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AKTIV

Aus dem Stern wird das PAul´S

PAul Kestermann

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WIE KAM ES DAZU, DASS DU DIE GASTRONOMIE IN DER STUTTGARTER STRASSE 3 ÜBERNOMMEN HAST?

Da ich 1981 in Göppingen einen Live Club „Marienkäfer“ eröffnet habe, unter anderem spielte Steppenwolf bei mir, wurde mir leider nach sechs Monaten die Livekonzession auf Grund von Nachbarbeschwerden entzogen. Somit war Schluss und viele Göppinger waren sehr traurig. Ich ging, aber mir war klar, ich komme wieder und das war dann Jahre später das,,Pauls“ im blauen Haus in der Stuttgarter Straße 3.

WIE WÜRDEST DU DEINE ZEIT AN DER STERNKREUZUNG ZUSAMMENFASSEN?

Ich wurde bei der Eröffnung des Pauls mit offenen Armen empfangen. Das Pauls war gleich voll und mit meinem Konzept: Ibiza Style traf ich den Zeitgeist.

WAS WAREN DEINE HIGHLIGHTS IN DEINER ZEIT ALS PAULS GASTRONOM?

Highlights waren sicher der Biergarten, der bis 24 Uhr offen war, sowie der Auftritt der Gipsy Kings, die eigentlich Gäste waren und dann ein Spontankonzert gaben. Davor haben sie in der Schleyer Halle vor 12.000 Menschen gespielt. Göppingen bebte voller Lebensfreude.

WAS VERMISST DU AUS DIESER ZEIT AM MEISTEN?

Ich vermisse, dass sich in den 90er Jahren 20 bis 50-Jährige im Pauls getroffen haben und viel Emotion gelebt wurde. Das durch viel positive Improvisationen tolle Stimmungen aufkamen ohne Regelwut der Behörden. Auch vermisse ich die tollen Bands und Partys unter anderem von Motorcorner aus Wangen mit den Brüdern „Wahl“. Auch gab es damals eine Gastro-Fan Kultur und das Pauls hatte viele Fans. Ich werde als Gründer und Orginal diese Zeit nie vergessen

„Danke Göppingen für diese geile Zeit, sie ist in meinem Herzen. Euer Paul“

das PAul´S bleibt Das Paul´s

MAthias Pulvermüller

WIE KAM ES DAZU, DASS DU DAS PAUL´S ÜBERNOMMEN HAST?

Eigentlich habe ich mit Ali Scheid Solarstromgeräte vertrieben, doch wir waren unserer Zeit noch voraus und die Solar-Umsätze blieben aus. Und so haben wir uns im Paul´s einen Nebenjob zum Kellnern gesucht. Relativ schnell sind wir dann als Teilhaber eingestiegen und haben das vom Paul im Mai 1989 eröffnete damalige Café-Konzept mit den gemütlichen Korbmöbeln und Sitztischen komplett übernommen. Anschließend machten wir eine Partybude daraus. Die Sitzecken kamen raus und Stehtische rein. Die Musikananlage blieb die alte, weshalb uns regelmäßig durch die Partylautstärke die Musikboxen um die Ohren fl ogen. Die Gipsykings liefen rauf und runter und die Leute feierten, als ob es kein Morgen gäbe. Bei einer Deckenhöhe von ca 2,20 m stand der Raum durch den Zigarettenqualm ständig im Nebel. Heute natürlich alles undenkbar, aber damals war das einfach egal. Dienstag und Donnerstag gab es HipHop mit Ali und an den anderen Tagen Rock mit mir. Wir haben mit viel Alkohol, viel Party und viel Herz den Laden am Laufen gehalten. An Gästen durften wir alles zwischen 16 bis Ende 20 und später bis Ende 30 beherbergen und hatten die Bude jeden Tag voll -Montag bis Sonntag,... die Leute haben uns einfach gefunden.

WIE WÜRDEST DU DEINE PAUL´S ZEIT ZUSAMMENFASSEN?

