6 minute read

Wein im Hof

Advertisement

Seit 25 Jahren ist Evelyn Merc mit der Weinbar Klapotetz verbunden, seit acht Jahren ist sie selbst die Wirtin. In einem versteckten

Renaissanceinnenhof mitten in der Grazer Altstadt kredenzt die ausgewiesene Weinexpertin neben Jausenschmankerln 130 erstklassige Weine, die vorwiegend aus der Südsteiermark stammen.

Die Grazer Altstadt birgt viele Geheimnisse. Vor allem offene Geheimnisse. Offene Geheimnisse sind jene, die man zwar kennt, aber immer wieder vergisst. Damit ist jetzt nicht die Wasabipaste gemeint, die man seit ungefähr 52 Wochen vergisst zu kaufen, vielmehr geht es um eine der richtigen Antworten auf die Frage »Wohin gehen wir heute aus?«. Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine der schönsten Sorgen der Welt handelt, ist es ratsam, sich im Vorhinein über seine subjektiven Voraussetzungen, ja Bedingungen, im Klaren zu sein. Man möchte zum Beispiel tags darauf kein Kopfweh haben. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Flüssigkeiten, die man zu sich zu nehmen gedenkt, nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Qualität. Der aufmerksame Leser merkt hier vielleicht schon, wohin die Reise geht. Da man sich nicht überall auskennen kann – etwa in der Ornithologie und in der Oenologie und im Oeffi-Fahrplan – ist es zumeist nicht nur eine Frage der Information, sondern auch des Vertrauens: Die Wirtin, der Wirt Ihres Vertrauens von heute ist nicht dazu da, um gegenüber Ehepartnern (»war gar nicht da«) oder Gesetzeshütern (»war zur Tatzeit da«) ein Alibi abzugeben, sondern um für erstklassige Produktqualität bei Speis und Trank zu sorgen – neben Freundlichkeit, flotter Bedienung, korrektem Wechselgeld und offenen Ohren für Ihre Sorgen und Probleme. Wer das alles nicht braucht, tut sich natürlich leicht und fühlt sich sogar bei einem Wiener Kaffeehauskellner willkommen.

Versteckt im Generalihof

Im Zweifelsfall ist eine Buschenschank immer richtig. Das wissen alle Südsteirer, fast alle Weststeirer und auch die meisten Oststeirer. In der Obersteier vulgo Hochsteiermark fehlt das Angebot. In Graz muss man in die Außenbezirke oder – in die Innenstadt. Da ist es wieder, das offene Geheimnis. Es handelt sich zwar nicht wirklich um eine Buschenschank, aber um etwas Ähnliches mit dem Vorteil, dass es auch Kaffee gibt. Und natürlich wird man dieses Lokal nicht mehr vergessen, aber es besteht die Gefahr, dass es einem nicht einfällt. Und das hat mehrere Gründe. Der erste: Es liegt so versteckt, dass Ortsunkundige es nur mit Hilfe von Google-Maps finden. Das bezieht sich zumindest auf immer wieder auftauchende Touristen, die es auf Tripadvisor auch ganz hervorragend bewerten. Auch wenn man von diesem amerikanischen Konzern nicht viel halten mag, aber die Schwarmintelligenz von Massenmeinungen ist immer wieder erstaunlich. Kenner wissen es natürlich längst: Es geht um die Weinbar »Klapotetz« und das Versteck heißt »Generalihof«. Beides, sowohl der Name als auch die Lage sind grenzgenial. Das Wort Klapotetz versteht man, ohne slowenisch zu können und assoziiert damit Weingärten und Wein. Der Hof selbst liegt genau im Eck Herrengasse/Stempfergasse und ist völlig uneinsehbar, hat aber von beiden Gassen einen Zugang. Diese Zugänge werden am Abend mit Eisengittertoren verschlossen, sodass späte Gäste nur mittels eines schwer auffindbaren elektrischen Türöffners im Gang zur Herrengasse wieder hinauskommen. Ein großer Teil des Hofs wird vom Klapotetz als Gastgarten genutzt und kommt der Vorstellung einer Idylle wirklich sehr nahe. Verkehr und Hektik haben keinen Zutritt, ein kinderfreundlicher Platz. Der Hof kann aber mehr als das. Wie die Klapotetz-Wirtin Evelyn Merc zu erzählen weiß, wurde diese Renaissancejuwel mit unzähligen Arkaden von niemand Geringerem als Domenico dell‘Aglio geplant, dem Baumeister des Landhauses in der Herrengasse gegenüber. Außerdem soll das Lokal selbst als Pferdestall gedient haben, als sich das Kriegsministerium in Graz befand. Daher soll es auch einen Gang geben, der direkt ins Landhaus führt. Wie so oft ist es der Hauch der Geschichte, der einen Ort zu etwas Besonderem macht. Das Besondere im heutigen Generalihof sind wohl auch die im Sommer wöchentlich stattfindenden Jazzkonzerte.

