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Was wirklich wichtig ist im Leben
Fallschirm springen, die Tochter sehen oder einen Elefanten reiten: Dies sind drei von mehreren tausend Wünschen, die Menschen weltweit im Kunstprojekt «Bevor ich sterbe, möchte ich…» aufgeschrieben haben. Ab Mai können auch in St.Gallen Gedanken zum Leben und Lebensende festgehalten werden.
Die meisten Menschen möchten sich über den eigenen Tod nicht unbedingt gross Gedanken machen. Doch genau dies wäre wichtig, gehört er doch zum Leben dazu. Das hat uns nicht zuletzt auch die Coronapandemie eindrücklich vor Augen geführt. Über Monate war der Tod in der Öffentlichkeit und in den Medien omnipräsent, er konnte nicht mehr ausgeblendet werden.
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Um den Tod, oder besser gesagt, um die Zeit vor dem Tod geht es auch im Projekt «Bevor ich sterbe, möchte ich…», das in diesem Mai erstmals nach St.Gallen kommt. An vier stark frequentierten Standorten in der Stadt – beim Kornhausplatz (30. April bis 7. Mai), vor der Migros Lachen (8. bis 13. Mai), auf dem Areal Bach (14. bis 19. Mai) und dem Marktplatz (20. bis 25. Mai) – werden Tafeln aufgestellt, welche die Passantinnen und Passanten dazu einladen, den Satz «Bevor ich sterbe, möchte ich…» zu vervollständigen. Dabei kann jede und jeder die ganz persönlichen Gedanken und Wünsche mit Kreide auf den wandtafelartigen Kubus aufschreiben. Ziel des Projekts ist es, die Bevölkerung für die Themen «Leben und Lebensende» zu sensibilisieren. «Wir möchten die Menschen dazu bewegen, über die Endlichkeit des Lebens nachzu- denken und den Fokus auf die Dinge zu legen, die ihnen wirklich wichtig sind», sagt Yvonne Würth-Kegel.
Idee von US-amerikanischer Künstlerin
Die Geschäftsführerin des Forums Palliative Care Stadt St.Gallen ist im sechsköpfigen Projektteam für die Kommunikation und das Marketing verantwortlich. Initiiert wurde das Projekt von Elisa Hartmann und Jacqueline Wenger, die Idee stammt von der USamerikanischen Künstlerin Candy Chang. Die beiden St.Galler Frauen hatten am Rande des Demenzkongresses 2019 erstmals von Changs interaktiven Kunstprojekt «Before I die» gehört. Die US-Amerikanerin rief es 2011 in New Orleans ins Leben. Mit dem Kunstprojekt wollte sie den Tod eines ihr nahestehenden Menschen verarbeiten. Sie bestrich in der Nachbarschaft ihrer Heimatstadt ein verlassenes Haus mit bunter Farbe, schrieb ihre Gedanken auf und liess Platz für die Gedanken anderer.
Chang war überzeugt davon, dass dieses Aufschreiben den Menschen helfen kann, die eigene Sterblichkeit zu reflektieren, und der Gesellschaft, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Innert kurzer Zeit füllten sich die Wände mit Gedanken, Hoffnungen und Träumen zahlreicher Menschen. Seither wurde das Projekt in 78 Ländern über insgesamt 5000 Mal umgesetzt. Darunter sind Länder wie Indien, Kenia, China, Australien, Frankreich, Deutschland und Österreich, und es wurden Wünsche aufgeschrieben wie ein Abenteuer erleben, die Welt ein bisschen besser machen, Fallschirm springen, eine berühmte Künstlerin werden, Ruhe finden, Weisheit, Mut und Gelassenheit haben oder einen Elefanten reiten.
Ab Mai kann sich auch die Schweiz zu diesen Ländern zählen. «Wir würden uns natürlich freuen, wenn das Projekt in anderen Regionen und Städten seine Nachahmer findet und stellen unseren Kubus und das gesamte Material auch zur Verfügung», sagt Yvonne Würth-Kegel.
Ein Ort der Begegnung
An allen vier Standorten in der Stadt können die Tafeln so lange beschrieben werden, bis sie voll sind. Dann werden sie fotografiert und gereinigt, was Platz für neue Gedanken schafft. «Schön wäre natürlich, wenn die Menschen dadurch vor Ort ins Gespräch kommen und auch erzählen, weshalb sie diesen Wunsch oder jene Sorgen aufgeschrieben haben», so Yvonne Würth-Kegel.
Verschiedene Veranstaltungen wie Lesungen oder Diskussionsrunden begleiten das Projekt an allen vier Standorten. Geplant ist, die Bilder mit den Zitaten und Gedanken der Menschen in einem Bildband festzuhalten. Das Projekt wird zudem vom Kompetenzzentrum OnkOs für Onkologische Pflegeforschung und Lehre der OST – Ostschweizer Fachhochschule wissenschaftlich begleitet. Die Forschung soll Erkenntnisse generieren, wie Menschen das Thema Sterblichkeit reflektieren und generationenübergreifende Aspekte berücksichtigen. (lom)
Weitere Informationen unter bevor-ich-sterbe.ch