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Conflict Poker. Das spielerische Training für den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen aus der Arbeitswelt Conflict Poker: A Playful Training for the Constructive Handling of Conflict Situations in Work Environments

Instrumente der Arbeits- und Organisationspsychologie

Conflict Poker

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Das spielerische Training für den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen aus der Arbeitswelt

Sebastian Seibel und Judith Volmer

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Zusammenfassung: Conflict Poker (Ruckstuhl, Ammann, Zentner & van Wijnkoop Lüthi, 2016) ist ein spielerisches Training zum Umgang mit Konfliktsituationen. Mitspielenden wird mithilfe von Spielkarten eine bestimmte Rolle in einer fiktiven Konfliktsituation zugeordnet. Diese Konfliktsituation wird anschließend in einer Gruppendiskussion simuliert. Detaillierte Hinweise zur theoretischen Grundlage, zur Konstruktion des Verfahrens und zur Durchführung werden im Leitfaden nicht gegeben. Weiterhin gibt es keine Hinweise zur Wirksamkeitsüberprüfung des Trainings. Trotzdem sehen wir für Conflict Poker Anwendungspotential als Bestandteil eines Trainingskonzepts. Wir empfehlen den Einsatz allerdings nur Personen mit Erfahrung im Konfliktmanagement. Schlüsselwörter: Training, Konfliktmanagement, Rollenfindung, Teamreflexion

Conflict Poker: A Playful Training for the Constructive Handling of Conflict Situations in Work Environments Abstract: Conflict Poker (Ruckstuhl, Ammann, Zentner, & van Wijnkoop Lüthi, 2016) is a playful training tool to practice deal with conflict situations. Each player is assigned a specific role by means of playing cards. A conflict situation is then simulated in a group discussion. Detailed information about the theoretical background, the development, and the implementation of the training is missing. Moreover, information on an evaluation of the training is also lacking. Nonetheless, we regard Conflict Poker as a useful asset for trainings. We recommend that Conflict Poker should be applied only by experts in conflict management. Keywords: training, conflict management, group discussion, role finding, team reflection

Ruckstuhl, D., Ammann, R., Zentner, M.&van Wijnkoop Lüthi, M. (2016). Conflict Poker: Das spielerische Training für den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen aus der Arbeitswelt. Bern: Hogrefe.

Ziele des Verfahrens

Conflict Poker (Ruckstuhl et al., 2016) wird vom Autorenteam als „ spielerisches Training für den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen aus der Arbeitswelt“ beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Rollenspiel und Gruppendiskussion. Zu Beginn des Spiels wird den Mitspielenden eine Rolle in einer fiktiven Konfliktsituation zugewiesen. Diese Konfliktsituation wird anschließend simuliert, indem die Mitspielenden über verschiedene Lösungsstrategien diskutieren. Auf diese Weise soll die Angst vor potentiellen Konfliktsituationen gemindert und es soll für den Umgang mit Konflikten sensibilisiert werden. Im Vordergrund steht dabei der individuelle Erfahrungsgewinn.

Theoretischer Hintergrund

Als theoretischen Rahmen nutzt Conflict Poker die ersten drei von insgesamt neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl (1980). Diese ersten drei Stufen der Konflikteskalation („ Verhärtung“, „ Debatte“ und „ Taten statt Worte“) sind noch ohne externe Unterstützung zu lösen (Glasl, 1980) und eignen sich nach Meinung des Autorenteams für den spielerischen Umgang mit Konfliktsituationen. Das Autorenteam geht davon aus, dass im Verlauf von Conflict Poker alle drei Stufen provoziert werden können.

Zur Bearbeitung der Konflikte liefert das spielerische Training keine Detailinformationen. Lediglich ein Hinweis zu „ heißen“ und „kalten“ Konflikten (Glasl, 2012) existiert: Bei heißen Konflikten werden Argumente ausgetauscht und die direkte Konfrontation gesucht. Bei kalten Konflikten wird eine Konfrontation gescheut und eine Konfliktlösung dadurch blockiert. Das Autorenteam beruft sich hier auf praktische Erfahrungen und postuliert, dass in Organisationen häufiger kalte Konflikte vorkommen und diese erst „ heiß gemacht“ werden müssen, um

zu einer Konfliktlösung zu kommen. Hier setzt Conflict Poker an und soll helfen, den Umgang mit heißen Konflikten zu üben, spielerisch Erfahrungen zu sammeln und die Scheu vor der Konfrontation zu verlieren.

Aufbau des Verfahrens

Das spielerische Training ist für vier bis neun Teilnehmende sowie eine Spielleitung konzipiert und dauert zwischen 60 und 90 Minuten. Grundlage bildet eine fiktive Konfliktsituation. Dazu liegen Conflict Poker 49 vorgefertigte Konfliktsituationen bei (z. B. unterschiedliche Ansichten über die Kleiderordnung). Alle Situationen haben gemeinsam, dass sich die beteiligten Personen zu einer Sitzung treffen, um über den Konflikt zu sprechen und dass eine Person die Position der Sitzungsleitung übernimmt. Außerdem gibt es 29 Ereigniskarten, die der Konfliktsituation eine neue Wendung geben können (z. B. „ Wegen politischer Unruhen im Ausland verliert die Firma einen wichtigen Auftrag.“).

