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Parfum-Special: Nichts weckt die Erinnerung so wie der Duft

«Nichts weckt die Erinnerung so wie der Duft»

Victor Hugo

Treffender hätte es der französische Schriftsteller und Autor von «Les Misérables» nicht ausdrücken können. Denn unser Geruchssinn funktioniert vom ersten Atemzug an perfekt. Mit dem Sinnesorgan Nase werden wir in die Welt hineingeboren und verlassen diese wieder.

Text Marcel F. Reinhold Foto Unsplash/Taisiia Stupak

Somit gehört Riechen zu unserer ersten und letzten Orientierungshilfe und zu unserem ganzen Leben. All unsere Eindrücke werden im Gehirn gespeichert wie auf einer Festplatte. Für alle Zeit.

Und alle damit verknüpften Erlebnisse und Gefühle reihen sich später in unsere Duftpräferenzen ein. Und wer kennt den folgenden Moment nicht: Bei der Auswahl eines neuen Parfums erscheint etwas störend, riecht nicht gut oder erinnert einfach an etwas Undefinierbares ...

Ein Parfum ist und bleibt die intensivste Form der Erinnerung. Es weckt Emotionen, versetzt uns in unsere Kindheit und Jugend, erinnert an die erste grosse Liebe, an einen Urlaub oder eben auch an Menschen, mit denen man durchs Leben geht oder einst ging.

Meine Begeisterung für Parfums entdeckte ich schon sehr früh. Sie begann mit der Seife meiner Grossmutter, die nach feinsten Blüten roch. Sie trug Tosca und 4711 und an besonderen Tagen Chanel No 5. Mit 12 Jahren mischte ich aus den besonderen Parfums meiner Mutter für eine Schulfreundin – natürlich heimlich – eine erste Mixtur, die gut ankam. Meine Mutter fand meine Idee nicht besonders gut, nachdem sie die halb leeren Flaschen entdeckte. Dies habe ich längst wieder gut gemacht und sie später mit wunderbaren Düften entschädigt. Inzwischen bin zu ihrem persönlichen Parfumexperten geworden, und über die Episode mit ihren Parfumfläschchen können wir heute herzhaft lachen.

So wurde aus der Leidenschaft ein Beruf. Seit mehr als 20 Jahren bin ich im Business als Master of Perfume unterwegs und durfte schon für viele Häuser und Marken arbeiten. Doch meine grösste Passion gilt den kleinen, feinen authentischen Niche- und Artistic Brands.

Ich liebe es, über Dekaden und legendäre Klassiker zu sprechen, über aktuelle Trends und Must-haves. Der Kosmos der Parfumwelt dreht sich ständig! Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass Wohlgerüche und erste Formeln des Parfums für Menschen von jeher eine wichtige Rolle spielten. So waren es einst die Ägypter, die Hölzer verbrannten und später wohlriechende Salben daraus herstellten. Die Entstehung des Parfums und dessen Namen aus dem Lateinischen «per fumum» (durch den Rauch) legte den Grundstein für das heutige so berühmte Wort aller Wörter «Parfum». Als Zentrum der europäischen Parfumschöpfung sollte sich die französische Stadt Grasse erweisen, die bis heute als Weltmetropole des Parfums gilt.

Zunächst waren die edlen Düfte nur dem Adel vorbehalten und wurden am französischen Hof durch die Heirat von Heinrich dem II. mit Katharina von Medici im Jahr 1533 eingeführt. Sie brachte die Duftkultur und ihren eigenen Parfümeur aus Italien mit und machte parfümierte Handschuhe zu einem modischen Trend unter den Damen des Hofes.

Parfums zum Aufsprühen dienten vor allem dazu, üble Gerüche zu übertünchen, etwa zu Zeiten des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. (1638 – 1715). Körperhygiene, Sauberkeit und Waschen waren unbekannt, sodass der unangenehme Körpergeruch nur mit einem schweren Parfum überdeckt werden konnte. Um

Estée Lauder «Youth Dew» gilt als einer der sinnlichsten Düfte überhaupt und hat seit über 50 Jahren eine treue Anhängerschaft. Ludwig XIV. Der Sonnenkönig übertünchte üble Gerüche einfach mit Parfum.

Bohoboco

«Sea Salt Caramel»

erinnert an Meeresbrisen, den Duft von schmelzender Eiscreme und Marmeladen-Sandwiches.