Wohnzimmercharakter

Ein anderer Grund, weshalb einem das Klapotetz vielleicht nicht sofort in den Sinn kommt, wenn man ausgehen möchte: Sehen und Gesehenwerden spielt es hier nicht. Das Lokal verweigert sich der marktschreierischen Welt des Spektakulären und Aufdringlichen. An der Wand hängt keine Gitarre von John Lennon, nicht einmal ein Sturzhelm von Niki Lauda, dessen Lieblingskellnerin Evelyn

Merc übrigens war, als sie noch im Haas-Haus bei Do&Co gearbeitet hat – aber das ist eine andere Geschichte. Was auch wegfällt: das Leuteschauen vulgo Leut‘ ausrichten, ein durchaus ernst zu nehmendes Grundbedürfnis, denn was interessiert den Menschen am meisten? – Andere Menschen. Wer sich diesbezüglich allerdings im Griff hat, findet in den angeführten Gründen, weshalb einem diese Lokalität nicht sofort einfällt, umgekehrterweise äußerst sympathische Gründe, gerade deshalb hierher zu kommen. »Es gehört zu unserem Konzept, dass das Lokal Wohnzimmercharakter hat«, erläutert die Chefin. Davon zeugt auch der hohe Anteil an Stammgästen, den Merc auf sechzig bis siebzig Prozent taxiert. Zum Konzept gehört aber vor allem auch das Anbot steirischer Produkte: »Unsere Lieferanten kommen aus der Steiermark, ausser beim Kaffee natürlich, der kommt aus Italien. Und der überwiegende Teil der Rotweine kommt aus dem Burgenland.« Die Steiermark ist bekanntlich ein Land des Weißweins. War es bis etwa 2010 noch der Welschriesling, so gilt heute der Sauvignon Blanc als der typische steirische Wein schlechthin. Insgesamt hat die Weinbar Klapotetz 130 Weine im Angebot. 20 Weine werden offen ausgeschenkt, das beginnt mit dem Achterl Welschriesling zu moderaten 3,60 Euro und geht – je nach Wein – hinauf bis 5,90 Euro. Bei den Siebenzehntelflaschen schlägt der Welschriesling mit 21 Euro zu Buche, der Sauvignon Blanc liegt zwischen 28 und 35 Euro, die großen Rieden (Lagenweine) zwischen 49 und 59. Der teuerste Wein kommt auf 84 Euro. Die Weinkarte für die offenen Weine wechselt vierzehntägig, es gibt einen Wein des Monats, der einmal im Monat mit Gästen verkostet wird, die große Weinkarte wechselt vierteljährlich.

Neben den typisch steirischen Fruchtsäften Traube, Apfel, Pfirsich und Holler gibt es noch Schaumweine, Bier und Hochprozentiges. Eine alkoholfreie Besonderheit ist der Verjus-Spritzer aus unreifen Trauben mit Hollersaft. Auch bei der »Jause« bleibt Merc dem Grundsatz treu, möglichst alles aus steirischer Provenienz zu liefern – das gelingt ihr hiebei zu hundert Prozent. Rohschinken, Geselchtes, Hauswürstel, Lendbratl, Pfeffersalami, Verhackert und ein spezielles Kürbiskerngrammelschmalz wird von der Grazer Fleischerei Leitner geliefert, Käse von der Kasalm und der Hofkäserei Deutschmann, das Kernöl von der Ölmühle Hartlieb und die Aufstriche werden selbstgemacht. Eine seltene Spezialität »in der Stadt« sind Spagatkrapfen mit Schlagobers und Preiselbeeren.

