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Informiert sein und Handeln Patientenedukation in der Pflege
from Leseprobe PADUA
by Hogrefe
Patientenedukation in der Pflege – Themensammlung & Unterrichtsvorschläge (Teil 2) Angelika Zegelin, Nadine Sunder und Tanja Segmüller Patientenedukation
Im ersten Teil dieser Artikelserie (Heft 5/2018) wurden die theoretischen Grundlagen, Beweggründe und Erfordernisse der Übernahme der Patientenund Familienedukation durch professionell Pflegen de sowie deren genuine Spezifität und Fundierung herausgestellt. In diesem Teil werden Strategien und Prozesse der pflegebezogenen Patienten- und Fa milienedukation anhand von konkreten Beispielen beschrieben. Es wird aufgezeigt, wie Patienten edukation im pflegerischen Alltag mittels Information und Schulung gelingen kann.
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Strategien der Patientenund Familienedukation
Zunächst sollten die wichtigsten Strategien – Information, Beratung, Schulung und Moderation – vorgestellt und näher beschrieben werden. Im Unterricht bzw. der Lehre können die vier Begriffe auch von den Lernenden selbst recherchiert werden. Wenngleich „Aufklärung“ und „Anleitung“ namentlich keine explizite Erwähnung erfahren, ist es für professionell Pflegende dennoch bedeutsam zu verstehen, dass diese Interventionen als begleitende Bestandteile einer pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation im Rahmen von Information, Beratung und Schulung keineswegs ausgeschlossen werden (vgl. AbtZegelin 2017 / 2003a / b / 2000, Büker 2015, Kocks & Segmüller 2017 / 2017a, Segmüller 2017 / 2017a, Sunder & Segmüller 2017, Tolsdorf 2016 / 2013).
Information
Die häufigste Strategie, gezielte Mitteilungen, kurze Gespräche, Bereitstellung vielfältiger Medien, Adressenvermittlung, Recherchehilfen.
Da „Aufklärung“ noch immer ein vorwiegend mit der ärztlichen Domäne verknüpfter Begriff ist, vollziehen Pflegende unglücklicherweise insbesondere im Kontext der Nachfrage hiernach häufig eine vermeintliche Rückdelegation an die Ärzte aufgrund vermuteter rechtlicher Unklarheiten, was meist jedoch unnötig ist (Köpke & Meyer 2011). Aufklärung ist ein Bestandteil von Information!
Beratung
Ergebnisoffener, dialogischer Prozess, in dem eine individuelle Lösung vorbereitet wird, es geht um Klärung und Stärkung des Klienten.
Schulung
Geplantes Vermitteln von Wissen oder Fertigkeiten, Einfluss auf Einstellungen, schrittweise, zielorientiert, am Ende Bündelung oder Überprüfung, Schulungen können auch sehr kurz sein und sich an Einzelne richten, ähnliche Begriffe: Training, Unterweisung.
Leider wird anstelle von Schulung hier immer wieder der Begriff „Anleitung“ ins Spiel gebracht. International ist er ungebräuchlich. In Deutschland wird er eher mit Praxisanleitung verknüpft – also dem gesamten Prozess der Ein arbeitung Pflegender in die Berufspraxis (Quernheim 2017). Dabei ist Anleitung zweifelsohne Bestandteil inner halb einer Schulung, allerdings vielmehr in Gestalt handlungsbegleitendem Verbalisieren im Sinne von Demonstrieren, Simulieren und Nachahmen (Sunder & Segmüller 2017).
Patientenschulung und Patienteninformation sind etablierte Begriffe, folgerichtig sollte professionelle Pflege diese mitbesetzen!
Moderation
In den letzten Jahren haben Aktivitäten einer „Familien“–Moderation bei Pflegebedürftigkeit – sowohl zur Klärung bei Beginn einer Pflegesituation, etwa im Rahmen von Entlassungsmanagement, als auch bei Krisen innerhalb langer Pflegeverläufe – zugenommen.
Prozess der Patientenund Familienedukation
Alle Strategien unterliegen eigenen Handlungslogiken (Schaeffer & Dewe 2011, Schaeffer 2008) und benötigen differenzierte Überlegungen – je nach Klienten und Situation sollte die Auswahl spezifisch sein. Pflegende sollten sowohl die Differenzierungen dieser Interventionen als auch ihre Gemeinsamkeiten und Schnittmengen kennen, um zu erkennen, was durch die Patienten- / Klienten- / Hilfesuchende bei ihnen in der jeweiligen Situation nachgefragt wird (Sunder & Segmüller 2017).