Das Parfum Der Erfolgsroman von Patrick Süskind wurde über 20 Millionen Mal verkauft.

das 20. Jahrhundert haben synthetische Duftstoffe Einzug in die Parfumherstellung gehalten. Der Korse Francois Coty war es, der erstmals systematisch natürliche und synthetische Substanzen miteinander vermischte. Mit seinen Kompositionen «La Rose Jaqueminot» aus dem Jahr 1904 und dem ein Jahr später entwickelten «L'Origan» legte er den Grundstein für das moderne Parfum. Wenig später engagierte er den Glaskünstler Lalique, um sein Parfum in attraktiven Glasflakons präsentieren zu können – eine Verbindung von Duft und Flakon, die bis heute zur Einzigartigkeit von Parfums beiträgt.

Mit Chanel No. 5 von Coco Chanel wurde im Jahr 1921 eines der bis heute berühmtesten Parfums überhaupt auf den Markt gebracht. Fortan waren es vor allem Modemarken und Designer, die in der internationalen Parfumwelt das Zepter übernahmen. Zu nennen ist beispielsweise Christian Dior mit seinem Duft «Miss Dior» aus dem Jahr 1947 oder Yves Saint Laurent, Gucci und Armani, die bis heute nicht nur mit ihren modischen

Promenade matinale – Morgenspaziergang

Kurz nach dem ersten Hahneschrei hatte ich mich auf die Terrasse des prächtigen Anwesens hoch in den Hügeln begeben. Ich genoss den weiten Blick auf die malerische Landschaft vor mir und war voller Dankbarkeit, den bestialischen Gestank und die Barbarei von Paris hinter mir gelassen zu haben. Am fernen Horizont stieg die kraftvoll leuchtende Sonne langsam in den blauen Himmel empor. Ihr wärmender Schleier kroch langsam den Hang hinauf, bis er mich zärtlich umarmte. Eine Brise trug eine belebende Komposition aus frischen Früchten, zarten Blumen und herben Kräutern aus dem kunstvoll angelegten Labyrinthgarten zu mir. Plötzlich war ich erfüllt von einer unbändigen Zuversicht. Kein Wagnis schien zu kühn. Ich bin ein glücklicher Mensch. Hier kann ich aufblühen. Und doch plagt mich diese unerfüllte Sehnsucht, die wunderbaren Düfte um mich herum so einzufangen, dass ein jeder die Magie der Schöpfung so intensiv erleben kann wie ich.

«Duft ist ein Signal unseres Wesens, ein Zeichen unserer eigenen Persönlichkeit.»

Marcel F. Reinhold

Byredo «Black Saffron» ist eine orientalische Komposition mit leichtem Zitrusakzent der asiatischen Pampelmuse. Kreationen begeistern, sondern auch mit ihren Duftkompositionen nicht mehr aus den Parfümerien wegzudenken sind.

Doch seit einigen Jahren spüren wir immer mehr den Wunsch nach Individualität, abseits der grossen Modehäuser. Gefragt sind Authentizität und vor allem Parfums, die einen gewissen Wow-Effekt widerspiegeln. Die unendliche Kunst, den Ursprung eines Parfums zu kreieren, abseits dessen, was allen gefällt, motiviert die «jungen Wilden» zu Kompositionen, die heute bereits Kultstatus haben.

In den letzten Jahren sind Düfte wie Creed Aventus, Maison Francis Kurkdjian, Baccarat Rouge, Black Saffron von Byredo oder Kilians Love zu Klassikern der Moderne geworden. Doch was zeichnet sie aus? Ich würde es heute aus meiner Expertise heraus Schöpfergeist, Freigeist und Geduld nennen. Abseits von Trends und Mode einfach das zu tun, wonach einem ist. sind wir heute frei, und man trägt das, was einem gefällt. Es geht darum, Düfte zu finden, die der eigenen Behavior und Attitude entsprechen. Mut zu haben, Stärke zu beweisen und sich selbst riechen zu können, das ist die Kunst.

Dem Zitat von Victor Hugo würde ich heute entgegnen: «Nichts weckt die Sehnsucht so sehr wie der Duft, der meine Persönlichkeit am besten unterzeichnet und meine Aura wahrt.»

Der Frühling naht. Und gerade in Zeiten, in denen unser Geruchssinn so eingeschränkt wird wie niemals zuvor, ist es ein ganz neues Erlebnis, in die entzückende Welt der Düfte einzutauchen. Meine persönliche Empfehlung heisst «Walk into the Sunrise» von Jean Poivre. Er war für mich ein Magier der Düfte, in einer Zeit geboren, wo Patrick Süskinds Roman «Das Parfum» entstand. ●

Jean Pouvre

«Requiem of lost Me-

mories» erinnert an einen sommerlichen Strandspaziergang an der Côte d'Azur.