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Gemeinsam überlegen
Radiologie und Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI) ist im Begriff, die Art und Weise, wie Radiologie praktiziert wird, grundlegend zu verändern. Manche Experten gehen gar davon aus, dass Radiologen die ersten sein werden, die durch KI ersetzt werden. Viele andere betonen die Chancen des technologischen Wandels. Klar ist, die Anforderungen an das Berufsbild werden sich verändern. Aktuelle Beispiele aus der Praxis zeigen das große Potential im Zusammenspiel Mensch und KI.
KI hat das große Potential, vielfältige Anwendungen in der radiologischen Praxis zu unterstützen, von der Bilderfassung und -verarbeitung bis hin zur Befundung oder der Prognose des Krankheitsverlaufs. KI-Algorithmen können Details und Zusammenhänge erkennen, die für das menschliche Auge nahezu unsichtbar sind.
KI braucht weder Pausen noch Schlaf und sie kann Millionen von Datenpunkten gleichzeitig erfassen. KI kann Ärzte von repetitiven und zeitraubenden Aufgaben entlasten. Dass das Berufsbild von Radiologen sich durch den Einsatz von KI grundlegend verändern kann, wird als willkommene Chance, aber auch als schleichende Bedrohung wahrgenommen. Manche Experten, wie zum Beispiel der KI-Forscher Geoffrey Hinton, sind der Auffassung, dass Radiologen zu den Ersten gehören werden, die durch KI ersetzt werden.
Solche Aussagen entmutigen Medizinstudenten. Laut einer Studie (1) geben mehr als 25 Prozent der Studenten, die Radiologie nicht als ihr zukünftiges Fachgebiet in Betracht ziehen, KI als einen der Gründe hierfür an. Auch in der Gruppe der Radiologen ist das Meinungsbild kontrovers. Wie eine Studie unter Radiologen der European Society of Radiology gezeigt hat (2) , erwarten mehr als die Hälfte der Befragten, dass der Einsatz von KI die Arbeitsmarktaussichten verändern wird.
Darüber, ob sich die Aussichten verbessern oder verschlechtern werden, sind sich die Befragten allerdings uneinig: Etwa die Hälfte erwartet eine Verschlechterung, die andere Hälfte glaubt an eine Verbesserung. Curtis Langlotz, Stanford-Radiologe, fasst es pointiert zusammen: “AI won‘t replace radiologists, but radiologists who use AI will replace radiologists who don‘t”.
Der Fokus wird klinischer
Die Rolle des Radiologen umfasst deutlich mehr als nur die Analyse radiologischer Aufnahmen. Ganzheitlich betrachtet findet ein Radiologe unter Einbeziehung verschiedenster Datenpunkte eine wahrscheinliche Diagnose, und kommuniziert diese an den Patienten und andere Kliniker.
KI liefert einige dieser Datenpunkte schneller und vielleicht sogar mit einer höheren Genauigkeit. So kann ein Algorithmus rascher als ein Arzt die Anzahl an MS-Läsionen zählen und aussagen, wie viele im Vergleich zur Voruntersuchung dazugekommen sind. Ein Algorithmus identifiziert schneller eine kleine Blutung unter Tausenden von Schnittbildern. Und ein Algorithmus bestimmt genauer und zügiger das exakte Volumen eines Tumors.
Im Kontrast dazu stehen Aufgaben, die Transferdenken oder Menschlichkeit erfordern. So werden Algorithmen keine spezifischen Nachfragen an Patienten oder Vorbehandler stellen können, falls zur Diagnosestellung wichtige medizinische Informationen fehlen. Im besten Fall kann ein Algorithmus zurückspiegeln, dass er „unsicher“ bezüglich eines Ergebnisses ist. Ein Radiologe hingegen stellt Rückfragen, sammelt mehr Datenpunkte, strengt weitere Untersuchungen an.
Ein Algorithmus kommuniziert auch nicht mit Patienten oder gibt ihnen in schwierigen Lebenssituationen Sicherheit und Rückhalt. Ein Algorithmus beantwortet keine Rückfragen von Kollegen – zumindest nicht in dem Maße und der Qualität, in der es Radiologen heute tun. Der Einsatz von KI ermöglicht es dem Radiologen, schneller an gewisse Datenpunkte zu gelangen. Das bedeutet weniger Konzentration auf und gegebenenfalls sogar Ablenkung durch repetitive Aufgaben. Er kann sich – zusammen mit KI – auf komplexe Fälle konzentrieren und mehr Fokus auf die Kommunikation mit Kollegen und Patienten legen.