Auch auf Klientenseite sind viele Voraussetzungen für eine erfolgreiche Begleitung erforderlich: Motivation, Vorwissen, manuelle und sensorische Fähigkeiten, Kör perwahrnehmung, Kompetenzen des Beurteilens und Entscheidens, Risiken wahrnehmen, Kontakt zu Profis gestalten, Verantwortung übernehmen, Vertrauen, Zu kunftserwartungen, den Lebensentwurf austarieren etc. Diese Aufzählung zeigt, dass pflegebezogene Patien ten- und Familienedukation anspruchsvoll ist und einer fundierten, fachkundigen Hinführung sowie Ausbildung bedarf und eben nicht allein aufgrund der Jahre der Be rufszugehörigkeit und der so gesammelten Erfahrungen in der Durchführung legitimiert werden kann (Sunder & Segmüller 2017).
Am Beispiel Schulung können Schritte verdeutlicht werden, welche dem Aufbau des Pflegeprozesses ähneln. Zunächst geht es darum, den zu Schulenden kennenzulernen, bei kleinen Einheiten reicht eine sehr kurze Anamnese, bei wochenlangen Einheiten ist mehr Aufwand nötig. Die oben genannten Aspekte sind einzuschätzen, auch die bevorzugte Lernmethode ist kennenzulernen (Zegelin 2006). Die pädagogische Psychologie hat mehrere Konzepte zu „Lerntypen“ vorgelegt und aufgezeigt, dass Menschen in der Regel gemischt lernen (ebd.). Auch hier wäre eine Recherche durch die Lernenden selbst möglich.
Zu vielen Krankheiten und Diagnosen liegen spezielle Assessments sowie Studien zur Wirkung von Patientenedukation vor (exempl. Jing-Yu 2012, Davies 2010, Beasly 2009). Eine Recherche zu weiteren Assessments oder Studien könnte in den Studiengängen durchgeführt werden. Die wenigsten Assessments sind allerdings für den Praxisgebrauch geeignet oder regelhaft ins Deutsche übersetzt. Im Rahmen der vorbenannten Studien können die dort Anwendung findenden Messinstrumente Ausgangspunkt und Erfolg von Maßnahmen belegen. In der überwiegenden Anzahl beziehen sich die Konzepte dabei auf Veränderung von Wissen, Einstellungen oder auch praktischer Fähigkeiten. Im Sinne kleiner Prüfungen könnte hier auch der OSCE-Ansatz helfen, denn „Objective Structured Clinical Examination“ sind kurze praktische Prüfungen, die zunächst vorrangig in reformierten Medizin-Studiengängen (Chenot & Ehrhardt 2003), inzwischen aber auch in der Pflege gebräuchlich sind (Schlegel 2018). Auch hier bieten sich weitere Recherchen in Studiengängen an, inwieweit diese auch für die Durchführung patienten- und familienedukativer Aktivitäten im Pflegealltag zu adaptieren sind.
Bei aufwändigen Begleitprozessen können auch (schriftliche) Auftragsklärungen bzw. Zielvereinbarungen den edukativen Prozess transparenter und verbindlicher gestalten. „Goal attainment“ (Kolip & Schaefer 2015) ist in vielen Bereichen modern, in beruflicher Bildung wird von „Contract-Learning“ (Arnold & Lermen 2017) gesprochen. Erfahrungen mit diesen Ansätzen gibt es auch in der Psychiatrie. Überhaupt lohnt sich ein Blick in diese Richtung, allerdings firmiert hier das ganze Thema unter dem Terminus „Psychoedukation“, zum Teil mit eigenen Modellen (Bäuml et al. 2016). Recherchen in diesem Gebiet können so durchaus synergetische Beiträge zur pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation leisten.
Nach der Anwendung der jeweiligen Interventionen sind stets Zusammenfassungen und Auswertungen nötig – auch ein nachvollziehbares Dokumentationskonzept für alle Aktivitäten der pflegebezogenen Patienten – und Familienedukation sollte vorliegen (Zegelin 2013 / 2009a). Zukunftsvision ist eine übergreifende Datenbank mit Evaluationen, die sich im Zuge dessen auf einzelne Interventionen, auf Prozesse oder auf landes- bzw. organisationsweite Vorgänge, etwa bei Transplantationspatienten oder bei Pflegekursen für Angehörige, beziehen können.
