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Dänen lügen nicht

Ob Einwanderung, Arbeitsmarkt oder „Corona“: Dänemark wird von der Politik immer ö er als Modellstaat in Europa betrachtet. Was können wir von den Skandinaviern abschauen?

VON JULIAN SCHERNTHANER

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Kleines Land, modern und traditionsbewusst: Soldaten zur Zeremonie „Dronningens Ur“ (Die Uhr der Königin) an der Wache Jeppe Norhave Illum in der Lebensgarde in Kopenhagen am 17. März 2021.

V

or zwei Jahren schockierte die sozialdemokratische Politikerin Mette Frederiksen halb Europa mit ihrem Wahlsieg. Er gründete darauf, solidarische Sozialpolitik mit strenger Einwanderungspolitik zu verbinden. Damit gelang ihr an der Urne eine Kehrtwende innerhalb ihrer damals in ganz Europa strauchelnden Parteienfamilie. Seitdem sorgte die nunmehrige Regierungsche n immer wieder mit neuen Maßnahmen gegen illegale Migration für Aufsehen.

Anfang September beschloss sie, eine große Anzahl von Migranten zur Vollzeitarbeit zu verp ichten. Wenn sie keine xe Stelle nden, müssen sie gemeinnützige Arbeit verrichten, um sich ihre Sozialleistungen zu verdienen. Die Maßnahme betri alle, die schon seit einigen Jahren Leistungen aus dem Sozialsystem beziehen und keine ausreichende Ausbildung haben, respektive ein niedriges Niveau an Dänischkenntnissen vorweisen. Der Plan will 20.000 Personen integrieren, die Frederiksen-Regierung zielt vor allem auf Frauen aus islamischen Kulturkreisen ab. Sechs von zehn Migrantinnen aus der Türkei, Nordafrika oder dem Nahen Osten nehmen nicht am Arbeitsmarkt teil.

Jahrelange härtere Gangart

Es ist nicht die erste Maßnahme, die das Land weniger attraktiv für Wirtscha smigranten machen soll. Und die konsequentere Linie ist keine Er ndung von Frederiksen. Schon die zuvor amtierende Mitte-rechtsRegierung erließ mehrere Maßnahmen. So wurde die Wartefrist für die Familienzusammenführung von

Migranten sollen zur Vollzeitarbeit verpfl ichtet sein. Wenn sie keine fi xe Stelle fi nden, müssen sie gemeinnützige Arbeit verrichten, um sich ihre Sozialleistungen zu verdienen.

Foto: Ungureanu Vadim / Alamy Stock Foto

Stolz auf das, was sie sind: Ein Arbeiter hisst die dänische Flagge.

einem auf drei Jahre verlängert. Die Gültigkeit temporärer Aufenthaltstitel wurde verkürzt, der Umfang der Sozialleistungen für Migranten drastisch reduziert. Wer mehr als 10.000 Kronen (etwa 2000 Euro) an Sachgütern besitzt, muss diese zuerst veräußern, ehe er Sozialhilfe beantragen kann.

Teilweise hatten diese Maßnahmen einen messbaren E ekt. Der Anteil an Asylwerbern unter den Personen, die ins Land einwanderten, reduzierte sich zwischen 1997 und 2017 von nahezu der Häl e auf etwa ein Achtel. Im Jahr 2019 verließen nach den weiteren Verschärfungen mehr Personen mit Flüchtlingsstatus das dänische Hoheitsgebiet, als einen Asylantrag stellten. Auch im Vorjahr war die Zahl der Anträge mit 1500 Gesuchen gering – die niedrigste Quote seit 1998. Besonders der Vergleich mit dem benachbarten Schweden, das über einen ähnlich ausgeprägten Sozialstaat verfügt, ist interessant. Dieses ist für Zuwanderer weit attraktiver, von 2012 bis 2019 kamen mehr als 100.000 Immigranten. Beim großen Zustrom im Jahr 2015 nahm es die europaweit höchste Pro-Kopf-Quote auf – nach Ansicht von 41 % der Schweden zu viele. Das Land hatte schon in den Vorjahren im Gegensatz zu Dänemark mit massiven Ausschreitungen vor allem im Milieu islamisch geprägter Migrantenghettos zu kämpfen.