Die Anforderungen werden komplexer
Laut der vorne genannten Studie der European Society of Radiology ist mehr als die Hälfte der befragten Radiologen der Auffassung, dass mit dem Einsatz von KI das Berufsbild klinischer wird. Dagegen denkt knapp ein Drittel, es würde technischer. Mit dem Einzug von KI in die Radiologie sollte die allgemeine Ausbildung von Radiologen die Grundlagen von KI vermitteln. Radiologen sollten entscheiden lernen, wie Rückgaben von KI-Algorithmen interpretiert und in die klinische Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Das ist alles andere als trivial. Sowohl Studenten als auch praktizierende Radiologen der Zukunft werden mit Begriffen wie maschinelles Lernen, überwachtes und unüberwachtes Lernen, Deep Learning und anderen Konzepten vertraut sein, einschließlich der Frage, wie Trainingsdaten einen KI-Algorithmus formen, um tatsächlich einen echten klinischen Mehrwert zu bieten oder auch wie sich Verzerrungen in Daten und Algorithmen einschleichen können.
Es gibt offensichtliche Aufgaben, wie das Zählen von MS-Läsionen, die von Algorithmen übernommen werden können. Ein weiteres Beispiel liefert eine Studie, in der ein Deep Learning Modell trainiert wurde, um CTA-Aufnahmen nach zerebralen Aneurysmen zu durchsuchen (3) . Die mittlere Sensitivität derjenigen Ärzte, die mit der neuartigen KI arbeiteten, war signifikant höher als ohne KI-Augmentation. Vor kurzem wurde in den Vereinigten Staaten sogar eine Vergütung für den Einsatz einer KI für Schlaganfall-Diagnostik beschlossen.
Sinnvolle und vielversprechende Anwendungen ergeben sich erfahrungsgemäß aus der Diskussion und Zusammenarbeit von Radiologen und Datenwissenschaftlern. Dabei gilt es, die zu automatisierenden Aufgaben gemeinsam klar zu definieren und klinisches Wissen und validierte Daten in die Entwicklung der Algorithmen einzubringen. Der Radiologe sollte daher bei der Entwicklung von KI-Tools eine zentrale Rolle spielen.
Viele Unternehmen arbeiten daher schon jetzt eng mit Radiologen zusammen, um deren klinisches Wissen sinnvoll in die Entwicklung von KI-Algorithmen einzubeziehen. Darüber hinaus ist eine sorgfältige und stetige Validierung von Algorithmen durch Radiologen für einen sicheren Einsatz der Algorithmen entscheidend. Klinisches Wissen muss mit datenwissenschaftlicher Expertise kombiniert werden, um zu entscheiden, wann und ob ein Algorithmus sicher und gewinnbringend im klinischen Workflow eingesetzt werden kann. Wo dies besonders gut gelungen ist, zeigt unser folgendes Beispiel aus der Zusammenarbeit zwischen Klinik und KI-/Medizinexperten.

Die Rolle des Radiologen umfasst deutlich mehr als nur die Analyse radiologischer Aufnahmen. Ganzheitlich betrachtet findet ein Radiologe unter Einbeziehung verschiedenster Datenpunkte eine wahrscheinliche Diagnose und kommuniziert diese an den Patienten und andere Kliniker.
(c) Bild deepc
KI Praxisbeispiel – Das MedTech Start-up deepc
Aus der Zusammenarbeit zwischen dem Münchener MedTech Start-up deepc und dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München entstand ein Algorithmus, der radiologische Normalbefunde mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erkennt, und so Fälle priorisieren kann.
Das MedTech Start-up deepc wurde 2019 gegründet. Im digitalen Gründerzentrum WERK1 im Münchener Werksviertelarbeiten die vier Gründer mit ihrem Team aus über 20 erfahrenen Experten aus Tech, Software und Healthcare und weltweit führenden Partnern an der Entwicklung von innovativen Medizinprodukten mit dem Ziel, den Workflow bei bildgebender Diagnostik mit wegweisender KI- und Software- Technologie zu vereinfachen und zu verbessern.
Dr. med. Franz Pfister, Mediziner und CEO von deepc, ist überzeugt davon, dass Radiologen, die KI in ihren Arbeitsablauf einbringen, noch produktiver und effizienter arbeiten können als bisher und damit mehr Zeit für komplexe Fälle und den Patienten bleibt. Durch den Einsatz der KI können mitunter sogar Befundungsfehler vermieden werden – dies bedeutet zusätzlich eine höhere Patientensicherheit und eine bessere Qualität.