In den ersten Jahren waren wir eine echte Partyhöhle. 1997 haben wir umgebaut. Die Decke kam raus -Nicht zuletzt, um die Luft im Laden zu verbessern und die Dönerbude vorne Am Eck, die dann auch zum Salt´n Peppa und später zum italienischen Imbiss wurde, musste für eine 82 räumliche Erweiterung vom Pauls Platz machen. Teil unseres Konzepts war es, alle drei Monate die Räume neu zu gestalten und ein wenig umzubauen und zu streichen, um bei den Leuten ein frisches Feeling zu erzeugen. Wir haben dann zum Beispiel eine „Deep Water Party“ gemacht, alles hellblau gestrichen und Bullaugen aus den Fenstern gemacht. Beim Pharaonen-Fest wurde alles sandfarben und wir haben eine Holz-Pyramide vor den Eingang gestellt (dafür gab es eine Strafe vom Ordnungsamt) und den ganzen Laden mit Sand gefüllt. Mit der Flying Fledermaus haben wir vor 25 Jahren die erste Halloweenparty weit und breit gefeiert und die Fledermaus, die in einem ferngesteuerten Auto an Schienen an der Decke durch den Raum schwebte, wie einen Rockstar angekündigt. Als die Regelungen für die Gastronomie lockerer wurden, haben wir einmal im Monat Mottoparties gemacht und donnerstags und freitags „Specials“ angeboten. Der „siebte Himmel im Paul´s“, bei dem es Getränke zu speziellen Preisen gab, schlug ein wie eine Bombe. Auch bei den Aktienparties hatten die Leute eine Menge Spass. Der Broker sendete vom Schnapslager aus über kleine Fernseh-Bildschirme live in den Gastraum den aktuellen Wert der Pauls-Aktien. Die Aktien waren das Zahlungsmittel auf der Party und wer das Spiel kapiert hatte, konnte einen feucht-fröhlichen und günstigen Abend mit viel Spass erleben.

WAS WAREN DEINE HIGHLIGHTS IN DEINER ZEIT ALS PAULS-GASTRONOM?

Eines ist sicherlich, dass wir zu den Initiatoren gehört haben, die Ende der 90er sich dafür einsetzten, dass die Stadt die Bewirtung der Freisitzfl äche von damals 22 auf die heutigen 23 bzw. 24 uhr verlängert hat. Das war für uns ein Zeichen, dass die Gastronomie und deren Rolle in einer Stadt einfach wertiger wurde. Ein weiterer Höhepunkt war auch der Heiratsantrag im Paul`s, bei dem wir für das Paar, das sich bei uns kennengelernt hatte, ganz romantisch eingedeckt und mit einem Caterer verwöhnt haben. Als dann zum ersten Mal die Kinder unserer früheren Gäste bei uns feierten, war das ein ganz besonderes und schönes Kompliment. Wie auch jedes Mal, wenn ein Gast beim Gehen über die Theke gerufen hat „Danke für den tollen Abend“. Die Arbeit in der Gastro kann man ja nie in Stunden bezahlen und da war es jedes Mal ein Highlight, wenn die Gäste so viel Spaß an dem Laden hatten, dass sie einfach mitgearbeitet haben.

WAS VERMISST DU AUS DIESER ZEIT AM MEISTEN?

Ich vermisse gar nichts. Das war eine geile Zeit, der richtige Laden zur richtigen Zeit und an der richtigen Stelle. Genau dort an dieser Kreuzung war das Paul´s immer allgegenwärtig, stand frei von anderen Gebäuden und hatte einfach einen gewissen Spirit und einen ganz speziellen Charme. Ich denke gerne an diese Zeit und bedanke mich heute noch herzlich bei den Gästen von damals, denn ohne Gäste keine Feste und natürlich bei unserem Personal: wir hatten zur damaligen Zeit einfach das geilste Team ever!

Aus dem Paul´s wird das Moloko

MAtthias Ferth

WAS SIND DEINE FRÜHESTEN ERINNERUNGEN AN DAS PAUL’S?

