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Kapelle St.Josefen: Unscheinbar, aber mit viel Historie
Einst befand sich an ihrer Stelle der Friedhof der ehemaligen Pfarrkirche St.Josefen, die Kirche selbst nur unweit davon entfernt. Nach deren Abbruch wurde die Josefskapelle Anfang der 1960er-Jahre als Erinnerung gebaut. Heute ist sie ein Ort der Ruhe und des Gebets.
Es gibt da diese Geschichte eines Lastwagenchauffeurs, der in St.Josefen etwas auszuliefern hatte. Da er sich im Ort nicht auskannte, wurde ihm die Josefskapelle als Orientierungshilfe angegeben. Trotzdem fand er die Lieferadresse nicht auf Anhieb. Später, als er sie dann doch noch gefunden hatte, sagte der Mann zum Kunden, er sei mehrmals an der Kapelle vorbeigefahren, habe sie aber nicht als Kapelle wahrgenommen.
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So wie diesem Lastwagenchauffeur dürfte es vielen Ortsunkundigen gehen, die die Kapelle St.Josefen im Dorf besichtigen möchten. Sie ist leicht zu übersehen, weil sie von aussen nicht unbedingt so aussieht, wie man sich eine typische Kapelle vorstellt: Sie ist fast quadratisch, hat eine Glasfront und ein schräges Dach. Die kleine Kirche wurde 1961 erbaut und gehört damit zu den moderneren Kapellen in der Region.
Neubau nach Abbruch
Die Josefskapelle steht an jener Stelle, an der zuvor der Friedhof der ehemaligen Pfarrkirche von St.Josefen seinen Platz hatte. Die Kirche selbst befand sich ein paar Meter entfernt, direkt an der Strasse. Sie war im 17. Jahrhundert gebaut worden und wurde im Laufe der Jahre für die stark wachsende katholische Kirchgemeinde zu klein. Zudem war auch die «Notwendigkeit ihrer Renovierung unübersehbar und der Aufenthalt im Gotteshaus gefährlich», wie es im Büchlein «Kirchen und Pfarreien in Gaiserwald SG» von Johannes Huber heisst. So wurde zwischen 1903 und 1905 die heutige Pfarrkirche in Abtwil gebaut. Damit verlor die alte Kirche in St.Josefen ihre Bedeutung. 1905 fand die letzte Taufe statt, 1935 der letzte Gottesdienst. Doch was sollte nun aus ihr werden? Ein Abbruch war von niemandem im Dorf ernsthaft in Erwägung gezogen worden, da die Kirche «in den Herzen vieler Menschen in Abtwil-St.Josefen einen besonderen Platz einnahm». 1946 hatte die Kirchgemeindeversammlung noch einmal bekräftigt, das Gebäude zu erhalten. Dieser Beschluss hielt aber nur 15 Jahre. Da man in der Kirche «keinen praktischen Nutzen» mehr sah und sie auch «kein erhaltenswertes Baudenkmal» war sowie eine Sanierung zu teuer gewesen wäre, entschied man sich für einen Abbruch.
Aus Pietätsgründen und um die Erinnerung an die alte Kirche am Leben zu erhalten, sei schliesslich 1961/62 die Kapelle St.Josefen entstanden, schreibt Huber weiter. Verantwortlicher Architekt war Walter Heeb aus Abtwil. Die Kapelle wird als «schlichter Zweckbau» bezeichnet. Nach Westen erstreckt sich ein ummauerter Vorhof, in dessen Mitte eine grosse Linde steht. Die Gebäudeseite zum Vorhof ist als Fensterfassade gestaltet, in den anderen Wänden finden sich hohe rechteckige Fensterschlitze. Vor allem jene drei rötlich getönten Fenster in der Nähe des Altarraums erzeugen bei Sonneneinstrahlung ein hübsches Farbspiel im Innenraum, und auch die Fenster beim Dachgiebel werfen ein geheimnisvolles Licht in den Altarraum.
Ein Blickfang ist auch der geschmiedete Stationszyklus an der Mauer draussen im Vorhof der Kapelle sowie die schematische Darstellung der zwölf Apostel am Tor. Beides wurde von Silberschmied Roger Lutz aus St.Gallen entworfen und ausgeführt. Die Einweihung der Kapelle fand am Josefstag 1962 (19.März) statt. Zum 50-Jahr-Jubiläum 2012 wurde sie sowohl innen als auch aussen renoviert, ohne den Charakter der Kapelle zu verändern.

Stationszyklus an der Mauer im Vorhof
Schöne Traditionen
Heute ist die Kapelle ein Ort der Ruhe, Inspiration und des Gebets. Da sie nicht beheizt ist, bleibt sie über den Winter geschlossen. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist sie in den wärmeren Monaten allerdings auch nur noch am Wochenende geöffnet. Der Gottesdienst an Auffahrt unter der prächtigen Linde vor der Kapelle hat Tradition und zieht immer wieder viele Kirchgängerinnen und Kirchgänger an. Vor Corona fand in der Kapelle St.Josefen lange Zeit jeden Donnerstag eine Messe und das «Gebet am Donnerstag. Schritt für Schritt» statt. Bis auf Weiteres sind jedoch alle gemeinsamen Feiern in der Kapelle abgesagt, da die Corona-Schutzmassnahmen im Innern nicht eingehalten werden können. Keinen Unterbruch hingegen gibt es beim Sonntagsläuten. Seit Jahrzehnten kommt jeden Samstagabend eine über 80-jährige Frau aus dem Dorf in die Kapelle und zieht mit ihren blossen Händen am Glockenstrang. (lom)

Blick vom Altar in die Kapelle