Eltern auf Kurs - 9783957342713

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Nicky & Sila Lee

ELTERN

AUF KURS

Wie das Leben mit Kindern gelingt

Aus dem Englischen von Eva-Maria Nietzke



Nicky und Sila Lee sind profilierte Eltern und leidenschaftliche Familien-Fans. Sie verpacken die Erfahrungen mit ihren vier Kindern in ein Grundlagenbuch zur Erziehung. Dieses lebt von der Mischung von persönlichen Erfahrungen und dem profunden Fachwissen der Autoren. Ehrlich, schnörkellos – und alltagstauglich für Eltern von Kindern bis ins Teenageralter! Martin Gundlach Redaktionsleiter Bundes-Verlag Chefredakteur Family

Das ist das Buch, das ich gerne gehabt hätte, als unser erstes Kind geboren wurde und alles so neu und unbekannt war mit diesem kleinen Bündel Leben auf dem Arm. So vieles kam mir beim Lesen bekannt vor, jetzt nachdem wir bereits vier Kinder haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Ratgebern ist es mit seinen Beispielen lebensnah und immer steht eines im Vordergrund: die Liebe und der Zusammenhalt in der Familie – etwas, das wir in der heutigen Zeit mehr denn je brauchen. Birgit Kelle Autorin und Publizistin

Noch ein weiterer Elternratgeber? Die Welt um uns herum verändert sich so schnell, dass der Sprung zwischen den Generationen immer größer wird. Entsprechend überfordert sind Eltern in der Aufgabe, ihren Nachwuchs in ein Leben zu begleiten, das sie selber nur bruchstückhaft kennen. Darum zielt das Buch von Nicky und Sila Lee nicht so sehr auf die neuesten Handlungsanweisungen, sondern viel mehr auf die Bildung des Herzens bei Müttern und Vätern. Eltern, die die Verbindung von Herz zu Herz über die Teenagerjahre hinaus halten können, machen einen guten Job. Dafür stehen die Autoren, die ich seit Jahren persönlich kenne und schätze. 5


Nicky und Sila Lee verstehen es, mit ihrem Werk Eltern, ob als Paar oder alleinerziehend, Perspektive zu geben und sie in ihrem Alltag gelassener und sicherer zu machen. Vielen sind die beiden bekannt als die Gesichter des Ehe-Kurses, der auch in unseren deutschsprachigen Ländern weite Verbreitung gefunden hat. Was sie hier zum Thema Elternschaft vorlegen, begeistert mich noch mehr. Möge den dazugehörigen Elternkursen landauf, landab ein großer Erfolg beschieden sein! Hansjörg Forster FamilyLife, Schweiz

Wir müssen heute den jungen Menschen Antwort geben, die sich auf die Ehe vorbereiten und eine Familie im christlichen Geist führen möchten. Daher freut es mich besonders, dass das neue Elternbuch von Alpha International auch im deutschen Sprachraum erscheint. Das Elternbuch ist ein wichtiges Werkzeug, das Eltern wertvolle Hilfe bei Erziehungsfragen anbietet. Es ist ein guter Ratgeber zum Gelingen der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern bzw. Eltern und Teenagern. Im Vertrauen auf die Hilfe und Liebe Gottes dürfen Eltern und Familien zuversichtlich sein, ein erfüllendes Familienglück zu finden. Das Elternbuch bietet dazu eine überaus wertvolle Hilfe und gibt überzeugende Anregungen und Hinweise, wie man auch in schwierigen oder scheinbar hoffnungslosen Situationen einen Ausweg findet. Dr. Christoph Kardinal Schönborn Erzbischof von Wien

Ein Ziel der Erziehung ist es, dass Kinder mutig den Sprung ins Leben schaffen, liebesfähig werden und wiederum Verantwortung übernehmen können. Dies lernen sie in einer normalen Familie mit Stärken und Schwächen. Da wird 6


gespielt und gearbeitet, gestritten und verziehen, geredet und geschwiegen. Lees sind so eine Familie. Sie geben uns einen authentischen Einblick in ihre reichen Erfahrungen mit den nun erwachsenen Kindern. Sila und Nicky Lee wecken Freude, sich dem Erziehungsauftrag als Eltern zu stellen. Mit ihrem Buch „Eltern auf Kurs“ sind sie darin wertvolle Lehrmeister. Käthi Zindel-Weber, Mutter von 4 erwachsenen Kindern, Leiterin der Beratungsstelle Rhynerhus und Leiterin Elterncoaching (Stiftung Gott hilft, Zizers, Schweiz).