Das Paul´s war natürlich eine absolute Institution. Mit einem sehr abwechslungsreichem Konzept und immer wechselnden Partys war das Paul´s viel Jahre eines DER Lokale in der Stadt. Für mich war es immer beeindruckend wie Pulvi, Remus und Christian das Paul´s über, ich glaube 18 Jahre, derart kreativ und auf diesem Niveau betrieben haben. Davor ziehe ich noch heute meinen Hut!

WIE KAM ES DAZU, DASS DU DIE GASTRONOMIE IN DER STUTTGARTER STR. 3 ÜBERNOMMEN HAST?

Puh… Wenn ich mich recht erinnere, dann bin ich mit Pulvi eines Abends im Helmle bei dem ein oder anderen Bier zusammen gesessen und wir haben, warum auch immer, irgendwann über das Thema gesprochen, allerdings eher etwas fl apsig. Einige Tage später und dann auch ohne Bier, hat Pulvi mir dann angeboten das Pauls zu übernehmen – was für mich damals eine riesen Chance war, die ich sehr gerne angenommen hab. Allerdings war mir auch klar, dass wir hier ein großes und schweres Erbe antreten würden, was uns natürlich zusätzlich motiviert hat, hier einen guten Job zu machen!

WIE WÜRDEST DU DEINE ZEIT AN DER STERNKREUZUNG IN DREI SÄTZEN ZUSAMMENFASSEN?

In erster Linie war das auf alle Fälle eine schöne, anstrengende aber 84 Stadtmagazin auch unglaublich aufregende Zeit. Das Nachtleben in dieser Zeit aktiv mitzugestalten, das hat schon wirklich großen Spaß gemacht! Nachtleben und Ausgehverhalten befi nden sich bereits seit vielen Jahren sehr stark im Wandel. Wir mussten uns hier stets neu erfi nden und versuchen neue Trends zu kreieren, anstatt den Folgen des Wandels hinterher zu laufen. Das hat uns in unserer Kreativität in all den Jahren schon immer wieder sehr stark herausgefordert.

WAS WAREN DEINE HIGHLIGHTS IN DEINER ZEIT ALS MOLOKO-GASTRONOM?

Wo fängt man da an und wo hört man auf…. Wir haben ja fast 10 Jahre dort verbracht, da kommen schon eine Menge Dinge und Erlebnisse zusammen. Neben unseren ganzen tollen Partys wie dem Nite Club, dem Heiligen Morgen und Abend oder auch EM- und WM- Übertragungen, war es auf jeden Fall ganz spannend gemeinsam mit der JAZZ-iG auch ein kulturelles Programm zu etablieren, welches bis heute, mittlerweile in den Räumlichkeiten der Fa. Lambert, auch weiterhin Bestand hat. Was mir aber in besonders guter Erinnerung geblieben ist, sind unsere vielen Stammgäste, von denen uns wirklich viele die ganzen Jahre über treu begleitet haben und mit denen wir eine ganz besondere Zeit verbracht haben. Ebenso wie unser gesamtes Team – das war schon eine besondere Truppe!!

WAS VERMISST DU AUS DIESER ZEIT AM MEISTEN?

Ich glaube insgesamt, nach ca. 18 Jahren Gastronomie und Nachtleben, sind es wohl die vielen unterschiedlichen Menschen und Begegnungen und der damit verbundene persönliche Austausch, den man tagtäglich hat. Das wird in einer so langen Zeit irgendwann total zur Gewohnheit und das vermisse ich schon ein wenig muss ich sagen. Gerade weil der persönliche Austausch in der heutigen Zeit leider ja immer mehr an Bedeutung verliert.

Aus dem Moloko wird das Parker Jones

DAS PARKER QUARTETT

Benjamin Staubach, Serkan Essmer, Dejan Vasic, Dirk Biniek

benjamin staubach

WAS SIND DEINE FRÜHESTEN ERINNERUNGEN AN DAS PAUL’S?

