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Das Liederjahr? Die Liederjahre.

Die Zeit um 1840 war nicht nur geprägt von den privaten Hoffnungen der beiden auf eine bessere Gemeinschaft, auf ihre endlich in einer Eheschliessung offiziell bestärkte Beziehung. Die gesellschaftliche Stimmung dieser Vormärz genannten Zeit war überhaupt mit grossen Hoffnungen verbunden. Nebst der autobiographischen Grundierung des Liedschaffens jener Zeit lässt sich Robert Schumanns Wirken also auch im politischen Kontext lesen. Der hoffnungsvolle Ton vieler Lieder weist in eine hoffentlich bessere Zukunft Aller. Uns nachgeborenen Kennerinnen und Kennern erschliesst sich das daraus, dass Schumann in seinen Liedern hier schon motivische Keimschichten legt, die er später in seinen mehrstimmigen Gesängen und Chören, also in kollektiveren Formaten, wieder aufnehmen wird.

Oft wird vergessen, dass es in Robert Schumanns Leben nicht nur ein «Liederjahr» gab, sondern deren zwei. Schumann fasste in den späten 1830er Jahren den Vorsatz, als Komponist systematisch die Gattungen seiner Zeit

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Randzeichnungen zum Gedicht «Liebesbotschaft» abzuschreiten. Forthin erweiterte er das bis dahin hauptsächlich für Klavier entstandene Werk der Reihenfolge nach auf Lieder, Sinfonik, Kammermusik, Solokonzerte, Oratorien und schliesslich als Höhepunkt auf die Oper. Nach der Fertigstellung seiner Oper Genoveva 1848, deren Textdichter übrigens unser Maler-Dichter Robert Reinick war, der fünfzehn Jahre zuvor das oben erwähnte Gedicht Liebesbotschaft verfasst hatte, folgte ein weiteres diesmal nicht nur Schumann persönlich betreffendes Ereignis: Die Hoffnungen der europäischen Intellektuellen und Künstler – als beides darf man Robert Schumann getrost bezeichnen –, ihre Erwartungen, und zunehmend auch die politisch spürbaren Spannungen des Vormärz entluden sich in den Revolutionen von 1848. Aufständen in ganz Europa, die blutig niedergeschlagen wurden. Auch in Dresden, wo die Schumanns seit 1844 lebten. Am 3. Mai kam es zur offenen Revolte gegen den König, der nach kurzer Flucht mit seinen Truppen in die Residenzstadt zurückkehrte. Der Kampf erforderte unvorstellbare 300 Tote. Prominentester Flüchtling jener Zeit aus Dresden ist Richard Wagner, der in der Schweiz sein Unterkommen fand. Aber auch das Ehepaar Schumann war gefährdet. Robert hatte offen mit den Aufständischen sympathisiert, hatte bekenntnishafte Klaviermärsche geschrieben. Das Ehepaar flüchtete in die südlich der Stadt gelegene Gemeinde Kreischa.

Aus: Reinick, Robert: Lieder eines Malers mit Randzeichnungen seiner Freunde, S. 17.

Falsch liegt jedoch, wer nun denkt, diese Ereignisse hätten den sensiblen Komponisten künstlerisch gelähmt. «Nie war ich tätiger, nie glücklicher in der Kunst», schreibt Schumann im November 1849. «Auf mich hat die ganze Zeit anregend im höchsten Grad gewirkt.» Und wiederum rückt das Lied ins Zentrum von Schumanns kompositorischem Wirken. Die Unterschiede im Habitus der vormärzlich hoffnungsvollen Lieder der Jahre 1840/41 und der Gruppe der späteren Werke dieses zweiten «Liederjahres» 1849 sind frappant.