Ein sensibles, praktisches Buch, das klare Erkenntnisse darüber enthält, wie man ein guter Vater bzw. eine gute Mutter sein kann – eine Rolle, die wir alle so gut wie möglich ausfüllen möchten. Bear Grylls Survival-Experte

„Eltern auf Kurs“ enthält viele nützliche Tipps und kluge Einsichten. Ich glaube, es kann dazu beitragen, Eltern ein unverzichtbares Werkzeug für die Erziehung ihrer Kinder an die Hand zu geben: Zuversicht! Genau das brauchen Eltern heute. Rob Parsons Care for the Family

Außerordentlich praktisch, unglaublich inspirierend, voll lustiger Geschichten und verblüffender Erkenntnisse – dieses Buch ist ein Muss für alle Eltern! Da ich selbst Vater bin, weiß ich schon jetzt, dass ich es im Lauf der Jahre immer wieder von Neuem lesen werde. Tim Hughes Musiker 7



Inhalt Inhalt Vorwort Danksagung Einleitung

9 11 13 15

Teil 1: Wie Familien funktionieren Kapitel 1 Die Rolle der Familie Kapitel 2 Grundlagen für ein gesundes Familienleben Kapitel 3 Besondere Familienzeiten einrichten Kapitel 4 Geschwisterbeziehungen fördern

27 29 45 70 86

Teil 2: Die Bedürfnisse unserer Kinder erfüllen Kapitel 5 Die fünf Sprachen der Liebe Kapitel 6 Bestätigende Worte Kapitel 7 Ungeteilte Aufmerksamkeit Kapitel 8 Körperliche Nähe, Geschenke und Hilfsbereitschaft

105

Teil 3: Grenzen setzen Kapitel 9 Die Grundlage der Disziplin Kapitel 10 Grenzen setzen bei Vorschulkindern (0 bis 5 Jahre)

165

107 120 132 146

167 194 9


Kapitel 11 Grenzen setzen bei 6- bis 10-Jährigen Kapitel 12 Allmähliches Loslassen bei 11- bis 13-Jährigen Kapitel 13 Teenager – Begleiten ohne Entfremdung

218 235 254

Teil 4: Gute Entscheidungen fürs Leben treffen Kapitel 14 Mit Wut umgehen (mit unserer und ihrer) Kapitel 15 Stress, Depressionen und Essstörungen Kapitel 16 Sex und Sexualität Kapitel 17 Alkohol und andere Drogen Kapitel 18 Geld, Fernsehen und Internet

281

Teil 5: Unsere Überzeugungen und Werte vermitteln Kapitel 19 Eine Familienidentität schaffen Kapitel 20 Die großen Lebensfragen behandeln Kapitel 21 Das geistliche Leben eines Kindes fördern

415

Epilog Anhang

460 468

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283 307 336 371 390

417 428 442


Vorwort

von Nicky Gumbel

Ich habe Nicky und Sila Lee jahrelang gedrängt, dieses Buch zu schreiben. Möchten Sie wissen, warum? Nun, zunächst einmal sind sie selbst ganz wunderbare Eltern. Ihre vier Kinder strahlen so viel Freundlichkeit und Humor aus, dass jeder gerne in ihrer Nähe ist. Zweitens haben Nicky und Sila vierzehn Jahre lang den „Elternkurs“ für Eltern von Kindern von 0 bis 10 Jahren und den gleichnamigen Kurs für Eltern von Teenagern von 11 bis 18 Jahren in der Holy Trinity Brompton Church durchgeführt und dabei sehr viel hilfreiches Material erarbeitet. Sie haben ihre eigenen Erfahrungen sorgfältig ausgewertet und so aufbereitet, dass alle Eltern, unabhängig von ihrer Situation und ihrem Hintergrund, davon profitieren können. Drittens kann ich nur sagen: Die Welt braucht dieses Buch! Nicht nur bei uns in Großbritannien, sondern weltweit ist die Familie einem enormen Druck ausgesetzt, und deshalb sehnen sich viele Eltern nach ganz konkreter Unterstützung. Ich hoffe und bete, dass zahlreiche Menschen durch die Lektüre dieses Buches ermutigt werden, so wie es bei meiner Frau und mir der Fall gewesen ist. Nicky ist seit über dreißig Jahren mein bester Freund. Wir sind zusammen zur Schule und zur Uni gegangen, und es kam immer wieder vor, dass er mir ein wenig auf die Sprünge geholfen hat. Als er im Jahr 1974 Christ wurde, hat er mich zwei Tage später ebenfalls zu Christus geführt. Nicky und Sila heirateten 1976, Pippa und ich anderthalb Jahre später. Unsere Kinder sind ungefähr im gleichen Alter, und obwohl Nicky, Sila, Pippa und ich zusammenarbeiten und ganz nah beieinander wohnen, sind wir darüber hinaus auch noch häufig zusammen in Urlaub gefahren. 11