Besonderheiten stellen Klienten mit kognitiven Einschränkungen dar – eine durchaus große Gruppe in allen Settings. Menschen die schlecht hören, schlecht sehen, manuell eingeschränkt sind, wenig behalten können, Menschen mit leichter Demenz. Für sie muss alles vereinfacht werden. In der letzten Zeit werden auch Konzepte der „leichten Sprache“ zunehmend in die pflegerische Patientenedukation übertragen wie beispielsweise „Hat Mama Demenz?“ ein Heft über älter werdende Menschen mit Demenz in leichter Sprache von der Demenz Support Stuttgart gGmbH in Kooperation mit dem Landesverband Baden-Württemberg der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung e.V. aus dem Jahr 2017. Ein Beitrag zu Broschüren in leichter Sprache findet sich auch in der „Padua“ (Boll 2017).
Auch sind die erzielbaren Lerntiefen der Unterstützungsnachsuchenden unterschiedlich, oft ist nur oberflächliches Faktenwissen vermittelbar, manchmal auch Hintergründe, Zusammenhänge und Prinzipien (Zegelin 2006). Letzteres kann die Betroffenen am geeignetsten darin unterstützen, mit einschränkenden Bedingungen besser umgehen und durch Handlungsoptionen mehr Freiheit erreichen zu können. Überhaupt ist Handlungswissen eine „reife“ Stufe der Bewältigung (ebd.), unter schwierigen Bedingungen, im Urlaub zu improvisieren, mit Komplikationen fertig zu werden, Anliegen politisch zu transportieren – dies zeigt, dass Erkrankte zu Experten ihrer Situation – also experts by experience – geworden sind. Oft braucht es dazu viele Jahre der Erfahrung (aus diesem Grund verbieten sich auch Bezeichnungen wie ExpertenLaien). Eine erweiterte Entwicklungsstufe besteht darin, dass Betroffene ihr Wissen in guter Form – exemplarisch in
der Selbsthilfe – weitergeben können. Wissen – so ist heutig unverkennbar – ist zweifelsohne bedeutsam, allerdings nicht hinlänglich, um Menschen zu befähigen, selbst in Richtung Verbesserung aktiv zu werden.
Besondere Klientengruppen professionell Pflegender sind auch Kinder und Jugendliche. Für sie steht nur eingeschränkt Material zur Verfügung. Als ein positives Beispiel können hier die modularen Schulungsprogram me MODUS-Schulungen & TRANSITIONS-Schulungen des Kompetenznetz Patientenschulungen (Szczepanski 2013 / 2018) dienen 1 . Zudem sind ebenso Konzepte und Materialien für Migranten wichtig, dabei reicht eine bloße Übersetzung nicht aus, die Inhalte sind ebenfalls kulturell anzupassen. Ein positives Beispiel ist hier das Webportal ZANZU: Mein Körper in Wort und Bild (BZgA 2018) 2 .
Für beide Zielgruppen empfehlen sich Recherchen zum Auffinden vergleichbarer Beispiele.
In der Lehre der pflegerischen Grundausbildung sowie im Studium erscheint es vor diesem Hintergrund überaus sinnvoll, immer wieder einen pflegetheoretischen Bezug für die inhaltliche Ausgestaltung patienten- und familienedukativer Interventionen herzustellen. Im Kontext der Zielgruppe Kinder und Jugendliche bietet sich hier vorrangig die Pflegetheorie des systemischen Gleichgewichts von Marie Luise Friedemann an (Friedemann & Köhlen 2003) und mit Blick auf die Zielgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund geht hinsichtlich einer kultursensiblen Pflege weder der Weg am Sunrise Modell der transkulturellen Pflegetheorie von Madeleine Leininger (ebd. 1998) noch an der transkulturellen Kompetenz von Dagmar Domenig (ebd. 2007) vorbei.
Für Pflegende kann es im Zuge des Theorie-PraxisTransfers im Rahmen der Durchführung patienten- und familienedukativer Aktivitäten sehr hilfreich sein, auf diese pflegetheoretischen Grundannahmen Rückgriff zu haben!
