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DIE KUNST DES RADFAHRENS (MIT HUND)
Hans Schabus ist Bildhauer und lebt in Wien. Ein zentrales Thema seines Werks ist die Fortbewegung und Überwindung von Distanzen, sei es auf der Straße, auf Schienen, auf dem Wasser oder in der Luft. Welche Rolle dabei das Fahrrad spielt, darüber sprachen mit ihm Johanna Hofleitner und Gerold Lehmann.
Was ist dein Bezug zu In Velo Veritas?
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Hans Schabus: Ich bin schon seit vielen Jahren begeisterter Mitradler. Bei meiner ersten Teilnahme habe ich mich schüchtern für die schwarze, also die lange Strecke angemeldet. Beim Skifahren habe ich das so gelernt. Fest geschnauft habe ich dann, bin aber dabeigeblieben und freue mich jedes Jahr auf die Weinviertler Landschaft mit ihren wunderlich vielen versteckten Höhenmetern.
Du hast also ein schönes altes Rennrad? Eigentlich habe ich zwei alte Rennräder: ein sehr schönes Dancelli – ein Heustadelfund aus dem Gailtal – und ein Moser –, wobei ich lieber mit dem Dancelli fahre. Mit Baujahr späte er und einer Dura-Ace-7-fach-Gruppe ist es schlichtweg das modernere Rad als das um zehn Jahre ältere Moser. Ich bin damit auch einige Zeit in der Stadt gefahren. Seit ich aber einen Hund habe, benütze ich für die Stadt vorwiegend mein Omnium. (Lastenrad)

Mit diesem Rad hast du zusammen mit Hund Enzo im Sommer 2020 Europa durchquert. Hast du es speziell für diese Reise angeschafft? Warum genau dieses Rad?
Nachdem sich ein Anhänger zur Fortbewegung mit Enzo als wenig tauglich herausstellte, ging ich auf die Suche nach einem Lastenrad. Bei einem Überholmanöver auf der Landstraße im dritten Bezirk bin ich dann auf das Omnium gestoßen. Es erschien mir leicht, schnell und wendig zu sein – und schön war es obendrein. Nach dem
Enzo ist vorne drinnengesessen und war der Chef. Wir radelten seiner Nase nach.
Zusammenbau durch Ciclopia (Anm.: ein Wiener Radgeschäft) habe ich auf die vordere Plattform eine aerodynamische Aluminiumkiste draufgebaut. Ein aufsetzbarer Wind- und Wetterschutz von einem Kinderwagen hat das Ganze ergänzt. Von nun an ist Enzo vorne drinnen gesessen und war der Chef. Wir radelten seiner Nase nach.