Die Macher von deepc erkannten vor der Entwicklung ihrer wegweisenden KI- und Software-Plattform deepcOS vor allem ein Kernproblem:
Die Integration neuer KI-Algorithmen in den klinischen Workflow ist in der Regel mit sehr viel Zeitaufwand und hohen Kosten verbunden. Hinzu kommt, dass meistens viele verschiedene Einzelanwendungen integriert werden sollen, was auch für die IT-Spezialisten der Einrichtungen einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. Große Einrichtungen mit einer gewissen digitalen Aufgeschlossenheit mögen das vielleicht noch bewerkstelligen, für kleinere Einrichtungen ist das untragbar. Hohe Integrationskosten sind ein Innovationskiller, unzählige Tools mit verschiedensten Anbietern und Funktionsweisen sind unübersichtlich und unsicher.
Daher konzentrierte sich deepc von Anfang an gezielt auf die Entwicklung von deepcOS, einer Art radiologischem Betriebssystem, das seit März 2021 als eigenes CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt auf dem deutschen Markt zugelassen ist. Das System löst die zahlreichen Herausforderungen der Integration mit einer cloudbasierten, nahtlosen end-to-end-Lösung. Damit ist lediglich eine einfache und einmalige Installation notwendig, und alle KI- und softwarebasierten Medizinprodukte ihrer weltweit führenden und in einem mehrstufigen Prozess ausgewählten KI-Partner, stehen der Einrichtung ohne größeren Schulungsaufwand und mit deutlich reduzierten Integrationskosten zur Verfügung. Das Unternehmen unterstützt Kliniken und radiologische Praxen auch beratend beim Aufbau ihrer KI-Infrastruktur.
Im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes ergeben sich hier attraktive finanzielle Fördermöglichkeiten für Kliniken und Klinikverbünde.

Mit der KI- und Software-Plattform deepcOS, die seit März 2021 als CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt in Europa zugelassen ist, ermöglicht deepc die nahtlose Integration von KI mit einer cloudbasierten End-to-end-Lösung.
(c) Bild deepc
Radiologisches Betriebssystem
„Wir sehen in deepcOS eine zukunftsweisende Plattform für KI-Lösungen verschiedener Anbieter. Aufgrund des hohen Sicherheitsstandards kann das auch für radiologische Zentren interessant sein, die aktuell noch on-premise Lösungen favorisieren,“ sagt Dr. Andreas Lemke, Geschäftsführer der mediaire GmbH und Partner von deepc.
DSGVO-Konformität und die Einhaltung der regulatorischen MDR-Vorgaben sind für das junge Unternehmen selbstverständlich. Eigene interne und externe Cybersecurity-Experten sorgen dafür, dass datensensible Einrichtungen wie Kliniken und Praxen sich sicher fühlen können. „Das Team von deepc besteht aus Experten für den deutschen Markt – deepcOS ist so ein großartiger Vertriebskanal für uns. Mit seinem tiefen
Verständnis von KI-Technologien sowie radiologischen Arbeitsabläufen ist das Team ein zuverlässiger Partner, um unsere KI-Lösungen zur Erkennung von kritischen Befunden in den radiologischen Alltag zu bringen“, sagt Nicolas Jirikoff, Chief Business Officer bei Gleamer SAS.
Vertrauen in die Vorteile von KI
Das Angebot von deepc wird mittlerweile in mehreren großen Kliniken und Praxen erprobt und gemeinsam – immer mit der Maßgabe bester User-Experience – kontinuierlich weiterentwickelt und validiert. In ersten Real-World-Evidence Studien kann das Team vielversprechende Ergebnisse zeigen.
deepc wurde unter anderem 2020 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowohl als Hauptpreisträger mit dem Gründerpreis als auch mit dem Sonderpreis im Bereich Gesundheit ausgezeichnet und gewann 2019 den renommierten Eugen-Münch- Preis der Stiftung Münch sowie den Munich Digital Innovation Award.
Die Radiologie war schon immer eine vom technologischen Wandel geprägte und gleichermaßen den Fortschritt definierende Disziplin. Die Vorteile von KI werden die Fähigkeiten des Radiologen erweitern und unterstützt durch KI werden Radiologen ihre Arbeit noch besser bewältigen können. In absehbarer Zeit werden Radiologen verschiedene KI- Modelle in einem klinischen Kontext orchestrieren und interpretieren. Um eine aktive Rolle in diesem Wandel zu spielen, müssen Radiologen über KI informiert sein und mit KI-Wissenschaftlern und anderen Akteuren interdisziplinär zusammenzuarbeiten.
1 European Journal of Radiology, https://www.sciencedirect.com/science/article/ abs/pii/S0720048X19303924
2 https://insightsimaging.springeropen.com/articles/10.1186/s13244-019-0798-3
3 https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2735471
www.deepc.ai