Mangel an Lernmaterial
Insgesamt steht wenig gutes Lernmaterial für die pflegebezogene Patienten- und Familienedukation zur Verfügung (Zegelin 2006). Ein Problem ist beispielsweise, dass professionell Pflegende manchmal davon ausgehen, dass die Betroffenen ein „vereinfachtes Fachwissen“ brauchen. Dies ist nur eingeschränkt richtig, denn Erkrankte haben oft Alltagsfragen und andere Schwierigkeiten als vermutet. Pflegebezogene Patienten- und Familienedukation sollte deswegen diese direkten Patientenfragen aufgreifen, wie etwa in der Diagnostik: Wie lange dauert der Eingriff ungefähr? Bekomme ich dann Schmerzen? Wie geht es danach weiter? Patienten-Aufklärungsbögen der Medi
Tabelle 1. Praktische Tipps für das edukative Gespräch
Informationen persönliche Bedeutung verleihen (Individualisieren)
an Bekanntes anknüpfen (erfragen, was gewusst wird, Anamnese)
ein mittlerer Neuigkeitswert ist wichtig
Portionieren (nicht zu viel auf einmal wollen)
Anschaulichkeit herstellen durch Beispiele, Analogien, Bilder, Zeichnungen, Merksprüche, oder Vergleiche
mehrere Sinneskanäle zur Behaltensleistung nutzen (multimodal arbeiten: Hören 20 %, Sehen 30 %, Sprechen 70 %, Handeln 90 % – Nachsprechen und Aufschreiben erscheint sinnvoll)
Verständlichkeit (Fremdworte und Fachbegriffe erklären)
Körpersprache und Stimme einsetzen (Zugewandtheit, Blickkontakt, Gestik, Betonung)
Festigung durch Wiederholen, Zusammenfassen, Pausen machen (nach ca. 15 Minuten)
Gegenüber aktivieren, Fragen stellen lassen, mit eigenen Worten bündeln lassen
Positive Rückmeldung, Bestätigung, Lob und Ermutigung
ziner_innen beantworten diese Fragen nicht, sie dienen lediglich der rechtlichen Absicherung. Bei der Vorbereitung zum Leben mit chronischen Krankheiten steht die spätere Alltagssituation ebenfalls im Vordergrund (Abt Zegelin 2017 / 2009a, Corbin & Strauss 2010, Schaeffer & Moers 2009 / 2008, Grypdonck 2005).
Kreative Pflegende „basteln“ Lernmaterial, etwa aus ausgemusterten Sachen, sie fertigen selbst einfache Zeichnungen an oder erstellen kurze Merklisten.
Hinweise aus Lernpsychologie nutzen
Die zusammengetragenen Überlegungen der Tabelle 1 sind altbekannte Hinweise zur Ermöglichung besseren Lernens. In der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation kommen im Besonderen noch die folgenden hinzu: Bei Informationen sollte die Aufmerksamkeit stets auf den Moment gelenkt werden. Es ist sicherzustellen, dass Patienten einigermaßen beschwerdefrei und überhaupt in der Lage sind, zuzuhören. Durch entsprechende Hinweise – wie z. B. „Ich möchte Ihnen das jetzt erklären“ – sollte die Situation herausgehoben werden, denn offenbar kommen viele Informationen bei Patienten nicht an, weil sie handlungsbegleitend „vermurmelt“ werden. Immer dann, wenn Patienten Eile spüren, halten sie sich mit Äußerungen zurück und trauen sich nicht zu fragen. Ein
1 Aufzufinden unter den URL: https://www.kompetenznetz-patientenschulung.de/modus-schulungen/ und URL: http://between-kompas.com/ verfügbar unter dem Link: URL: https://www.zanzu.de/de
häufiger Fehler in der „sprechenden Pflege“ ist auch, dass zugleich zu viele sowie unverständlich Informationen angeboten werden. Zweifelsohne sollten Fachbegriffe zwar genannt, aber stets in Alltagssprache übersetzt werden. Manchmal erleben Patienten und Angehörige auch, dass die sie umgebenden Gesundheitsprofessionellen unterschiedliche Aussagen treffen – dies führt zu Verwirrungen und ist bestmöglich zu vermeiden. Zunehmend schwieriger wird es, wenn Patienten spüren, dass ihr Wille keine Akzeptanz findet und etwas ihnen Fremdes durchgesetzt werden soll. (vgl. dazu Abt Zegelin & Reuther 2014, Zegelin 2013 / 2009a / 2006 / 2003, Abt-Zegelin & Kolbe 2011, Bamberger 2013 / 2010a – c / 2009a / b)
Ergo: Wenn edukative Interventionen in ihrem Outcome nachhaltig sein sollen, müssen Pflegende sich prozessbegleitend immer wieder vergegenwärtigen, dass es um Aktivierung und Befähigung und eben nicht um Bevormundung, Unterweisung und Überstülpen von Standardlösungen geht.