Vorbildwirkung für Konservative

Infolge solcher Teilerfolge wird das „dänische Modell“ auch für Politiker anderer Länder attraktiv. Der breiten heimischen Ö entlichkeit wurde es im Juni be-

kannt. Damals stimmte das dänische Parlament mehrheitlich für ein Gesetz, das die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme von Asylwerbern in Dänemark erschwert. Unter den Ideen fand sich ein Asylzentrum außerhalb Europas, in dem die Asylverfahren e ektiv abgewickelt werden sollen. Selbst jene, welche einen Asylstatus zuerkannt bekommen, sollen nicht automatisch ein Bleiberecht in Dänemark erhalten. Vielmehr sollten diese im jeweiligen Drittland bleiben oder in ein Flüchtlingslager der UNO andernorts verlegt werden. Zahlreiche zeitgenössische Linke waren entsetzt, die Wochenzeitung „Der Freitag“ sah sich überhaupt an „den Faschismus“ erinnert. Im konservativen Lager war die Rezeption anders. Unmittelbar nach diesem Vorstoß preschte auch ÖVP-Innenminister Karl Nehammer vor, bezeichnete Dänemark als Vorbild. Er erklärte das nordische Land zum „starken Partner im Kampf gegen illegale Migration“. Es sei „immer wieder auch Vorreiter, wenn es darum geht, konsequente Maßnahmen dagegen zu setzen“. Die „spannenden Projekte“, die Dänemark auf den Tisch legte, wolle er sich „genau ansehen und prüfen“. Das Land sei ein „Impulsgeber für Europa“. Dass es tatsächlich zu einer schnellen Einigung kommen könnte, bezweifelte das liberalkonservative Meinungsmagazin „Tichys Einblick“ allerdings umgehend: „Eine Zusammenarbeit zwischen Wien und Kopenhagen steht trotz des von Nehammer gezeigten Interesses wohl nicht sofort ins Haus […]. Eine Ausnahmeregelung in Sachen EUAsylrichtlinie, wie sie Dänemark besitzt, können die Österreicher nicht vorweisen. Solange das so ist, bleibt es bei Planspielen – egal ob in Wien oder anderswo.“ Bislang scheint sich diese Prognose zu bewahrheiten. Vor dem aktuellen Anstieg der Asylzahlen zerfällt der nur scheinbar harte Kurs der türkis-grünen Regierung in der Tat zu Schall und Rauch. Im August etwa wurden 4758 Erstanträge registriert – mehr als dreimal so viele wie im Vorjahresmonat (1477). In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 hatte Österreich sogar die höchste Pro-Kopf-Quote an Anträgen. Satte 22.928 Anträge waren zwar weniger als in der Bundesrepublik Deutschland (100.278). Dennoch bedeuteten sie in absoluten Zahlen den fün en Platz in der EU – und die Quote von 2204 Erstanträgen je Million Einwohner war einsamer trauriger Spitzenwert.

Als Dauerlösung nicht voll tauglich

Aber auch in Dänemark ist nicht alles Gold, was glänzt. Das Modell richtet sich vor allem gegen illegale Migration ins Sozialsystem. Seit dem Höchststand von 2015, als die Rekordzahl von 76.323 Personen nach Dänemark einwanderte, blieb die Zuwandereranzahl fortwährend hoch. Bis einschließlich 2019 waren es stets mehr als 60.000 Personen; der Rückgang auf 48.644 Einwanderer ohne dänische Staatsbürgerscha im Vorjahr war mutmaßlich auch coronabedingt. Das waren zwar weitaus weniger als die Zuwanderungen von Ausländern nach Österreich (2020: 136.311), der Anteil betrug aber dennoch pro Jahr etwa ein Prozent der Bevölkerung. Der traditionell niedrige Anteil an Ausländern im Land stieg in Dänemark trotzdem von 2010 bis 2020 von 5,96 % auf 9,22 %. Freilich: Auch

Die Zukunft des Landes sind die Kinder: Dänemark will sich dagegen unattraktiver für Wirtschaftsmigranten machen und wird damit zum Vorbild für viele Länder in Europa.

