Thema: Bildung 1/20

THEMA :

#12020

: WEITERBILDUNG

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E N T G E LT L I C H E V E R L A G S B E I L A G E Z U FA LT E R 1 0 / 2 0

Karriere in Zeiten des Klimawandels Neue Trends am Arbeitsmarkt

FOTO:ISTOCK/PAUL CALBAR

und in der Wirtschaft

Employer Branding Immer mehr Firmen müssen sich um Mitarbeitende bemühen Seite 4

Klimawandel lernen?

Das Thema Nummer eins an unseren Bildungsinstitutionen wie BOKU und Uni Seite 14

Erwachsenenbildung Die aktuellen Entwicklungen und Trends in diesem Bildungssektor Seite 18

Fernstudien Vor- und Nachteile von Fernlehrgängen und internationale Beispiele dazu Seite 26

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IN H A LT : B IL D U N G : TH EMA 1/20 FALTER 10/20 3

A U S D E M I N H A LT

Unternehmenskultur als Marke Seite 4

„Employer Branding“ bedeutet, nach außen zu kommunizieren, was in einer Firma passiert, um auf potenzielle MitarbeiterInnen attraktiv zu wirken

Du bist auf Facebook und ich will dich!

Seite 12 Vom ersten Tag an angekommen Seite 8

Unternehmen setzen im Personalmarketing verstärkt auf soziale Medien. Das bringt Veränderungen im Rekrutierungsprozess

Onboarding kam um die Jahrtausendwende aus dem angloamerikanischen Raum zu uns und beschreibt die systematische Integration von neuen Mitarbeitenden in eine Organisation

Neue Berufsprofile und Anforderungen Seite 18

Kinder, es gibt Menschenrechte!

Seite 28

Barbara Kluger-Schieder, Institutsleiterin am WIFI Wien, erklärt, welche Trends die Erwachsenenbildung heute prägen

Damit sie davon etwas ­erfahren, bieten Institutionen wie ­Amnesty International oder das ETC in Graz Workshops und Kurse, ja ganze Human-Rights-Schulen an

Burn-out: Wenn ich mich selbst verheize, helfe ich niemandem Seite 22

Nachdem ihre Gedanken monatelang nur noch um ihr Arbeitspensum gekreist waren, brach die 46-jährige Andrea Burger (Name von der Redaktion geändert) zusammen

FOTOS: REGINA HÜGLI WWW.REGINAHUEGLI.COM (SIEHE S. 12)

IMPRESSUM Medieninhaber: Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H., 1010 Wien, Marc-Aurel-Straße 9, T: 0043 1 536 60-0, F: DW 935, E: wienzeit@falter.at, www.falter.at; Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.; Redaktion: Fuchs & Partner; Gestaltung und Produktion: Reini Hackl, Andreas Rosenthal; Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau, DVR: 047 69 86.

Diese Beilage ist ein Service der Sales-Abteilung der Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nachw § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.

4 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : E M P LOY E R B R A N D IN G

Unternehmens­ kultur als Marke „Employer Branding“ bedeutet kommunizieren, was in einer Firma passiert, um auf potenzielle MitarbeiterInnen attraktiv zu wirken TEXT: BARBARA FREITAG

E

mployer Branding“ (EB) ist ein noch relativ junges Thema. Die Bedeutung von EB soll erstmals vom Fast-Food-Konzern McDonald’s erkannt worden sein, nämlich als unattraktive und schlecht bezahlte Tätigkeiten als „Mc-Jobs“ bezeichnet wurden. Um einen negativen Imagetransfer auf das Unternehmen und die Produkte von McDonald’s zu vermeiden, verlegte sich der Burgerproduzent darauf, seine Attraktivität als Arbeitgeber und die Karrieremöglichkeiten in den Restaurants zu bewerben.

Damit wurde der Konzern zu einer positiv besetzten Arbeitgebermarke.

Wie sich Employer Branding entwickelt, erklären die EB-Experten Dieter Scharitzer und Klaus P. Mörtl.

