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Hoffnung oder Hype?

Digitalisierung, Automatisierung und KI sind auch in der Medizin auf dem Vormarsch – werden Roboter aber tatsächlich Chirurgen und Pflegekräfte ersetzen?

Fragt man Roberto Silverio, wie in einem Krankenhaus in 50 Jahren gearbeitet werden wird, antwortet er aus Sicht eines Patienten: „Am Eingang des Krankenhauses werde ich von einem Automaten erkannt und begrüßt. Dieser weiß, dass ich eine Visite habe, und verweist mich zum entsprechenden Ambulatorium, begleitet werde ich von einem weiteren Roboter. Dann aber ho e ich, dass ich von menschlichen Ärztinnen und Ärzten behandelt werde.“

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Der aus Brixen stammende Radiologe Silverio ist Chief Health Information O cer des Südtiroler Sanitätsbetriebs. Als solcher „übersetzt“ er die IT-Bedürfnisse des klinischen Personals für die Techniker. Er befasst sich also von Berufs wegen mit Digitalisierung, Automatisierung und E-Health in der Sanität.

DOCH WIE WEIT kann und wird die Technologie und Digitalisierung in der Medizin gehen? Aus heutiger Sicht – das betont Silverio immer wieder und darin sind sich auch andere Fachleute weitgehend einig – wird der zwischenmenschliche Kontakt im Gesundheitsbereich wesentlich bleiben. Fest steht: Die Gesundheitsdienste werden sich durch die Entwicklungen in der medizinischen Forschung, durch E-Health, Digitalisierung und Automatisierung verändern. Die Telemedizin wird immer wichtiger. „Diese hat durch die Covid-19-Pandemie große Fortschritte gemacht. Sie ist nicht nur in den Köpfen der Patienten, sondern auch der Mitarbeitenden im Sanitätsbereich angekommen“, formuliert es Silverio. „Unser Problem in der Sanität ist: Diese Dinge müssen nicht nur technisch machbar und nanzierbar sein, sie müssen auch genehmigt und reguliert werden.“

Dazu komme, dass bestimmte Tools aufgrund der sehr großen Datenmengen nur mit einer Breitband-Internetverbindung genutzt werden könnten. „Und aktuell haben in Italien noch 70 Prozent der Familien mit geringem Einkommen keinen Zugang dazu“, so der Chief Health Information O cer des Sabes.

DABEI IST DIE TELEMEDIZIN nur eine von vielen technischen E-Health-Möglichkeiten. Mittlerweile gibt es digitale Tagebücher für Diabetiker oder unterstützende Apps bei Migräne und Schwangerscha en. Aber auch Geräte, die den Gesundheitszustand eines Patienten zu Hause 24 Stunden/7 Tage die Woche überwachen. Und in Deutschland oder den USA kann man sich solche Apps schon wie eine Medizin „verschreiben“ lassen.

Neben der digitalen Transformation ist die Automatisierung wesentlich auf dem Weg zur Medizin der Zukun . „Mammogra e-Screenings etwa werden in nordeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Dänemark und Finnland bereits von Systemen künstlicher Intelligenz durchgeführt“, berichtet Silverio. Begutachtet würden die Ergebnisse aber nach wie vor von Ärzten. Zwei Ärzte würden sie sogar unabhängig voneinander auswerten, bei Uneinigkeit werde ein dritter Arzt konsultiert. Aufgrund des Mitarbeiter- und Spezialisierungsmangels aber wird in zehn Jahren laut Silverio wohl einer der drei Ärzte durch eine Maschine ersetzt werden.

DAS FEHLEN VON FACHKRÄFTEN ist demnach einer der Treiber der Digitalisierung und Automatisierung im Gesundheitsbereich. Das heißt aber nicht, dass die Digitalisierung Fachkrä en den Job wegnimmt. Mittelfristig dür e die Anzahl der Beschä igten im Sektor sogar anwachsen, zurückzuführen ist dies unter anderem auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung.

Eine Studie des international tätigen Beratungsunternehmens Deloitte besagt, dass in Deutschland bis 2035 zwar insgesamt 1,8 Millionen Arbeitsplätze durch den Einsatz von Technologie wegfallen. Zugleich würden aber 2,1 Millionen Arbeitsplätze in Berufen gescha en, die nur schwer durch Technologien zu ersetzen sind – gemeint sind die sogenannten Jobs der Zukun . Der größte Teil davon entfällt auf nur drei Berufsgruppen: auf den Bildungssektor, auf das Management und auf den Gesundheitsbereich. Berechnet auf die Bevölkerungszahl von Italien könnten in den genannten Berei- chen rund 1,6 Millionen neue Stellen gescha en werden. Allein in Südtirol wären es etwa 13.000.

Zurück zur Automation: Eine weitere Möglichkeit sind medizinische Eingriffe mit Robotern. Bereits zur Anwendung kommen sie in der minimalinvasiven Chirurgie – um bei bestimmten Eingriffen das beste Ergebnis zu erzielen oder sogar aus der Ferne zu operieren. „Der Patient be ndet sich in einem OP in Italien, und wird von einem Roboter operiert der von den USA von einem Chirurgen gesteuert wird“, erklärt Silverio. „Das gibt es bereits, wenn auch nicht täglich. Was in zehn Jahren sein wird, weiß man nicht; möglicherweise muss dann nicht mal mehr ein Chirurg den Roboter steuern.“

EIN VORTEIL LAUT SILVERIO sei, dass chirurgische Zentren so aus der Ferne betrieben werden könnten. Patienten könnten mithilfe von Robotern auch abseits von wichtigen chirurgischen Zentren von ausgewiesenen Fachleuten operiert werden. „Doch auch dafür braucht es Geld“, sagt Silverio. Und so gilt die E zienz als eine der großen Herausforderungen der Medizin der Zukun . „Noch sehen wir nicht, dass die Digitalisierung, Automation oder die Nutzung von künstlicher Intelligenz zu Einsparungen im Sanitätsbetrieb führen. Sehr wohl aber werden die Qualität und das Level der Betreuung erhöht“, sagt Silverio.

AUCH IN DER PFLEGE gewinnt die Digitalisierung an Bedeutung. Etwa bei der Verabreichung von Medikamenten. „Das bedeutet mehr Sicherheit – für den Patienten und für die P egekrä e“, sagt Silverio. Doch können Roboter diese Medikamente auch eigenständig zum Patienten bringen? „Die Frage ist, ob der Patient in der Lage ist, diese dann auch einzunehmen“, antwortet Silverio. Man müsse immer abwägen, welche Möglichkeit für die jeweilige Situation die vorteilha este sei. „Was in der Notaufnahme möglich ist, muss nicht auch in der Geriatrie funktionieren und umgekehrt“, sagt Silverio. Großes KI-Potenzial sieht er im Bereich der Prävention und Vorbeugung. „Wenn der Patient möchte, könnte er mit den von seiner Smartwatch aufgezeichneten Daten an einem Programm des Sanitätsbetriebes für Präventivmedizin teilnehmen“, führt der Mediziner aus. Patienten könnten damit automatisiert darauf hingewiesen werden, dass sie sich beispielsweise in den vergangenen drei Monaten zu wenig bewegt oder x Kilogramm zugenommen haben. Solche Programme gebe es bereits, für die Nutzung im Südtiroler Sanitätsbetrieb fehle allerdings noch die normative und organisatorische Umsetzung. „Man möchte meinen: Je mehr Maschinen in einem System, umso besser“, betont Silverio. „Doch die Technologie allein löst weder Probleme noch führt sie zu Verbesserungen. Es braucht im Hintergrund immer Personen, die die Richtung vorgeben.“