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Glocken rufen neu am Mittag zur Besinnung
In einem der Glockentürme der Kathedrale. Bild: Paul Joos
Am Dienstag nach Ostern werden die Glocken der katholischen und der reformierten Kirchen in St.Gallen erstmals um 12 statt um 11 Uhr gemeinsam läuten. Diese Verschiebung des Betzeit-Läutens sei zeitgemäss, sagt Dompfarrer Beat Grögli, da die Menschen heute ihre Arbeit viel mehr um diese Mittagszeit herum unterbrechen.
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Es ist ein Brauch, der dem einen oder anderen gar nicht mehr auffallen dürfte: Jeden Tag um kurz nach 11 Uhr läuten für ein paar Minuten die Kirchenglocken. Auch in der Stadt St.Gallen. Was dies bedeutet, wissen wahrscheinlich noch die wenigsten. Einer, der es weiss, ist Dompfarrer Beat Grögli. «Es ist das sogenannte Betzeit-Läuten am Mittag, das den Tag unterbricht und zur Besinnung aufruft», sagt er. «Manche bezeichnen das Geläut auch als Angelus-Läuten, weil dazu früher ein besonderes Gebet, das Angelus-Gebet – auch Engel des Herrn genannt – gesprochen wurde.» Das sei heute selbstverständlich immer noch möglich, werde aber immer weniger getan.
Das Grundanliegen des Geläuts ist, dass die Menschen ihre Arbeit in der Mitte des Tages unterbrechen, den Blick zum Himmel richten und für einen Moment innehalten. Früher war der Zeitpunkt dafür um elf Uhr geeignet, da die Menschen am Morgen früher aufgestanden sind und demzufolge auch früher am Tag zu Mittag gegessen haben. Dies hat sich mittlerweile jedoch geändert. Die meisten unterbrechen ihren Tag und ihre Arbeit heutzutage für eine Pause um die Mittagszeit herum, so zwischen 12 und 13 Uhr. Das Betzeit-Läuten um 11 Uhr sei deshalb eigentlich nicht mehr zeitgemäss, sagt Grögli. Aus diesem Grund haben sich die katholischen und die reformierten Kirchen in der Stadt St.Gallen gemeinsam entschieden, das Geläut eine Stunde nach hinten zu verschieben; von 11 auf 12 Uhr.
«Starkes ökumenisches Zeichen»
Das erste Mal wird es am Dienstag nach dem Osterfest, am 6. April, um 12 Uhr, läuten. Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt, da die Glocken der katholischen Kirchen am Karfreitag und Karsamstag bis zum grossen Osternacht-Gottesdienst stumm bleiben. Erst dann werden sie wieder läuten und zeigen, dass etwas Neues da ist und das Leben stärker ist als der Tod. Für Beat Grögli, der diese Veränderung angeregt und auch die Gespräche mit den Kirchgemeinden geführt hatte, war es wichtig, dass sowohl die katholische als auch die reformierte Kirche beim neuen Mittagsläuten mitmachen. «Es ist ein starkes ökumenisches Zeichen, wenn alle Kirchen in der Stadt gemeinsam läuten», sagt er. «Es soll auch ein gemeinsamer Aufruf zum Innehalten an alle Menschen sein, egal welcher Religion sie angehören.»

Beat Grögli, Dompfarrer
Für den Dompfarrer war es bereits der zweite Anlauf. Vor ein paar Jahren hatte er mit seiner Idee schon einmal bei den Seelsorgenden angeklopft. Damals war die Skepsis gegenüber einer Verschiebung der Betzeit am Mittag noch zu gross. In der Zwischenzeit seien die Bedenken weniger geworden und die Veränderung werde breit akzeptiert.
Bevor jedoch zum ersten Mal gemeinsam um 12 Uhr geläutet werden kann, muss das Geläut aller Kirchen, das elektronisch gesteuert wird, neu programmiert werden. «Am meisten zu tun hat jetzt das Unternehmen, das die Programmierung vornimmt, da wahrscheinlich viele Kirchen mit derselben Firma zusammenarbeiten», sagt er. Für ihn und seine Mitarbeitenden sei der Prozess der Entscheidung aufwendiger gewesen als das Umsetzen jetzt.
Auslöser für neue Diskussionen
Der Dompfarrer ist sich bewusst, dass derartige Veränderungen Auslöser für neue Diskussionen rund um das Nutzen des Glockengeläuts sein kann. «Darüber, ob es das Betzeit-Läuten heute überhaupt noch braucht, kann man streiten», sagt Grögli. Er aber sei fest davon überzeugt, dass «wir Menschen die Unterbrechung und den Blick über die Arbeit hinaus brauchen – und daran erinnern uns die Glocken jeden Tag um die Mittagszeit».
Eine kleine Anpassung wird es dennoch geben: Das Betzeit-Läuten der Kathedrale am Samstagmorgen um 6 Uhr und am Sonntagmorgen um 8 Uhr wird gestrichen. «Wir haben Verständnis dafür, dass die Glocken am Wochenende, wenn die Leute ausschlafen können, nicht unbedingt schon um 6 respektive 8 Uhr läuten müssen. Insbesondere weil sie kurze Zeit später zum Gottesdienst bereits wieder läuten.» (lom)