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Nicht immer sind es Volljuristen

Wie Kanzleien ihre Teams bilden

Die Anforderungen in der Immobilienrechtsberatung wachsen

Ob Entwickeln, Investieren oder Vermieten: Ohne rechtliche Beratung geht es im Immobilienbereich nur selten. Die Anforderungen, die die Mandate ans juristische Personal der Kanzleien stellen, verändern sich durch neue Rechtsnormen, die Art der Deals und die Digitalisierung. Das schlägt auf die Beratungsteams durch. Gut zu wissen, wer einem gegenüberstehen kann.

Während beim privaten Bauherrn ein Notar oft der einzige Jurist ist, den er zu Gesicht bekommt, ist in der professionellen Immobilienwelt meist eine ganze Truppe von Voll- und Hilfsjuristen am Werk. Und nur selten sind es allein zugelassene Rechtsanwält:innen, die die Aufgaben übernehmen.

Der natürliche Weg ist ein Anruf oder eine E-Mail

Die Rechtsfragen sind vielfältig. Egal, ob es um den Kauf eines Wohnungsportfolios oder Gewerbeimmobilien oder um eine größere Projektentwicklung geht. Ein paar Beispiele gefällig? Wie ist die baurechtliche Situation, wenn ich eine alte Lagerhalle für eine gewinnbringendere Nutzung umbauen will? Muss ich schlimmstenfalls zehn Jahre warten, bis alle Bestandsmietverträge ausgelaufen sind – oder gibt es Wege, mich früher von den vorhandenen Mietern zu trennen, um mit einer Neuentwicklung loszulegen? Welche Mieterhöhungen sind angesichts von Mietpreisbremsen und dergleichen denkbar? Welche Investitionsstruktur passt zu mir und meinen, auch steuerlichen Bedürfnissen? Die Aufzählung ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.

Der natürliche Weg, wie Klienten und Anwälte zusammenfinden, „sieht so aus, dass der Mandant bei einem Partner anruft oder eine Mail schreibt und fragt: Wir haben das und das vor – wollt ihr für uns arbeiten?“, erzählt Wolfram Krüger, der gemeinsam mit einem Kollegen den Fachbereich Immobilienwirtschaftsrecht bei der Kanzlei Linklaters leitet. Nach so einem Anruf oder so einer E-Mail schaut Krüger dann, wie komplex z.B. ein Deal ist und welche „Seniorität“ dessen Abwicklung erfordert: „Wir wollen ja nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen …“

Nichtsdestotrotz verlangen komplexe Transaktionen naturgemäß eine hohe Aufmerksamkeit, Erfahrung und ein gewisses Standing sowie bisweilen Durchsetzungsstärke: „Bei paneuropäischen Portfoliotransaktionen beispielsweise, bei denen alle von ihrem je eigenen Rechtssystem überzeugt sind, muss nach einheitlichen Regeln gespielt werden“ , verdeutlicht Krüger.

Auch bei insolvenznahen Szenarien, wenn es ums Überleben geht, ist mehr Erfahrung in der Beratung gefragt, als wenn Commerz Real die 713. Immobilie für den offenen Immobilienfonds Hausinvest kauft. Unabhängig davon, um welche Art von Transaktion es sich handelt und ob diese nun die volle Aufmerksamkeit eines Partners erfordert oder nicht: Beteiligt an der Umsetzung ist stets ein – mehr oder minder großes – Team. Bei der 20 Männer und Frauen starken Hamburger Immobilienboutique Jebens Mensching sind diese Teams nicht mehr als zwei Köpfe groß, denn: „Wir sind eine Querschnittkanzlei, unsere Mitarbeiter sollen einen breiten immobilienrechtlichen Fokus haben“ , erzählt HansThomas Nehlep, Partner bei Jebens Mensching. Geleitet werden die Projektteams stets von mindestens einem Partner.

Beim Mittelständler GSK Stockmann, dessen Immobilienteam allein 137 Köpfe in Deutschland und Luxemburg umfasst, sind laut Partner Oliver Koos „bei komplexen Projekten nicht selten mehrere einschlägig erfahrene Partner“ aus dem Immobilienund dem Gesellschaftsrecht plus

z.B. aus den Bereichen Steuern, Finanzierung und Investment mit ihren Teams aus Counseln, Senior Associates und Associates involviert, oft standortübergreifend. Hinter diesen Bezeichnungen stehen Volljuristen, das bedeutet, sie haben die erste und die zweite juristische Staatsprüfung bestanden und damit die Befähigung zum Richteramt erlangt. Zudem spiegelt sich darin ihre Erfahrung im Anwaltsberuf wider.

