5 minute read

Taro Izumi. ex Museum Tinguely

Museum Tinguely

Taro Izumi. ex

Advertisement

Bis 15.11.2020

Mit der Ausstellung ex lädt der japanische Künstler Taro Izumi (geboren 1976 in Nara, Japan) dazu ein, in seine spielerische und schalkhafte Welt einzutauchen. Izumi beobachtet unsere Lebensweise und durchleuchtet dabei unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen, zur Natur und zur Tierwelt. So entstehen vielgestaltige, nicht klassifizierbare Werke, die – ausgehend von einer einfachen Grundidee und unter Zuhilfenahme von eher bescheidenen Mitteln – mit dem Absurden spielen.

Im Laufe der Zeit hat er ein organisches Ökosystem, ein einzigartiges kreatives Universum geschaffen, das sich keiner bestehenden Kunstgattung zuordnen lässt. Die Medien Skulptur, Installation, Performance und Video greifen dabei ineinander. Diese Vielfalt wird auch in seiner Wahl der Materialien sichtbar: Holz, Stoffe, Alltagsgegenstände und eine Vielzahl an wiederverwerteten Elementen werden so zu auf den ersten Blick chaotischen, tatsächlich aber akkurat komponierten Konstruktionen. In diesem üppigen und sich ständig ausdehnenden Universum vermischt Taro Izumi Ideen und Metaphern, ohne sich selbst Grenzen aufzuerlegen. Bei der Begegnung mit diesem künstlerischen Kosmos trifft man auf ein teleskopartiges, sprunghaftes, sich überlagerndes Zusammenspiel seiner Elemente. Man betritt ein visuelles wie mentales Kaleidoskop.

In seiner ersten grossen Ausstellung in der Schweiz versucht der Künstler unter anderem, die bis dahin beispiellose globale Situation, die durch die Covid-19-Pandemie entstanden ist, in speziell für die Räumlichkeiten des Museum Tinguely konzipierten Arbeiten zu reflektieren. Er präsentiert Werke, die unser neues kulturelles und

Installationsansicht «Taro Izumi. ex» – Taro Izumi, Cloud (pillow / raised-floor storehouse), 2020

soziales Verhalten widerspiegeln. Sie erzählen von der Abwesenheit, der Leere und von der virtuellen Präsenz, von Orten, die unzugänglich geworden sind. Taro Izumi komponiert einen von ungewöhnlichen Bildern übersäten Parcours, auf dem wir auf ein Theater ohne Publikum stossen. Dort begegnet man Skulpturen, die akrobatische Körperhaltungen nachahmen, unsichtbaren Werken und in der Luft schwebenden Staubsaugerrobotern.

Taro Izumi ist fasziniert von neuen Technologien und dem virtuellen, kaum wahrnehmbaren und ungreifbaren Raum, den sie bieten. Die Fragen, wie dieser virtuelle Raum existiert oder wie er bewohnt werden kann, sind zentral in seinem Schaffen. Die Ausstellung macht sich zur Aufgabe, diesen faszinierenden, geheimnisvollen und doch heute so banal wirkenden immateriellen Raum zu erforschen. Einen digitalen Raum, der es uns ermöglicht, trotz aller Einschränkungen weiterhin zu arbeiten, zu konsumieren, zu beobachten und am kulturellen und sozialen Leben teilzunehmen.

Der Künstler konzipiert seine Ausstellung als Netzwerk von Verbindungen zwischen der physischen und der virtuellen Welt. So zum Beispiel die Produktion einer Reihe von In-situ-Videos, die nur digital vorliegen und die Sie nur auf der Website des Museums finden werden. Andere wiederum werden nur während eines Zoom-Meetings sichtbar. Ferner arbeitet er für eine Installation mit Videos, die zuerst über das Internet um die Welt gereist sind, bevor sie in die Räume des Museums zurückkehren.