Ich habe Nicky und Sila in den letzten dreißig Jahren als Eltern erlebt, und mir ist deutlich bewusst geworden, dass sie etwas sehr Wertvolles weiterzugeben haben. Ihre Ehe und ihr Familienleben waren für uns ein Vorbild, und wir sind ihnen bis heute dankbar für ihren Rat und ihre Unterstützung bei der Erziehung unserer Kinder. Nur wenige Faktoren wirken sich so positiv auf das Leben eines Menschen aus wie eine liebevolle, konsequente Erziehung. Gleichzeitig kann die Vernachlässigung von Kindern katastrophale Folgen haben, und zwar nicht nur für die betroffenen Personen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. In unserer heutigen Zeit sind sich beinahe sämtliche Stimmen darin einig, dass Kinder ein starkes elterliches Vorbild brauchen. Allerdings haben viele Eltern das Gefühl, dass sie diesem hohen Anspruch nicht gerecht werden. Sie sind frustriert angesichts ihrer Unfähigkeit, mit dem Verhalten und den Einstellungen ihrer Kinder richtig umzugehen. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Sind manche Leute einfach von Natur aus gute Eltern und andere nicht? Oder kann man es lernen, ein guter Vater bzw. eine gute Mutter zu sein? Nicky und Sila Lee zeigen in diesem Buch, wie wir uns Schritt für Schritt die notwendigen Fertigkeiten aneignen können, die für ein harmonisches und erfüllendes Zusammenleben in der Familie erforderlich sind. Sie möchten Eltern dazu anspornen, intensiv und kreativ darüber nachzudenken, wie sie ihren Zielen ein Stück näher kommen können. Ich bin davon überzeugt, dass die folgenden Seiten zahlreiche konstruktive Anregungen enthalten. Viele Eltern werden entdecken, dass sie mithilfe dieser Lektüre genau die Probleme vermeiden oder lösen können, mit denen sie gerade konfrontiert sind. Und diejenigen, die sich nicht so schwertun, werden feststellen, dass sich ihre gute Erziehung sogar noch ein wenig verbessern lässt. Nicky Gumbel 12


Danksagung Das Schreiben dieses Buches hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als wir geplant hatten, und ohne die Ermutigung und Unterstützung durch eine ganze Reihe von Personen hätten wir es nie zu Ende gebracht. Deshalb möchten wir uns bei all denen bedanken, die während dieses langen Prozesses an unserer Seite waren und uns immer wieder angespornt haben, nicht aufzugeben. Ein besonderer Dank gilt Nicky und Pippa Gumbel, die uns davon überzeugt haben, dass wir anderen Eltern etwas zu geben hätten. Die langjährige Freundschaft zwischen unseren Familien war für uns und unsere Kinder eine enorme Unterstützung, und wir hatten jede Menge Spaß zusammen – zum Beispiel, als wir damals am Flughafen von Chicago wegen starken Schneefalls sechs Stunden lang mit sieben Kindern und einem Rugbyball festsaßen. Unermüdlich wurden wir auch von unseren beiden Lektorinnen unterstützt: zunächst von Jo Glen, die später die Leitung einer Schule übernommen hat, und im Anschluss daran von Ali Briston, die das Projekt mit uns fertiggestellt hat. Danke für eure Kompetenz, eure Begeisterung und eure Kreativität, aber ganz besonders auch für all den Spaß, den wir zusammen bei dieser Arbeit hatten! Wir danken Charlie Mackesy, der unsere Familie gut kennt, weil er mehrere Jahre bei uns gewohnt hat. Sein wunderbarer Humor und sein künstlerisches Talent, die in den Illustrationen zum Ausdruck kommen, sind einfach faszinierend. Zahlreiche andere Personen haben auf unterschiedliche Weise zu diesem Buch beigetragen: Unser herzlicher Dank gilt allen Kindern (egal, ob sie noch Kinder oder mittlerweile schon Erwachsene sind), die uns von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet haben. (In einigen Fällen haben wir ihre Namen geändert, um sie davor zu bewahren, womöglich irgendwann in der Zukunft in Verlegenheit zu geraten.) Und wir danken allen 13