Wenn ausreichend Unterrichtszeit zur Verfügung steht, können alle diese Aspekte eingeübt werden. Eine Fundgru be für die Patientenbegleitung sind auch „Kognitive Strategien“ (z. B. Hascher & Schmidt 2010). Hier bietet sich erneut eine Recherche an, um die Adaptionsfähigkeit der sogenannten kognitiven Strategien auf die pflegebezogene Patienten- und Familienedukation in der Pflege zu prüfen.
Tools zum Thema Information
Information ist die weitaus häufigste Interaktionsform in der Pflege, etwa in kurzen Gesprächen zwischen Pflegenden und Patienten, oft vermischen sich dabei Informationen mit Alltags- und Befindlichkeitsgesprächen. Wenn es wichtig ist, dass bestimmte Informationen vermittelt werden sollen, gibt es zahlreiche Hilfen – dabei ist auch darauf zu achten, dass jede Pflegeperson die gleichen Inhalte anspricht und vermittelt.
Kitteltaschen-Karten /Pocketcards
Diese praxisnahe Form ist zu sehr vielen Themen denkbar, sie erhalten die wichtigsten Kurz-Infos in standardisierter Form und werden von Pflegenden erarbeitet. Ein publiziertes Beispiel stellen die Kurzgespräche zum Thema Epilepsie dar (Abt-Zegelin 2004).
Leitfäden /Checklisten
Auch sie erhalten Kurz-Infos in übersichtlicher Form, häufig gekoppelt mit einer Möglichkeit des „Abhakens“ (AbtZegelin 2009b). Hier ist ein Beispiel zugänglich, der Gesprächsleitfaden Antibiotika-Therapie (Lex et al. 2004) 3 .
Poster
Zu sehr vielen Themen sind informative Poster vorstellbar, in Fluren oder Wartezonen aufgehängt. Poster können selbst entwickelt oder auch von Organisationen sowie der Medical-Industrie genutzt werden. Hilfreich sind hier die Ideen des „One-Minute-Wonders“: Poster, auf denen in einer Minute Lesezeit wichtige und evidenzbasierte Informationen an Klienten vermittelt werden (Krüger 2017, Schmidt & Krüger 2016).
Decision-Aids
hierunter werden alle Hilfsmittel subsumiert, die es Menschen durch die Förderung ihrer Gesundheitskompetenz ermöglichen, vor ihren gesundheits- / krankheitsbezogenen Entscheidungen zum Abwägen individueller Möglichkeiten befähigt zu werden, indem sie beispielsweise handlungspraktische Übungsmöglichkeiten bereithalten oder dazu erforderliche Wissen bereitstellen. Als Decision Aids kommen die bereits vorbenannten Poster, Leitfäden und Checklisten, aber auch Entscheidungstafeln, Computerprogramme, Filme, Videoclips oder Broschüren zur Anwendung (Klemperer 2014).
Bei viel Zeit in der Lehre können Produkte selbst erstellt und damit kleine Projekte durchgeführt werden. Immer wünschenswert ist eine Präsentation oder Publi kation, eine Evaluation oder Weitergabe an Andere. Nur auf diesem Weg kann pflegebezogene Patienten- und Fa milienedukation weiter bekannt gemacht und verbreitet werden.
Broschürenarbeit
Broschüren sollten in jedem Fall Gegenstand im Unterricht sein, auch wenn wenig Zeit ist. Es gibt sehr viele Broschüren und Flyer zu Gesundheitsfragen (Segmüller 2016, Abt-Zegelin 2013, Tolsdorf 2010a). Die Lernenden sollten wichtige Adressen von Broschüren Herausgebern kennenlernen – z. B. Kranken- und Pflegekassen, BZgA, Deutsche Krebshilfe, Selbsthilfeorganisationen, Pharmafirmen – und aufgefordert werden, Broschüren zu verschiedenen Themen zu sammeln.
Es ist empfehlenswert, dass Broschüren mitgebracht und in Gruppen ausgewertet werden. Broschüren können auch selbst entwickelt werden.
Broschüren sollten allerdings vor ihrem Einsatz bewertet werden (Kocks & Abt-Zegelin 2014a). Die „Wittener
Tabelle 2. Die Wittener Liste
1. Zielgruppe und Ziel angegeben?
2.