In Cloud (goodbye) (2020), einem Werk das diese Ausstellung eröffnet, sehen wir in meisterlichen, mo numentalen Buchstaben den Namen des Künstlers, «Taro Izumi» und den Titel seiner Ausstellung «ex» geschrieben. Dieser Titel befindet sich in einem Zustand der Transformation: sichtbar und unsichtbar, präsent und zugleich verschwunden. Geduldig mit Bleistift gezeichnet, bedeckten die Buchstaben die gesamte Wand mit einer dicken Graphitschicht. Von dieser langwierigen und akribischen Zeichnung sind heute Spuren und Rückstände übrig geblieben. Diese fast ikonoklastische Geste ist tonangebend für die Ausstellung von Taro Izumi, die zwischen Realität und Fantasie, dem Virtuellen, Digitalen und körperlich Erfahrbaren oszilliert.

Für Cloud (pillow / raised-floor storehouse) (2020) ging Taro Izumi von der Prämisse aus, dass Theater weltweit – Veranstaltungsorte für die darstellenden Künste und für grosse öffentliche Versammlungen – am stärksten von den Restriktionen infolge der Covid-19-Pandemie betroffen sind: Zur Untätigkeit gezwungen, können sie weder ihr Publikum empfangen noch ihre Aufführungen präsentieren. Izumi schlägt mit diesem Werk vor, das Schweigen, zu dem sie gezwungen sind, hörbar zu machen. Indem er Klänge aus einer Vielzahl von leeren Theatern auf der ganzen Welt sammelte, schuf Izumi eine Klanginstallation, die sich aus weissem Rauschen zusammensetzt. Im Einklang vibrierend, wird diese Stille, die im Herzen von Orten eingefangen wurde, die normalerweise der Musik und der Sprache gewidmet sind,

zur greifbaren – und doch äusserst kleinen – Spur ihrer Existenz. Die Leere, die zum Geräusch, die Abwesenheit, die zur Musik wird, erinnern uns an John Cages berühmtes 4’33 (1952), ein Werk, in dem die Stille zur Klangmaterie wird.

Die Werkgruppe Tickled in a dream ... maybe? (2017) steht sinnbildlich für den absurden und schelmischen Geist, der sich durch Taro Izumis gesamtes Werk zieht. Mit dieser Reihe von ineinandergreifenden Skulpturen und Videos erfand der Künstler Strukturen, die sich aus alltäglichen Elementen – Stühlen, Tischen, Hockern, Kissen – zusammensetzen und die Möglichkeit bieten, die Position eines sich bewegenden Körpers zu reproduzieren und aufzunehmen. Das Werk basiert auf Fotos von Sportlern – hauptsächlich von Fussballspielern –, die in voller akrobatischer Aktion fotografiert wurden. Zwischen Möbel und Prothese, Sockel und Skulptur nehmen diese architektonischen Konstrukte mit ihrem zusammengebastelten Aussehen vielfältige Formen an, die – sowohl gestalterisch als auch konzeptionell – an die interaktiven Werke von Jean Tinguely (1925–1991) und an dessen bastelnden und schelmischen Geist erinnern. Hier versucht Taro Izumi, das Flüchtige und das Unfass bare festzuhalten: die Bewegung zu fixieren, die Zeit einzufrieren und die Schwerkraft aufzuheben.

Taro Izumis Kunst richtet unsere Augen auf Dinge, die wir leicht übersehen könnten. Er zeigt, dass auch die unscheinbarsten Gegenstände und sachlichsten, alltäglichsten Situationen Grandioses und Rätselhaftes in sich bergen. Er kombiniert antagonistische, oft surrealistisch erscheinende Objekte, deren Bedeutung bisweilen rätselhaft bleibt. All diese Gegenstände sind in den Absurditäten unseres Alltags verankert und sprechen von dem Chaos der heutigen Welt. ◀

Die Autorin, Séverine Fromaigeat ist Kuratorin der Ausstellung «Taro Izumi. ex».

Taro Izumi, I Can See Solaris und Cloud (king), 2020

Einige Werke in der Ausstellung sind exklusiv online zugänglich. Besuchen Sie tinguely.ch, um online und live an dieser einmaligen interaktiven Erfahrung teilzunehmen.

Publikation

Die Ausstellung wird von einem Katalog begleitet, dessen kritische Essays, Kurztexte und Interviews das Werk und die Gedankenwelt des Künstlers erstmals eingehend beleuch ten, 48 CHF | ISBN 978-3-7757-4736-9 (DE)