Eltern, die uns ihre persönliche Geschichte mit den Höhen und Tiefen der Kindererziehung erzählt haben – eure Offenheit wird viele Leser und Leserinnen motivieren. Wir bedanken uns bei allen, die das Manuskript im Vorfeld gelesen und wichtige Veränderungen und Ergänzungen vorgeschlagen haben. Insbesondere möchten wir John und Diana Collins dafür danken, dass sie so unglaublich viel Zeit investiert haben, um dieses Buch Korrektur zu lesen. Eure Erfahrung und eure Weisheit waren äußerst hilfreich. Katherine Boulter und Linda Van Tinteren schulden wir ebenfalls großen Dank, weil sie im Zuge dieser zahllosen Änderungen und Ergänzungen das Manuskript immer wieder geduldig von Neuem abgetippt haben – dieser Prozess hat tatsächlich so lange gedauert, dass sie inzwischen selbst verheiratet sind und Kinder haben! Zwei abschließende Dankesworte möchten wir noch aussprechen, und zwar zunächst an unsere eigenen Eltern, die uns eine Kindheit voller Spaß, Liebe und Geborgenheit geschenkt haben. Ihr wart uns ein gutes Vorbild, als wir selbst Eltern wurden. Und schließlich danken wir unseren eigenen Kindern: Kirsty, Benj, Barny und Josh – ohne euch hätten wir dieses Buch ganz sicher nicht schreiben können. Wir sind so dankbar, dass ihr so wunderbare Erwachsene geworden seid (trotz all der Fehler, die wir in eurer Erziehung gemacht haben, und all der schlaflosen Nächte, die ihr uns als Babys und später als Teenager bereitet habt!). Zusätzlich möchten wir zwei weitere Personen erwähnen und ihnen danken: Rick und Tamsin, die durch ihre Heirat mit Kirsty und Benj nun ebenfalls zu unserer Familie gehören. Wir haben in euch einen neuen Sohn und eine neue Tochter bekommen, ohne dass wir uns die Mühe machen mussten, euch großzuziehen. Und wir freuen uns sehr darüber, dass eure Eltern in dieser Hinsicht so gute Arbeit geleistet haben! Nicky und Sila Lee

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Einleitung Bevor ich heiratete, hatte ich sechs Theorien zur Kindererziehung. Jetzt habe ich sechs Kinder und keine Theorien. John Wilmot, Earl of Rochester

Falten sind erblich. Eltern bekommen sie von ihren Kindern. Doris Day, Schauspielerin

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Einleitung

Wir treten einen völlig neuen Job an, ohne auch nur im Entferntesten darauf vorbereitet zu sein. Man muss keine Ausbildung absolvieren, um Mutter oder Vater sein zu können, und die wenigsten von uns bekommen vorher eine genaue Einweisung. Wie hoch der Lohn für diese Tätigkeit ist, möchten Sie wissen? Zurzeit erhält man in Deutschland ca. 180 € Kindergeld pro Monat.1

Spätestens in dem Moment, wenn wir mit einem neugeborenen Baby aus der Klinik nach Hause kommen, dämmert es den meisten von uns: Sich um dieses Kind zu kümmern, ist die wichtigste Aufgabe der Welt. Nur haben wir leider absolut keine Ahnung, wie wir sie bewältigen sollen.

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Einleitung

Kinder bringen eine enorme Verantwortung mit sich. Uns wurde die bedeutungsvolle Aufgabe anvertraut, das Leben echter Menschen zu prägen – samt ihrem unglaublichen Potenzial, sich sowohl positiv als auch negativ zu entwickeln. Manchmal ist das sehr unbequem: Unsere Kinder stören unseren Schlaf, sie durchkreuzen unsere Pläne, und sie rufen manches schlummernde, unbewältigte Gefühl in uns wach. Doch während wir versuchen, ihnen Dinge beizubringen, bringen sie uns etwas bei. Sie lehren uns nämlich, was es heißt, unsere eigenen Wünsche zurückzustellen. Die völlige Abhängigkeit eines Babys, seine Unfähigkeit, sich irgendwie erkenntlich zu zeigen oder Danke zu sagen – all das führt dazu, dass wir weniger ichbezogen sind. Wir werden gezwungen, uns zu ändern, erwachsen zu werden, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen, Geduld zu entwickeln, mit unseren Unsicherheiten klarzukommen und ganzheitlicher zu werden. Kurz gesagt: Wir lernen, jemanden zu lieben.