Ob bei Jebens Mensching, Linklaters, GSK Stockmann oder anderen Kanzleien: Am Werk sind Anwälte unterschiedlicher Senioritätsstufen. Associates, zum Teil mit dem Zusatz Junior, sind die Einsteiger. Senior oder Managing Associates heißen Fortgeschrittene ab rund vier Jahren relevanter Berufserfahrung. Counsels sind erfahrene angestellte Anwälte, die Verantwortung für einen bestimmten Bereich tragen, aber im Gegensatz zu den Partner:innen nicht unternehmerisch an der Kanzlei beteiligt sind.

Counsel ist nicht gleich Counsel, und nicht jeder darf vor Gericht Zu unterscheiden sind „Durchgangscounsels“ , für die dies eine Art Zwischenstation zur Partnerschaft ist, von solchen Counsels, die auf Dauer in dieser Rolle bleiben und von denen der eine oder die andere über kurz oder lang weiterzieht. Bekanntschaft machen Immobilienunternehmen zudem mit all jenen Zuarbeitern, die keine zwei Staatsexamina absolviert haben. Sie dürfen weder nach außen hin rechtlich beraten noch vor Gericht auftreten. Gemeint sind Paralegals, Wirtschaftsjuristen, Transaction Lawyers und Rechtsanwaltsfachangestellte.  Glossar, Seite 66

Paralegals kommen bisher für gewöhnlich in Großkanzleien angelsächsischen Ursprungs vor. Sie sind Fachkräfte und mehr als Rechtsanwaltsfachangestellte – aber weniger als Anwälte und arbeiten diesen in der Regel zu. Daher kommt auch der Name Paralegal, zu

Deutsch: neben dem Anwalt tätig. Eine juristische Ausbildung ist keine Voraussetzung, auch mit z.B. einer Kaufmanns- bzw. -frauausbildung lässt sich diese Rolle in einer Wirtschaftskanzlei gut spielen. Wirtschaftsjuristen wiederum haben Wirtschaftsrecht an einer Universität oder Fachhochschule studiert, ihr Studium mit einem Diplom, Bachelor oder Master abgeschlossen. Sie unterscheiden sich von Volljuristen vor allem darin,

dass sie keine Staatsexamen haben und deshalb nicht Richter werden können. Bei angelsächsischen Kanzleien wie Linklaters finden sich zudem sogenannte Transaction Lawyers. Dahinter verbergen sich oft Wirtschaftsjuristen.

Es geht auch ohne deutsche Anwaltszulassung Möglich sind auch ausländische Abschlüsse. Linklaters-Partner Krüger hat in Frankfurt etwa einen syrischen Rechtsanwalt zum Kollegen, der in seinem Land als Volljurist wirkte. In Deutschland ist er nun als Transaction Lawyer tätig. Auch wenn sie keine direkte Rechtsberatung ausüben dürfen: Aus dem Gefüge der großen Kanzleien sind diese Mitarbeiter ohne deutsche Anwaltszulassung kaum wegzudenken. Sie übernehmen viele Tätigkeiten, auf die nicht verzichtet werden kann. Ihre Aufgaben reichen von der Durchführung einer Due Diligence über das Transaktionsund Projektmanagement, die Betreuung von Pitches und das Document Review bis hin zur Recherche.

Die Kanzlei GSK Stockmann legt den Fokus laut HR-Leiterin Inka La

Ruffa auf „Volljuristen mit zwei überdurchschnittlichen Staatsexamina und Zusatzqualifikationen wie z.B. LL.M., Promotion oder Fachanwaltsqualifikation“ . GSK-Partner Koos zum Beispiel hat im Studium die Zusatzqualifikation Privates Baurecht an der PhilippsUniversität in Marburg erworben. Mit einmal erworbenem Zusatzwissen ist es aber nicht getan: Der Anwaltsjob „setzt ständige Weiterentwicklung voraus“ , betont Koos.

Gesucht: Juristisch top, digital versiert und teamfähig Nehlep von Jebens Mensching bringt neben der fachlichen Qualifikation die Digitalisierung ins Spiel: „Nur gut Jura können, das wird in fünf Jahren nicht mehr ausreichen. Es muss ein gutes IT-Verständnis dazukommen. “ Digitale Tools machen Anwälten und ihrer Mandantschaft das Leben leichter – sie wollen aber erst einmal entwickelt und dann korrekt bedient werden. „Anwälte müssen heute einfach mit digitalen Werkzeugen umgehen können“, betont auch Koos.