Ich kann mich an meinen ersten Besuch im Paul‘s noch sehr gut erinnern, da dies auch mein „erstes Mal“ richtig weggehen in Göppingen war. Wie alt ich war, spielt hier keine Rolle, auf jeden Fall ist mir der Besuch in sehr guter Erinnerung geblieben. Ab da war ich dann auf Anhieb Stammgast und das gefühlt von Mittwoch bis Sonntag. Was mir damals einfach gefallen hat, war die Mischung des Publikums und die Crew, die hinter der Theke war. Eine tolle Zeit!

WIE KAM ES DAZU, DASS IHR DIE GASTRONOMIE IN DER STUTTGARTER STR. 3 ÜBERNOMMEN HABT?

Als Matze mit dem Moloko aufhörte, gab es die Option, dass das Gebäude bis zum Abriss leer stehen bleiben sollte. Allerdings gab es auch Überlegungen, diese Zeit zu nutzen und eine Pop-Up Gastronomie zu etablieren. So ergab es sich, dass ich mit Serkan Esmer, Dejan Vasic und Dirk Biniek das Parker Jones eröffnete. Am Anfang noch konzipiert auf ein Jahr, wurden daraus dann insgesamt drei Jahre, in denen Dirk und Dejan nach einem Jahr ausstiegen, da sie sich wieder verstärkt auf ihre Agentur konzentrieren wollten, und Serkan und ich das Parker bis zum Ende führten. Der Respekt war vor der Eröffnung groß - an dieser Stelle, in diesem Gebäude mit dieser Geschichte eine Bar zu eröffnen.

WIE WÜRDEST DU EURE ZEIT AN DER STERNKREUZUNG IN DREI SÄTZEN ZUSAMMENFASSEN?

Es war wild, laut und die Nächte waren lang. Das Parker, eigentlich mehr als Bar gedacht, wurde gefühlt immer mehr zu einem Club und unsere 86 Stadtmagazin Gäste kamen oft spät und feierten intensiv. Eine unglaublich prägende Zeit, mit vielen tollen Momenten und Gästen und natürlich einem überragendem Team, dass das Parker erst zu dem machte, was es war.

WAS WAREN DEINE HIGHLIGHTS IN DEINER ZEIT ALS PARKER JONES-GASTRONOM?

Da gab es einige. Die Zeit um Weihnachten war immer sehr schön, da man dann im Parker Jones immer viele Personen traf, die über die Feiertage heim kamen und die man noch aus den alten Moloko und Paul‘s Zeiten kannte. Weiter waren unsere Geburtstage, es waren zwar nur zwei Stück, da der dritte dann schon der Corona-Pandemie zum Opfer fi el, echte Highlights. An diesen Abenden, wenn die Gäste nicht gehen wollten und der DJ nicht aufhörte zu spielen, spürte man immer das Besondere an diesem Ort.

WAS VERMISST DU AUS DIESER ZEIT AM MEISTEN?

Wir trauern alle unserem verpassten letzten Monat nach. Die Corona-Pandemie zwang uns im März das Parker Jones ziemlich spontan zu schließen. Ende April lief unser Pachtvertrag aus und der Monat war mit der Musiknacht, DJ Reg, unserem Geburtstag und einem ganzen Closing Weekend so geplant, dass wir dass Parker Jones gebührend verabschieden hätten können, bevor das Gebäude abgerissen wird. Dass wir kein Closing hatten, an dem wir unsere großartigen Gäste und das tolle Team hinter uns verabschieden konnten, ist wirklich unglaublich schade. Uns bleiben nur die Erinnerungen an drei tolle Jahre, die wir wirklich genossen haben.

Aus dem PArker Jones wird...

Mittlerweile ist das Paul‘s, Moloko oder auch Parker Jones ein Teil der Entwicklungsfl äche zwischen dem Landratsamt und dem Schuler Innvoation Tower. Auf dem sogenannten Stern-Areal zwischen der Stuttgarter Strasse und der Schulerburgstrasse soll mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 20 Millionen Euro ein Pfl egeheim enstehen mit 87 Einzelzimmer, einer Tagespfl ege für Senioren, einer Sozialstation und 41 Wohnungen für betreutes Wohnen. Dabei soll das Paul´s Gebäude, der letzte historische Gasthof, der den Stadtbrand von 1782 überstanden hat, erhalten bleiben. Mit einem kleinen Anbau wird es in Zukunft als Bäckerei-Café wieder eröffnet werden. Dabei wird es als Anlaufstätte für die Senioren selbst und deren Besucher sein, aber eben auch für die Beschäftigten aus der Umgebung. Ende 2022 soll das Stern-Areal fertig sein.