Mutter oder Vater zu sein, ist eine höhere Berufung als die Suche nach dem eigenen Glück. Es kostet uns eine Menge: Müdigkeit, Sorgen und in manchen Fällen sogar den furchtbaren Schmerz, ein Kind hergeben zu müssen. Aber es beinhaltet auch eine unglaubliche Erfüllung: Wir spüren eine tiefe Liebe für unsere 17


Einleitung

Kinder und empfinden es als großes Vorrecht, dass wir dazu beitragen dürfen, ihr Leben zu gestalten. Im Grunde kann uns nichts und niemand darauf vorbereiten, wie sehr die Ankunft unseres ersten Kindes unser Leben erschüttern wird. Es mag Ausnahmen geben, doch wir selbst haben definitiv nicht zu dieser Minderheit gehört.

Nicky

Unsere Tochter Kirsty kam sechs Tage vor Ostern zur Welt. Als ich nach Hause fuhr, war der Himmel tiefblau, die Kirschbäume blühten in voller Pracht, und die Welt erschien mir schöner als je zuvor. Auf der Straße war kaum Verkehr, aber ich fuhr trotzdem vorsichtiger als sonst, denn ich spürte plötzlich eine enorme Verantwortung. Zum ersten Mal in meinem Leben war jemand voll und ganz von mir abhängig und ich wollte meine Tochter auf keinen Fall enttäuschen. Es ist schwierig für frischgebackene Eltern, die komplexen Gefühle zu beschreiben, die sie nach der Geburt ihres ersten Kindes (oder der folgenden) befallen. In mir stieg eine überwältigende Freude auf, die sich mit Stolz, Erleichterung und sogar einem gewissen Erstaunen mischte: Auf einmal gab es dieses echte, atmende, lebendige kleine Wesen, bei dessen Erschaffung wir tatsächlich eine Rolle gespielt hatten. So begann unsere Reise als Eltern, und während in den folgenden Jahren unsere vier Kinder aufgewachsen sind, haben wir mehr Aufregungen, Herausforderungen, Schmerzen, Freude und Begeisterung erlebt, als wir uns je hätten vorstellen können. Kinder zu haben, ist wie Wildwasser-Rafting. Wir werden vorangetrieben, manchmal gerät unser Schlauchboot außer Kontrolle, doch wir haben keine Möglichkeit, anzuhalten und auszusteigen. Es gibt Zeiten, in denen uns die gewaltige Strömung Angst macht und wir damit rechnen, jeden Moment zu kentern. Wir fühlen uns den Herausforderungen nicht gewachsen und 18


Einleitung

halten erschrocken die Luft an, wenn nach einer Flussbiegung plötzlich ein Wasserfall sichtbar wird. Und gelegentlich kommt es tatsächlich zum Schlimmsten: Wir gehen über Bord und müssen an Land schwimmen, bevor wir erneut durchstarten können. Manchmal genießen wir alle zusammen die Fahrt. Wir gleiten nur ganz gemächlich vorwärts, weil die Umgebung gleich bleibt, bis das Tempo dann plötzlich wieder anzieht. Im Gegensatz zum echten Wildwasser-Rafting haben wir jedoch keinen Experten an Bord, sondern sitzen selbst am Steuer und müssen die richtigen Kommandos geben, um unsere Familie sicher über jede einzelne Strecke des Flusses zu bringen. Und die Besatzung unseres Schlauchboots kann aus dankbaren Passagieren oder auch aus einer aufmüpfigen Crew bestehen. Während wir dieses Buch schrieben, haben wir über die Höhen und Tiefen des Elternseins nachgedacht und uns an die schwierigen und die besonders lohnenden Augenblicke erinnert.

Der schwierigste Aspekt der Elternschaft Sila

Die größte Herausforderung bestand für mich darin, mit meinen Schwächen konfrontiert zu werden: Ich habe immer wieder zu hart geurteilt und vorschnelle Schlüsse gezogen. Ich war ungeduldig und habe in Stresssituationen zu heftig reagiert. Anstatt aufmerksam zuzuhören, wenn eines unserer Kinder traurig oder wütend war, habe ich sie herumkommandiert. Kurz gesagt: Die Erziehung unserer Kinder hat mir einen Spiegel vorgehalten, der mir gezeigt hat, wie sehr ich an mir selbst arbeiten muss!

Nicky

Für mich bestand die größte Herausforderung des Vaterseins darin, regelmäßig Zeit für unsere Kinder zu finden. Ich bedaure all die Tage, an denen ich es zuließ, dass die Arbeit mir die Möglichkeit 19


Einleitung

nahm, wenigstens eine Stunde mit meinen Kindern zu verbringen. Ich hätte bei ihnen am Tisch sitzen, mit ihnen spielen oder ihnen eine Geschichte vorlesen sollen.

