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Sich in einem Weltkulturerbe ausprobieren
Ein Choral-Singtag im Advent, musikalische Führungen durch die Kathedrale und im Lesesaal der Stiftsbibliothek, ein Konzert im November: Das und vieles mehr gehört zum aktuellen Programm der St.Galler Choral Stiftung. Mit einer neu gegründeten Fachstelle möchte der Stiftungsrat den St.Galler Choral noch populärer machen. Sowohl Laien als auch Profis sollen sich in dem einstimmigen liturgischen Gesang ausprobieren können und mehr über dessen geschichtliche Hintergründe erfahren.
«Gregorianische Choralgesänge: Da wissen viele gar nicht so genau, was das überhaupt ist», sagt der Musiker Michael Wersin. Damit hat er auch schon den Zweck der 2012 gegründeten St.Galler Choral Stiftung angesprochen, in deren Auftrag er die neu geschaffenen «Praxis- und Koordinationsstelle Gregorianischer Choral» leitet. Mit Vorträgen, Weiterbildungen, Führungen und Konzerten soll die einstimmige liturgische Kirchenmusik aus dem ersten Jahrtausend der christlichen Kirchengeschichte bekannter gemacht werden. Viele der Gesänge wurden in St.Gallen aufgeschrieben, und die alten Choralhandschriften werden in der Stiftsbibliothek aufbewahrt. Sie sind Teil des Weltkulturerbes. Wer sich spontan anhören möchte, wie Gregoriansicher Choral klingt, findet unter dem Stichwort «Ordo Virtutum – Notker Balbulus» bei youtube.com ein Beispiel.
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Die gregorianischen Choralgesänge bescherten St.Gallen im Mittelalter eine bis in die heutigen Tage nachklingende Blütezeit, heisst es auf stgallerchoral.ch, der Website der Choral Stiftung. Das Kloster St.Gallen mit seiner Schreibstube gehörte zu den prominenten Orten, von denen aus die Choralgesänge im ganzen Frankenreich verbreitet wurden. «Der Gregorianische Choral ist zudem die Grundlage für die die Entwicklung der mehrstimmigen westeuropäischen Kirchenmusik des zweiten christlichen Jahrtausends», sagt Michael Wersin, der unter anderem an der Diözesanen Kirchenmusikschule unterrichtet, an der St.Galler Kathedrale als Musiker wirkt und künstlerischer Leiter des Festivals «Alte Musik St.Gallen» ist. Der St.Galler Mönch Notker Balbulus etwa sei im frühen 10. Jahrhundert am Schnittpunkt zwischen Bewahrung der Tradition und Weiterentwicklung des Repertoires tätig gewesen.
Einen Bogen vom gregorianischen Choral in St.Gallen zur frühen Mehrstimmigkeit in Frankreich schlägt das von Michael Wersin neu gegründete Ensemble «Cappella Choralis St.Gallen» an seinem ersten Konzert am 19. November um 19.15 Uhr im Chor der Kathedrale: Teile der auf Choralmelodien basierenden «Messe de Nostre-Dame» von Guillaume de Machaut werden einstimmigen Choralgesängen aus den St.Galler Handschriften gegenübergestellt.
Auf dem Programm der St.Galler Choral Stiftung, das momentan schon bis Ende 2023 fixiert ist, stehen zahlreiche weitere Veranstaltungen. Der Choral-Singtag am 3. Dezember ist vor allem für all jene interessant, die schon etwas Chorerfahrung haben und sich – gern auch zum ersten Mal – im gregorianischen Choralgesang versuchen möchten. Angepasst an die Möglichkeiten der zusammenkommenden Sängerinnen und Sänger wird im Laufe des Choral-Singtages Gregorianik für die Messfeier erarbeitet, die dann am selben Tag in der Vorabendmesse der Kathedrale zur liturgischen Aufführung gelangt. Thematisiert werden am Singtag unter anderem auch die musiktheoretischen und die geschichtlichen Hintergründe des Chorals sowie die Choralpraxis der Mönche, die auch in St.Gallen über Jahrhunderte den Alltag im Kloster prägte und gliederte.
Weitere Veranstaltungen sind etwa ein Choral-Singtag für Profis im Februar und die Präsentation von Handschriften-Originalen mit Live-Musikbeispielen im Handschriftenlesesaal der Stiftsbibliothek im März. «Die Veranstaltungen der Praxis- und Koordinationsstelle sollen ein möglichst breit gefächertes Publikum ansprechen», sagt Michael Wersin. Sehr hilfreich sei hierfür die schon bestehende Vernetzung im Klosterbezirk zwischen Stiftsbibliothek, Diözesaner Kirchenmusikschule und DomMusik. «So können wir die ganze Vielfalt dieses St.Galler Schatzes zeigen, der weit in die Region ausstrahlt.» (nar)
Weitere Infos unter stgallerchoral.ch