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Einleitung

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Die Idee

Die Idee

Mehr als 25 Jahre Physiotherapie und Athletiktraining liegen hinter mir. 1995 sprach mich der damalige Co-Trainer der Gießener Bundesligabasketballer, Michael Müller, an, ob ich mir vorstellen könnte, den Verein im athletischen Bereich zu unterstützen. Im ersten Schritt ging es darum, zwei Mal wöchentlich das Krafttraining der Mannschaft zu leiten. Durch meine Vorkenntnisse aus der Leichtathletik, die physiotherapeutische Ausbildung und meinen Abschluss als Sportphysiotherapeut war dies für mich eine sehr reizvolle Aufgabe. Was sich daraus entwickelte, war damals nicht absehbar.

Einleitung

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Von 1995 bis 2015 war ich Teil des Teams hinter dem Team, zunächst als Athletiktrainer, später auch als Physiotherapeut und zusammen mit Dr. Wolfgang Leutheuser für die medizinische/physiotherapeutische Betreuung zuständig. Maßgebende und freundschaftliche Begleitung in diesen Jahren erfuhr ich besonders durch meine Kollegen Uli Graulich, Antje Vetter und Lukas Lai. Letzterer betreut noch heute das Team im athletischen Bereich. Von 1998 bis 2006 betreute ich diverse Jugendnationalmannschaften des Deutschen Basketballbundes. Einer der Höhepunkte war sicherlich die Teilnahme an den Global Games 2002 in Dallas, wo ich Dirk Nowitzki kennenlernte. Kai Blümel und Berthold Bisselik prägten diese Zeit mit einem sehr kollegialen und freundschaftlichen Umgang. Im Sommer 2015 übergab ich den Staffelstab der Betreuung der Gießener Bundesligabasketballer dann an Lukas Lai. Nach 20 Jahren verspürte ich nicht mehr die gleiche Energie und Leidenschaft wie am Anfang. Die tägliche Arbeit in der eigenen Praxis wurde im Laufe der Zeit auch immer mehr durch die Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern dominiert. Über die Jahre lernte ich Athletinnen und Athleten unterschiedlichster Sportarten von nationalem und internationalem Niveau kennen und konnte sie sowohl athletisch, als auch physiotherapeutisch unterstützen. Die Erfahrungen aus Therapie und Training mit Profisportlern flossen in die tägliche Arbeit mit meinen Patienten ein. Es entwickelte sich ein eigenständiges Therapie- und Trainingskonzept „Testen – Korrigieren – Regenerieren“. Ein neues Kapitel der „Sportbetreuung“ begann im November 2015, als der Coach der Rollstuhlbasketballnationalmannschaft der Herren, Nicolai Zeltinger, Kontakt mit mir aufnahm, um ein Konzept zum Athletiktraining im Rollstuhlbasketball zu 15 entwickeln. Gemeinsam mit Co-Trainer Ralf Neumann, den Physiotherapeutinnen Conny Freitag und Pia Briegel und dem Sportwissenschaftler Daniel Jacko vom Olympiastützpunkt Rheinland wurde in einem ersten Brainstorming ein Leitfaden erarbeitet. Schnell war klar, dass ein auf die Bedürfnisse der Sportler und Sportart abgestimmtes Screening die Basis unseres weiteren Handelns sein muss. Im Austausch mit Peter Richarz vom Deutschen Rollstuhl Sportverband, der seinen großen Erfahrungsschatz einbrachte, wurde das Konzept überarbeitet und ergänzt. Der Januar und Februar 2016 wurden genutzt, um bereits bestehende Tests des Teams LESEPROBE

Einleitung

Germany zu integrieren oder anzupassen. Gemeinsam mit Athleten des RSV Lahn- Dill wurden die neuen Ideen ausprobiert, verändert und teilweise auch wieder verworfen, bis im März 2016 das erste „Athletik-Screening“ für das Team Germany präsentiert werden konnte. Neben Tests in den Bereichen Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit wurden auch Tests zur Reichweite im Stuhl, Agilität und physiotherapeutische Parameter mit aufgenommen. Im April 2016 kam das „Athletik-Screening“ im Rahmen des Selection Camp zu den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro erstmalig zum Einsatz. Aus den Ergebnissen des Screenings wurden die ersten individualisierten Trainingspläne für die Spieler der Herrennationalmannschaft entwickelt und in gemeinsamen Trainingseinheiten umgesetzt. Die Phase der Umsetzung bis zu den Paralympics in Rio war kurz und geprägt von viel „Trial and Error“, aber für den weiteren Verlauf sehr wichtig. Durch den Input der Athleten und den Austausch mit den Coaches wurden sowohl am Screening, als auch in der Trainingsplanung und -umsetzung einige Feinjustierungen vorgenommen. Das Zeitfenster bis zum Juli 2017 bestand nach einer eingehenden Analyse der Paralympics in der Festlegung der Meilensteine für das folgende Jahr: Ausbau des Athletiktrainings in den Vereinen und regelmäßiger Austausch mit den Vereinstrainern und Physios. Sabrina Möller ergänzte als Athletiktrainerin die Herrennationalmannschaft und wurde in der Folge nicht nur durch ihre Unterstützung, sondern auch mit ihrem fachlichen Input ein ganz wichtiger Baustein dieser Entwicklung. In der Folge, nach einer erfolgreichen Rollstuhlbasketball-EM mit einer Bronzemedaille auf Teneriffa im Sommer 2017, wurde weiter am Feinschliff gearbeitet. In der Auswertung der Screenings zeigten sich die ersten positiven Auswirkungen des Krafttrainings bei den Athleten. Die Trainingspläne in den Vereinen wurden durch erweiterte Pläne der Athletiktrainer der Nationalmannschaft ergänzt. Die Heim-WM im Juli 2018 endete nicht so, wie von allen erhofft. In der Analyse wurde schnell klar: Der Baustein Athletik muss einen noch größeren Stellenwert im Training einnehmen. Die Konsequenzen daraus waren u. a. eine frühere Implementierung des Bausteins Athletik im Jugend- und Juniorenbereich sowie die engere athletische Betreuung des Teams im Zusammenhang mit internationalen Meisterschaften.

