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ÜBER GROSSZÜGIGKEIT – S

Über

GROSSZÜGIGKEIT

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Interview ANNE WAAK

Fotos CONRAD BAUER

JULIA HEIFER und ZSUZSANNA TOTH sind erfahrene Gastgeberinnen. Zuletzt haben sie in ihrem Pop-up-Restaurant Gaia in einem alten Palmenhaus im Örtchen Gerswalde bei Berlin zwei Saisons lang anspruchsvolle Gäste empfangen und für sie gekocht. Die beiden wissen also, worauf es an den Festtagen für einen gelungenen Abend ankommt – und teilen hier ihr Wissen

FANGEN WIR AM ANFANG AN: WIE STELLT MAN ALS GASTGEBERIN ODER GASTGEBER SICHER, DASS SICH ALLE, DIE SICH AUF EINE ABENDEINLADUNG HIN EINFINDEN, WOHLFÜHLEN?   H: Im Restaurant wie zu Hause ist es entscheidend, den Gästen in dem Moment, in dem sie zur Tür hereinkommen, das Gefühl zu geben, dass sie erwartet wurden und man sich über ihren Besuch freut. Ich gehe davon aus, dass das erste Bedürfnis, das gestillt werden will, Durst ist – ob nun mit einem Glas Wasser oder Sekt.   T: Das Wichtigste für mich ist, jeden Gast gleich wertzuschätzen – egal, ob es sich um die beste Freundin oder mitgebrachte Kleinkinder handelt. Alle sind willkommen und werden berücksichtigt.   H: Man stellt seinen Gästen einen Ort zur Verfügung, einen Platz am Tisch, und dazu gehört es auch, ihnen diesen Ort vorzustellen. Dazu bedarf es nicht unbedingt Worten; ein Getränk und ein Stuhl reichen auch, und ein Ausblick darauf, was an dem jeweiligen Abend passieren und was serviert wird. Dann geht es darum, Gäste auf eine Art zu versorgen, die sich natürlich und familiär anfühlt – und dass von allem genug da ist. Großzügigkeit ist ganz wichtig.

WO WIR SCHON BEI GETRÄNKEN SIND: GIBT ES SO ETWAS WIE DEN IDEALEN APERITIF?   H: Für mich ist das ein Negroni oder ein richtig guter Schaumwein.

AUF LEEREM MAGEN KANN SO EIN NEGRONI, DER JA IMMERHIN AUS DREI SORTEN ALKOHOL BESTEHT, EINEN ABER GANZ SCHÖN UMHAUEN.   H: Das kommt auf den Kontext an, aber manchmal braucht man den als Icebreaker, um die ersten zehn Minuten, die mit Unsicherheit verbunden sein können, hinter sich zu lassen.   T: Ich bin Fan von Spritz, zubereitet mit Sirup aus Gartenkräutern. Etwas Erfrischendes, das eher wirkt, als wäre der Alkohol zufällig darin. WAS REICHT MAN AM BESTEN DAZU?   T: Wir verfahren immer nach dem Motto: etwas Erfrischendes und etwas, das den Drink absorbiert. Also etwa eine Platte mit Crudités und etwas Focaccia mit Kräuterbutter.

EMPFIEHLT ES SICH, DIE GÄSTE ZU PLATZIEREN ODER LÄSST MAN SIE BESSER SELBST AUSSUCHEN, WO SIE SITZEN WOLLEN?   H: Mir als Gastgeberin hilft es, wenn es eine Tischordnung gibt. Andernfalls ist es meine Verantwortung, den Leuten dabei zu helfen, an den Tisch zu finden. Wenn ich in diesem Moment aber in der Küche stehen und das Essen fertigstellen muss, bricht leicht Stress aus. Wobei es da auch auf die Situation ankommt. Für einen Abend mit den sechs besten Freundinnen und Freunden braucht es keine Tischordnung. Bei zwölf Gästen, von denen sich die Hälfte nicht kennt, können Platzkärtchen helfen, die Befangenheit aufzulösen. Sonst stehen die Leute herum und fragen sich, ob sie sich schon setzen dürfen.

