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Interview

»Da wächst in der Corona-Zeit etwas«

Die Pandemie führt Eltern und Kinder an ihre Grenzen – das spürt Annette Buschmann in der Familienberatung der Stadtmission Chemnitz. Doch neben Stress, Sorgen und wachsender Ungleichheit bringt der Lockdown für Familien auch eine Chance.

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Frau Buschmann, mehrere Monate Lockdown haben wir jetzt schon durchlebt – was belastet Familien, die zu Ihnen

kommen, am stärksten? Viele Eltern sagen: Ich zerreiße mich völlig zwischen meiner Arbeit, meinen Kindern und Schule zu Hause. Familien kochen im Lockdown sehr im eigenen Saft bis hin zum Lagerkoller. Denn weil Kontakte zu Freunden, Sport oder Kirchgemeinde wegfallen, können Kinder wichtige Gruppenerfahrungen nicht machen und Eltern werden oft ihre alleinigen Bezugspersonen. Es gibt so viel Gesprächsbedarf gerade, dass unsere Beratungsstelle an der Belastungsgrenze arbeitet.

Welche Familien trifft es besonders hart? Familien, die ohnehin schon sehr belastet sind, kommen im Lockdown an ihre Grenzen. Alleinerziehende, getrennt lebende Elternteile mit Wechselmodell, Kinderreiche und Familien mit wenig Geld haben es viel schwerer. Auch für alle, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, ist es jetzt viel schwieriger, als Eltern präsent zu sein.

Was hilft Familien, mit diesen Belastungen im Lockdown

umzugehen? Geschwister spielen wieder mehr miteinander, der Zusammenhalt in den Familien wächst wieder in dieser Zeit – vorher hatten wir das Gefühl, er zerfasert. Die Entschleunigung kann auch eine Chance für Familien sein, gemeinsam Zeit zu gestalten. Und bei Problemen ist auch im Lockdown Erziehungsberatung weiter möglich – ob online, am Telefon oder persönlich.

Führt der Lockdown zu einem Rückfall in alte Mütter- und

Väter-Rollen? Wenn Familien schon vorher offen waren für neue Rollenmuster, verändert sich das im Lockdown nach unserer Erfahrung nicht – und wenn die Rollenverteilung vorher schon traditionell war, bleibt sie es auch jetzt. Aber in der Pandemie spielen auch noch andere Faktoren hinein: Welcher Partner hat einen systemrelevanten Beruf, wer von beiden muss um sein Geschäft kämpfen, wer verdient mehr Geld? Ich erlebe, dass sich Eltern das oft gut teilen – aber es ist für eine Supermarktkassiererin schwerer als für Menschen in einer gehobenen Position.

Werden Kinder in der Corona-Zeit langfristig Schaden

nehmen? Ich fürchte, die soziale Ungleichheit wird sich noch einmal mehr verstärken. In ein bis zwei Jahren werden wir die Auswirkungen sehen bei Kindern, die beim Lernen zuhause nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Wenn Eltern die Kraft fehlt, ihre Sorgen um erkrankte Angehörige, um die Arbeit oder Paarkonflikte zu bewältigen, dann sind oft auch die Kinder mit diesen Sorgen belastet. Und sie bleiben dann mit ihren eigenen Gefühlen allein.

Sind Kinder vielleicht aber auch widerstandsfähiger als wir

annehmen? Wichtig ist dafür, dass Eltern ihren Kindern die Corona-Maßnahmen und ihre Gründe altersentsprechend erklären. Dass sie ihnen Sicherheit vermitteln und ihnen beim seelischen Verdauen helfen. Kinder leben im Hier und Jetzt und mit viel Kreativität. Sie sind sehr viel optimistischer als wir Erwachsenen. Das Materielle ist ihnen nicht so wichtig – sie fragen sich eher: Wie kann ich jetzt mit Fantasie diesen Tag gut leben?

Können Kinder und Eltern auch etwas Wertvolles aus der

Corona-Zeit mitnehmen? Ich beobachte in meiner Siedlung zu Hause, wie Kinder plötzlich wieder miteinander spielen, dass die Höfe wieder voll sind mit Lebendigkeit und Kinderlärm. Da wächst in der Corona-Zeit gerade wieder etwas. Auch die Erfahrung, mit wenig Konsum und viel Fantasie gemeinsam eine gute, intensive Zeit zu erleben und dass sich dabei die Bindung in einer Familie wieder festigen kann. Jeden Tag als unwiederbringlichen Tag unseres Lebens als Familie zu gestalten – das können wir von den Kindern in dieser Zeit lernen. Ich hoffe, dass davon etwas bleiben wird. •

•Die Fragen stellte Andreas Roth

Annette Buschmann

Zur Person Die 60-jährige Diplom-Sozialarbeiterin leitet die Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Stadtmission Chemnitz. Alle Beratungsangebote der Diakonie in den sächsischen Regionen finden Sie im Internet unter www.diakonie-sachsen.de

Als Familie Hoffnung schenken!

Liebe Familien, auch wenn Lockdown und Homeschooling an den Nerven zerren, so hat man als Familie doch immer »Leben in der Bude«. Es wird vielleicht mal laut, aber es wird bestimmt nie langweilig! Was für ein Glück! Denn wie anders sieht es in vielen Wohnungen, Krankenhäusern und Pflege- einrichtungen aus! Dort haben die Kontaktbeschränkungen zu Einsamkeit und Stille geführt. Ohne Besuche und externe Angebote wie Sportgruppen, Chöre und vieles mehr, ist jeder Tag gleich grau und eintönig. Machen Sie ihn ein bisschen bunter! Werden Sie zum Hoffnungsboten! Wir vom FamilienSONNTAG rufen unsere Leser auf, Briefe und Bilder für einsame Menschen zu schreiben und zu malen. Wir verteilen sie dann an Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und Privatpersonen. Gedichte, Geschichten aus dem Familienalltag und kleine Basteleien sind ebenfalls will- kommen. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf!

Schicken Sie Ihre »Hoffnungspost« per Brief oder Email an: Evangelisches Medienhaus GmbH FamilienSONNTAG – »Aktion Hoffnungspost«, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig hoffnungspost@sonntag-sachsen.de