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Leitgedanken

von Papst Franziskus

In den vergangenen Jahren haben wir Gott sei Dank ein besonderes Bewusstsein für diese Probleme (verschiedene Arten des Missbrauchs) festgestellt. Die Kultur des Missbrauchs, sei es sexueller Art oder von Macht und Gewissen, wurde zuerst von den Opfern und ihren Familien angeprangert, die trotz ihres Leidens ihren Kampf für Gerechtigkeit führten und dazu beitrugen, die Gesellschaft auf diese Perversität aufmerksam zu machen und zu heilen.

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Ich werde auch nicht müde, mit Trauer und Scham davon zu sprechen, dass diese Missbräuche auch von einigen Mitgliedern der Kirche begangen wurden. In den vergangenen Jahren haben wir wichtige Schritte unternommen, um Missbräuche abzustellen und eine Kultur der Fürsorge zu schaffen, die rasch auf Anschuldigungen reagieren kann. Die Schaffung einer Kultur der Fürsorge wird Zeit brauchen, sie ist aber eine unvermeidliche Verpflichtung, auf der wir mit aller Deutlichkeit bestehen müssen. Es darf keinen Missbrauch – sexueller Art oder von Macht und Gewissen – mehr geben, weder innerhalb noch außerhalb der Kirche.

Wir haben dieselbe Bewusstwerdung überall in der Gesellschaft gesehen. In der #MeToo-Bewegung, in den vielen Skandalen um mächtige Politiker, Medienmacher und Geschäftsleute – Raubtiere unter den Menschen. Eine Geisteshaltung wurde aufgedeckt: Wenn man alles haben kann, wann man will, warum dann nicht auch junge Frauen sexuell ausnutzen, Frauen, die zu ihnen aufschauen und bestrebt sind, zu gefallen? Die Sünden der Mächtigen sind fast immer Sünden der Anspruchshaltung, begangen von Menschen, deren Schamlosigkeit und dreiste Arroganz atemberaubend sind. In der Kirche ist dieses Gefühl der Anspruchshaltung das Krebsgeschwür des Klerikalismus, wie ich es nenne, eine Perversion dessen, wozu Priester berufen sind.

Aber in allen Fällen ist die Wurzel der Sünde die gleiche. Es ist die alte Sünde derer, die glauben, dass sie ein Recht darauf haben, andere zu besitzen, die keine Grenzen kennen und schamlos glauben, die anderen nach Belieben benutzen zu können. Es ist die Sünde, den Wert einer Person nicht zu respektieren.

(…) Es ist richtig und gerecht, dass Menschen ihre Würde bei allen Formen von Missbrauch zurückfordern. Missbrauch ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde, die wir nicht zulassen können und gegen die wir weiterhin ankämpfen müssen.1

1 Papst Franziskus: Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise, 2020; Aus dem Kapitel: Eine Zeit zum Sehen, S. 36-38