3. Alltagbezogen vorhanden? Relevanz der Information?
Positive Bewältigung beabsichtigt? Persönliche Ansprache?
4.
5. Umfang und Schriftgröße?
Verständlichkeit?
6. Layout/Überschriften /Abbildungen /Gliederung?
7.
8. Neuzeitliches Wissen /Literaturstützung/Quellen /Datum?
Autorenhinweise /Finanzierung/Abhängigkeit?
9. Weiterführende Hinweise /Adressen?
10. Vollständigkeit?
Liste“ zur Broschürenbewertung enthält zehn einfache Evaluationsmerkmale (Tolsdorf 2010a) 4 .
Erläuterungen zu den einzelnen Punkten finden sich in der einschlägigen Literatur. Zur Überprüfung der Ver ständlichkeit empfiehlt sich das „Hamburger Verständlichkeitskonzept“ (Langer et al. 2011). Mit seinen Kriterien „Einfachheit, Gliederung, Kürze, Zusätze“ ist eine gute Prüfung möglich. Hierzu gibt es viele Beispiele im Internet. Studierende sollten zusätzlich Lesbarkeitsformeln (Flesh, Fry, SMOG, FOG) kennenlernen. Diese werden zur wissen schaftlichen Testung eingesetzt – allerdings ist Lesbarkeit einfacher als Verständlichkeit. Ein Problem ist auch, dass diese mathematischen Formeln für englischsprachige Tex te entwickelt wurden. International ist der Bewertungskatalog „SAM“ (Suitable Assessment Materials) gebräuch lich, er ist fast identisch mit der Wittener Liste (Segmüller 2017a). Die Sektion BIS – Beratung, Information und Schu lung – der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft hat Vorschläge zur Erstellung von Patientenbroschüren er arbeitet (Kocks & Abt-Zegelin 2014a).
Die Übergabe einer Broschüre ist eine pflegefachliche Intervention, daher sollten Broschüren immer in das pflegerische Gespräch eingebettet sein und nicht nur übergeben werden. Jede Fachabteilung einer Klinik und jedes andere pflegerische Setting sollten passende Broschüren bevorraten. Es macht Sinn, zum gleichen Thema verschiedene Broschüren vorzuhalten, je nach Situation des Patienten (geistige Leistungsfähigkeit, Alter, Sprachkompetenz usw.). Ein sparsamer Gebrauch (nicht 5 Broschüren auf einmal) und eine sukzessive Ausgabe (nicht in einem dicken Ordner) sind ratsam. Viele gute Broschüren sind kostenlos erhältlich, allerdings gibt es auch zu vielen Themen kein Material – meistens dann, wenn kein industrielles Interesse vorhanden ist. In diesem Fall können bzw. sollten Broschüren selbst hergestellt werden. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe: Es sollte eine kleine Arbeitsgruppe gegründet, Experten befragt, auf das in der Einrichtung übliche Layout und auf die Literaturstützung der Inhalt geachtet werden (Lörken 2015, Tolsdorf 2010a, Steckelberg et al. 2005).Gute als auch schlechte Ergebnisse, die aus den Auswertungen von Broschüren resultieren, sollten an die Hersteller rückgemeldet werden.
Der Verein Patienten- und Familienedukation e.V. führt alle zwei Jahre mit großer Resonanz im deutschsprachigen Raum einen Broschüren-Wettbewerb durch. Die Gewinner-Broschüren werden auf der Homepage des Vereins Patientenedukation 5 präsentiert. Auf dieser Homepage ist auch ein Beispiel für eine Broschürenbewertung zu sehen (AOK Broschüre zur künstlichen Ernährung).
Patienten-Informationszentren (PIZ)
Darunter werden Biblio-Mediotheken für Patienten und Angehörige verstanden – sinnvollerweise stehen sie in Krankenhäusern, Pflege- oder Ärztezentren zur Verfügung (AbtZegelin et al. 2007). Nach einem Vorbild in Boston / USA (Patient-Learning-Center) wurde 1999 im Klinikum Lüden scheid das erste PIZ in Deutschland unter pflegerischer Leitung gegründet. Die PIZes sollten in der Klinik bekannt, gut auffindbar sein und breite Öffnungszeiten haben. Sie bear beiten ein großes Spektrum an Patientenproblemen und wirken in die Stationen hinein. Alle PIZes evaluieren ihre Arbeit durch Nutzerbefragungen. Es stehen zahlreiche Pub likationen zu den PIZes zur Verfügung. Inzwischen gibt es etwa 20 solcher Einrichtungen, die meisten sind im Verein Patienten- und Familienedukation organisiert (vgl. Segmül ler 2017). Das Herzzentrum Bad Krozingen hat zusätzlich ein „mobiles PIZ“ auf den Weg gebracht, bei dem Mitarbei tende Patient_innen auf den Stationen aufsuchen. Zudem gibt es Pflegewerkstätten, in denen Angehörige vor allem zum Bereich der häuslichen Pflege, geschult werden. Besu che und Hospitationen sind dort möglich 6 .