Blumen allüberall

Als Hochzeitsgabe schenkte Robert Schumann am 12. September 1840 seiner Braut einen Liederzyklus in vier Heften, die Myrthen op. 25. Anfänglich noch als lose Sammlung konzipiert von Liedern nach Johann Wolfgang von Goethe, Robert Burns und weiteren Dichtern, stellte Schumann im Frühjahr 1840 Überlegungen zu einer zyklischen Gestaltung an. Die Myrte ist seit der griechischen Antike eine Pflanze mit grosser symbolischer Bedeutung. Geweiht wurde sie der Schönheitsund Liebesgöttin Aphrodite. Seit der Neuzeit wurden Myrtenzweige und -kränze auch in Deutschland zur Hochzeit getragen. Und so ist der Zyklus denn auch als Privatum lesbar: Heft 1 beschreibt die verliebten Eheleute. In Nr. 1 Widmung geht das so weit, dass das Gegenüber als «Welt, in der ich lebe» bezeichnet wird, als «Grab», als «bess’res Ich». Das früheste Gedicht, das Schumann für den späteren

Myrthen-Zyklus aussuchte, war Heines «Du bist wie eine Blume». Die Flora spielt aber auch an anderen Stellen von op. 25, nicht zuletzt im Titel, eine Rolle. Es tauchen «östliche Rosen» auf, die Blüten eines «Nussbaums» im dritten Lied und natürlich die berühmte Nr. 7 Lotosblume nach einem Gedicht, das Heinrich Heine 1827 im Buch der Lieder veröffentlicht hatte. Unschwer kann, wer möchte, im Text Parallelen zur Biographie der Schumanns finden: Die Lotosblume (Clara) ängstigt sich vor der Sonne Pracht (Friedrich Wieck) und erwartet mit gesenktem Haupte ihren Buhlen den Mond (Robert).

In die Dichterliebe op. 48, ebenfalls nach Heine, mischen sich bereits die Zwischentöne der Ironie. Resignation gar macht sich in Nr. 10 Hör’ ich das Liedchen singen breit, wie überhaupt dieser Zyklus, anders als die Brautgabe des op. 25, pessimistisch endet. Charakteristisch sind hier die längeren Klaviernachspiele, die den Text in ein ahnungsvolles Ungewisses hinauslaufen lassen.

Fasste Schumann mit seinen Liedern um 1840 erstmals Schritt ausserhalb der Welt der ihm vertrauten Klavierkompositionen, so steht er zehn Jahre später schon ganz anders da, hatte Sinfonien geschrieben, Solokonzerte, das Oratorium Das Paradies und die Peri und die erwähnte Oper Genoveva. Ausserdem war er als Musikkritiker der Musikdramen Richard Wagners begegnet. Die spontan wirkende Äusserung der frühen Lieder weicht, wie im Nr. 3 Einsiedler aus den Drei Gesängen op. 83 einer choralartigen Schlichtheit. Passend dazu lässt sich auch der Text in den drei Strophen als lyrisches Abbild der Dreieinigkeit lesen. Die Sechs Gesänge op. 89 aus demselben Jahr 1850 wären in ihrer von Abschied und Verlust geprägten Haltung («Dass der Lenz so heimlich floh, ach, das lässt uns nimmer froh») in Nr. 1 Heimliches Verschwinden geradezu unerträglich pessimistisch, würde Schumann nicht mit Nr. 5 Ins Freie einen Hoffnungsschimmer aufblitzen lassen. Ob man der Botschaft allerdings trauen soll, die da von Befreiung und dem Flug durch das Weite singt? Geradezu depressiv sodann mutet die Faktur von Nr. 1 Herzeleid aus den Sechs Gesängen op. 107 an. Und auch wenn es im Text die unglückliche Ophelia ist, die ihren Blumenstrauss (wieder Blumen!) in die «ziehenden Wasser» fallen lässt, so beschleicht uns, vertraut mit dem tragischen Ende Robert Schumanns, doch ein unheilvolles Gefühl beim Hören.