REPORTAGE Flüchtlinge sollen auch wieder zurück in ihre Heimatländer. Die dänischen Identitären haben mit ihrer Kampagne viel Aufsehen erregt.

das ist nicht einmal die Häl e des österreichischen Wertes, der laut des jüngsten Migrationsberichtes des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) bereits 20,1 % beträgt.

Die Ausländer in Dänemark kamen auch 2020 aus nahezu aller Welt. Im Zehnjahresvergleich wuchs vor allem die Zahl der Syrer (von 3707 auf 42.968) und der Polen (von 28.401 auf 48.473). Auch die Zahl der Inder ist inzwischen mehr als doppelt so hoch (von 6382 auf 15.385). Die der Bulgaren vervierfachte sich nahezu (von 2685 auf 10.912), die der Rumänen verfünffachte sich sogar (von 6446 auf 33.591). Bei keinem einzigen der 30 Top-Herkun sländer war die Zahl rückläu g, die prozentual niedrigsten Zuwächse gab es aus den kulturell am nächsten stehenden Ländern Norwegen (von 16.067 auf 17.359), Schweden (von 15.154 auf 16.620) und Island (von 8967 auf 9308). Die Anzahl der Moscheen war bereits zwischen 2006 bis 2017 beinahe um die Häl e auf 170 Einrichtungen angewachsen.

Und obwohl der Befund aus Wien, wo Schüler mit deutscher Muttersprache bereits insgesamt in der Minderheit sind, unerreicht ist, sah sich eine Schule in Aarhus schon im Jahr 2016 gezwungen, Schulkinder nach Herkun zu unterteilen, weil Migrantenkinder dort über 80 % der Schüler ausmachten. Dänemark versucht zwar, dem Phänomen beizukommen, indem die Regierung den Vorstoß wagte, den Migrantenanteil „nicht westlicher“ Personen in einem Wohngebiet in den nächsten zehn Jahren auf 30 % zu beschränken – es bleibt aber Stückwerk.

Letztlich kann man über die dänischen Bestrebungen zwar sagen, dass sie ziemlich ambitioniert sind. Als endgültige Maßnahme, um die Umkehrung demographischer Trends zu bezwecken, ist sie allerdings nur beschränkt tauglich. Zudem ist die Asylanerkennungsquote in Dänemark weiter hoch: Mit 42 % lag man im ersten Quartal dieses Jahres in den Top Ten der EU-27 (Österreich lag mit 69 % auf dem dritten Platz).

Japanisches sta dänisches Modell?

Dass es auch anders geht, zeigt sich etwa in Fernost: Im Jahr 2018 vergab Japan bei 10.493 Gesuchen nur an 42 Personen einen Asylstatus – eine Anerkennungsquote von etwa 0,4 %. Das ist ein Hundertstel des dänischen Wertes. Das fernöstliche Land hat traditionell einen kritischen Zugang zur Einwanderung, zwischen 1603 und 1867 duldete das Land gar keine Ausländer. Inzwischen ist dies anders, doch man achtet stark auf eine Begrenzung, präferiert Einwanderer aus kulturell nahe stehenden Ländern. Man nimmt auf die weitere Bevölkerungsstruktur große Rücksicht, da die Japaner ethnische Homogenität als Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt emp nden. Im Jahr 2018 kamen zwar um 165.000 Menschen mehr ins Land, als es verließen – der Großteil aber aus Ostasien. Im Corona-Jahr 2020 wiederum war der Zahl für acht der zehn TopHerkun sländer rückläu g, einzig die Zahl der Filipinos und Chinesen stieg leicht an. Die größte Ausländergruppe kommt weiterhin aus Korea, mit dem man sich eine lange Geschichte teilt.

