Pierangelo Maset: Beauty Police, Leseprobe, kookbooks 2013

Beauty POLI C E

Pierangelo Maset Roman

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1 Ausladende Gärten frieren im Sommer. Renga, ein gegen die Wand gestrahltes Wort scheint auf, das hier nahezu unbekannt ist. Es setzt sich wirkungsvoll ab in diesem aufgeheizten, nüchtern eingerichteten Raum, der eine abendfüllende Präsentation ermöglicht, mit allem, was dazugehört. Die Luft im Showroom wird durch alle Körper geatmet, ein emsiger Austausch von Molekülen findet statt.

Kalte japanische Landschaften als Schlussbild zu bringen, ist ein angenehmer Kontrast, das schärft die Aufmerksamkeit. Eine elegante Frau, die das Ganze dirigiert, deutet auf verschwommene Bilder berühmter dunkler Riesen, für die sie sich beharrlich einsetzt. Das Riesige überhaupt scheint hier vertreten zu werden, es ist anwesend in der Vorstellung aller, die dorthin wollen, wo die Riesen schon sind, wo sie sich ungezügelt vermehren und ihren einzigartigen Riesenspaß haben. Die anderen schauen und hören zu, applaudieren oder heben den Arm, verständigen sich mit Blicken, mit minimalen Gesten und Bewegungen.

Einige Fragen werden ihr immer wieder gestellt. Bei vielen ähnlichen Gelegenheiten hat Ruth Netzer gelernt, mit einem Lächeln zu antworten, in einer Mimik, die all das, was nicht preisgegeben werden soll, dezent andeutet, doch professionell zurückhält. Applaus. Blitzlichter, Gemurmel, geräuschvolles Stuhlrücken auf dem Podium, Abschalten des Beamers. Der unvollständige Satz Die Zukunft Ihrer Erscheinung bildete eben noch den projizierten Hintergrund der Veranstaltung von THE BEAUT Y POLICE . Hier ist das Unternehmen Ihres Vertrauens, wenn Sie so bleiben wollen, wie Sie es sind oder einmal waren. Lässig im Raum verstreute

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Papierblumen vervollständigen den Eindruck. Eine Kamera fährt Ruth langsam an, bis das elektronische Bild an die Faltengrenze ihres nahezu alterslosen Gesichts gerät. Dann dreht das Gerät ab und versenkt die Bilder in der Tiefe seines Chips. Ihr Kostüm wird zurechtgerückt, und Ruth hat Gelegenheit, noch einmal durch den gesamten Raum zu schauen. Sie sieht, wie die Menge sich nach und nach auflöst; einige Leute verharren, andere wollen gleich auf sie zukommen. Undeutlich, doch durch alle Bewegungen dieser lebhaften Szene dringend, zeichnen sich im hinteren Teil des Saales die Umrisse einer weiblichen Person ab, die eben im Begri≠ ist, ihre Handtasche zu ö≠nen, eine feingliedrige Hand bewegt sich bereits suchend. Ruth kann nicht mehr genauer hinsehen, sie wird zunehmend von einer Meute aus Körpern, Blicken und Fragen in Beschlag genommen. Sie kann nicht anders, als die eingeübten Sätze von sich zu geben, die sie noch im Koma aufsagen könnte.

– Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Es geht um die Zukunft Ihrer Erscheinung. THE BE AU T Y POLICE ist angetreten, Ihr Bild zu verteidigen. Kosmetik ist weitaus mehr als Körperpflege.

Die aktuelle Kampagne stattet die Models für Anzeigen in den Printmedien sowie für den sorgfältig arrangierten Onlineauftritt mit Uniformen des New York City Police Departements oder des New York City Fire Departements aus. Dies sind Outfits, die sich spätestens seit den Septemberanschlägen des Jahres Zweitausendeins im globalen Gedächtnis verstetigt haben und bewirken, dass jeder, der sie wahrnimmt, sofort begreift, worum es geht: Die zeitbedingte Veränderung eines Körpers hat immer etwas mit Auslöschung zu tun, doch hier gibt es entschlossene Leute, die dagegen angehen, und die tragen rüstungsartige Hüllen, die sie von Feuer, Rauch, Staub und allen anderen Katastrophen des Lebens abschirmen. Auch ihre Hautpartien sind durch sie geschützt. THE BEAUT Y POLICE : Unsere Produkte wachen über ihr Erscheinungsbild. Ein Erzeugnis, das sich wie eine auf die Haut

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verteilte Oberflächenpolizei verhält und nachweislich etwas gegen die bestürzenden Veränderungen ausrichtet, die das in den Zellen gnadenlos arbeitende Alterungsprogramm jedem Körper früher oder später zufügt.

– Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?

– Machst du jetzt in Kosmetik?

– Nicht wirklich. Das geht viel weiter, weit über jede Kosmetik hinaus. Du hast es ja gehört. Es handelt sich um ein absolut neues globales Produkt, eines, das für viele Menschen in völlig unterschiedlichen Kulturen wichtig werden wird. Die Angst um das Erscheinungsbild verbindet ja alle.

– Du bist dir jedenfalls treu geblieben. Und die Polizei ist auch dabei. Super!

– Der Körper ist das Medium, das alle am meisten beschäftigt. Jeder bemüht sich, ihn zu erhalten, mal mehr, mal weniger geschickt. Einige hatten vielleicht mit ihren Genen Glück, andere nicht. Man kann das Altern aber steuern, zumindest in einem gewissen Rahmen. Du siehst übrigens gut aus.

– Ja, es geht dir immer um Rahmen, und darum, wie etwas gerahmt werden kann. Du selbst hast dich kaum verändert, siehst eher jünger aus. Operationen?

– Keine chirurgischen, eher gedankliche. Ich teste natürlich alles an mir selbst, was wir herausbringen. U N TITLED™, unsere neue Creme, ist jetzt schon unglaublich, dabei ist noch nicht einmal alles drin, was wir uns vorgenommen haben. Was hast du vorhin in deiner Handtasche gesucht?

– Meinen Revolver, aber es war zu spät, zu viele Unbeteiligte in der Schusslinie. Außerdem hätten die roten Spritzer nicht zu eurer Inszenierung gepasst.

– Können wir uns nicht einfach nur wiedersehen und freuen, dass es uns noch gibt?

– Genau das hatte ich vor. Aber als ich deinen Ausführungen zuhörte, kam es mir einfach hoch. Diese Anbiederung! Irgendwas

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in mir rebelliert gegen alles, was du sagst und tust, da kann ich kaum etwas gegen tun, obwohl wir uns lange nicht mehr gesehen haben. Die Zeit heilt da nichts. Die Zukunft Ihrer Erscheinung und all diese Parolen. Ätzend. Klingt nach totaler Kontrolle. Was hast du sonst in den letzten Jahren getrieben? Wen hast du geliebt? Wie wohnst du? Wie ernährst du dich? Machst du jetzt auch in Politik?

Reicht es dir nicht, was du erreicht hast?

– Ich weiß nicht, was du willst. Meine ganze Energie steckt in THE BE AU T Y POLICE . Ich bewege mich zwischen Shanghai, Berlin und London, um eine Firma aufzubauen, die Körperpflege neu versteht. Eigentlich arbeite ich an den Themen, die mich schon immer beschäftigt haben. Ich mache das, was ich will. Und vielleicht auch muss.

– Und wozu? Was treibt dich an?

– Es gibt Dinge, die man nicht mal vor sich selbst ausplaudern sollte.

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14 Paul ist ein starker Raucher. Was verbrennt, wird gereinigt, kann ihm also nicht gefährlich werden, und er ist nicht wählerisch, was die Wahl der Rauchmittel betri≠t. Eric kommt es vor, als ob Pauls Qualm eine halluzinogene Wirkung hätte. Wenn er ihn einatmet, dehnt sich der Raum wie in surrealen Bildern, die Sinne arbeiten gesteigert, und er nimmt fremdartige Eindrücke wahr. Das Gewöhnlichste erfährt er plastisch geformt, und dann beginnt er unweigerlich zu notieren, so, wie er sich stets das, was für ihn unverständlich gewesen ist, durch mehr oder weniger konsequentes Aufschreiben oder Aufzeichnen näherzubringen versuchte. Er findet sich halluzinierend wieder, Unter den Linden: Vor einer Schaufensterscheibe sehe ich, wie sich die Auslagen der Geschäfte von der gegenüberliegenden Straßenseite in ihr spiegeln und neue Bilder hervorbringen. Für Augenblicke nehmen Spiegelungen ihre flüchtigen, verzerrten Formen ein. Lange Zeit hatte sich mir der Verdacht erhalten, dass allein unsere Blicke die Dinge in der für uns gewohnten Anordnung zusammenhielten und dass man sich nur so schnell wie möglich umzudrehen brauchte, um deren wirkliche Form zu erfassen. Als Kind drehte ich mich manchmal bis zu einem Anflug von Bewusstlosigkeit um die eigene Achse, ohne aber jemals den Punkt zu tre≠en, der die Zone zwischen An- und Abwesenheit bildet. Es gelang mir nicht, Gewissheit zu erlangen, pro Lebensjahr steht nur ein Versuch zu, denn diese Zone kann nicht beliebig oft betreten werden. Heute fällt mir auf, dass viele Bilder nicht für die Augen existieren, sondern für vorstellbare Schauplätze, die ihr Inneres lautlos zusammenhalten