Der erfüllendste Aspekt der Elternschaft Sila

Der erfüllendste Aspekt des Mutterseins war für mich, zu sehen, wie jedes unserer Kinder zu einer einzigartigen Persönlichkeit mit einem einzigartigen Charakter und seinen besonderen Gaben und Interessen herangewachsen ist, während sich alle vier gleichzeitig sehr stark mit unserer Familie identifiziert haben. Außerdem fand ich es sehr schön, dass zwischen den Geschwistern enge Beziehungen entstanden sind, auch wenn das natürlich nicht immer der Fall gewesen ist! Trotz aller Anstrengungen, die die Erziehung von Kindern mit sich bringt, habe ich es genossen, dass es in einer Familie nie langweilig wird. Zwar waren unsere gemeinsamen Mahlzeiten oft chaotisch, und ich war ständig damit beschäftigt, den Kindern grundlegende Tischmanieren beizubringen. Doch diese Zeiten haben dazu beigetragen, unsere Beziehungen untereinander zu festigen. Die Ferien – einschließlich der Grillfeste am Strand im Regen, die wir jedes Jahr erlebt haben – erforderten viel Energie und Kreativität, aber die Mühe hat sich immer gelohnt!

Nicky

Wenn ich die Müdigkeit, die Sorgen und das ständige Sich-Hinterfragen – Aspekte, die zum Elternsein dazugehören – einmal beiseitelasse, so muss ich sagen, dass ich das Vatersein als tiefe Erfüllung empfunden habe. Allerdings habe ich oft gedacht, die nächste Phase würde bestimmt schwieriger und problematischer werden: wenn sie erst einmal in die Schule gehen, auf eigene Faust etwas unternehmen und schließlich Teenager werden würden. 20


Einleitung

Ich habe dann jedoch genau das Gegenteil erlebt: Wir fanden es herrlich, Teenager im Haus zu haben, deren Freunde oft in ganzen Horden aufgetaucht sind. Und ich habe festgestellt, dass meine Beziehung zu jedem meiner Kinder immer tiefer geworden ist, je älter sie wurden. Es hat mir Freude gemacht, ihnen bei der Bewältigung der verschiedenen Phasen in ihrem Leben zu helfen. Ich konnte verschiedene Optionen mit ihnen diskutieren und sie ermutigen, wenn sie unter Druck standen oder begriffen, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Inzwischen sind sie erwachsen, und da sie immer wieder zu uns kommen, wächst die Beziehung zu jedem Einzelnen von ihnen auch weiterhin.

Die Sicht unserer Kinder Jede Familie ist einzigartig und hat ihre ganz eigene Dynamik. Wir möchten Ihnen ein wenig von unserer Familie erzählen, um Ihnen den Hintergrund, vor dem wir dieses Buch geschrieben haben, vor Augen zu malen: Nach Kirsty bekamen wir drei Jungs: Benj, Barny und Josh. Der Altersunterschied zwischen Kirsty und Josh beträgt sieben Jahre. Zuerst haben wir in Japan gelebt, dann im Nordosten Englands (dort kamen Benj und Barny zur Welt) und schließlich, in den letzten vierundzwanzig Jahren, im Zentrum von London. Wir haben dort eine Wohnung ohne Garten, die so wenig Platz bietet, dass wir häufig das Gefühl hatten, einander auf die Füße zu treten. Da unsere ganze Verwandtschaft in abgelegenen Gegenden Schottlands wohnt, konnten die Kinder während der Ferien jedoch auch das Landleben kennenlernen. Bei uns sind die Männer in der Überzahl und alle drei Jungs waren von Anfang an begeisterte Sportler. In unserem Haus war immer etwas los – es war ganz normal, dass alle möglichen Leute unangemeldet bei uns hereinschneiten. Eine zentrale R ­ olle 21


Einleitung

s­pielten die gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen es sehr geräuschvoll zuging, weil jeder versuchte, sich irgendwie Gehör zu verschaffen. Wir würden nie behaupten, als Eltern alles richtig gemacht zu haben. Ganz sicher nicht! Es gibt Dinge, die wir heute völlig anders anpacken würden, wenn wir das Rad der Zeit zurückdrehen könnten. Wir haben unsere Kinder gebeten – sie sind heute zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, und Kirsty und Benj sind bereits verheiratet –, uns von einigen Begebenheiten zu erzählen, bei denen uns Fehler unterlaufen sind.