Damit war das Rad nun hinreichend reisetüchtig?
Ja, damit konnten wir im Sommer zusammen unsere sechswöchige Reise durch Europa, vom nördlichsten bis ans südlichste Ende des Festlandes antreten.
Diese Reise, die durch insgesamt siebzehn Länder führte, fand ihren Niederschlag in einem Kunstprojekt, bestehend aus Video, Tagebuch und einer Ausstellung in der Galerie Krinzinger. Einen wichtigen Teil stellte dabei auch die Anund Rückreise dar.
Ja, die Anreise und Rückreise habe ich vom Zugfenster aus geflmt. Es ging ja um eine Tour d’Europe, also um eine Rundfahrt. Die Anreise zum nördlichsten und die Abreise vom südlichsten Punkt erfolgtem mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Bahn, Schiff und Bus. Das Rad war an verschiedenen Punkten unmöglich mitzunehmen, deshalb habe ich es verschickt und bin mit dem Reisegepäck in der Hundekiste gereist. Erst auf den letzten beiden Etappen von Rovaniemi am
Nordpolarkreis zum Nordkap konnten Rad, Hund und ich in einem leeren Bus mitfahren.
Diese Reise fand nur wenige Monate nach dem Ausbruch von Covid-19 statt. Mit welchen Problemen warst du konfrontiert?
Der pandemische Sommer hat die Reise gleichzeitig erschwert und erleichtert, da deutlich weniger Menschen unterwegs waren. Generell aber ist es in ganz Skandinavien gesellschaftlicher Konsens, dass sich niemand von Hunden eingeschränkt fühlen soll. Daher konnte ich Enzo beispielsweise nicht in Lokale mitnehmen, und in vielen öffentlichen Gebäuden gilt Hundeverbot.
In Finnland wiederum mussten alle Personen mit Tieren in einem eigenen Waggon am Ende des ohnehin leeren Zuges reisen. So ähnlich muss es sich in der Arche Noah angefühlt haben. Vögel, Katzen, Hunde, Meerschweinchen: Enzos Nase wurde gleichzeitig in alle Richtungen gezogen.
„Augenzwinkernd“ geht in Skandinavien gar nichts?
Es scheint mir eine prinzipientreue Gesellschaft zu sein mit großem Gemeinsinn, aber auch klaren Grenzen. Eine protestantische Kultur, sehr funktionsbasiert. Das hat vielfach Vorteile, beim Essengehen aber eher nicht. Auf gefühlten Kilometern Schweden gibt es praktisch kein Wirtshaus. Pizza, Kebab, Grill – so heißt es dort, und so schmeckt es auch. Tankstellenessen.
Dafür gibt es Cafés mit hinreißenden Zimtschnecken – Kanelbullar. Mit Enzo war das immer wieder eine Herausforderung, weil er nirgends hineindurfte, nicht einmal in eine Tiernahrungshandlung.
Hat euch die Reise aneinandergeschweißt?
Sicher ja. Ich war Enzos einzige Konstante, sein Scharnier durch die Türen von Europa.
Alles war jeden Tag anders, jeden Tag neu, außer das Fahrrad und ich. In Spanien dachte ich dann öfters an Don Quijote, Rosinante und Sancho Panza. Wir waren ein Team und sind es auch geblieben. Hier zu Hause hat er halt mehrere Gewohnheitsräume und Bezugspersonen.
Wie bist du bei der Planung der Strecke vorgegangen? War es angesichts des Gesamtgewichts von Rad, Fahrer, Hund und Gepäck keine Option, die Höhenmeter gering zu halten?
Nein, ich wollte die direkteste, kürzeste Route. Höhenmeter sammeln sich von selbst. Flüssen folgen wollte ich nicht zu lange, weil es langweilig ist und ich lieber durch die Dörfer fahre.
Wie lange waren die Tagesetappen?
Ich habe im Schnitt um die Kilometer pro Tag geplant und die Etappen entsprechend eingeteilt, auch um sicherzustellen, dass es Quartiere gibt, besonders in den entlegenen Gebieten in Skandinavien und im spanischen Hochland. Bei starkem

Treten, treten, das Glück in den Boden treten, damit es von Zeit zu Zeit hinten übers Laufrad wieder hochkommt und sich über einen legt. Manchmal.
Gegenwind oder bei der großen Tageshitze im Süden waren die Tagesetappen oft eine Herausforderung. Auch habe ich erst während der Reise realisiert, dass ich kein schnelles Lastenrad habe, sondern im besten Falle einen Traktor, und da galt es, den runden Tritt zu fnden.
Ein Abweichen von der ursprünglichen Planung wäre nicht denkbar gewesen?
Die Etappen wollte ich unterwegs nicht mehr umplanen, weil sich die Quartiersuche als kompliziert herausstellte. Vieles war wegen der Pandemie geschlossen. Außerdem schien mir die Überforderung der langen Sattelzeit mit dem gesicherten Tagesziel leichter zu nehmen als eine ungewisse Quartiersuche. Dahingehend war es erleichternd, sich selbst als Werkzeug zu begreifen, um von A nach B zu kommen. Die Befreiung lag auch darin, irgendwie darin gefangen zu sein und keine oder möglichst wenige Entscheidungen zu treffen. Treten, treten, das Glück in den Boden treten, damit es von Zeit zu Zeit hinten übers Laufrad wieder hochkommt und sich über einen legt. Manchmal.
Welches Konzept hast du der künstlerischen Umsetzung der Reise zugrunde gelegt?
Die Reise bekam einen Titel: „Tour d´Europe (In Search of the Endless Column – Travels with Enzo)“ . ,Tour d´Europe‘ bezieht sich auch auf die gleichnamige Reise einer politischen Delegation der Europäischen Union im Herbst und Winter
/ durch Europa. Der in Klammer gesetzte Untertitel ,In Search of the Endless Column - Travels with Enzo‘ bezieht sich einerseits auf ein immer weiterführendes Reiseprojekt, das mit einer Reise durch Rumänien zur endlosen Säule von Constantin Brâncuși begann, andererseits auf das Buch ,Travels with Charley: In Search of America‘ von John Steinbeck. Zufälligerweise ist Enzo, so wie Charley, ein Pudel. Es war eine Reise gegen den Uhrzeigersinn, und der Blick war mit meiner Smartphone-Kamera nach außen, also nach rechts gerichtet. Interessiert hat mich auch der Kulturraum Europa mit den verschiedenen Bauweisen und -materialien vom Norden in den Süden, von Holz- über Backstein- hin zu Steinhäusern, dazu die sich verändernde Vegetation, das Licht, die Sonne, der Niederschlag, die Küche, die Menschen.
Wie hat das Fahrrad den Weg in deine Kunst gefunden?
Bei einem Zeichenwettbewerb der Kleinen Zeitung habe ich als Dreizehnjähriger ein Rennrad gewonnen. Damit hat eigentlich vieles begonnen, das Rad wurde in diesem Sinne zu einer Lebensbegleitung. Bei einer Künstler-Residency auf Sri Lanka bin ich auf eine interessante Radgesellschaft gestoßen: Alle haben das gleiche Rad, ein klassisches Eingang-Rad, das unserem Waffenrad verwandt ist und verschiedenste Nutzungen erfährt, bis hin zu färbig angemalten
Rennradrahmen. Ich habe ein altes rostiges Rad wieder veredelt, sogar verchromt. Mit diesem Rad bin ich dann vom Süden der Insel nach Colombo zur Biennale gefahren, um es dort auszustellen.
Wann ist das Reisen mit dem Fahrrad erstmals zum Thema eines Kunstprojekts geworden?

