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Wo man Grenzen überbrückt. Die Kunst- und Kulturprojekte von CARINTHIja 2020. Karin Waldner-Petutschnig
Wo Kultur Grenzen überbrückt
Die Kunst-, Kultur- und Bildungsprojekte im Rahmen von CARINTHIja 2020 sind dreihundert Einladungen zur kreativen Begegnung mit Vergangenheit und Zukunft. Empfehlungen für Neugierige ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
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„Wie man mit Denkmälern umgeht, mit bestehenden und mit zukünftigen“, steht im Mittelpunkt eines der rund 90 Kunstund Kultur-Projekte im Rahmen des jah resbestimmenden Jubiläumsschwerpunktes. Der Villacher Historiker und Ausstellungs-Kurator Werner Koroschitz, zuletzt verantwortlich für die TourismusSchau „Zimmer frei“ und die überregional beachtete Präsentation „Vermessungsamt“ in St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu, wollte sich zwar „anfangs gar nicht beteiligen“ an den Initiativen rund um die hundertste Wiederkehr der Volksabstim mung. Die Skepsis wich aber doch angesichts der Chance auf neue Sichtweisen und spannende Dialoge. Mit einer „Fuß note“ (so der Titel des Projektes) will er mit dem Verein Erinnern „ganz unaufge regt“ einen zusätzlichen Blick auf den einstigen Villacher Bürgermeister und Nationalsozialisten Oskar Kraus werfen, der auf einem Abwehrkämpferdenkmal beim Silbersee aus dem Jahr 2002 namentlich gewürdigt wird. Diese wissenschaftlichkünstlerische Intervention will als kritisches Statement zur Erinnerungskultur ab Mitte September das Denkmal ergänzen.
Neben dem offiziellen Festprogramm, das im Oktober (so Corona will) mit einem Festakt in Klagenfurt, einer Festsitzung von Landtag und Landesregierung, sowie zahlreichen Kranzniederlegungen seinen Höhepunkt finden soll, tourt dann die Mobile Ausstellung unter Federführung des Landesmuseums durch die Bezirks städte Kärntens. „Nicht das Land besucht die Ausstellung, die Ausstellung kommt ins Land“, lautet die Devise, die eine ganz wesentliche Intention dieses Jubiläumsformates illustriert: Nicht nur Südkärnten und die einstige Abstimmungszone sollen sich auf vielfältigen Wegen mit hundert Jahren Kärntner Geschichte auseinandersetzen.
Landauf, landab waren kreative Köpfe aufgerufen, einen künstlerischen, wissenschaftlichen, bildungsspezifischen Beitrag zu Kärntens Weg in die Zukunft zu leisten. Herausgekommen ist dabei eine Fülle an Ideen, die in hunderte Veranstaltungen münden, die zeigen wollen, wie „innovativ, interaktiv, integrativ“ (so die offizielle Homepage) Themen aufbereitet werden können. Vom Tanztheater (einAnder: „24 Stunden Grenzerfahrung“), Wissenschaftssymposien und Filmprojekten von Schülerinnen und Schülern bis zu Vortragsreihen und Workshops reicht die Vielfalt an Formaten.
Die Präsentation einer Anthologie mit Texten in beiden Landessprachen ist eine gleich mehrfache Premiere: Denn erstmals arbeiteten sowohl der Kärntner SchriftstellerInnenverband (Gabriele RusswurmBiró) und der Verband der slowenischen Schriftsteller Österreichs (Niko Kupper) für ein Buchprojekt zusammen (Verlag Hermagoras/Mohorjeva; siehe BRÜCKEseite 69). Auch eine Lesung aus Werken des verstorbenen Fabjan Hafner (in einer
KPD Šmihel: Internationales Figurentheaterfestival Cikl Cakl. Foto: KPD Šmihel | Slowenischer Kulturverein Zarja: Ausstellung „Petzen/Peca: Obir“. Foto: Forum Zarja


Übersetzung von Peter Handke, Suhrkamp Verlag) steht im Rahmen von CARINTHIja 2020 auf dem Programm. Vieles vom Geplanten musste zwar inzwischen ver schoben werden – manches auch in das Jahr 2021 – einiges adaptiert. Dennoch beeindruckt die Vielfalt an Veranstal tungsformaten – auch und besonders in Corona-Zeiten.
Die 89 Projekte aus den Bereichen Kunst und Brauchtum, Schule und Wissenschaft illustrieren anschaulich, wie kreativ und kritisch, witzig und wertschätzend, poe tisch und phantasievoll die Kärntnerinnen und Kärntner im Jahr 2020 mit ihrer Geschichte umgehen. Vielfalt schmeckt ihnen besser als Eintopf, wozu das Bewusstsein für das vereinte Europa und die Positionierung im Alpen-Adria-Raum wohl auch beigetragen haben dürften. Appetit auf Kunst und Kultur machen fünf Schwerpunkte, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise mit den Themen Erinnerungskultur, Dialog, Migration, Demokratie und Infrastruktur befassen. Nicht nur klassische Veranstaltungsfor men wie Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen stehen dabei auf dem Programm.
