalt, fehlende persönliche Freiheiten, schlechte Versorgung usw.…, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Dies führt in der Folge zu einem höchst kritischen Blick auf diese Wohnform und vor allem auf das dort tätige Personal. Diesem wird gerne unterstellt, im Zuge seiner Arbeit suggestiv Einfl uss auf eben leicht zu beeinfl ussende Menschen zu nehmen und quasi „nach Gusto zu regieren.“ Aber auch Eltern von volljährigen Menschen mit Beeinträchtigungen müssen sich anhören, ihre erwachsenen Kinder „ins Heim“ abzuschieben. Den in den Häusern lebenden Menschen schließlich wird komplette Unwissenheit über die vielen tollen Angebote im Rahmen der neuen rechtlichen und gesellschaftlichen Verbesserungen unterstellt.

Alte Bausubstanz Ein zentrales Problem ist natürlich das der Räumlichkeiten als solcher. Viele Häuser sind mehr als dreißig Jahre alt, die dort verbaute Infrastruktur ist anfällig und veraltet. In den letzten Jahrzehnten haben sich bauliche Voraussetzungen mehr als einmal geändert und – müsste man heute diese Häuser noch einmal bauen – wir würden diese natürlich völlig anders konstruieren.

Allerdings ist dies ein reiner Gemeinplatz, denn vermutlich trifft dies auf über die Hälfte des derzeitigen Wohnbestands in Köln zu. Das Alter und die Mängel der Häuser pauschal zu kritisieren, ohne die Möglichkeit zu geben, Altes entsprechend anzupassen, ist somit eine wohlfeile Empörung. Mir zumindest erschließt sich nicht, wie entsprechend neuer moderner (Ersatz-)Wohnraum für die in unseren Häusern lebenden Menschen entstehen soll, wenn zum einen die Grundpreise im Kölner Süden exorbitant hoch sind und zum anderen die Stadt Köln sich schon vor Jahren aus dem sozialen Wohnungsbau verabschiedet hat.

Individuelles oder gemeinschaftliches Wohnen? Die eigentlichen Kritikpunkte gegenüber den Wohnhäusern sind aber grundsätzlich menschlicher Natur. Beginnen wir mit dem Gegensatz individuelles vs. gemeinschaftliches Wohnen. Grundsätzlich kann jeder Mensch, ob beeinträchtigt oder nicht, in unserem Land natürlich wohnen, wo und wie er möchte. Es geht vielmehr darum, dass unterstellt und auch öffentlich kolportiert wird, dass Menschen mit Beeinträchtigung natürlich individuell mit persönlich abgestimmter Assistenz leben möchten und kein Interesse am Zusammenleben in größeren Gruppen haben.

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In unseren Häusern leben einerseits ältere Menschen seit langer Zeit, aber auch junge Menschen, die erst seit wenigen Jahren dort zu Hause sind. Und der Begriff zu Hause ist durchaus ernst gemeint, denn viele der dort lebenden Menschen haben über die Jahre hinweg ein stabiles Gefl echt sozialer Beziehungen innerhalb und außerhalb der Häuser aufgebaut und ich bin selbst mehrfach von Menschen in den Wohnhäusern mit dem Angebot eines Umzugs abschlägig beschieden worden, da diese eben weiter zu Hause bleiben wollten.

Fehlende Einblicke Dieser persönliche Wunsch wird dann gerne in dem Sinne verdreht, dass wahlweise suggestive Beeinfl ussung, überbordendes Sicherheitsempfi nden oder völlige Unkenntnis gegenüber den vielen besseren Möglichkeiten außerhalb der Wohnhäuser zu dieser Entscheidung geführt haben.

Um es auf den Punkt zu bringen: eine Entscheidung unserer Betreuten für das Wohnen in einem Wohnhaus und gegen eine individuelle Wohnversorgung ist aus einer bestimmten Position heraus nicht akzeptabel, weil rückwärtsgewandet und nicht nachvollziehbar und kann daher nur unter (fremder) Einfl ussnahme erfolgt sein.

Negativschlagzeilen Allerdings – und das soll hier keinesfalls unterschlagen werden – kommt es auch immer wieder zu Situationen, die ein solches Bild schärfen; die Ereignisse auf dem Wittekindshof und in den Reportagen von Team Wallraff sprechen für sich und können in keiner Form beschönigt werden. Das Problem hierbei ist aber ein altbekanntes: es entsteht bei diesen krassen Ereignissen ein mediales Echo, welches die Geschehnisse derart laut zurückwirft, dass für den unbedarften Beobachter ein Bild entsteht, Wohneinrichtungen, in denen behinderte Menschen leben, seien durchgehend Horte der Gewalt. Alle Einrichtungen, Betreuten und das Personal werden in Gesamthaftung genommen. In der gegenteiligen Situation, bei ausgenutzten, missbrauchten und verwahrlosten Menschen mit Behinderung oder psychischen Problemen, die in der eigenen Wohnung zu Opfern werden, wird hingegen ohne weitere Rückschlüsse von Einzelfällen gesprochen.

Grundsätzlich: Gewalt und Missbrauch entstehen immer da, wo hemmungslose Stärkere auf Schwächere treffen, ob in der eigenen Wohnung, in Kindergärten, Schulen, Heimen oder in Wohnhäusern, immer dort, wo es an Schutz fehlt. Achtsamkeit ist daher für uns alle ein Gebot, in jeder Lage.

Geborgenheit & Teilhabe Da die bei uns tätigen Personen, die Angehörigen und die rechtlichen Unterstützer diese Achtsamkeit in der Regel sehr ernst nehmen, unterstützt diese Haltung die betreuten Menschen in unseren Häusern bei einem Leben, welches aus deren persönlicher Perspektive angemessen und gut ist: im Kreis von Freunden, mit hohem sozialen Kontaktaufkommen, Individualität, der Möglichkeit sich zu entfalten; unterstützt von Freunden, Verwandten und Mitarbeitenden, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Kurzum, für die überwiegende Zahl der in den Häusern der Lebenshilfe wohnenden Menschen sind diese Häuser ihr Heim, im ursprünglichen Sinne des Wortes daheim.

Betrachtet man am Schluss die verschiedenen Altersstufen – der älteste derzeit bei uns lebende Herr ist 75 Jahre, die jüngste Dame derzeit 23 – muss man feststellen, dass in den Wohnhäusern der Lebenshilfe schon Menschen verschiedensten Alters zusammengelebt haben. Unter dem gerade sehr zeitgemäßen Begriff Mehrgenerationenwohnen werden auf breiter Ebene die für alle förderlichen Aspekte eines solchen Zusammenlebens beworben.

Abschließen möchte ich damit, dass sich niemand, der in unseren Wohnhäusern lebt, für diese Entscheidung einer Kritik stellen muss. Es bleibt eine individuelle Wahl im Zuge der vielfältigen Wohnmöglichkeiten, zu denen auch unsere Häuser gehören.

Text: Frank Erhard

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