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und sich selbst hervorbringen, verdoppeln, zurücknehmen, ohne von einem Betrachter festgehalten werden zu müssen. Wenn ein Blick auf einen solchen Bildzufall tri≠, sieht er, so stelle ich mir ohne jeden Beweis vor, nur noch den Abdruck oder den Nachhall eines Originals: Die Wahrnehmung ist wie ein gieriger Schwamm, sie wird erschüttert vom inneren Wirbel des Materials, das sich gleichzeitig als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigt. Es ist schwer auszumachen, woran man ist. Die Materialien befinden sich in ständiger Revolution, sie bleiben niemals das Gewohnte, nur der Blick hält sie an ihrem Platz, für unsere Zwecke reicht das.

Doch während ich vor dem Schaufenster stehe, wird das Pflaster benutzt, belastet, eingenommen und verbraucht. Es steigt etwas in die Luft und verteilt sich, es scha≠t sich einen neuen Raum.

Ich verliere meinen Blick, meinen Körper, meinen Ort, meine Zeit.

Es gibt keinen Ausweg aus dem Verbrauch, und die Dinge lachen darüber. Und dann geht es los, ich kann nichts dafür: Meine Schuhe vibrieren von einem Muhen, eine Kuh fordert ihre Haut zurück, sie will das Leder schrittweise wiederhaben. Dazu ist sie nur kurz in der Lage, mein Blick bohrt ihr ein Vergessen ins Bild.

Es kitzelt etwas an den Füßen, lässt sich aber ertragen. Gottseidank sind alle Ebenen auf natürliche Weise getrennt. Spiegelungen lassen erahnen, dass in allen Richtungen massenweise verrückt gewordene Arten und Wiedergänger begierig und ungeduldig auf ihren großen Auftritt warten. Verfluchte Wanderseelen! Bisher ist es meistens glimpflich ausgegangen, nur einmal musste ich ein obszön sich aufweichendes, sich nach und nach in alle Einzelteile auflösendes Automobil beobachten. Gegen solche Fälle vermag ich nichts auszurichten, dafür reicht mein Sehen nicht, es besteht bloß aus der Summe dessen, was mich bisher umgab, seine Langsamkeit ist o≠enkundig. Doch ich kann den Gedanken nicht loswerden, dass wenigstens die Anorganischen in den Bilderfallen bleiben sollten.

Paul ist ein kritischer Mensch, einer derjenigen, die ihre Stimme am Denken schulen wollen, eine selten gewordene Spezies. In Zeiten

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von THE BEAUT Y POLICE sollt ihr euch um eure Falten kümmern und Angst haben vor dem, was in der Zukunft liegt, denn es wird immer euer Alter sein. Ihr könnt zusehen bei eurem Zerfall, keine Chance. Es gibt die tollsten Apparate, die all das aufnehmen, ihr seht es in Überschärfe am Bildschirm, in irgendeiner Castingshow, ihr könnt es mit Grafikprogrammen auf brezeln, falls gewünscht.