GIBT ES EINE IDEALE ANZAHL AN GÄSTEN?   H: Das kommt natürlich auf das eigene Zuhause und die eigenen Fähigkeiten an, aber zehn sind eine gute Zahl.   T: Vier Gäste versprechen einen gemütlichen Abend, acht bis zwölf Gäste sind schon eher etwas für fortgeschrittene Köche. Ab fünfzehn wird es aufregend. Aber egal, wie groß die Tischgesellschaft werden soll: Wichtig ist, darauf zu achten, dass ein bis zwei Personen dabei sind, die keine Berührungsängste haben und den Tisch unterhalten können.

WAS DENKEN SIE: SOLL MAN PAARE TRENNEN ODER NICHT?   H: Ja. Schon allein, weil sie sich selbst darüber am meisten freuen.   T: Auf jeden Fall trennen.

WIE BRINGT MAN DIE UNTERSCHIEDLICHEN UND IMMER ZAHLREICHEREN ERNÄHRUNGSVORLIEBEN UND UNVERTRÄGLICHKEITEN UNTER EINEN HUT? T: Es hilft, die gängigen Trends und Vorlieben zu kennen und ein wenig darauf zu achten. Aber auch in der Küche geht der Spaß ein wenig verloren, wenn man ein Menü ausschließlich um die zahlreichen existierenden Intoleranzen herum bastelt. Mit vegetarischen Gerichten deckt man einen guten Teil der Wünsche ab, ansonsten kann man darauf achten, dass man einzelne Komponenten wie bei einem Baukasten einfach weglassen oder ersetzen kann. Wenn man Obst und Gemüse zur Basis macht und Salsas und Dressings zu Geschmacksträgern, braucht man gar kein tierisches Fett oder klassische Buttersaucen. Allergene wie Nüsse kann man sich für Toppings aufheben.   H: Je mehr verschiedene kleinere, gut zueinander passende Gerichte man anbietet, desto einfacher wird es, ohne dass jemand das Gefühl bekommt, nur Beilagen zu essen. Grundsätzlich gilt: Wer wirklich ernstzunehmende Unverträglichkeiten oder Allergien hat, wird sicherstellen, sie mitzuteilen. Je mehr man bohrt, desto mehr erfährt man auch.   T: Und dann geht es schnell darum, worauf jemand an diesem Tag Lust hat. Aber für diese Frage ist es, wenn man am Tisch sitzt, in der Regel zu spät.

WAS, WENN EIN GANG UNRETTBAR MISSLUNGEN IST?   H: Da helfen nur Humor, offene, ehrliche Kommunikation und der feste Vorsatz, das eigene Scheitern nicht als Katastrophe anzusehen. Sowas passiert einfach. Es hilft immer, ein Menü auszuwählen, das man gut vorbereiten kann, und genug Zeit einzuplanen, einen misslungenen Gang noch einmal zuzubereiten.   T: Wenn man von vorneherein mehrere Gerichte anbietet, ist ein Ausfall schon nicht mehr so tragisch. Je mehr Alternativen da sind, desto besser. Notfalls bestellt man Pizza – dann wird es eben ein ganz anderer Abend als geplant.

FREUEN SIE SICH ALS PRIVATE KÖCHINNEN ÜBER HILFE IN DER KÜCHE ODER WERFEN SIE GÄSTE FREUNDLICH RAUS?   T: Bitte keine Hilfe in der Küche!   H: Gäste können Getränke mitbringen und sich selbst nachschenken, aber in der Küche habe ich gern freie Hand.