Daneben gibt es vier Arten von persönlichen Karten, damit sich die Mitspielenden in eine bestimmte Rolle hineinversetzen können: 43 Karten zu Ressourcen (z. B. „ sparsam“ oder „ gründlich“), 26 Karten zu Eigenheiten (z. B. „ Ich bin Diabetiker/-in. Das beeinflusst mein Leben beträchtlich.“ oder „ In meinen Ferien betreibe ich FKK. Das hat sich in der Firma herumgesprochen.“) sowie 22 Karten zu Geheimnissen (z. B. „ Meine Arbeitszeugnisse sind gefälscht.“ oder „ Ich kokse. Einer hat Verdacht geschöpft.“). Zusätzlich gibt es 37 Karten, die fünf Möglichkeiten des Konfliktverhaltens (Konsens, Flucht, Aggression, Delegation, Kompromiss) mit jeweils einem Satz beschreiben.

Durchführung

Die Durchführung von Conflict Poker läuft in drei Phasen ab: · In Phase 1 (ca. 10 –15 Minuten) wird die Konfliktsituation durch die Spielleitung vorgestellt. Dann erhalten die Mitspielenden vier persönliche Karten, einen Protokollbogen, eine Spielanweisung und ihnen wird eine Position in der Konfliktsituation zugewiesen. Die Spielanweisung enthält Hinweise zum Einsatz der persönlichen Karten und zum Ausfüllen des Protokollbogens. · Die eigentliche Konfliktsituation wird in Phase 2 (ca. 30 –45 Minuten) simuliert. Hier steuert die Sitzungsleitung die Diskussion entsprechend ihrer Spielanweisung: In der ersten Gesprächsrunde haben die Mitspielenden die Möglichkeit, ihre Positionen im Konflikt zu erläutern. In der nächsten Gesprächsrunde soll Ursachenforschung betrieben werden. Die Sitzungsleitung darf keine vorschnellen Lösungen zulassen, sondern soll „das Denken in Varianten“ anregen. In der letzten Gesprächsrunde hat die Sitzungsleitung die Aufgabe, konstruktive Lösungsstrategien zu finden und idealerweise mehrere Ansätze zusammenzufassen. Hinweise zum Verhalten der Spielleitung während dieser wichtigen Phase werden im Leitfaden nicht gegeben. Nur eine dreiminütige Unterbrechung ist vorgesehen, in der die Spielleitung die Sitzungsleitung aus dem Raum bittet, damit die anderen Mitspielenden alleine über den Konflikt diskutieren können. · In Phase 3 (ca. 10 –15 Minuten) bittet die Spielleitung die

Teilnehmenden, ein „ Rollenfeedback“ zu geben. Dazu kann die Spielleitung auf eine eigene Spielanweisung mit möglichen Fragen zurückgreifen (z. B. „ Was habe ich während der Sitzung bei mir, bei den anderen, bei der Sitzungsleitung erlebt?“). Im nächsten Schritt geben alle Mitspielenden ihre persönlichen Karten zurück, rücken einen Platz nach links und das Rollenspiel ist abgeschlossen. Es folgt die eigentliche Reflexion, in der das eben Erlebte auf den Arbeitsalltag übertragen werden soll. Das Autorenteam stellt der Spielleitung wieder einige Fragen als Unterstützung zur Verfügung (z. B. „ Wer kennt aus dem persönlichen Umfeld solche oder ähnlich gelagerte Konfliktsituationen?“). Zusätzlich hat die Spielleitung die Möglichkeit, eigene Beobachtungen aus der eben simulierten Konfliktsituation zu schildern.

Konstruktion und Auswertung des Verfahrens

Die Konstruktion von Conflict Poker wird nicht näher beschrieben. So gibt es beispielsweise keine Hinweise darauf, wie das Autorenteam die Konfliktsituationen und die persönlichen Karten generiert hat. Möglicherweise handelt es sich um „kritische Ereignisse“ (vgl. Flanagan, 1954) oder Praxiserfahrungen. Bei den Ressourcenkarten, die aus positiven Adjektiven bestehen, ist unklar, wie diese als Ressource genutzt werden können. Die Karten zum Konfliktverhalten könnten an die Grundmuster der Konfliktlösung nach Schwarz (1997) angelehnt sein, entsprechende Informationen fehlen allerdings.

Zur Auswertung des spielerischen Trainings werden kaum Hinweise gegeben. Neben den beispielhaften Fragen zur Anregung der Reflexion enthält der Leitfaden keine detaillierte Anleitung, wie die Konfliktsituation aufzuarbeiten ist oder welche konkreten Erfahrungen aus der

Konfliktsituation mitgenommen werden sollen. Eine Wirksamkeitsüberprüfung von Conflict Poker als Trainingsmaßnahme hat nicht stattgefunden.