Die pure Vorbereitung aufs Marketingleben, das Profil- und Exzellenzleben, ein ununterbrochenes Bewerbungsleben, das erbrochene Kontrollleben, ein komfortables Auto- und Handyleben, ein beglaubigtes Vertrags- und Medizinleben und vermutlich auch ein Pluto- und Saturnleben. Schrei in den Hörer und melde dich mit einem tief empfundenen Hallo, das dir das Trommelfell verdreht, denn du bist mittendrin in diesem einen Leben, wenn du etwas sagen kannst. Du bist dein eigener Berater, es kommt auf dich an und auf dich zu, denn auch du bist Europa, kannst Europa sein, ganz allein. Dein Gehirn, dein Land, dein Reich komme. Lauf mit deinem Bauchladen herum und bettele bei denen, die dir auf Plattformen Arbeit und Zukunft versprechen, oder betreibe etwas anderes, superb bewertet mit Triple-A, best-of-best. O≠ensive Zeitnutzung im vorschriftsmäßig aufgeteilten Universum, win-win.

Feines Programm: der Zeit bei ihrem Verstreichen zuzuschauen, sich beim Älterwerden zu beobachten, übergreifend und dauerhaft eingerichtet. Keiner hilft oder hört zu. Fuck.

Sie tre≠en sich alle zwei Wochen in Erics Wohnung oder in einer Kneipe, um über die allgemeine Lage zu sprechen, Bericht zu erstatten. In diesem Bedürfnis ähneln sie sich, und das ist viel in einer Zeit, in der es Milliarden von Websites gibt, die alle wichtig sind und Aufmerksamkeit beanspruchen. Ansonsten haben sie wenig miteinander gemein, existieren in ungleichartigen Köpfen wie Hauche, die vorüberziehen und sich sympathisch finden. Passt nicht. Passt. Passt nicht. Passt.

– Gesichter in Modezeitschriften erscheinen verlockend. Sie werben für sich. Nichts ist in ihnen zu lesen, außer Bitte kauf mich,

Pierangelo Maset, geboren 1954 in Kassel, lebt in Lüneburg. Seit Ende der 70er Jahre Ausstellungen, Kurzgeschichten und Performances.

In den 80er Jahren Tonträgerverö≠entlichungen mit Dr. Misch – die erste deutschsprachige Rap-Schallplatte –, Modern Entertainment, Kings of Crisis. Ende 2004 wurde das Album »Fakten sind Terror« seiner Band ExKurs, nach dessen Wiederentdeckung in Clubs rund um die Welt, als C D beim Hamburger Label N LW mit einigen Bonustracks wiederverö≠entlicht. Literarische Verö≠entlichungen, Kurtfilme und Videos, darunter 1995 »Hegel und die Skinnerbox«, 2010 der Essay »Geistessterben« und 2013 das »Wörterbuch des technokratischen Unmenschen«.

Mitgründer des HYDE -Kartells in Berlin. Seit 2001 an der Universität Lüneburg. Nach »Klangwesen«, 2005, und »Laura oder die Tücken der Kunst«, der zum Deutschen Buchpreis 2007 nominiert war, beschließt Pierangelo Maset mit » BEAUTY POLICE « seine Romantrilogie. © F o t o : B i l l M a s u c h

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978-3-937445-

kookbooks Reihe prosa

01 -4 Jan Böttcher Lina oder: Das kalte Moor Erzählung 09 -0 Jan Brandt Doppelpass. Geschichten aus dem geteilten Fußballdeutschland Anthologie 10 -6 Silke Andrea Schuemmer Remas Haus Roman 13 -7 Michael Stavaric Europa. Eine Litanei 15 -1 Pierangelo Maset Klangwesen Roman 17 -5 Ste≠en Popp Ohrenberg oder der Weg dorthin Roman 19 -9 Johannes Jansen Bollwerk Vermutungen 26 -7 Pierangelo Maset Laura oder die Tücken der Kunst Roman 05 -2 Johannes Jansen im keinland ist schönerland stumm Texte aus der DDR 1983–1989 28 -1 Michael Stavaric Nkaah. Experimente am lebenden Objekt 33 -5 Tuuve Aro Karmiina K.: »Ich bin okay.« Roman 40 -3 Annika Sche≠el Ben Roman 58 -8 Sabine Scho Tiere in Architektur Texte und Fotos 59 -5 Pierangelo Maset Beauty Police Roman www.kookbooks.de

1. Auflage 2013 © kookbooks, Berlin Alle Rechte vorbehalten Fotos: Pierangelo Maset Gestaltung: Andreas Töpfer Gesetzt aus der Miller Text, Bauer Bodoni und Trafik TS Druck & Bindung: Steinmeier, Deiningen Printed in Germany ISBN 978-3-937-44559-5