Kirsty

Ich bin mit drei sportbegeisterten Brüdern aufgewachsen, und so wurde beim Abendessen oft über das letzte Rugby-Spiel geredet, an dem einer der drei beteiligt gewesen war. Alles „Mädchenhafte“ schien irgendwie zu kurz zu kommen, weil meine Brüder es natürlich langweilig gefunden hätten, über Kleider, Shoppen oder Makeup zu reden. Zwar war ich selbst gar nicht so übermäßig an diesen Dingen interessiert, aber ich wollte zumindest die Möglichkeit haben, mich mit solchen Themen zu beschäftigen. Und ich fand, dass Mama, als die einzige andere weibliche Person in unserer Familie, mich darin nicht genügend unterstützte. Das war einer der Gründe, warum ich so gern am Wochenende bei einer Freundin war, die nur eine Schwester hatte, denn dort sprachen wir über Sachen, die mich interessierten. Als ich älter wurde, schien meine Mutter zu merken, was mir fehlte, und daraufhin konnte ich bei ihr immer wieder mein Herz ausschütten.

Benj

Ich kann mich an eine Begebenheit im Urlaub erinnern, bei der Papa mir gegenüber ausgerastet ist. Und ausnahmsweise war es völlig ungerechtfertigt. Wir warteten im Auto auf Papa, um zum Surfen zu fahren, und Josh nervte uns unablässig. Barny und ich hatten uns die ganze Zeit beherrscht, aber als Papa ins Auto gestiegen war 22


Einleitung

und Josh uns noch weiterärgerte, verlor ich die Geduld und boxte ihn. Daraufhin explodierte Papa, rief zornig: „Benjamin – steig aus! Du kommst nicht mit zum Strand!“, und zerrte mich aus dem Auto. So wütend hatte ich ihn vorher noch nie erlebt, denn normalerweise hatte er sich immer unter Kontrolle, wenn er zu Recht mit uns schimpfte. Später gab Josh zu, was er getan hatte, und mein Vater hat sich bei mir entschuldigt.

Barny

Einmal hat Mama mich buchstäblich die Treppe hinuntergestoßen – natürlich nicht mit Absicht. Ich weiß nicht mehr, was ich getan hatte, aber wahrscheinlich hatte ich sie heftig provoziert. Es machte mir nämlich großen Spaß, sie zu nerven. Jedenfalls kam sie auf mich zu und ich flüchtete in mein Zimmer. Sie folgte mir – inzwischen war sie wirklich auf hundertachtzig! Mama ist ganz schön stark, und ich hielt mich an der Zimmertür fest, während sie versuchte, mich nach draußen zu ziehen. Plötzlich ließ ich die Türklinke los, und da meine Mutter weiterhin mit aller Kraft an mir zog, flog ich die Treppe hinunter. Eigentlich war dies meine Rettung, denn obwohl mir nichts passiert war, erschrak Mama so sehr, dass ihre Wut augenblicklich verrauchte. Und dann entschuldigten wir uns beieinander.

Josh

Ich finde, meine Eltern hätten ein bisschen strenger mit mir sein sollen – beim vierten Kind waren sie wohl einfach zu nachsichtig. Sie waren ziemlich locker, was meine Prüfungen betraf, und sagten mir nicht, dass ich mehr lernen sollte. Wahrscheinlich lag es daran, dass Kirsty irgendwann eine große Prüfungsangst entwickelt hatte und sie das Gleiche nicht noch einmal erleben wollten. Doch sie hätten mich wirklich dazu anhalten sollen, härter zu arbeiten. Ich hätte mich wahrscheinlich geärgert, aber es wäre besser für mich gewesen. Damals war ich nämlich noch nicht reif genug, um selber den Durchblick zu haben. 23


Einleitung

Glücklicherweise können Kinder einiges verkraften! Wir hoffen, dass Sie beim Lesen dieses Buches die Zuversicht gewinnen, dass die Liebe eine Menge elterlicher Fehler zudeckt. Unser Ziel war immer, jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit zu lieben und ihm zu vermitteln, dass es ein wertvoller und unverzichtbarer Teil unserer Familie ist. Solange wir uns mit unserer Familie identifizieren, können feste Beziehungen wachsen, die auch den unvermeidlichen Turbulenzen standhalten werden. Allerdings kann Ihr Weg natürlich ganz anders verlaufen als unserer.