Anwendungsmöglichkeiten

Das Autorenteam richtet sich mit Conflict Poker an Führungskräfte, Trainerinnen und Trainer, Beraterinnen und Berater, Personalfachleute und Andere, die sich mit Konfliktsituationen im Arbeitsumfeld auseinandersetzen wollen. Als Anwendungsmöglichkeiten gibt das Autorenteam Führungsteams, Projektgruppen, Ausbildungsgruppen oder offene Spielrunden an. Die Spielleitung benötigt laut dem Autorenteam neben Moderationserfahrung keine besonderen fachspezifischen Erfahrungen.

Zugänglichkeit des Verfahrens

Das Verfahren ist über die Testzentrale des Hogrefe Verlags zu beziehen und kostet 208,00 Euro. Neben den Spielmaterialien enthält Conflict Poker einen 21-seitigen Leitfaden und einen Block mit 50 Protokollbögen.

Kritische Zusammenfassung

Die grundlegende Idee von Conflict Poker ist trotz der Kritikpunkte in Bezug auf Konstruktion und Auswertung spannend. Mithilfe der vorgefertigten Konfliktsituationen lassen sich in Gruppendiskussionen Konflikte simulieren und Lösungsstrategien ausarbeiten. Durch die persönlichen Karten können die Mitspielenden schnell und einfach neue Rollen übernehmen. Dadurch baut das Spiel eine gewisse Distanz zur eigenen Person auf und kann so den spielerischen Umgang mit Konfliktsituationen ermöglichen.

Potential sehen wir auch in den unterschiedlichen Karten zum Konfliktverhalten. Möglicherweise kann eine weitere Ausarbeitung und Elaboration der Verhaltensmuster einen großen Mehrwert darstellen und das Auge der Mitspielenden für das Konfliktverhalten schulen.

Beim Einsatz von Conflict Poker sollte unserer Ansicht nach jedoch eine Vorauswahl an Konfliktsituationen getroffen werden. So könnten manche Konfliktsituationen (z. B. um einen gestohlenen Gebetsteppich) die Diskussion in eine unerwünschte Richtung lenken oder die Mitspielenden in als unangenehm wahrgenommene Situationen bringen (z. B. wenn die Rolle des Finanzchefs übernommen werden soll, der ein Verhältnis mit seiner Sekretärin hat). Außerdem raten wir dazu, die Geheimniskarten aus folgenden Gründen wegzulassen: Erstens stellen drei persönliche Karten zusammen mit der eigenen Position in der Konfliktsituation bereits eine hohe kognitive Herausforderung dar. Zweitens betrachten wir die Geheimnisse kritisch, da sie Vorurteile bekräftigen können (z. B. „ vorbestraft“) oder sich uns die Sinnhaftigkeit des Einbringens bestimmter Geheimnisse nicht erschließt (z. B. „pyromanische Neigung“).

Anders als das Autorenteam sind wir der Meinung, dass Moderationserfahrung allein keine ausreichende Qualifikation für die Spielleitung darstellt. Wir empfehlen, dass die Spielleitung mit dem Thema Konfliktmanagement vertraut sein sollte, um gezielt auf Lösungsstrategien hinweisen zu können. Weiterhin sehen wir die Einsatzmöglichkeiten von Conflict Poker nicht als eigenständiges Training, sondern lediglich als Bestandteil eines ausgearbeiteten Trainingskonzepts.

Zusammenfassend bietet Conflict Poker einen umfangreichen Pool an Konfliktsituationen und somit eine hilfreiche Unterstützung für die praktische Auseinandersetzung mit Konflikten. Gleichwohl sollten die theoretischen und praktischen Kritikpunkte bei der Weiterentwicklung des Verfahrens berücksichtigt werden, damit Conflict Poker die beabsichtigten Ziele erreichen kann.

Literatur

Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51 , 327 –358. https://doi.org/10.1 037/h0061470 Glasl, F. (1980). Konfliktmanagement. Diagnose und Behandlung von Konflikten in Organisationen. Bern: Haupt. Glasl, F. (2012). Konfliktmanagement: Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater (11th ed.). Bern: Freies

Geistesleben. Ruckstuhl, D., Ammann, R., Zentner, M. & van Wijnkoop Lüthi, M. (2016). Conflict Poker –Das spielerische Verfahren für den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen aus der Arbeitswelt.

Bern: Hogrefe. Schwarz, G. (1997). Konfliktmanagement: Sechs Grundmodelle der

Konfliktlösung (3rd ed.). Wiesbaden: Springer.

Sebastian Seibel, M.Sc. Prof. Dr. Judith Volmer Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie Otto-Friedrich-Universität Bamberg An der Weberei 5 96047 Bamberg judith.volmer@uni-bamberg.de