Unterwegs sein. Bei „Festen des Mitei nanders“ in Bleiburg/Pliberk (die ersten mussten allerdings abgesagt und in das Frühjahr 2021 verschoben werden) wird gemeinsam alpen-adriatisch musiziert und gekocht, einmal wird auch die slowenische Nachbarstadt Ravne eingebunden und mit einem Sonderzug angefahren. Aber auch zu Fuß werden die Menschen unterwegs sein. Etwa für eine Menschenkette entlang der Karawanken zwischen Mallestiger Mittagskogel (dem westlichsten Punkt der einstigen Demarkationslinie in der Abstimmungszone A) und dem Dreiländereck. Das Projekt der landwirtschaftlichen Fachschule Stiegerhof (September) umfasst auch Programmpunkte wie eine Wande rung, einen Staffellauf mit Friedenslicht, eine Videoproduktion und eine Ausstel lung. „Die Grenze ändert sich in unseren Köpfen“ haben sich die Veranstalter als Leitsatz gewählt und so einen der Schlüsselbegriffe des Event-Reigens formuliert: Dem Thema „Grenze“ und vielen Ablei tungen daraus ist eine Vielzahl an Veranstaltungen gewidmet. Grenzerfahrungen und Grenzüberschreitungen sind bei Grenzwanderungen zu erleben, so wie sie sich etwa die bildende Künstlerin und aktuelle Präsidentin des österreichischen Kunstvereins, Tanja Prušnik, einfallen hat lassen. Der Weg führt dabei entlang einer sieben Kilometer langen Freirauminstallation zum Gedenken an drei Widerstandskämpfer vom Wölflhof bis zum Peršman-Museum bei Bad Eisenkappel/ Železna Kapla. Verschiedene Stationen, permanente Kunstmarkierungen und ein Kunstbuch werden die performative Wanderung ergänzen (September). Nicht weit davon entfernt findet in der ehemaligen
UNIKUM: PULLFAKTOR. Festzug der Tiere durch Kärnten. Foto: UNIKUM | Hermagoras Verein: Die Zukunft der Kärntner Slowenen 100 Jahre nach der Volksabstimmung. Foto: Justi Hribernik | schau.Räume: Abwunderung. Foto: schau.Räume | ARBOS: INVALID 2020. Foto: ARBOS, Herbert Gantschacher




Gemeinde Leifling/Libelice (heute Neuhaus/Suha) eine musikalische Grenzwanderung statt, bei der sich Chöre aus Kärnten und Slowenien singend begegnen (Mai 2021). „Grenzdebil“ nennt die Künstlerin Barbara Ambrusch-Rapp mit Augenzwinkern ihre begehbare Audio- und Rauminstallation in der Kirche St. Peter in St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu. Die Vernissage ist zwar entfallen, doch bis Juni kann man unter Einhaltung der Corona-Verordnungen die Kirche besu chen: „Wo Grenzen sich nicht auf Trennlinien in Regionen oder Ländern beschränken, sondern mitten durch Ortsgemeinschaften und sogar Familienkonstellationen ihre Spur ziehen, manifestiert sich auch das Destruktive an solchen geografischen und gesellschaftlichen Prozessen“, erläutert die Kulturarbeiterin dazu (Tel.-Info: 0680 13 32112).
Mit einem „Festzug der Tiere“ wird sich das Universitätskulturzentrum UNIKUM auf den Weg machen. Grenzüberschreitende Wanderungen in wenig bekannte Regionen sind seit Jahrzehnten eines der Markenzeichen dieser Pionier*innen der Freien Szene in Kärnten. Für das Jubilä umsjahr stellen die Kreativköpfe ein spektakuläres künstlerisches Projekt auf die Beine, besser gesagt: auf die Räder. Im September und Oktober wird der tierische Festumzug als Wanderausstellung durch das Land ziehen. Die Carnica-Honigbiene aus Kirschentheuer und der Fink aus Finkenstein, der Waldrapp aus Rosegg und der Aal aus Schwabegg, das Pferd aus Treffen und das Brillenschaf aus Eisenkappel sind nur einige der Umzugsteilnehmer, die auf von Künstler*innen gestalteten Pkw-Wagenanhängern unterwegs sein werden. Der fahrende Zoo wird in Eisenkappel/Železna Kapla, Klagenfurt/ Celovec und St. Johann im Rosental/ Šentjanz v Rožu Station machen.
Wanderbewegungen noch viel weiter fasst die „Abwunderung“ des Vereins schau.Räume, der sich seit 2011 mit „marginalisierten sozialen Räumen“ beschäftigt, wie Katrin Ackerl Konstantin erzählt. Dabei werden Themen, über die man kaum spricht, in Leerständen oder an verlassenen Orten, in Szene gesetzt. Der Verein arbeitet dafür mit regionalen Wissenschafter*innen, NGOs, Künstler*innen, Theatergruppen, etc. zusammen. Ende Juni/Anfang Juli hat das CARINTHIja 2020-Publikum bei geführten Touren durch die „verpartnerten“ Städte Spittal an der Drau und Ferlach die Mög lichkeit, sich (analog) in jeweils vier Räumen (Komm-Raum, Geh-Raum, Nachbar-Raum, Spiel-Raum) mit den Themen Abwanderung, Einwanderung, Zuwande rung auseinanderzusetzen. Eine virtuelle Realisation mit sechs Räumen wird an drei Aufführungstagen im Netz angeboten.
„Dialog, Dialog, Dialog!“ wünschte sich von Planungsbeginn an Kurator Peter Fritz. Und Dialog ist neben den Worten „Grenze“ und „Brücke“ der dritte Schlüs selbegriff, der sich durch viele der Veranstaltungen zieht. „Viel(ge)schichtig“ werden die Ergebnisse eines spannenden partizipativen Geschichtsforschungsprojektes sein (OeAD/KulturKontakt Austria u. a.). Dafür haben Jugendliche aus vier ausgewählten Gemeinden (Velden, St.