Als „bescheidenen Ersatz“ könnten Auszubildende und Studierende aufgefordert werden, das Gesundheitsregal der örtlichen Stadtbücherei zu besichtigen und eine Rückmeldung an die Bibliothek zu geben.
Filme
Patientenfilme stellen einen riesigen Markt dar. Da die Produktion aufwändig ist, sind sie oft mit Werbebotschaften verbunden. Auch hier hat die Sektion BIS mehrere Bewertungskriterien entwickelt (Schieron 2017, Kocks 2016, Kocks & Abt-Zegelin 2014b). Davon abgesehen existiert auch eine Vielzahl von (Spiel-)Filmen und Dokumentation aus Betroffenensicht, die Patienten und Angehörigen durchaus empfohlen werden können.
4
5 Abzurufen unter dem Link: http://patientenedukation.de/sites/default/files/downloads/Wittener_Liste.pdf www.patientenedukation.de virtuell kann ein Überblick unter www.patientenedukation erlangt werden
In der Lehre können Patientenfilme angesehen und begutachtet werden. Auch hier sollten gute oder schlechte Auswertungsergebnisse an die Urheber rückgemeldet werden.
Internet
Jede Pflegende sollte relevante und empfehlenswerte Internet-Seiten mit den wichtigsten Diagnosen aus dem täglichen Arbeitszusammenhang kennen und diese Emp fehlungen an Betroffene weitergeben können. Viele Betroffene nutzen Gesundheitsportale (vgl. Büker & Sunder 2017). Dabei ist es wichtig, seriöse Seiten von Werbung zu unterscheiden. Mehrere Konzepte helfen bei der Beurteilung – z. B. Gütesiegel (Afgis, Hon-Code, Medisuch, Stiftung Gesundheit etc.) 7 .
Das Feld „Gesundheit aus dem Netz“ eignet sich zu einer Schwerpunktbildung, bedarf aber eines großen Stundenanteils. Dies gilt auch für Online-Patientenedukation.
Schulung
Unter Schulung wird eine zielorientierte, kleinschrittige Intervention verstanden (Büker 2015, Zegelin 2006). In der Pflege dominieren Einzelschulungen, in Medizin und Psychologie werden häufig Gruppenschulungen durchgeführt. Zu vielen Diagnosegruppen werden Konzepte angeboten, häufig von Pharma-Firmen entwickelt, z. B. zu den Themen: Rheuma, Hochdruck, Epilepsie (MOSES). Untersuchungen haben allerdings selbst bei etablierten Schulungen viele Mängel aufgezeigt: Lehrerzentrismus, Imperativ-Didaktik, zu viele Folien / Infos, Fachterminologie, zu wenig Alltagsbezug, kaum Evaluation, kaum Familienorientierung, Werbung überwiegt usw. Einige der „Klassiker“ von Gruppenprogrammen eignen sich, um daraus pflegeorientierte und individuelle Programme zu entwickeln. Daneben sind Pflegende durchaus verantwortlich oder mitwirkend bei Gruppenschulungsprogrammen tätig, etwa bei Rheumapatienten, MS-Kranken, COPDBetroffenen, Stillgruppen usw. Relativ gute Materialien bieten auch Firmen im Bereich der Stoma-Versorgung.
Lernende sollten etablierte Programme kennenlernen (z. B. Medias bei Diabetes oder ABUS bei Asthma). In den letzten Jahren sind einige übergeordnete Evaluationskonzepte entstanden. In manchen Bereichen sind auch internetbasierte, z. T. interaktive Schulungsprogramme entwickelt (z. B. OTIS in der Transplantationsmedizin) auch darauf sollte eingegangen werden.