Employer Branding als Arbeitgeberausweis eines Unternehmens Dieter Scharitzer, Assistenzprofessor am Institut für Marketingmanagement der Wirtschaftsuniversität Wien und Academic Director der WU Executive Academy, leitet mit anderen den Zertifikatskurs „Employer Brand ­ManagerIn“ an der WU Wien und der TU München und ist geschäftsführender Partner der TQS Research & Consulting (www.tqs.at).

Herr Scharitzer, wie erklären Sie Nicht-Marketingmenschen, was EB ist und wozu es dienen soll?

Dieter Scharitzer: Wenn Sie spontan an eine große Marke denken,

FOTO: REGINA HÜGLI

E M P LOY E R B R A N D IN G : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 5

­ önnten Sie sich drei Fragen stellen: k Hat das Unternehmen generell ein gutes Image? Kennen Sie das Angebot und würden Sie dort gern Kunde sein? Drittens, und das ist EB: Steht die Marke auch für einen attraktiven Arbeitgeber, bei dem die MitarbeiterInnen stolz sind und bei dem man sich eine Bewerbung vorstellen könnte? Die MitarbeiterInnen sollen sich mit dem Unternehmen als Arbeitgeber identifizieren, auch sollen Jobsuchende angelockt werden. Ein Unternehmen muss deutlich machen, wofür es als Arbeitgeber steht und was den Unterschied zu anderen Mitbewerbern ausmacht. Wenn einem bei einem Unternehmen nur die Marke einfällt, man aber kein Bild von ihm

als Arbeitgeber im Kopf hat, hat es trotz erfolgreicher Marketingaktivitäten auf EB, nämlich die Profilierung als Arbeitgeber, vergessen.

Was ist EB nicht?

Scharitzer: Eine rein aktionistische Intensivierung des Personalmarketings oder Recruitings bzw. ein kurzfristiger Arbeitgeber- oder Mitarbeiterschwerpunkt in einer Werbekampagne nach dem Motto: „Lasst uns doch im zweiten Quartal ein Werbe­ sujet mit einem Arbeitgeberthema machen, damit wir nicht nur Produkt- und Imagewerbung betreiben.“ EB ist kein Guerilla-Marketing für den ­Human-Resources-(HR-)Bereich oder ein zeitgeistiges Orchideen­thema

Employer Branding: Steht die Marke für einen attrak­ tiven Arbeitgeber, bei dem die MitarbeiterInnen stolz sind und bei dem man sich eine Bewerbung vorstellen könnte?

der Recruiter, sondern ein strategisches Markenprojekt, das auch entsprechendes Verständnis auf der Ebene des Vorstands oder der Geschäftsführung im Unternehmen braucht. EB muss nachhaltig gepflegt und anhand geeigneter Erfolgsgrößen auch messbar sein.

Wie wird sich der Arbeitsmarkt tendenziell entwickeln?

Scharitzer: Seit fünf Jahren bilden wir an der WU im Zertifikatslehrgang „Employer Brand Manager/in“ jährlich 35 bis 40 Teilnehmende aus dem deutschsprachigen Raum zum Thema aus. Aus den Motiven der

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6 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : E M P LOY E R B R A N D IN G