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Model Marco Hess Mode Moli - Jack & Jones Poststraße 45, Göppingen Foto Apanachii Fotoart www.fotoart24.de Location Motorcorner Wangen

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WIEDMANN

K

arin Käppel ist seit Anfang September 2020 Vorsitzende der Geschäftsleitung der Agentur für Arbeit Göppingen mit den Landkreisen Esslingen und Göppingen. Die gebürtige Oberfränkin hat langjährige Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen bei der Bundesagentur für Arbeit. Seit zwanzig Jahren arbeitet sie in Leitungsfunktionen auch außerhalb Baden-Württembergs.

KARIN KÄPPEL

TEXT: Dr. Andreas Bickelhaupt FOTO: Heiko Herrmann

NATÜRLICH IST ES JETZT, MITTEN IN DER HOCHPHASE DER KRISE, EINE HERAUSFORDERUNG, DIE LEITUNG EINER ARBEITSAGENTUR ZU ÜBERNEHMEN.

IN IHRER NEUEN POSITION ALS VORSITZENDE DER GESCHÄFTSFÜHRUNG DER AGENTUR FÜR ARBEIT SIND SIE JETZT SEIT 1. SEPTEMBER IN GÖPPINGEN, MAN KANN SAGEN: WIEDER….

Kann man sagen, ja. Von 2005 bis 2007 war ich Geschäftsführerin des Jobcenters Landkreis Esslingen und damit schon einmal in der Region tätig. Meine Ausbildung habe ich in Hof gemacht und mein Weg hat mich seitdem weit geführt, beispielsweise nach Dessau, Plauen und Iserlohn. Zuletzt habe ich die Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall – Tauberbischofsheim geleitet.

NICHT GERADE DER IDEALSTE ZEITPUNKT, JETZT EINZUSTEIGEN.

Die Wirtschaft im Kreis Göppingen ist im Schwerpunkt auf den Maschinenbau und die Automobil- und Zuliefererbranche ausgerichtet. Hier fi ndet schon seit einiger Zeit ein grundlegender Strukturwandel statt, den die Unternehmen meistern müssen. Durch Corona hat sich das noch zusätzlich verstärkt. Wir sind natürlich sehr gespannt, wohin die Reise geht. Wir als Arbeitsagentur begleiten und unterstützen Betriebe und Arbeitskräfte bei der Neuorientierung, die maßgeblich durch Qualifi kation gelingt. Natürlich ist es jetzt, mitten in der Hochphase der Krise, eine Herausforderung, die Leitung einer Arbeitsagentur zu übernehmen. Aber ich habe ein gut aufgestelltes Haus übernommen mit erfahrenen Führungskräften und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die gezeigt haben und sicherlich noch eine ganze Weile zeigen müssen und werden, wie stark sie in der Krise sind. Das macht mir den Start leichter.

IST DER AUSBILDUNGSSTANDARD DER ZU VERMITTELNDEN EIN PROBLEM?

Im Kreis Göppingen sind viele Beschäftigte, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und als Helfer arbeiten. Helfer wird man sicherlich auch weiterhin brauchen. Aber wir müssen davon ausgehen, dass sich die Arbeitsplätze und damit der Personalbedarf in Bezug auf die Qualifi kation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändern wird, auch durch die zunehmende Digitalisierung. Qualifi zierung und damit die Anpassung der Kenntnisse an den sich laufend verändernden Arbeitsmarkt ist deshalb das Gebot der Stunde. Im Berufsleben darf man niemals stehen bleiben, sonst hält man mit der Entwicklung nicht Schritt. Und die wird immer schneller.