Drei Franzosen ohne Worte

Mit dem Abendlied schlägt das Programm die Brücke zu den französischen Instrumentalstücken von Debussy, Roussel und Gounod. Dieses Abendlied aus Robert Schumanns Vierhändigen Klavierstücken op. 85 ist nämlich ein Lied ohne Worte für Klavier zu (sic!) 3 Händen. Es wurde weitherum in Europa rezipiert und bearbeitet. Unter anderem auch von Camille Saint-Saëns, der dem «Lied» wieder einen Text gab: «Calme des nuits». Nach zwei Sinfonien für grosses Orchester

(und vor einer unvollendeten dritten) schrieb Charles Gounod gegen Ende seines Lebens eine Petite Symphonie pour vents. Ein Werk zwischen Kammermusik und Sinfonik voller Leichtigkeit, dessen Tonfall an die mozart’schen Bläserpartiten erinnern lässt. Für viele französische Komponisten war Gounod so etwas wie der Vater der modernen französischen Musik im 19. Jahrhundert. Nur Claude Debussy liess verlauten, man könne Gounod eigentlich keiner Schule einordnen. Dasselbe könnte auch für Debussy selbst gelten. So changiert seine Petite Suite, ursprünglich für Klavier zu vier Händen, zwischen Tonmalerei und absoluter Musik. Die ersten beiden Sätze heissen En Bateau und Cortège, sind also Tonmalereien, worauf Debussy kontrastierend dazu mit einem Menuett und einem walzerartigen Ballett zwei Tanzsätze folgen lässt. Jüngstes Werk im Programm des Kammerorchester Basel ist die Petite Suite op. 39 von Albert Roussel aus dem Jahr 1929. Eine Aubade, übersetzbar mit «Musik zum Morgen», kündet in ihrer Ausgelassenheit die vielen Farben des letzten Satzes Mascerade bereits an. Dazwischen schiebt sich eine Pastorale, deren ländliche Gefühle von einer Atmosphäre harmonischer Ambiguitäten durchzogen werden.

Benjamin Herzog

Abendlied (GottfriedKinkel)

Es ist so still geworden, Verrauscht des Abends Wehn, Nun hört man aller Orten

Der Engel Füße gehn, Rings in die Thale senket

Sich Finsterniß mit Macht -Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht!

Nun stehn im Himmelskreise

Die Stern' in Majestät; In gleichem festem Gleise

Der goldne Wagen geht. Und gleich den Sternen lenket

Er deinen Weg durch Nacht --

Wirf ab, Herz, was dich kränket, Und was dir bange macht!

Der Einsiedler (JosephvonEichendorff)

Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! Wie steigst du von den Bergen sacht, Die Lüfte alle schlafen, Ein Schiffer nur noch, wandermüd', Singt übers Meer sein Abendlied

Zu Gottes Lob im Hafen.

Die Jahre wie die Wolken gehn Und lassen mich hier einsam stehn, Die Welt hat mich vergessen, Da tratst du wunderbar zu mir, Wenn ich beim Waldesrauschen hier Gedankenvoll gesessen.

O Trost der Welt, du stille Nacht!

Der Tag hat mich so müd' gemacht, Das weite Meer schon dunkelt, Laß ausruhn mich von Lust und Not, Bis daß das ew'ge Morgenrot Den stillen Wald durchfunkelt.

Die Lotosblume (HeinrichHeine)

Die Lotosblume ängstigt

Sich vor der Sonne Pracht

Und mit gesenktem Haupte

Erwartet sie träumend die Nacht.

Der Mond, der ist ihr Buhle Er weckt sie mit seinem Licht, Und ihm entschleiert sie freundlich Ihr frommes Blumengesicht, Sie blüht und glüht und leuchtet Und starret stumm in die Höh'; Sie duftet und weinet und zittert Vor Liebe und Liebesweh.

Widmung (FriedrichRückert)

Du meine Seele, du mein Herz, Du meine Wonn’, o du mein Schmerz, Du meine Welt, in der ich lebe, Mein Himmel du, darein ich schwebe, O du mein Grab, in das hinab

Ich ewig meinen Kummer gab!

Du bist die Ruh, du bist der Frieden, Du bist der Himmel, mir beschieden.