Innerhalb von Schulungen kann es unterschiedliche Anleitungssequenzen geben. Anleitungsmodelle folgen meistens den Schritten: Information und Ziele aushandeln, Methodenwahl, Planung, Durchführung (Demonstrieren, Nachahmen, Erklären) und Evaluation (vgl. dazu Sunder & Segmüller 2017). Ohne dabei mehr Klarheit zu erreichen ist inzwischen die Lernzieldiskussion durch die Kompetenzorientierung (DQR 2011) abgelöst.
In den Gesundheitswissenschaften sind die Ansätze „Cognitive Apprentisship“ (Collins 1991, Collins et al. 1989) oder das Precede-Proceed-Modell (Seibt 2016) bekannt, hierbei handelt es sich um mehrschrittige Modelle. Als Beispiel für ein komplexes, individualisiertes und pflegeorientiertes Programm soll hier die „Anleitung zur Tracheostomapflege“ vorgestellt werden. Es umfasst in einer speziellen Struktur Beratungen, Schulungen, Broschürenarbeit, Assessments usw., eine Fotostrecke hilft bei der Erläuterung des Vorgehens. Leider gibt es im deutschsprachigen Raum keine anderen Unternehmungen dieser Art. Patienten mit Dauertracheostoma (z. B. bei Kehlkopfkrebs) müssen viel beachten und lernen. So zeigt der Inhalt Themen wie Absaugen, Kanülenwechsel, Hautpflege, Ernährung, Sprechen, Schmerzen, Körperbildstörungen u. a. m., auf. Das Programm wurde in zwei Kliniken implementiert, evaluiert und ist als Broschüre 8 erhältlich.
Mikroschulungen
In Abgrenzung zu vielgestaltigen Programmen wurde im ersten PIZ in Lüdenscheid der Begriff „Mikroschulung“ ge prägt (Zegelin 2006a). Hierbei handelt es sich um kurze Einheiten von max. 30 Minuten, in denen Betroffene einen speziellen Inhalt lernen sollen, adressiert sind nur 1 – 2 Ler nende. Es kann sich um eine Handlung, eine Einstellung oder eine Wissensportion handeln (ebd., Tolsdorf 2010b). Viele Patienten müssen im Sinne von künftiger Selbstpfle ge, Prozeduren selbst ausführen, seien es Katheterismus, Sondenkostgabe oder Verbandwechsel. Im Jahr 2000 wur de der Prototyp einer Mikroschulung „Subkutane Injektion“ im Netzwerk entwickelt und dient seitdem als Vorbild für viele weitere Mikroschulungen – für jedes Fachgebiet sind etwa 10 Themen denkbar. Die Mikroschulungen sind kon zeptualisiert: nach der Sachanalyse folgen 12 Schritte (Zegelin 2006a, Büker 2015). Im Krankenhaus der Barm herzigen Brüder in Trier wurden auf jeder Station spezifische Mikroschulungen als laminierte 0rdner etabliert, es wurden Materialkörbe bereitgestellt, Patientenbroschüren entwickelt, die Dokumentation angepasst sowie ein Ab rechnungskonzept im Rahmen der DRGs entwickelt. Zu mehrere Themen stehen beispielhaft Mikroschulungen als Downloads unter www.patientenedukation.de zur Verfü gung. Auch die die Firma Nutricia vertreibt als Beispiel eine Mikroschulung zur Gabe von Sondenkost.
Das Thema Beratung, wie auch weitere mit der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation assoziierte Themen, werden ausführlich im nächsten Artikelteil behandelt.
7 Empfehlenswerte Seiten sind z.B. www.gesundheitsinformation.de, www.krankheitserfahrung.de, www.patienten-information.de, die Angebote der Deutschen Krebshilfe www.krebshilfe.de oder www.krebsinformationsdienst.de. www.fahl.de
Dr. Angelika Zegelin
Krankenschwester, Pflegewissenschaftlerin, vorm. Universität Witten /Herdecke
angelika.zegelin@uni-wh.de
Nadine Sunder
Gesundheitswissenschaftlerin, Sachverständige /Pflegefachgutachterin im Gesundheitswesen, Pflegeberaterin, Case Managerin, Krankenschwester
kontakt@unterstuetzpunktgesundheit.de
Prof. Dr. rer. medic.Tanja Segmüller
MScN, BScN, RN, Krankenschwester, Professorin für Alterswissenschaft an der HSG Hochschule für Gesundheit, Bochum
tanja.segmueller@hs-gesundheit.de
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