VON EXPERTEN WIRD IMMER WIEDER DARAUF HINGEWIESEN, WIE WICHTIG DAS INSTRUMENT DER KURZARBEIT IST. KÖNNEN SIE UNS DAS KURZ ERLÄUTERN?

Kurzarbeit ist das Instrument der Krise. Die Zielsetzung ist ganz klar, Arbeitsplätze zu erhalten, indem Betriebe unterstützt werden, die vorübergehend weniger oder gar keine Arbeit haben, und die Existenzen der betroff enen Beschäftigten zu sichern. Während der Arbeitgeber dabei die Stunden

bezahlt, die noch ganz normal gearbeitet wurden (plus Feiertage und Urlaubstage), zahlen wir als Agentur für Arbeit dann für die Stunden, die ausgefallen sind, einen Ersatz in Höhe von ungefähr 60 Prozent, oder wenn Kinder da sind 67 Prozent. Bei länger andauernder Kurzarbeit steigt ab dem vierten beziehungsweise siebten Monat die Höhe des Betrags, den wir übernehmen. Kurzarbeit ist in Deutschland außerdem sehr fl exibel, sobald wieder Arbeit da ist, kann ein Betrieb sofort an den Start gehen, deshalb ist Kurzarbeit ein sehr gutes Modell für unsere Unternehmen.

WIE LANGE KANN EIN UNTERNEHMEN KURZARBEIT BEANTRAGEN?

Bisher waren es für die meisten Betriebe zwölf Monate. Es ist aber geplant, dass man dies durch eine Verordnung ab Januar 2021 bis auf KÖNNEN. maximal 24 Monate verlängert. Diese Regelung ist dann bis Ende 2021 befristet. Wichtig ist: Wenn Betriebe Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten bekommen möchten, müssen sie die Kurzarbeit zunächst bei der Bundesagentur für Arbeit anzeigen. Wenn die Löhne für den vergangenen Monat abgerechnet sind, kann das Kurzarbeitergeld bei uns für die tatsächlich ausgefallenen Stunden beantragt werden.

EINE AUSSETZUNG DES INSOLVENZRECHTS SOLL AUCH HELFEN?

So ist die Intention des Gesetzgebers. Mit dem Insolvenzgeld erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Ersatz für insolvenzbedingt nicht gezahltes Arbeitsentgelt. Die Insolvenzantragspfl icht ist bis Jahresende ausgesetzt, allerdings nur für die Fälle, in denen der Betrieb aus Gründen einer „Überschuldung“ durch die direkten Folgen der COVID-19 Pandemie Insolvenz anmelden müsste. Wie sich diese Aussetzung des Insolvenzrechts auswirkt und ob wir eine „Pleitewelle“ bekommen, gehört auch zu den Entwicklungen, die wir derzeit nicht seriös prognostizieren können.

VIELE WIRTSCHAFTSEXPERTEN ERWARTEN BEREITS IM NÄCHSTEN JAHR EINE DEUTLICHE STEIGERUNG DES BRUTTOSOZIALPRODUKTS?

Das ist eine sehr schwierige Einschätzung, die ich gerne den Wirtschaftsexperten überlasse. Die Entwicklung der Wirtschaft hängt von vielen Faktoren ab – der Dauer der Pandemie, ob eine zweite Welle kommt und wie sie verläuft, der globalen Wirtschaftsentwicklung und

...OB WIR EINE „PLEITEWELLE“ BEKOMMEN, GEHÖRT AUCH ZU DEN ENTWICKLUNGEN, DIE WIR DERZEIT NICHT SERIÖS PROGNOSTIZIEREN damit den Auswirkungen auf unsere

exportorientierte Struktur, der Entwicklung bei Investitionen... all das wird auf das Wachstum nach der Krise einwirken. Auch, wenn es ein nachvollziehbares Interesse an einer verlässlichen Prognose gibt: ich kann sie leider nicht geben.