Im Rahmen der Vorbereitung auf die Rollstuhlbasketball-EM im August 2019 in Polen wurden neue Trainingsinhalte und -abläufe wie beispielsweise neuroathletische Elemente und ein kraftunterstütztes „Anschwitzen“ am Spieltag „live“ mit den Athleten umgesetzt und auf die unterschiedlichen Klassifizierungen angepasst. Das Team qualifizierte sich für die Paralympics in Tokio 2020. Über die Jahre stellte sich mir immer wieder das Problem, nur wenig Literatur mit athletischen Inhalten für Rollstuhlsportler zu finden. Meine Erfahrungen aus dem Training mit „Fußgängern“ halfen mir hier nur bedingt weiter, da viele Übungen durch die unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Sportler stark individualisiert werden müssen. Jedoch sind die Probleme des Rollstuhlbasketballers, insbesondere rund um das Schultergelenk, auch die eines jeden Rollstuhlfahrers. So entwickelte LESEPROBE

sich die Idee, meine Erfahrungen und Aufzeichnungen zu strukturieren, um sie in einem Buch jedem Rollstuhlfahrer zugänglich zu machen. Durch die Kooperation mit der Firma ARTZT entstand ein Kontakt zum Pflaum Verlag. Nach mehreren Vorgesprächen mit Christian Wittmann, dem damaligen Verantwortlichen für den Buchbereich, lernte ich auf dem ARTZT Symposium 2020 auch die Verleger des Einleitung Pflaum Verlages, Agnes und Nils-Peter Hey, kennen. Unsere gemeinsame Begeisterung für das Thema gipfelt in einem Autorenvertrag im Juni 2020. Das Konzept „Testen – Korrigieren – Regenerieren“ stellt den Rahmen für das Buch. Erste Kapitel zu den Themen Grundlagen, Haltung und Atmung entstanden. Die Bereiche Ernährung und Regeneration rückten mehr in den Fokus. Mit Dr. Georg Friese konnte ich einen Ernährungsmediziner aus Gießen dafür begeistern, mich beim Thema Ernährung zu unterstützen. Im Oktober 2020 nahm ich mir drei Wochen Auszeit vom Job, um mich komplett auf das Buch zu konzentrieren. Die Algarve war der richtige Platz dafür: Ruhe, keine Ablenkung, angenehme Temperaturen. Der Start war jedoch sehr zäh: viele Ideen im Kopf, aber trotzdem noch keine perfekte Struktur. Ich besann mich auf meine Grundidee: Testen in Bewegung – Korrigieren auffälliger Bewegungsmuster, die Bausteine Stabilität, Mobilität und Atmung. Das Team von Marco Kessler – Mediashots – und die Rollstuhlbasketballnationalspieler Catharina Weiß, Thomas Böhme und Nico Dreimüller unterstützten mich in meinem Vorhaben, einen Übungskatalog mit Bildern und Videos zu erstellen. Ein Foto- und Videoshooting wurde organisiert und durchgeführt. Doch Corona veränderte alles. Statt den Fokus auf das Buch zu richten, benötigte die Praxis mehr Aufmerksamkeit. Als systemrelevanter Baustein durften wir Behandlungen durchführen und unsere Patienten unterstützen. Dies bedeutete aber gleichzeitig einen deutlichen Mehraufwand an Organisation. Die Weiterentwicklung des Buches wurde hinten angestellt. Im Februar 2021, nachdem ich wieder mehr Zeit für das Buch hatte, entwickelte sich bei einem Treffen mit Lena Weins, einer unserer Physiotherapeutinnen im Team der Rollstuhlbasketballnationalmannschaft der Herren, die Idee, das Thema Yoga mit aufzunehmen. Da gerade die Themen Haltung und Atmung eine immense Wichtigkeit in meinem Konzept haben und im Yoga genau hier ein Fokus liegt, drängte sich dieser Schritt nahezu auf. Lena entwickelte abgewandelte Asanas, die dann in Bild und Video umgesetzt wurden. Im Austausch mit Pflaum Verlag-Redakteurin Michelle Dian startete ich damit, Texte und Bilder aus meinen Unterlagen online zu strukturieren und einzupflegen. Kapitel für Kapitel wurde nochmals bearbeitet, kleine Änderungen vorgenommen und Bilder hochgeladen – das Buch wuchs inhaltlich und es war schön, diesen Prozess zu erleben und aktiv gestalten zu dürfen. 17 Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, dieses Buch zu schreiben. Ideen kamen und wurden wieder verworfen. Es dauerte zwar seine Zeit, bis das Gerüst stand und es mehr und mehr Gestalt annahm, doch ich bin überzeugt, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Ich wünsche euch, liebe Leser, dass ihr genauso gerne einen Blick in das Buch werfen werdet wie ich. Die Vorfreude ist groß, das erste Exemplar in den Händen halten zu dürfen.LESEPROBE

„Voraussetzung für das Verständnis von Training sind die Bausteine der Anatomie und Physiologie des Menschen.“LESEPROBE

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