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der politischen Linken Kataloniens 3.3 Vereinbarung des

3.2 Nationalismus bei der politischen Linken Kataloniens

Der Blick auf die Geschichte Kataloniens und seine Unabhängigkeitsbewegung hat bereits gezeigt, dass die Anhänger*innen einer katalanischen Unabhängigkeit nicht nur in einem bestimmten politischen Lager zu verorten sind. Aus der deutschen Perspektive wurde in den letzten Jahren oft über das reiche Katalonien geschrieben, was sich allein aus finanziellen und unsolidarischen Gründen vom ärmeren Rest von Spanien abspalten möchte (vgl. Herwatz 2012). Zwar mag das für Teile des konservativen und liberalen politischen Lagers zutreffen, jedoch stehen selbst diese Kräfte auch sozialpolitisch der spanischen Sozialdemokratie näher als der konservativen PP (vgl. Zelik 2019: 20). Unabhängig davon hat bereits die Untersuchung Kataloniens Geschichte gezeigt, dass der Konflikt mit Spanien weitaus komplexer ist. Außerdem wurde das Argument vom wohlstandschauvinistischen Kataloniens innerhalb des Konflikts der vergangenen Jahre durch das Kapital selbst entkräftet, da über 1000 in Katalonien ansässige Unternehmen ihren Firmensitz nach Madrid verlegten und durch diese Kapitalflucht dem spanischen Zentralstaat und dem Status quo den Rücken stärkten (vgl. Zelik 2018: 199).

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Doch was macht den katalanischen Nationalismus, der auch als Katalanismus bezeichnen werden kann, und insbesondere den Nationalismus der katalanischen Linken aus? Ein zentraler Konfliktpunkt in der Geschichte war oftmals die katalanische Sprache. Heute ist das Katalanische Amtssprache, doch seit der Niederlage im Erbfolgekrieg 1714 durchlebte die katalanische Sprache mehrere Phasen des Verbots bis hin zur Unterdrückung (vgl. Generalitat de Catalunya 1996: 17). Diese Verbotspolitik prägte die Betroffenen nachhaltig. Auch noch Jahre nach der Franco-Diktatur und dem letzten Verbot berichten Katalan*innen von Diskriminierung auf Grund ihrer Sprache (vgl. Ling 2012). »Der bis 2006 amtierende katalanische Regierungschef Pasqual Maragall […] hatte die Sprache [sogar] einmal als ›DNA der Katalanen‹ bezeichnet« (Mense 2016: 60). Somit ist die Sprache nicht nur ein Konfliktpunkt, sondern ebenso ein Identifikationspunkt für viele Katalan*innen. Der Katalanismus war der zunächst kulturelle und später politische Ausdruck eines Selbstbewusstseins der Region. Seine Grundausrichtung war unabhängig des politischen Lagers progressiv, da die katalanische Sprache und Kultur zu Hauptsymbolen des Katalanismus wurden und die Aufnahme von Migrant*innen aus anderen Teilen Spaniens

prinzipiell kein Problem darstellte (vgl. Waldmann 1990: 191). Auch wenn der Katalanismus sich größtenteils kulturell charakterisiert und anfänglich vor allem vom konservativen Bürgertum vertreten wurde, so ist er heute dennoch eine pluralistische politische Ideologie (vgl. Valandro 2002: 73). Das heißt in der Praxis, dass sowohl Wirtschaftsliberale aus steuerlichen Gründen und Linke auf Grund der Forderung nach mehr Selbstbestimmung, für eine nationalistische Agenda eintreten können.

Um zu verstehen weshalb der Katalanismus heute zu einem nicht unwesentlichen Teil durch die politische Linke vertreten wird, gilt es sich vor allem an die Zeit des Franquismus zu erinnern. »[…] [D]er zentralstaatliche Espaniolismo der Franquisten [führte] dazu, dass sich der Nationalismus der Peripherie antifaschistisch auflud« (Zelik 2018: 19). Das galt für das Baskenland ebenso wie für Katalonien. Da, wie im vorhergehenden Kapitel bereits geschrieben, auch nach dem Franco-Regime in vielen spanischen Behörden und Institutionen weiterhin seine Unterstützer*innen in den entscheidenden Machtpositionen saßen und die Politik maßgeblich mitbestimmten, ließ diese antifaschistische Grundhaltung auch nach Francos Tod nicht nach. Doch auch schon vor dem Bürgerkrieg war der spanische Staat reaktionär geprägt und befeuerte so den Nationalismus in Katalonien (und dem Baskenland) und prägte ihn nachhaltig links (vgl. Zelik 2019: 22).

Zum politisch linken Lager in Katalonien zählen heute neben der ERC, der CUP auch Abspaltungen der sozialdemokratischen PSC und das links-grüne Bündnis ICVEUiA (vgl. Lang 2013: 5). Die ERC ist die älteste und größte dieser Parteien. Auch sie sieht die katalanische Sprache und Kultur als Grundpfeiler der nationalen Identität an, welche verteidigt werden sollten (vgl. Brinck 1996: 101). Da die ERC innerhalb der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bereits zu Beginn der zweiten spanischen Republik eine bedeutende Rolle gespielt hat, ist es nicht verwunderlich, dass für die ERC die katalanische Nation neben der Sprache und Kultur auch auf der gemeinsam erlebten Geschichte basiert. »Der spanische Staat ist für die ERC [hingegen] nur eine politische Einheit, der Katalonien durch die historischen Umstände bedingt angehört, wobei die Katalanen nicht die Wahl hatten, über die Zugehörigkeit zu entscheiden« (Brinck 1996: 96). Darin wird deutlich, dass der Wunsch nach Selbstbestimmung eine zentrale Rolle bei der ERC einnimmt. Dass ein Nationalismus auch autoritäre, rassistische und reaktionäre Formen annehmen kann, ist der ERC durchaus bewusst. Daher unterschied ihr früherer Vorsitzender CarodRovira zwischen einem

solchen reaktionären Nationalismus und dem eigenen Nationalismus der Befreiung. Dieser eigene Befreiungsnationalismus habe nach CarodRovira keine ethnische (in Bezug auf die Herkunft), sondern eine demokratische und inklusive Grundlage (vgl. Guibernau 2004: 89).