IHR GROSSES ZIEL IN GÖPPINGEN IST DER ANSTOSS ZUR QUALIFIZIERUNG UND ZUR FORTBILDUNG. ÜBER WELCHE MITTEL VERFÜGEN SIE DIESBEZÜGLICH?

Die Förderung der berufl ichen Weiterbildung richtet sich nach dem Individualitätsprinzip. Ein sperriger Name, der aber im Prinzip sagt, dass wir im Einzelfall genau hinschauen und entscheiden: Welcher Arbeitslose, welcher Beschäftigte, braucht welche ganz konkrete Weiterbildung, um fi t für den Arbeitsmarkt zu sein. Oder zu werden. Das Qualifi zierungs-Chancen-Gesetz hat uns dazu mehr Möglichkeiten eingeräumt als bisher, insbesondere bei der Unterstützung von Beschäftigten. Erster Schritt in Richtung Weiterbildung ist die Beratung: Von Betrieben durch unseren Arbeitgeber-Service, und von Beschäftigten durch spezielle Berater bei der Arbeitsagentur. Letztendlich kann nur der Betrieb entscheiden, welcher konkrete Qualifi zierungsbedarf für seine Beschäftigten besteht, und wir helfen bei der Umsetzung.

PROF. HUNDT SAGTE IM PIG INTERVIEW, DASS ES IMMER WIEDER FESTZUSTELLEN SEI, DASS INDUSTRIELLE REVOLUTIONEN LANGFRISTIG IMMER EINEN POSITIVEN EINFLUSS AUF DEN ARBEITSMARKT HÄTTEN?

SICHERLICH IST DAS HANDWERK EINER DER BEREICHE, IN DEM MENSCHEN WENIGER DURCH MASCHINEN UND ROBOTER ERSETZT WERDEN KÖNNEN ALS IN ANDEREN BEREICHEN.

Das stimmt sicher. Revolutionen haben in der Vergangenheit immer auch den Arbeitsmarkt verändert. Wenn es uns in der Zeit jetzt gelingt, die digitale Revolution, wie sie auch genannt wird, zu nutzen, bietet sie Chancen – auch und gerade auf dem Arbeitsmarkt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit prognostiziert, dass zwar im Zuge der Digitalisierung Arbeitsplätze wegfallen, im Gegenzug aber auch neue Arbeitsplätze in größerem Umfang entstehen.

HANDWERK HAT GOLDENEN BODEN … UNGEBROCHENE GÜLTIGKEIT DIESES SATZES?

Ich glaube schon. Sicherlich ist das Handwerk einer der Bereiche, in dem Menschen weniger durch Maschinen und Roboter ersetzt werden können als in anderen Bereichen. Ich würde diesen Satz aber etwas weiterziehen. Goldenen Boden hat aus meiner Sicht generell jede Berufswahl, die zu einem Menschen und seinen Talenten passt. Schon seit Jahren sehen wir einen starken Trend zur weiterführenden Schule und zum Studium. Das ist nicht immer die richtige Wahl für jeden Einzelnen. Ich mache mich gerne stark für die duale Ausbildung generell, weil sie als Basis und in Kombination mit lebenslangem Lernen und ständiger Weiterbildung beste Karrierechancen bietet.

ICH DENKE, ALS GUT VERNETZTER HANDWERKER MIT EINER GUTEN AUSBILDUNG, KANN MAN MIT EINEN DEUTLICH BESSEREN GEHALT RECHNEN, ALS MIT EINEM BACHELOR ABSCHLUSS IN BWL.

Dazu gibt es keine allgemeingültige Antwort, denn es hängt von vielen Faktoren ab, wieviel man verdient. Tatsache ist aber schon: Je besser die Berufswahl passt und je motivierter man im Berufsleben ist, umso höher ist oft der Verdienst. Denn wer gerne und gut arbeitet, bleibt am Ball, ist interessiert, bildet sich weiter und hat auch Erfolg, der sich auf dem Bankkonto niederschlägt.

WIE SEHEN SIE DIE ZUKUNFT GÖPPINGENS, DES GÖPPINGER ARBEITSMARKTES?