Die dänischen Bestrebungen sind ziemlich ambitioniert. Um die Umkehrung demographischer Trends zu bewirken, sind sie allerdings nur beschränkt tauglich.

Einwanderung im wahrsten Sinne des Wortes ereignet sich zu Fuß: Das grenzenlose Europa hat 2015 gezeigt, dass die Migranten sich dort verteilen, wo der Wohlstand und die Absicherung am einladendsten scheinen. Oder schon Verwandte zu Hause sind …

Foto: Francis Joseph Dean / Alamy Stock Foto

Mette Frederiksen ist Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten. Sie fahren einen migrationskritischen Kurs.

In der Regel werden die Zuwanderer gezielt als temporäre Gastarbeiter rekrutiert, vor Niederlassung sind ießende Sprachkenntnisse und fachliche Quali kationen nachzuweisen. Bis 2012 waren Ausländer an ihren japanischen Arbeitgeber gebunden, verloren ihren Aufenthaltsstatus in der Regel nach Beendigung der Stelle. Die Nettozuwanderungsrate – also Zuwanderer minus Abwanderer – liegt bei 0,5 Personen je 1000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland wuchs die Zahl zwischen 2010 und 2020 auf das Rekordhoch von 4,5 Personen je 1000 Einwohnern. Es ist also nur konsequent, dass sich die AfD im April auf dem Bundesparteitag in Dresden dazu verp ichtete, für ein „japanisches“ Einwanderungsmodell zu stehen. Zuvor galt das australische/kanadische Modell, welches ähnlich den dänischen und schweizerischen Modellen zwar auf quali zierte Zuwanderung setzt, die Wahrung der jeweiligen ethnokulturellen Identität als Konstante aber nur als bestenfalls sekundäre Priorität erachtet.

Anderer Zugang zum Arbeitsmarkt

Gerade im Vergleich mit den schwedischen Nachbarn kann man die Vorstöße also vor allem als Maßnahme betrachten, um den traditionell starken Sozialstaat zu bewahren. Wie in anderen Staaten mit ausgeklügelten Sozialsystemen – auch Deutschland und Österreich zählen im internationalen Vergleich dazu – stellt sich dabei die ständige Frage, wie man dessen Missbrauch vorbeugen kann. So wird Dänemark auch am Arbeitsmarkt zum Vorbild für Österreich – ohne dass dies o ziell so deponiert wird. So gilt dort ein degressives Arbeitslosengeld. Mit Fortdauer der Arbeitssuche werden die Zuwendungen sukzessive reduziert. Zuerst gibt es 83 % des Letztgehaltes. Dänen und Zuwanderer müssen aber rasch nach dem Jobverlust nachweisen, dass sie sich aktiv um eine neue Arbeitsstelle bemühen, andernfalls droht die Streichung des Anspruches. Nach fünf Jahren gebühren den Personen nur mehr 50 % des Lohnes.

Interessanterweise führen die Maßnahmen zu einer schnellen Wiederaufnahme von Jobs sowie einem niedrigen Anteil Langzeitarbeitsloser. Im heimischen Modell geht man derzeit noch den umgekehrten Weg. Hier gibt es 55 % des Nettolohnes des Vorjahresschnittes (im ersten Halbjahr des vorletzten Jahres) – nach fünf Jahren aber immerhin noch 51 %. Der erste Wert liegt deutlich unter dem OECD-Schnitt, der zweite Wert deutlich darüber.

Auch deshalb nahm Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) – er lehrte an einer schwedischen Uni und dür e somit mit dem ständigen Vergleich zum dänischen Nachbarn vertraut sein – ebenfalls ein degressives Arbeitslosengeld ins Visier. Die Steigerung der Beschä igungsanreize sollte in Österreich die Situation bekämpfen, in der zeitgleich viele Menschen keinen Job nden, viele Betriebe aber auch kein Personal.

Dass dieser Vorstoß von den übrigen Parteien mit Ausnahme der NEOS als Zeichen sozialer Kälte gesehen wurde, ist auch der Corona-Krise geschuldet. Denn infolge der harten Regierungsmaßnahmen wurden Hunderttausende von Österreichern zeitwei-

Dänen und Zuwanderer müssen rasch nach dem Jobverlust nachweisen, dass sie sich aktiv um eine neue Arbeitsstelle bemühen, andernfalls droht die Streichung des Anspruches.

Foto: OJPHOTOS / Alamy Stock Foto

Kontinuität als Identität: Das Volk feiert am 16. April 2015 mit Königin Margrethe II. am Kopenhagener Rathausplatz ihren 75. Geburtstag.

BEISPIEL OBERÖSTERREICH

Dass die Koppelung von Sozialleistungen ans Sprachniveau eine Umverteilung des Steuergeldes von Migrantensippen an heimische Leistungsträger wie Familien und Alleinerziehende bewirken kann, zeigt sich im Übrigen auch in Oberösterreich. Die inzwischen von der ordentlichen Gerichtsbarkeit als EU-rechtskonform beschiedene Maßnahme des dortigen Wohnbaureferenten Manfred Haimbuchner (FPÖ) führte zu einem Abfall des Migrantenanteils von mehr als 10 % auf 3,3 % und stattdessen zu einer Entlastung von über 25.000 heimischen Haushalten in Höhe von durchschnittlich 172 Euro im Monat – ein realpolitisches Erfolgsmodell, für das man von Wien nicht in den hohen Norden blicken muss, sondern nur eine gute Zugstunde nach Westen.

se arbeitslos oder mussten in Kurzarbeit. Traditionsbetriebe hausten auf oder be nden sich weiterhin in der Schwebe. Wie sich die Verschärfungen in Richtung 3G/2,5G/2G-Regeln in unterschiedlichen Teilbereichen des Alltages auf den Jobmarkt auswirken, war zum Zeitpunkt des Erlasses der Nachweisp icht für den Arbeitsplatz noch nicht abschätzbar. Kocher verschär e den sozialen Druck, indem er dem AMS erlaubte, die Sozialleistungen zu streichen, wenn Jobsuchende eine Stelle mit Impfzwang ablehnen. Das Au angnetz wäre recht grobmaschig.

Familienfreundliche Sozialleistungen

Auch hier unterscheidet sich Dänemark. Dieses zählt zwar zu den Spitzensteuerländern in Europa – und seine Steuerquote von 46 % des Bruttoinlandsproduktes bedeuteten 2019 den zweiten Rang in Europa. Doch das Land nutzt die hohe Einkommenssteuer eben, um ein breites soziales Netz aufrechtzuerhalten. Einwohner Dänemarks haben ein Anrecht auf kostenlosen Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem. Arbeitszeiten sind in der Regel exibler, und das Angebot für Kinder ist breit – samt garantiertem geförderten Kindergartenplatz. Die Eltern zahlen knapp ein Drittel davon, doch der Selbstbehalt wird einkommensschwachen Familien üblicherweise erlassen. Auch das Kindergeld ist für alleinerziehende, sozial schwache oder pensionierte Eltern höher.

Dies wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt anders aus: 30 % der dänischen Eltern arbeiten in Doppelvollzeit. In Österreich gilt dies nur für jedes siebente Elternpaar, in der Kita-Wüste Deutschland soll dies sogar nur für 1,2 % der Eltern gelten, wenn man einem Artikel des ö entlich-rechtlichen Deutschlandfunk trauen darf. Für viele Auswanderer aus dem deutschsprachigen Raum ist die Vereinbarkeit von Job und Familie ein Mitgrund für ihren Umzug nach Dänemark.

Frederiksens Vorstoß, die Migrantinnen in die Arbeit zu kriegen, ist somit wohl auch ein Versuch, diese in das dänische System der Kinderbetreuung zu bekommen. Dass unter staatlicher Obhut womöglich auch der Radikalisierung entgegengewirkt werden kann, nimmt man als Bonus. Andererseits droht eine weniger starke familiäre Bindung – im Hinblick auf den Zusammenhalt als Keimzelle eines Volkes mitunter ein Problem; im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit Kulturfremder allerdings immerhin eine Stellschraube.

Mücksteins Freiheitsschwindelei

Aufgrund der Aktualität des emenkomplexes lohnt sich aber auch noch ein dritter Blick nach Dänemark – nämlich bei den Corona-Maßnahmen. Was auf den ersten Blick unverwandt erscheint, ist dennoch ein weiteres Beispiel für die dänische Ansicht des „guten Vaters Staat“: Er lässt seine Bürger weitgehend frei gedeihen, grei aber ein, wenn es Probleme gibt. Mal klop er ihnen auf die Finger, mal unterstützt er sie. Dies kann als typisch skandinavischer Zugang zur Rolle des Staates gesehen werden: Denn auch Schweden und Norwegen leben diese Mentalität traditionell. Freilich: Das schützt nicht vor Übergri en. Zu Beginn

„Baut Festung Europa“, so stand es auf einem 200 Quadratmeter großen Banner, das Aktivisten der dänischen Identitären im Oktober 2021 auf der alten Festungsinsel Trekroner Fort im Hafen von Kopenhagen plazierten.

1983 gab es etwa 60.000 nichtwestliche Einwanderer der ersten und zweiten Generation. In der Dekade von 1985 bis 1994 belief sich die Zuwanderung im Durchschnitt auf etwa 20.000 Personen pro Jahr. 1995 stieg die Zahl wegen des Jugoslawienkriegs kurzzeitig auf fast 40.000 an, um sich in den Jahren bis 2004 bei etwa 30.000–35.000 Einwanderern im Jahr zu stabilisieren. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Zuwanderer noch einmal stark gestiegen. 2005 erreichte die Zahl der Einwanderer erstmals die Marke von 40.000. Im Jahr 2014 kamen fast 65.000 Einwanderer nach Dänemark, dies ist die bislang höchste Zahl an Einwanderern für ein einzelnes Jahr. Im Jahr 2005 betrug der Einwandereranteil an der dänischen Gesamtbevölkerung etwa 7,2 % (389.000 Personen). Zum 1. Januar 2014 lebten in Dänemark 476.059 Einwanderer. Bei einer Gesamtbevölkerung von 5,6 Millionen entspricht dies einem Anteil von 11,1 %. Hiervon stammten ca. 199.829 aus westlichen und 276.230 aus nicht westlichen Ländern.

Will man sich in diesen emen etwas von den Dänen abschauen, muss die langfristige Problemlösung die oberste Priorität haben.

der Pandemie schoss man gnadenlos über das Ziel – Frederiksen ließ aus Sorge vor der Seuchenverbreitung im Vorjahr Millionen von Zuchtnerzen keulen. Bei der Freilassung der Bürger aus den Zwangsmaßnahmen besann man sich aber. Schon im Frühjahr einigte man sich: Sobald alle Personen über 50 Jahren tatsächlich ein Impfangebot erhielten, fallen alle Beschränkungen weg. Am 10. September war es dann so weit. Auch vor diesem Hintergrund gilt das Land als Modellregion im Pandemie-Management. Auch dies blieb der türkis-grünen Regierung nicht verborgen. Allerdings zog sie die völlig falschen Lehren aus dem „dänischen Modell“.

Denn der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein argumentierte, man könne die Maßnahmen noch nicht lockern, weil die Impfquote niedriger sei als etwa in Dänemark; was er auf den dortigen Allparteien-Konsens zurückführte. Dabei ist gerade das mit der Impfquote ein folgenschwerer Trugschluss. Denn die hierzulande nahezu überall gültige Maskenp icht el dort schon am 14. Juni – bei einer Impfquote von gerade einmal 48 %. Die Ö nung gelang, mit einer 7-Tages-Inzidenz von von 176,3 stand das Land am 29. Oktober dennoch weitaus besser da als Österreich (damals 288,6).