Rückkehr und Übernahme

»Ich wollte immer schon eine Weinbar haben«, sagt Evelyn Merc. Im Jahr 2015 hat sie sich diesen Traum mit 40 erfüllt. Und heute, acht Jahre später, ist die Südsteirerin aus Heimschuh noch immer glücklich damit. Ein Glücksfall auch die ganze Entstehungsgeschichte und ihre ständige Verwobenheit mit eben diesem Lokal seit 1998, sohin seit 25 Jahren. Nach ihrer Ausbildung zur Hotelkauffrau in der Hotelfachschule Bad Gleichenberg startete Evelyn Merc mit 18 Jahren in ihre erste (Winter-)Saison in einem Fünfsternhotel in St. Christoph am Arlberg. »Die Idee war zunächst in der Gastronomie viel Geld zu verdienen, um mir dann doch das Studium der Archäologie leisten zu können, weil ich damals von den Indiana-Jones-Filmen fasziniert war«, lacht die Wirtin heute über ihre Jugendträume. Die zweite Station war in Salzburg im noblen Hotelschloß Mönchstein, dem »schönsten Stadthotel der Welt«, wie es genannt wurde. Wo ein Staatsbankett mit Königin Sylvia von Schweden stattfand und Gäste wie Vranitzky und Schüssel, Eliette von Karajan, Alberto Tomba oder Gerard Mortier abstiegen. Merc: »Dort gab es eine eigene Hochzeitskapelle, in der 75 Hochzeiten im Mai, der nur 31 Tage hat, abgehalten wurden.« Als untere Servicekraft, Commis und Commis de range, unterstand sie einem Oberkellner, der »nichts roch«, sprich, der Wein nicht am Geruch erkennen und unterscheiden konnte, was bei einer Weinkarte mit mehr als 300 Weinen ziemlich wichtig ist, wenn man beim Servieren nicht ins Schleudern kommen will. Dabei entdeckte sie, dass sie wohl über eine entsprechende Sensorik verfügt und führt das auf ihre Herkunft aus der Weingegend zurück. Als sie bedungen wurde, ihre Weinkenntnisse zu beweisen, lernte sie innerhalb von zwei Wochen das Weinlexikon auswendig und entwickelte sich zu einer echten Expertin. Nicht jeder kann einen Zweigelt von einem Blaufränkischen unterscheiden. Ersterer soll von Sauerkirsch- und Weichseltönen geprägt sein, zweiterer von Waldbeeren und würzigen Noten, ein Cabernet Sauvignon von schwarzen Johannisbeeren. Schließlich machte sie eine Ausbildung zur Sommelière. Weitere Stationen waren das Restaurant Purzelbaum in Salzburg-Nonntal und Do&Co im Haas-Haus in Wien. 1998 schließlich kam sie nach Graz, um ihrer Mutter bei der Erkrankung des Vaters beizustehen und landete im Klapotetz von Bernd Leitmeier. Und blieb der Liebe wegen, denn im »Klapo« lernte sie ihren Robert kennen, den sie 2007 schließlich ehelichte und 2012 zum Vater machte.

Bis 2001 blieb sie im »Klapo«, nach Zwischenstationen in Rezeption und Verwaltung holte sie Leitmeier 2003 wieder zurück, bis er 2008 das Lokal verkaufte. So kam Evelyn Merc bis 2012 zum Weingut Polz in die Vinofaktur in Graz, nach Vogau und auf den Pössnitzberg. 2015 kehrte sie wieder zurück: Zusammen mit Hannes Dreisiebner vom gleichnamigen Weingut im Sulztal bei Gamlitz kaufte sie das Klapotetz als Mehrheitseigentümerin. Mit sechs Mitarbeitern verkauft Evelyn Merc heute genau die Weine, von denen sie überzeugt ist, erklärt jedem Interessierten geduldig die Unterschiede zwischen Gebiets-, Orts- und Riedenweinen nach der Herkunftpyramide DAC Steiermark und dass in der Steiermark die Handlese verpflichtend ist. Oder dass die Flaschen um 30 Prozent teurer geworden sind – nicht der Inhalt, sondern das Glas. Oder warum der Chardonnay in der Steiermark Morillon heißt. So erfüllt sie selbst das Motto ihrer Website am besten: Das Beste der Südsteiermark im Herzen von Graz. n

Regeln sind nur für Leute erfunden worden, die nicht selber denken wollen.

Dame Barbara Mary Quant, 1930–2023, britische Modedesignerin und Erfinderin des Minirocks

Rezension

This article is from: