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The Story of Film

The Story of Film: An Odyssey

Episoden 11–13 (1970–1998)

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Der nordirische Dokumentarfilmer und Autor Mark Cousins beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit den unterschiedlichsten Aspekten des Kinos. In The Story of Film: An Odyssey (2011) erzählt er in 17 einstündigen Episoden die Filmgeschichte nach, den Kern bilden dabei kommentierte Filmausschnitte und Interviews mit Filmgrössen und Stars.

Mit präzisen Beobachtungen und umfangreichen Analysen schafft es Mark Cousins, unseren Blick auf die 125-jährige Filmgeschichte zu schärfen. Im aktuellen Programm zeigen wir die Episoden 11–13: Cousins untersucht das Mainstream-Kino der 70er-Jahre, das Kino der 80er- und der 90er-Jahre. Zu jeder (unabhängig funktionierenden) Episode zeigen wir jeweils eine Auswahl der vorgestellten Filme.

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 11 – THE ARRIVAL OF MULTIPLEXES AND ASIAN MAINSTREAM

GB 2011

Cousins widmet sich der Entwicklung des Mainstream-Kinos in den 70er-Jahren und untersucht, inwiefern diese Filme innovativ waren. Er befasst sich mit den Mainstream-Filmen aus Hongkong, mit den Bollywood-Filmen in Indien (wie Sholay), mit den Filmen im Nahen Osten und schliesslich mit den Blockbustern, die das Filmschaffen in den USA veränderten (etwa Jaws, The Exorcist und Star Wars).

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 12 – FIGHT THE POWER: PROTEST IN FILM

GB 2011

Cousins richtet seinen Blick auf das Kino der 80er-Jahre und untersucht, wie Filmschaffende ihr Medium nutzten, um den Mächtigen ihre Sichtweisen zu vermitteln. Im Zentrum stehen Filme aus China, der Sowjetunion und Polen, aus Burkina Faso und Mali; ausserdem Filme von David Lynch, Spike Lee, John Sayles und Maggie Renzi und «Protest-Filme» aus Frankreich, Spanien, England, Schottland, Wales und Kanada. THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 13 – NEW BOUNDARIES: WORLD CINEMA

GB 2011

Das Hauptaugenmerk liegt auf dem internationalen Film der 90er-Jahre, den letzten Tagen des Zelluloids vor der Ankunft des Digitalfilms. Zunächst widmet sich Cousins dem asiatischen Kino, dann stellt er Filmemacher aus Iran, China, Taiwan, Japan, Dänemark, Frankreich, Belgien, Polen, Russland und Österreich vor.

je 60 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer.

Die Episoden 11–13 von The Story of Film werden sowohl einzeln als auch im Doppelpack gezeigt (siehe Programmübersicht oder www.filmpodium.ch)

SHOLAY

Indien 1975

Nachdem der Bandit Gabbar Singh aus Rache mit seiner Bande fast die gesamte Familie von Ex-Polizist Thakur umgebracht hat, sinnt dieser seinerseits auf Vergeltung. Er verspricht den beiden Kleingaunern Jai und Veeru viel Geld, wenn sie Singh lebend zu ihm bringen. Die beiden willigen ein – nicht zuletzt, weil es in Thakurs Dorf zwei attraktive junge Damen gibt.

Sholay, einer der grössten Klassiker und kommerziell erfolgreichsten Filme des indischen Kinos, hat Generationen von Filmschaffenden massgeblich geprägt.

«Die indische Filmindustrie wuchs in den 1960er-Jahren in einem solchen Tempo, dass sie bis 1971 mit 433 Filmen die grösste der Welt war. Amitabh Bachchan – dessen Leinwand-Persona Elemente von Sean Connery und Robert De Niro in sich vereinte – wurde ihr grösster Star. Bachchan, 1942 geboren, wurde in seinen frühen Dreissigern zur nationalen Obsession Indiens und stärkte die Hindi-Filmindustrie in Bombay. Der Vergleich mit westlichen Schauspielern lässt zwar den Grad seines Ruhms ermessen, nicht aber die Komplexität seiner Männlichkeit. Er porträtierte oft einen aufgewühlten Rebellen aus der Arbeiterklasse, der sich für ein Verbrechen rächt, das an ihm oder seiner Familie begangen wurde. Doch weil es sich um indisches Mainstream-Kino handelt, tanzte Bachchan auch. Seine Kunst, dabei Zurückhaltung mit Anmut zu verbinden, war einflussreich und hat (...) die Art, wie sich Inder in den Strassen, auf Hochzeiten und bei Prozessionen bewegen, mitgeprägt. Im Klassiker Sholay (...) spielt er einen von zwei Banditen, die angeheuert wurden, um die Ermordung der Familie eines Ex-Polizisten zu rächen. Der Film hat ebenso viele Ideen vom amerikanischen Western übernommen wie Leones A Fistful of Dollars. Durch seine visuelle Pracht, seine Rückblendenstruktur und seine Kabinettstücke wirkt Sholay womöglich sogar noch opernhafter als Leones Film.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020)

204 Min / Farbe / Digital HD / Hindi/d // REGIE Ramesh Sippy // DREHBUCH Javed Akhtar, Salim Khan // KAMERA Dwarka Divecha // MUSIK Rahul Dev Burman // SCHNITT M. S. Shinde // MIT Dharmendra (Veeru), Amitabh Bachchan (Jai), Amjad Khan (Gabbar Singh), Sanjeev Kumar (Thakur), Hema Malini (Basanti), Jaya Bhaduri (Radha), Avtar Kishan Hangal (Imaam Saheb).