Was die Juristen für die Arbeit für die Mandantschaft vorweisen müssen, geht häufig über Standardwissen hinaus. Sowohl GSK als auch Jebens Mensching basteln sich die digitalen Helfer für den Immobilienbereich selbst.

Nehlep und seine Kolleg:innen etwa entwickeln seit rund zehn Jahren eine Legal-TechSoftware, die zumindest den Erstentwurf von Miet- und Kaufverträgen sowie neuerdings auch von Bauverträgen automatisiert und damit „den Prozess bis hin zur Unterschriftsreife laut den Hamburgern „deutlich beschleunigt“. Die Eigenentwicklung von Koos‘ Kanzlei nennt sich GSK Contract Accelerator. Für diese Legal-Tech-Lösung zur Dokumentenautomatisierung hat die Kanzlei vor vier Jahren – anhand des Beratungsbedarfs eines Mandanten – ein Software-Tool des Anbieters Lawlift adaptiert. Damit werden „Standarddokumente analysiert und darauf aufbauend intelligente Vorlagen erstellt, bearbeitet und verwendet“ , erläutert Koos. So ließen sich „weitgehend automatisierte“ Mietverträge aufsetzen. Den nächsten Schritt hat GSK schon vor Augen: Die Kanzlei entwickelt ihr Werkzeug gerade in Richtung eines komplett digitalen Mietvertrags weiter –„das wird ein Novum am deutschen Markt“, verspricht Koos.

Zudem soll das GSK-Tool von der Keimzelle des Mietvertrags aus auf andere Immobilienrechtsgebiete und -themen wie z.B. das Bauvertragsrecht erweitert werden. Ziel seien laut Koos „vollständig digitale Verträge in allen immobilienrelevan-

ten Rechtsgebieten“ . Im Moment ist das allerdings noch Zukunftsmusik.  „Künstlich intelligente Kollegen“ , Seite 24

Ändern sich die Normen, müssen sich auch die Fähigkeiten ändern Von guten Anwälten können Mandanten heutzutage darüber hinaus in puncto Soft Skills mehr verlangen. „Teamarbeit, Kommunikationsstärke und Projekterfahrung sind viel stärker gefragt als früher“ , betont Koos, der seine Karriere bei GSK vor 15 Jahren gestartet hat. „Genauso die Fähigkeit zum Perspektivwechsel; also sich in die Lage des Mandanten und anderer Beteiligter hineinzuversetzen. “ Denn im ehemals eher konfrontativen Bauvertragsrecht gebe es eine Entwicklung zu mehr Partnerschaft unter den Vertragsparteien, „was deutlich stärkere kooperative Kompetenz von Rechtsanwälten fordert“ , sagt Baurechtsexperte Koos.

Das Personal in den Kanzleien wandelt sich aber auch, weil sich schlicht die Gesetzgebung und die rechtlichen Gepflogenheiten ändern. So ist in den vergangenen Jahren die Regelungsdichte enorm gestiegen. Beispiele sind die Compliance-Vorgaben oder Meldepflichten bei Geldwäschegefahren. „Für diese Dinge werden wir in zwei bis drei Jahren vielleicht zwei bis drei Leute beschäftigen müssen, die nichts anderes mehr machen“ , erwartet Oliver Mensching, Gründungspartner von Jebens Mensching.

Nicht alles muss ein Volljurist erledigen Diese Themen „müssen aber nicht zwingend von Volljuristen bearbeitet werden“ , ergänzt Menschings Kollege Nehlep. Für solche Standardtätigkeiten könnten, spekuliert er, sogenannte Diplomjuristen zum Einsatz kommen, die das erste juristische Staatsexamen absolviert haben. Eingesetzt werden könnten auch Bachelorabsolventen in Wirtschaftsrecht von einer Fachhochschule oder Paralegals. Die wären dann im Gehalt günstiger und kämen den Mandanten weniger teuer zu stehen. Von den 20 Berufsträgern bei Jebens Mensching besitzen die meisten das zweite Staatsexamen. Einige – wie Namensgeber Mensching, der BWL studiert und im Steuerrecht promo-