Die Region ist stark und die Betriebe, überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, sind im Kern gesund. Auch die Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren, bei der der Landkreis Göppingen unter anderem wegen seiner Exportabhängigkeit überdurchschnittlich stark betroff en war, hat der Wirtschaftsstandort überwunden. Ich bin von Natur aus ein optimistischer Mensch und baue auf die Stärke der Region.

Interview ES WIRD SICHERLICH UMFASSENDE VERÄNDERUNGEN UND UMWÄLZUNGEN GEBEN.

ES IST VIELLEICHT EIN DEUTSCHES CHARAKTERISTIKUM, SICH AUS EINER KRISE WIEDER HERAUSARBEITEN ZU KÖNNEN. PACKEN WIR`S AN?

Selbstverständlich. Mit Mut und Optimismus.

DAS CHINESISCHE SCHRIFTZEICHEN FÜR KRISE IST DAS GLEICHE WIE DAS FÜR CHANCE…

Das sehe ich auch so. Es wird sicherlich umfassende Veränderungen und Umwälzungen geben. Menschen werden am Arbeitsplatz neue Fähigkeiten brauchen und entwickeln müssen. Dabei müssen wir sie begleiten. Deshalb bekommt auch das Thema Beratung in der Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine immer größere Bedeutung.

WAS HAT SIE BEWOGEN, NACH GÖPPINGEN ZU KOMMEN?

In erster Linie war es schon die Herausforderung, die mich gereizt hat, aber auch die Vielfalt der Aufgaben und der verschiedenen Anforderungen, die die unterschiedlichen Landkreise Esslingen und Göppingen stellen. Aber nicht nur das: auch die wirklich tolle Gegend. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich den Albtrauf sehe. Die Natur hier ist wirklich wunderschön. Aber ich kenne die Region ja auch noch von früher, und den Bezug hierher habe ich immer behalten. Auch gute Projekte sind mir von damals noch vertraut. In Esslingen habe ich beispielsweise „ff ortissimo“ mitgegründet, ein berufl iches Netzwerk. In diesem Projekt haben Frauen in Führungspositionen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Bildung, Verwaltung, Kultur, Soziales und Gesundheit junge Unternehmerinnen beispielsweise mit Coaching und Mentoring unterstützt, ihr know-how angeboten und Erfahrungsaustausch in der Gruppe realisiert. Das war schon ein tolles Projekt…

FRAUENPOWER ?

(Lacht) Ja, schon. Hier konnte ich meine Erfahrungen aus meiner Zeit in den neuen Bundesländern gut nutzen und einbringen. Dort sind viel mehr Frauen in Führungspositionen und die Kinderbetreuung war damals schon hervorragend geregelt.

HABEN SIE SICH SCHON EIN BISSCHEN EINGELEBT?

Viele Menschen machen es mir gerade leicht, mich einzuleben. Und ich bin positiv überrascht – das Leben hier, insbesondere bei den jetzt herrschenden sommerlichen Temperaturen, ist doch toll. Göppingen hat sich wirklich gut entwickelt und an Attraktivität sehr gewonnen. Als Ausgleich zu meiner Arbeit ist mir Sport sehr wichtig, da bin ich in der Sportstadt Göppingen genau richtig. Und: ich freue mich auf Frisch Auf! Göppingen. In Iserlohn wurde ich zum Eishockey- Fan. Hier will ich Handball-Fan werden.

SIE WERDEN ES SCHAFFEN. IHNEN GANZ VIEL GLÜCK, PERSÖNLICH, GANZ VIEL ERFOLG BERUFLICH BEI DER SICHERLICH NICHT EINFACHEN AUFGABE, DIE IHNEN BEVORSTEHT. ROLLEN SIE DIE STEINE WEG - UND : BLEIBEN SIE GESUND!

Nach über 30 Jahren als praktizierender Facharzt tritt Dr. Andreas Bickelhaupt seit 2017 etwas kürzer. Durch den neu gewonnenen zeitlichen Freiraum widmet er sich verstärkt seiner journalistischen Leidenschaften und ist für das PIG Stadtmagazin tätig.