DAVON ABGESEHEN: DARF MAN GÄSTE MIT AUFGABEN WIE DEM NACHSCHENKEN ODER ABRÄUMEN BETRAUEN?   H: Es ist vollkommen legitim, sollte aber vorher geklärt werden, damit man seine Gäste nicht im Moment überfordert. Wer dachte, er kann sich mal einen Abend zurücklehnen, hat vielleicht keine Lust, sich um die Cocktails zu kümmern. Aber in einem Panikmoment ist es natürlich in Ordnung zu sagen: Die Eiswürfel sind alle, kannst du schnell zur Tankstelle springen?   T: Besonders wenn man noch nicht so erfahren im Gastgeben ist, empfiehlt es sich, den Ablauf des Abends einmal gedanklich durchzuspielen und sich vorzustellen, was alles getan werden muss. Eine Art Generalprobe im Kopf, bei der man merkt, wo man Hilfe wird gebrauchen können.

WIE VERHINDERT MAN, DASS DIE WEIHNACHTSDEKO KITSCHIG WIRD?   H: Alles, was aus der Natur stammt, kann kaum kitschig werden, außer man beglitzert es

„Vier Gäste versprechen einen gemütlichen Abend, acht bis zwölf sind etwas für Fortgeschrittene. Ab fünfzehn wird es aufregend.“

übermäßig. Aber Nüsse, Baumfrüchte, Zweige, Blumen und Äste eignen sich eigentlich immer. Umso schöner, wenn sich Elemente aus dem Menü wiederfinden, wie Zucchiniblüten oder Fenchelknollen. Ein paar Kerzen dazu – das ist immer eine sichere Wahl. Abgesehen von Weihnachten neigen viele Gastgeber grundsätzlich dazu, eine große Vase mit einem üppigen, fast dekadenten Strauß auf den Tisch zu stellen. Das sieht im ersten Moment gut aus, aber wenn dann voll eingedeckt ist, das Essen und die Getränke serviert sind und die Gäste sitzen, merkt man, dass so ein Centerpiece unpraktisch sein kann, weil die Tafel überladen wirkt und es den Gästen den Sichtkontakt nimmt. Je näher an der Tischfläche, desto besser. MUSIK: JA ODER NEIN?   T: Musik ist superwichtig. Sie muss Spaß machen, sollte aber eigentlich nicht auffallen – ein bisschen wie der Soundtrack zu einem Film, der einen nicht ablenkt, sondern die Geschehnisse auf der Leinwand unterstreicht.   H: Wenn am Tisch einmal Stille einkehrt und dann keine Musik läuft, setzt das alle Anwesenden unter Druck, die Entertainer-Rolle zu übernehmen. Eine Mischung aus bekannten Songs und eher atmosphärischen Stücken ist ideal. Aber auch da kommt es darauf an, ob man einen Sonntagsbrunch veranstaltet oder ein Dinner, von dem man gern hätte, dass es mit tanzenden Gästen endet.

WIE WICHTIG IST EIGENTLICH DIE RAUMTEMPERATUR? ICH WAR NEULICH AUF EINER FEIER, DIE LANGE NICHT IN SCHWUNG KAM, WEIL DER RAUM ZU KALT WAR.   T: Die Temperatur ist enorm wichtig, ideal sind 20 bis 23 Grad. Es ist schlimm, wenn jemand beim Essen seine Jacke anbehalten muss – das macht mich regelrecht wütend.

ZU GUTER LETZT: WIE BRINGT MAN GÄSTE CHARMANT DAZU, WIEDER NACH HAUSE ZU GEHEN?   T: Mit der Frage, ob noch jemand einen Absacker möchte. Oder man fängt an, unauffällig ein wenig aufzuräumen (lacht).   H: Idealerweise macht man das, bevor einem die Augen zufallen. Wenn ich weiß, dass ich in spätestens einer Stunde im Bett liegen möchte, ist das der beste Moment, um die letzte Runde auszurufen und Espresso zu servieren.   T: Aber wenn die Gäste schwer zum Gehen zu bewegen sind, hat man ja alles richtig gemacht.

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