WÊND KÛUNI

Burkina Faso/Frankreich 1982

Als ein Händler einen stummen Jungen im Busch findet, nimmt er ihn mit zum nächsten Dorf und übergibt ihn dem Weber Tinga, der ihn bei sich aufnimmt. Der Junge wird Wênd Kûuni, «Geschenk Gottes», genannt und bekommt die Aufgabe, die Schafe zu hüten und Tingas Stoffe auf dem Markt zu verkaufen. Der Junge findet seine Sprache erst dann wieder, als er Zeuge eines tragischen Ereignisses wird.

Gaston Kaborés Wênd Kûuni, einer der ersten langen Spielfilme aus Burkina Faso, ist ein Klassiker des afrikanischen Kinos.

«Wênd Kûuni thematisiert wie viele afrikanische Filme der 80er-Jahre die vorkoloniale Zeit und verwendet eine komplexe Zeitstruktur. (...) Der Film war ein ebenso vielversprechendes Debüt wie Forugh Farrochzads The House Is Black im Iran zwanzig Jahre zuvor. (...) Die Geschichte handelt von einem stummen Kind, das von seiner leiblichen Familie vertrieben und von einem ganzen Dorf adoptiert wird, und thematisiert den Wert der vorkolonialen Solidarität. Der Junge, von einem Laienschauspieler gespielt, wird aus seinem stummen Zustand aufgerüttelt, als er die an einem Baum aufgehängte Leiche eines Mannes aus dem Dorf findet. Nach und nach erzählt er von den Ereignissen, die sein Trauma bewirkt haben. Was damals viele Filmemacher beeindruckte und den Film sehr einflussreich machte, war die Art, wie Kaboré mithilfe von Rückblenden und Geschichten in Geschichten die Frage stellte: ‹Was ist aus unserem Gedächtnis gelöscht worden?›, wobei er das Format eines traditionellen Märchens verwendete und auf spezifische zeithistorische Bezüge verzichtete.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020)

75 Min / Farbe / 35 mm / Moore/d // DREHBUCH UND REGIE Gaston Kaboré // KAMERA Issaka Thiombiano, Sékou Ouedraogo // MUSIK René B. Guirma // SCHNITT Andrée Davanture, S. Boubakar Koné // MIT Serge Yanogo (Wênd Kûuni), Rosine Yanogo (Pognèré), Joseph Nikiema (Tinga), Colette Kaboré (Lale).

DER PFERDEDIEB

(Dao ma tse) China 1986

Der Nomade Norbu lebt mit Frau und Kind als Hirte. Er gehört einer ethnischen Minderheit an, und ab und zu zwingen ihn die schwierigen Umstände, sich als Pferdedieb zu betätigen, um seine Familie durchzubringen. Als er sich einmal an den Schätzen eines Tempels vergreift, wird er verbannt. Im Exil wird die Familie von Schicksalsschlägen erschüttert und Norbu muss eine folgenschwere Entscheidung treffen.

Tian Zhuangzhuangs Der Pferdedieb erschafft mit sorgfältig orchestrierten Klängen und Bildern eine ganze Welt, wurde von der internationalen Kritik enthusiastisch gefeiert und gilt als Schlüsselwerk der Fünften Generation chinesischer Filmemacher.

«Die sogenannte Fünfte Generation, die 1982 ihren Abschluss machte, ist die bedeutendste, die je eine Filmhochschule verlassen hat. Sie haben einige der besten Filme der 80er-Jahre gedreht. Tians Film Der Pferdedieb trotzte offen dem Regime, indem er sich auf ein sehr unmaoistisches Thema konzentrierte. Wir sind bei einer traditionellen Totenfeier. Der junge Sohn eines Pferdediebs ist gestorben. Tian filmt buddhistische Mönche in subtiler Zeitlupe und diese Geier, die den Leichnam verspeisen; für Abendländer eine grausige Vorstellung, aber für den Pferdedieb und seine Familie eine heilige Himmelsbestattung. Tian interessierte sich für die mystischen Traditionen seiner Figuren, Themen, die unter Mao verboten waren – die Themen von Sergej Paradschanow in der Ukraine. Nachdem die Geier den Körper verzehrt haben, nehmen sie seinen Geist mit in den Himmel. Tians Film sah auch anders aus. (...) Martin Scorsese nannte Der Pferdedieb den besten Film des Jahrzehnts.» (Mark Cousins, in: The Story of Film: An Odyssey, Ep. 12)

100 Min / Farbe / 35 mm / Tibet/d/f // REGIE Tian Zhuangzhuang // DREHBUCH Zhang Rui // KAMERA Hou Yong // MUSIK Qu Xiaosong // SCHNITT Li Jingzhong // MIT Tseshang Rinzin (Norbu), Dan Jiji (Norbus Frau), Jayang Jamco (Tashi, der Sohn), Gaoba (Nowre), Daiba (Grossmutter), Drashi (Grossvater).