Dieser Tag ist ein interessanter Gradmesser, da es jener Abend war, an dem Mückstein die 2,5G-Regel (also mindestens ein PCR-Test) für den Arbeitsplatz ankündigte. Nur eine Woche zuvor verwies er erneut auf die dänische Situation, versuchte damit obendrein politisches Kleingeld zu waschen. Die kritische Haltung der FPÖ zu Zwangsmaßnahmen entlang des Impfstatus machte er für die niedrige Impfquote verantwortlich. Im internationalen Vergleich ein untauglicher Schluss: In Schweden war die Zweifach-Impfquote zu diesem Zeitpunkt höher als in Österreich, in Brasilien immerhin die Erstimpfquote. Beide Länder verzichteten auf scharfe Maßnahmen, das letztere hatte zu diesem Zeitpunkt bessere Zahlen als das klimatisch teilweise vergleichbare Australien, das seinerseits mit einer 1G-Regel für viele Jobs schockiert. Wie sehr die Impfrate aufgrund erwiesen rückläu ger Wirksamkeit der Vakzine als Gradmesser taugt, ist ohnehin umstritten. Aber auch der dänische Befund zeigt, dass die greifbare Aussicht auf Lockerungen eher als Imp urbo taugt als drohende Verschärfungen. Nicht zuletzt war die Impfbereitscha der Österreich auch rund um die Teilö nungsschritte im Frühsommer am größten. Dass auch Deutschland mit einem Imp ortschritt von weit über 80 % der impfbaren Bevölkerung ständig an neue Verschärfungen denkt, führt diese Argumentation eines Machtpolitikers insgesamt ad absurdum.

Nur ganzheitliche Modelle sinnvoll

In dieser Großwetterlage zeigt sich auch besonders deutlich die Problematik, das Modell eines anderen Landes für konkrete politische Maßnahmen zu idolisieren. Denn das kann massive Fehlinterpretationen nach sich ziehen. So wie Dänemarks Corona-Modell nur unter Einbezug eines Stufenplans hin zur Freiheit zu verstehen ist, ist es bei der Migration und am Arbeitsmarkt ähnlich. Nur einzelne Maßnahmen aus der dänischen Integrationspolitik aufzugreifen kann im besten Fall manche Symptome bekämpfen und im schlechtesten Fall wirkungslos bleiben oder sogar zu einer größeren Ablehnung der hiesigen Kultur führen.

Dazu müsste man die ganzheitliche Dynamik seiner jahrelangen Migrationspolitik aufgreifen und ebenfalls in ähnlicher Verzahnung einführen. Der Weisheit letzter Schluss gegen schleichenden Bevölkerungsaustausch ist es aber nicht. Und die arbeitsmarktpolitischen Schritte drohen zum Fiasko zu werden, wenn der Sozialstaat nicht insgesamt intakt ist – ein Thema, das zudem mit der Migrationsfrage untrennbar verbunden bleibt. Im gegenteiligen Fall droht bei einer halbseidenen Teilübernahme das soziale Ödland Deutschlands, in dem Rentner teils Pfandflaschen sammeln müssen, der Mittelstand unter der Abgabenlast ertrinkt, der Anteil der „Working poor“ immer weiter steigt und die reale Einkommensschere sich alljährlich weiter öffnet.

Will man sich in diesen Themen etwas von den Dänen abschauen, muss jedenfalls die langfristige Problemlösung die oberste Priorität haben – und nicht etwa ein „Macher-Image“, mit dem man für den schnellen und populistischen Effekt leicht politische Meter machen kann, allerdings ohne jede Nachhaltigkeit.

Julian Schernthaner

Der 1988 in Innsbruck geborene studierte Sprachwissenscha ler lebt mittlerweile im Innviertel und ist Redakteur der Onlinezeitung „Die Tagesstimme“.

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