Meine erste lange Radreise war eine USA-Durchquerung in West-Ost-Richtung . Das Projekt titelte „The Long Road From Tall Trees to Tall Houses“ , es ging ja schließlich von den Redwoods am Pazifk bis zu den Hochhäusern am Atlantik. Das Streben zum Licht, zur Sonne hin ist für beide Enden dieser Reise kennzeichnend. Ein weiterer Ausgangspunkt war auch mein Interesse an der nordamerikanischen Kultur der Straße, das mich seit meinem Stipendienaufenthalt in Los Angeles beschäftigt.
Wie hast du diese USA-Reise angelegt?
Ich wollte eine möglichst direkte Route fahren und war vorwiegend auf Nebenstraßen unterwegs. Da es viele lange Abschnitte ohne Übernachtungsmöglichkeit und Versorgung gab, musste die Strecke sehr sorgfältig geplant werden. Ich wollte mir zudem immer auch noch etwas anschauen – etwa die kleinen Museen in den Etappenorten, von denen viele früher Bergarbeiter-Siedlungen waren und deren Geschichte dort abgebildet wird. Helper in Utah zum Beispiel: ein klassischer Western-Ort und Bahnknoten - punkt südlich von Salt Lake City, wo früher Kohle abgebaut wurde und der bis ins . Jahrhundert hinein auch das Ziel vieler Auswanderer aus Altösterreich war. Über die Straße, die alles dazwischen verbindet, wurde die Reise somit auch zu einer kulturellen Befragung.

Wie hast du diese Befragung künstlerisch umgesetzt?
An jedem der Reisetage habe ich pünktlich zu High-Noon, als die Sonne am höchsten stand, ein Foto gemacht: in Fahrtrichtung schauend, von der Straße, vom Rad und der Landschaft. Der Sonnenstand traf die Entscheidung für den fotograferten Ort. Ich selbst war das Werkzeug dafür. An den Übernachtungsorten habe ich dann eine Postkarte mit den Daten der Tagesetappe an mein Atelier geschickt und ein Foto des Hotelzimmers gemacht. Daraus entstanden Paneele, die ich im Salzburger Kunstverein ausstellte.
Welche Reisepläne hast du aktuell?
Ich würde gerne um das Schwarze Meer fahren.
Und In Velo Veritas? Könntest du dir vorstellen, mit Enzo mitzufahren?

Wenn ich ein historisches Lastenrad fände, schon – das wird es aber nicht geben. Und extra für diesen Zweck ein den Bestimmungen entsprechendes Rad zu bauen, ist zu aufwändig. Daher werde ich die kommende In Velo Veritas wieder mit dem Dancelli bestreiten. Darauf freue ich mich schon sehr - und der Enzo sicherlich auch, wenn er mich am Ende des Tages wieder sieht. Da haben wir beide was davon.
Johanna Hofleitner – schreibt über Kunst und fährt Rad; oft zusammen mit Gerold Lehmann – Radreisender und Langstreckenfahrer
Die Bücher von Hans Schabus können über die Galerie Krinzinger bezogen werden: www.galerie-krinzinger-shop.at The Long Road from tall Trees to, Tall Houses, & Tour d´Europe (In search of the endless Column – travels with Enzo),