Teilnehmenden und auch aus unseren eigenen Beratungsprojekten lassen sich ein paar typische Muster erkennen, warum und für welche Unternehmen EB an Relevanz gewinnt: So spricht man etwa vom „War of Talents“: Er bedeutet, dass Unternehmen weder quantitativ noch qualitativ ausreichend BewerberInnen finden und das Recruiting immer aufwendiger wird. Man versucht, die besten Köpfe zu halten und zu begeistern. So werden Mitarbeitende zu Markenbotschaftern und sprechen in ihren sozialen Netzwerken positiv über den Arbeitgeber. Ein weiteres Thema ist die Post-Merger-Integration: Nach Fusionen oder Teilungen von Unternehmen gilt es im Zuge der strategischen Markenführung nicht nur festzulegen, wie das Unternehmen in Zukunft am Absatz- und Meinungsmarkt als Marke auftritt. Auch das Arbeitgeberprofil muss geklärt werden. EB kann auch ein Change-Projekt und eine Trägerrakete für Themen der „Unternehmenskultur“ sein. Typische Branchen, die sich in Österreich sichtbar um Mitarbeitende bemühen, sind der Handel, Gesundheits- und Pflegedienstleister wie Spitäler, der IT-Sektor und alle, die Verkaufspersonal und Lehrlinge suchen. Sogar der öffentliche Dienst versucht verstärkt seine Arbeitgeberattraktivität zu kommunizieren. Ganz besonders schwierig ist es für sogenannte Hidden Champions: Hocherfolgreich, sind sie zumeist im B2BSektor tätig und daher gemeinhin als Marke unbekannt. Hier ist es besonders schwierig, als attraktiver Arbeitgeber in die Köpfe der Arbeitsuchenden vorzudringen.

Wer ist geeignet, EB durchzuführen?

Welche Soft Skills benötigt man dafür?

Scharitzer: EB-ManagerInnen müssen sehr erfahrene und integrative Persönlichkeiten sein, die sich in den komplexen Materien sowohl der Markenführung und Kommunikation als auch der strategischen HR und des Recrui­ tings auskennen. Sie sollten interdisziplinär arbeiten, weil sie mit HR-ExpertInnen und Marketingfachleuten zusammenarbeiten müssen. Projektmanagement-Skills und Einfühlungsvermögen ersetzen jedoch keine fachlichen Kenntnisse der Aufgaben und Projektphasen des Employer Brandings. Dort führt der Weg sehr strukturiert von der Analyse in die Strategie und anschließend zur Kreation und kommunikativen Umsetzung. Erfolgreiche EB-Projekte arbeiten von innen nach außen und nicht umgekehrt. Da ist es meist schon ein Fehler, mit einer kreativen Idee oder einem Kampagnenbriefing zu starten, bevor die „Hausaufgaben“ gemacht sind, nämlich die Profilierung und Differenzierung im Markenkern.

Wie geht man heute als Unternehmen mit den veränderten

­ rwartungshaltungen und Ansprüchen E potenzieller MitarbeiterInnen um?

Scharitzer: Hinsichtlich des Anspruchs der BewerberInnen kann man fast schon sagen: Nicht die KandidatInnen bewerben sich beim Unternehmen, sondern das EB unterstützt die Bewerbung des Unternehmens bei den zukünftigen Mitarbeitenden. Es wäre aber falsch, daraus abzuleiten, dass EB einfach vorgibt, allen gefallen zu müssen. Hier haben Lügen in der Kommunikation sehr schnell „kurze Beine“, und die Arbeitgeberkampagne ist als Schein entlarvt.

„Hidden Champions, hocherfolgreich und zumeist im B2B -Sektor tätig, sind unbekannt.

Sie brauchen Employer Branding, um von Arbeitsuchenden wahrgenommen zu werden“ DIETER SCHARITZER

Wie findet man als Unternehmen, das EB durchführen möchte, die richtige Beratung?

Scharitzer: Marktrecherchen und Empfehlungen sind die häufigsten Anlassfälle, wenn Unternehmen zur Beratung auf uns zukommen. Es ist auch nicht notwendig, dass ein Berater alles kann und macht. Wir bei TQS Research & Consulting fokussieren in unserer EB-Beratung auf die Analyse und Entwicklung der Markenstrategie und erarbeiten dann mit dem Auftraggeber ein Kreativbriefing für die Umsetzung mit einer Agentur. Das kann eine neue Agentur sein, die auf Personalmarketing spezialisiert ist, oder die Hausagentur, die auch die CorporateKampagne betreut. In anderen Fällen erarbeitet eine Agentur die EB-Markenstrategie und macht auch gleich die Umsetzung, wenn es einschlägige Erfahrungen gibt.