Eine weitere Partei des linken Lagers in Katalonien, die an dieser Stelle exemplarisch für einen linken Katalanismus herangezogen werden kann, ist die kommunistische Partei PSUC. Auch wenn sie seit 1997 nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form besteht, so hat sie dennoch die katalanische Linke maßgeblich geprägt. Die PSUC sah sich selbst als nationale Partei für die Anerkennung des katalanischen Selbstbestimmungsrechts und entstand zu Beginn des spanischen Bürgerkriegs 1936 im Widerstand gegen den Franquismus. Hauptstrategie der PSUC war es, die Beziehung zwischen Klassenkampf und Verteidigung der nationalen Identität in den Vordergrund zu stellen (vgl. Guibernau 2004: 95). Im Gegensatz zur ERC versuchte sich die PSUC, vom kulturellen Nationenverständnis abzugrenzen. Stattdessen propagierte die Partei einen sogenannten Volkskatalanismus, welcher die Massen und vor allem die Arbeiter*innen ansprechen sollte (vgl. Matthée 1988: 207). Ziel eines solchen linken Volkskatalanismus, sei die Transformation Spaniens in einen Bundesstaat. Daher bevorzugte die PSUC den Begriff des Katalanismus anstelle des Nationalismus (vgl. Guibernau 2004: 99).

Josep Antoni Gonzáles Casanova, einstiger Abgeordneter in der Generalitat für die PSOE, erklärte die Besonderheit und Entstehung des linken Nationalismus in Katalonien damit, dass die Kommunist*innen die Wurzeln des modernen Katalanismus bildeten und dieser historisch eng mit der Demokratisierung Spaniens verbunden sei. Nach ihm könne der Konflikt nur gelöst werden, wenn sich die spanischen Arbeiter*innen mit ihren katalanischen Kolleg*innen in dem Streben nach mehr Selbstbestimmung solidarisieren würden (vgl. Guibernau 2004: 112). Auch wenn sich die katalanische Linke in der nationalen Frage stets auf das Selbstbestimmungsrecht fokussierte, so war die kulturelle Dimension nie völlig irrelevant. Neben den Repressionserfahrungen durch den spanischen Staat sah man sich zumindest in den 1980er-Jahren zusätzlich in der Pflicht, die eigene kulturelle Identität vor der kapitalistischen Moderne zu schützen. So schrieb beispielsweise die linksnationalistische IPC: »Wenn wir nicht verteidigen, was Unseres ist – unsere Sprache, unsere Kultur und unser nationales Erbe –, werden sie das Land zerstören, uns in Sklaven verwandeln und keine Spur unserer Existenz übriglassen« (Mense 2016: 151). Selbstverständ-

lich muss dieses Zitat im Kontext der damals erst kurz zuvor zerfallenen Franco-Diktatur betrachtet werden.

Bemerkenswert ist, dass es in Katalonien in den letzten zehn Jahren zu einem Linksruck innerhalb der politischen Landschaft kam. Während das Bündnis der Rechtsparteien Convergència Democràtica un Catalunya und Unió Democràtica de Catalunya zerbrach und beide Parteien massiv an Unterstützung verloren, sorgte der Druck von sozialen Protesten, die durch den Ausbruch der Wirtschaftskrise 2011 entstanden, zum Aufschwung des linken Lagers (vgl. Zelik 2018: 182ff.). Es kam nicht nur zu Wahlerfolgen linker Parteien, sondern auch zu einer linkeren Ausrichtung der bürgerlichen Parteien. Außerdem gewann die nationale Frage stärker an Bedeutung. Einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte die zivilgesellschaftliche Organisation und Bewegung ANC. Zwar war und ist diese keine reine linke Bewegung, trotzdem handelt es sich bei ihr um eine Spektren übergreifende Bewegung, die trotz ihres nationalen Charakters offen für soziale und antirassistische Forderungen ist (vgl. Zelik 2018: 177). Gleichzeitig ging mit der Radikalisierung der Unabhängigkeitsforderungen eine De-Ethnisierung des Diskurses einher. So äußerte sich der ehemalige Ministerpräsident Carles Puidgemont in einem Interview sehr progressiv, als er auf sein Nationenverständnis angesprochen wurde: »Der katalanische Nationalismus ist nicht ethnisch. […] Katalane ist, wer hier lebt und arbeitet – und das auch will« (Hecking 2017). Puidgemont ist definitiv kein Linker, jedoch ist seine Wahl 2015 durch das katalanische Lager, welches von bürgerlichen Parteien bis hin zur linksradikalen CUP reichte (vgl. Zelik 2018: 185), Ausdruck des Linksrucks der letzten zehn Jahre in Katalonien.

Ein weiterer Grund für das Unabhängigkeitsstreben der katalanischen Linken liegt sicher auch in den vielen progressiven Gesetzen (z.B. Frackingverbot, Teillegalisierung von Cannabis, Schutz vor Zwangsräumungen, Schließung von Abschiebezentren), die in den letzten Jahren vom spanischen Verfassungsgericht wieder einkassiert wurden (vgl. Zelik 2018: 184). Viele innerhalb des linken Lagers vertreten »[…] die Ansicht, dass eine katalanische Republik den Spielraum für soziale und demokratische Veränderungen erweitern würde« (Zelik 2018: 182).

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