viert hat – sind Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

Von Standardisierung weit weg ist die ESG-Regulierung (ESG steht für Environmental Social Governance) der Finanzbranche, mit der die EU Kapital in sogenannte nachhaltige Anlagen lenken will. Sie zwingt die Anbieter von Finanzprodukten deshalb nachzuweisen, wie sich diese zu Umwelt und Gesellschaft verhalten und wie die Asset-Manager und ihre Kapitalverwaltungsgesellschaften damit umgehen. „ESG ist ein Riesenthema bei unseren Mandanten, das haben alle auf dem Radar. Relevant ist es z.B. für Green Leases oder wenn Fonds als grün gelabelt werden sollen. Da müssen wir uns natürlich auch reinfuchsen“, sagt Nehlep. Gleichwohl: In der täglichen praktischen Beratung spiele ESG – wenngleich es sich um einen Megatrend handele –, „aktuell noch nicht die ganz große Rolle“, relativiert er.

Aufs Personal gemünzt bedeutet das: „Wir müssen nicht drei ESG-Experten einstellen, sondern wir bilden das Thema ab mit unserem vorhandenen Team“ , sagt Mensching. Aus juristischer Perspektive gehe es „häufig um eher formalistische Anforderungen“ , die erfüllt sein müssen, damit beispielsweise ein Mietvertrag das Etikett Green Lease tragen dürfe. Hierfür gebe es inzwischen zahlreiche Standards, an denen man sich orientiere und die man gemeinsam mit dem Mandanten aus der Praxis heraus weiterentwickele, so Mensching. „Eine Rocket Science ist das nicht. Das Mietrecht wird dadurch ja nicht einen Deut anders; das kommt nur on top.“

Der Personalbedarf steigt und steigt Eher sinken dürfte das Arbeitsaufkommen bei Share-Deals. „Mit der fortschreitenden Verschärfung des Grunderwerbsteuergesetzes könnte die Grunderwerbsteuervermeidung, die in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat, an Bedeutung verlieren“ , prognostiziert Mensching. Gleichwohl werde es erst mal weiter genug zu tun geben, z.B. was die Frage der Bemes-

sungsgrundlage und etwaige Haltefristen aus der Vergangenheit anbelange.

Summa summarum haben die Immobilienfachbereiche der Kanzleien immer mehr zu tun, weshalb ihr Personalbedarf steigt. GSK z.B. hat bei aktuell rund 500 Mitarbeitern mehr als 50 Stellen offen. Die Mitarbeiterzahl enthält dabei zahlreiche Nachwuchskräfte. Auch Linklaters schafft gern schon früh eine Bindung zu den angehenden Berufskolleg:innen und zählt darum viele Praktikanten, wissenschaftliche und juristische Mitarbeiter sowie Referendare in seinen Reihen. Schließlich paart sich der wachsende Bedarf an richtig guten Nachwuchsjuristinnen und -juristen unglücklicherweise mit einem Rückgang

der Absolventenzahlen an den Hochschulen.

Nicht immer landen die besten Köpfe in den Kanzleien „Früher hat man gesagt, gute Absolventen gehen nirgendwo anders hin als zu den großen Kanzleien“ , erinnert sich Linklaters-Anwalt Krüger. Heute machten „andere Arten von Arbeitgebern, vor allem der Staat“ , Großkanzleien das Leben in Personalgewinnung und -bindung spürbar schwerer. Der öffentliche Dienst habe „attraktivere Arbeitszeiten bei einem gar nicht so schlechten Gehalt“ zu bieten, gibt Krüger unumwunden zu. Mensching redet auch nicht um den heißen Brei herum: „Wir als Dienstleister sind mehr Druck ausgesetzt und müssen öfter die Extrameile gehen.

“ Das ist nicht für alle attraktiv.

Nicht nur der öffentliche Dienst ist für Kanzleien ein Wettbewerber ums Personal: „Der Bedarf an sehr guten Absolventen steigt ständig – auch in der Immobilienbranche selbst“ , sagt Matthias Pohlers von Schollmeyer & Steidl, einer auf Juristen spezialisierten Personalberatung. „Es gibt immer mehr Immobilienunternehmen – Investoren, Fonds- oder Kapitalverwaltungsgesellschaften –, die in Personalkonkurrenz zu den Kanzleien treten. Sie stellen eigene Juristen an und bauen Rechtsabteilungen auf bzw. aus.“ Diese Unternehmensjuristen kommen dann häufig aus Kanzleien, wo sie intensive Berufserfahrung sammeln konnten. Die Folge davon fasst Pohlers knapp zusammen: „Und diese Kanzleien brauchen dann auch wieder neue Leute. “ Harald Thomeczek