LA HAINE

Frankreich 1995

Das Leben von Vinz, Hubert und Saïd, drei arbeitslosen Jugendlichen aus den Pariser Banlieues, ist von Gewalt, Drogen und Polizei-Schikanen geprägt. Nach einer Krawallnacht herrscht der Ausnahmezustand. Abdel, ein Junge aus dem Viertel, wird während einer Polizeikontrolle brutal zusammengeschlagen und liegt im Koma. Vinz findet die Dienstwaffe eines Polizisten – und schon bald überstürzen sich die Ereignisse.

Ein grimmiges und packendes Sozialdrama über das Leben: La haine ist ein Meilenstein des französischen Kinos der 90er-Jahre. «Französische Regisseure wie Claire Denis, Matthieu Kassovitz, Gaspar Noé, Bruno Dumont und zudem die Brüder Dardenne wandten sich der Arbeiterklasse und den Entrechteten zu, um eine wuchtige, innovative Reaktion auf das Hochglanzkino der 80er-Jahre zu schaffen.

La haine von Schauspieler Kassovitz (...) – Ausgangspunkt des Films war die Erschiessung des 17-jährigen Zairers Makomé M’Bowolé in Polizeigewahrsam im Jahr 1993 – nahm eine Vorreiterrolle ein. Kassovitz erzählt die Geschichte eines Tages im Leben dreier Jugendlicher; einer ist Jude, einer Beur (islamisch) und einer Schwarzafrikaner. Sie kommen aus den heruntergekommenen Pariser Vorortssiedlungen, begehen Bagatelldelikte, und einer ihrer Freunde wurde kürzlich von der rassistischen Polizei angegriffen. Kassovitz wurde damals mit Quentin Tarantino verglichen, aber sein Film war viel stärker in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verankert.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020)

96 Min / sw / 35 mm / F/d // BUCH UND REGIE Mathieu Kassovitz // KAMERA Pierre Aïm, Georges Diane // MUSIK Assassin // SCHNITT Mathieu Kassovitz, Scott Stevenson // MIT Vincent Cassel (Vinz), Hubert Koundé (Hubert), Saïd Taghmaoui (Saïd), Karim Belkhadra (Samir), François Levantal (Astérix), Marc Duret (Insp. «Notre Dame»), Édouard Montoute (Darty), Abdel Ahmed Ghili (Abdel), Héloïse Rauth (Sarah), Rywka Wajsbrot (Vinz’ Grossmutter).

IN THE MOOD FOR LOVE

Hongkong/Frankreich 2000

Hongkong, Anfang der 60er-Jahre: Journalist Chow bezieht mit seiner Ehefrau eine neue Wohnung in einem Haus der Shanghai-Community. Er trifft auf Li-zhen, eine wunderschöne, elegante junge Frau, die ebenfalls mit ihrem Mann gerade erst eingezogen ist. Während ihre Ehepartner fast nie zu Hause sind, begegnen Chow und Su sich von nun an fast täglich, und allmählich entsteht aus den zufälligen Begegnungen eine Zuneigung und tiefe Verbundenheit. Als sie schliesslich herausfinden, dass ihre Ehepartner eine Affäre miteinander haben, entwickeln auch sie Gefühle füreinander. In the Mood for Love ist ein formvollendeter Film über Sehnsucht, Einsamkeit und Vergänglichkeit, der 2000 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

«Dieser exquisite Film bringt die nächtliche Zelluloid-Vision von Wongs Team auf den Punkt. Die Zeit ist verlangsamt. Eine Frau schlängelt sich an einem Mann vorbei. Er blickt auf. Wir sind in Hongkong im Jahr 1962. Musik im 3/4-Takt. Plötzlich regnet es wie in einem Film. Dampf und Regen. Wir spüren die schwüle Hitze. Der Mann und die Frau sind beide unglücklich verheiratet. Einsam. Mit gesenkten Köpfen. Sie sind ‹in the mood for love›, auf Liebe eingestellt. Wie in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder und Terrence Davies: Die Hoffnung ist ausgezogen, darum hat sich die Verzückung in Bild und Ton verlagert. Maggie Cheung und Wongs Team hatten eine der auffallendsten Personas des Weltkinos geschaffen.» (Mark Cousins, in: The Story of Film: An Odyssey, Ep. 13)

98 Min / Farbe / 35 mm / Chin/d/f // DREHBUCH UND REGIE Wong Kar-wai // KAMERA Christopher Doyle, Pin Bing Lee // MUSIK Michael Galasso, Shigero Umebayashi, Nat King Cole // SCHNITT William Chang // MIT Maggie Cheung (Su Li-zhen), Tony Leung (Chow Mo-Wan), Rebecca Pan (Mrs. Suen), Lai Chen (Mr. Ho), Ping-Lam Siu (Ah Ping), Tung Cho «Joe» Cheung (Mann, der in der Wohnung von Mr. Koo lebt).