Was wir mit diesem Buch bezwecken Mutter oder Vater zu sein, war noch nie eine leichte Sache. Und seit wir selbst Eltern sind, haben wir beobachtet, wie unsere Kultur immer komplexer, anspruchsvoller und – für manche – sogar beängstigender geworden ist. Unsere Kinder wachsen in einer aufregenden, inspirierenden und teilweise verwirrenden Zeit auf. Auf dem Markt finden sich zahllose Bücher, die eine schwindelerregende Reihe von Ansätzen zum Thema Kindererziehung vorschlagen. Aber trotz aller neuen Technologien, der Globalisierung und des Internets gibt es auf diesem Gebiet einige Wahrheiten, die für alle Zeiten gültig sind. In diesem Buch möchten wir Ihnen einige grundlegende Erkenntnisse und lang erprobte Werte vermitteln, die leicht in Ihr Familienleben integriert werden können, auch wenn Ihre Familie vielleicht ganz anders ist als unsere. Unsere Erfahrungen aus den Elternkursen und unsere Gespräche mit Tausenden von Eltern und vielen Spezialisten lassen sich so zusammenfassen: Egal, in welcher Situation Sie sich befinden, es gibt bestimmte Dinge, die Sie tun können, um Ihr Familienleben zu verbessern. Die Ratschläge in diesem Buch beruhen zum Teil auf unseren eigenen Erfahrungen und zum Teil auf wertvollen, praktischen Tipps, die wir von anderen erhalten haben. Wir selbst haben keine so schmerzhaften Krisen d ­ urchgemacht 24


Einleitung

wie manche Eltern, die mit der Krankheit oder dem Tod eines Kindes, der Ablehnung durch ein Adoptivkind, Verhaltensstörungen oder der Drogenabhängigkeit ihres Kindes konfrontiert werden. Solche außergewöhnlichen Herausforderungen sind nicht Thema dieses Buches; wir haben jedoch am Schluss einige andere Bücher und Organisationen aufgelistet, die auf diesen Gebieten hilfreich sein könnten. Was alleinerziehende Mütter oder Väter betrifft, so ist uns klar, dass die Aufgabe hier doppelt so schwer sein kann, und wir hoffen, dass unsere Vorschläge für Sie eine Hilfe und Ermutigung sind. Das Familienleben funktioniert selten (oder nie) so reibungslos, wie wir es uns wünschen. Wir wollen das Beste für unsere Kinder und schmieden lauter hübsche kleine Pläne, aber häufig weigern sich unsere Kinder einfach, mit uns zu kooperieren. Unsere Vorstellungen bezüglich ihrer Hausaufgaben, der Schlafenszeit oder einer möglichen beruflichen Karriere lassen sie völlig kalt. Und an manchen Tagen bringen sie uns an den Rand der Verzweiflung: Ihr aufmüpfiges Verhalten, ihr ständiges Argumentieren, die kontinuierliche Unordnung um sie herum, ihre unvernünftigen Forderungen, ihr merkwürdiger Geschmack hinsichtlich Kleidung und ihre nie endenden Bedürfnisse können uns völlig auslaugen. Mitunter denken wir sehnsüchtig an die Zeit zurück, als wir noch keine Kinder hatten, und fragen uns, womit wir uns damals eigentlich beschäftigt haben. „Wer ist bloß auf die absurde Idee gekommen, Kinder großziehen zu wollen?“, überlegen wir erschöpft. Unsere guten Vorsätze lösen sich in Luft auf, und wir merken irgendwann, dass wir genauso unvernünftig werden wie unsere Kinder. Gelegentlich erfordert es unsere ganze Energie, um nur so einigermaßen über die Runden zu kommen. An solchen Tagen sind wir frustriert, weil wir meinen, dass wir andere und uns selbst enttäuschen. Aber wir brauchen trotzdem Ideale, nach denen wir uns ausstrecken können, ohne uns jedes Mal selbst zu verurteilen, wenn wir versagt haben. 25


Einleitung

Für uns ist der christliche Glaube ein Faktor, der jeden Bereich unseres Lebens entscheidend beeinflusst hat – nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie wir versucht haben, unsere Kinder zu erziehen. Doch Sie brauchen unseren Glauben nicht zu teilen, um von diesem Buch zu profitieren. Ganz gleich, wo Sie sich gerade auf Ihrer Reise als Eltern befinden – ob Sie darauf warten, dass Ihr Baby geboren wird, ob Sie die Höhen und Tiefen im Umgang mit Kleinkindern erleben oder ob Sie schon Teenager im Haus haben – und welchen Herausforderungen Sie im Augenblick gegenüberstehen: Wir hoffen, dass Sie in diesem Buch einige hilfreiche Vorschläge und praktische Tipps finden werden, die Sie auf Ihre persönliche Situation anwenden können. Unser größtes Anliegen ist jedoch, dass Sie sich nicht schon von vornherein völlig unzulänglich und überfordert fühlen, sondern sich vielmehr ermutigen und inspirieren lassen. Wir wünschen uns, dass Sie eine ganz neue Vision für Ihre Familie bekommen.

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