Daß du mich liebst, macht mich mir werth, Dein Blick hat mich vor mir verklärt, Du hebst mich liebend über mich, Mein guter Geist, mein beßres Ich!

Hör’ ich das Liedchen klingen (HeinrichHeine)

Hör' ich das Liedchen klingen, Das einst die Liebste sang, So will mir die Brust zerspringen Von wildem Schmerzendrang.

Es treibt mich ein dunkles Sehnen Hinauf zur Waldeshöh', Dort löst sich auf in Tränen Mein übergroßes Weh’.

Heimliches Verschwinden (WilfriedvonderNeun)

Nachts zu unbekannter Stunde

Flieht der liebe Lenz die Flur, Küßt, was blüht, still in der Runde

Und verschwindet sonder Spur.

Rings von seinen Küssen prangen

Früh die Blumen hold verschämt, Daß an ihrem Mund zu hangen,

Schmetterling sich nicht bezähmt.

Doch die Leute draußen sagen, Daß der Lenz vorüber sei; Und an wetterheißen Tagen

Kennt man Sommers Tyrannei.

Und wir denken dran beklommen, Daß der Lenz so heimlich floh; Daß er Abschied nicht genommen, Ach! das läßt uns nimmer froh.

Also schmerzt es, geht das erste Lieb ohn' Abschied von uns fort. Ruhig trügen wir das Schwerste, Spräch' sie aus das Scheidewort.

Liebesbotschaft (RobertReinick)

Wolken, die ihr nach Osten eilt, Wo die eine, die Meine weilt, All meine Wünsche, mein Hoffen und Singen Sollen auf eure Flügel sich schwingen, Sollen euch Flüchtige

Zu ihr lenken, Daß die Züchtige

Meiner in Treuen mag gedenken!

Singen noch Morgenträume sie ein, Schwebet leise zum Garten hinein, Senket als Tau euch in schattige Räume, Streuet Perlen auf Blumen und Bäume, Daß der Holdseligen, Kommt sie gegangen, All’ die fröhlichen

Blüten sich öffnen mit lichterem Prangen!

Und am Abend, in stiller Ruh' Breitet der sinkenden Sonne euch zu!

Mögt mit Purpur und Gold euch malen, Mögt in dem Meere von Gluten und Strahlen

Leicht sich schwingende

Schifflein fahren, Daß sie singende

Engel glaubet auf euch zu gewahren.

Ja, wohl möchten es Engel sein, Wär’ mein Herz gleich ihrem rein;

All' meine Wünsche, mein Hoffen und Singen

Zieht ja dahin auf euren Schwingen, Euch, ihr Flüchtigen, Hinzulenken

Zu der Züchtigen, Der ich einzig nur mag gedenken!

Herzeleid (TitusUlrich)

Die Weiden lassen matt die Zweige hangen, Und traurig ziehn die Wasser hin:

Sie schaute starr hinab mit bleichen Wangen, Die unglückselge Träumerin.

Und ihr entfiel ein Strauss von Immortellen, Er war so schwer von Tränen ja, Und leise warnend lispelten die Wellen: Ophelia, Ophelia!

Ins Freie (WilfriedvonderNeun)

Mir ist's so eng allüberall!

Es schlägt das Herz mit lautem Schall, Und was da schallt, sind Lieder!

Aus düstrer Mauern bangem Ring

Flieg' ich ins Weite froh und flink:

Da atm' ich Wonne wieder!

Da flattert aus der offnen Brust

Die Sehnsucht nach verrauschter Lust

Und nach gehoffter Wonne: Die Winde tragen's himmelan, Die Gräslein geben Fürbitt' dran, Sich neigend in der Sonne.

Mir ist's so eng allüberall!

Es schlägt das Herz mit lautem Schall, Und was da schallt, sind Lieder!

Aus düstrer Mauern bangem Ring

Flieg' ich ins Weite froh und flink:

Da atm' ich Wonne wieder, Da atm' ich Wonne wieder;

Es schlägt das Herz mit lautem Schall, Und was da schallt, sind Lieder!

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