Wer kann auf EB verzichten?

Scharitzer: Niemand, der das Problem hat, Mitarbeitende zu finden und zu binden. Für manche ist dies offenbar noch nicht so dringend. In großen Unternehmen bedarf es für EB entsprechender Strukturen und Budgets. Aber auch ein KMU muss sich bemühen, die besten Köpfe zu halten oder zu gewinnen. Hier ist es ein Teil der Führungsaufgabe des Eigentümers, sich auch um EB zu kümmern.

Dieter ­Scharitzer, WU Wien

Klaus P. Mörtl, Berater im Bereich Human Resources

Ehrliches Employer Branding erspart unnötige Fluktuation bei den Mitarbeitenden Klaus P. Mörtl war Personalleiter im Bereich Banken, IT, Telekommunikation und unterrichtet HR-Themen u. a. an der FH Wien, WU Wien, Universität Innsbruck. Er arbeitet als Berater und externer Projektleiter im Bereich Human Resources (www.meinOptimierer.com).

Herr Mörtl, ist EB mehr als ein Trend?

Klaus P. Mörtl: Ja, eindeutig! Vor zehn Jahren war ein Unternehmen noch innovativ und Frontrunner, wenn das Thema holistisch angegangen wurde. Heute beschäftigen sich nicht nur größere Betriebe mit ihrer Arbeitgebermarke. Als potenzieller Arbeitgeber bemüht man sich intern um Identifikation und Bindung, nach außen um glaubwürdige Attraktivität. ­Heute,

wo in Mitteleuropa, demografisch bedingt, weniger geeignete Bewerbende zur Verfügung stehen, ist es für alle Betriebe wichtig, am Arbeitsmarkt zu zeigen, was man bietet.

Welchen Unternehmen würden Sie EB empfehlen?

Mörtl: Grundsätzlich jedem. Am wenigsten Sorgen haben sicher Betriebe mit einer durch ihre Produkte oder Dienstleistungen starken Marke, die viele Parallelen zu ihren Werten als Arbeitgeber hat. Besonders aktiv müssen Unternehmen sein, von denen private Konsumenten nichts wissen, sogenannte Hidden Champions. Ihre Marke ist nur Insidern bekannt. Für sie ist EB der Schlüssel, um gute Mitarbeitende zu finden – und ganz besonders, wenn das Unternehmen nicht in einer attraktiven Region angesiedelt ist. Aber auch kleine Unternehmen sind gut beraten, klar herauszuarbeiten, wofür sie als Arbeitgeber stehen. Es macht keinen Sinn, hier zu beschönigen oder zu verschleiern. Ehrliches EB erspart unnötige Fluktuation aufgrund falscher Erwartungen.

Was hat sich im Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den letzten zwanzig Jahren verändert?

Mörtl: Durch die geringere Anzahl an jungen Arbeitnehmenden und durch die Digitalisierung gibt es in Mitteleuropa einen Mangel an Nachwuchs. Parallel dazu haben sich die Ansprüche verändert. So kommen für viele Menschen Qualität und die Work-Life-Balance vor Quantität, Geld allein bewegt immer weniger Menschen dazu, sich für den Job „aufzuopfern“. Sinn, Befriedigung, Wertschätzung und eine Balance zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen sind heute wesentliche Kriterien für die Wahl eines Arbeitsplatzes. Wenn der sogenannte psychologische Arbeitsvertrag in diesen Punkten nicht mehr passt, kündigen Arbeitnehmende sogar, ohne bereits einen anderen Job gefunden zu haben. Alternativ kann man natürlich versuchen, in Erdteile outzusourcen, wo dies nicht so ist. Dies würde aber unsere wirtschaftliche Überlebensfähigkeit in Europa ziemlich rasch ruinieren.

Wie kann man unterschiedliche Erwartungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgleichen?

Mörtl: Nicht alle Arbeitnehmenden haben dieselben Prioritäten. Man muss also die passenden Personen suchen – auch dabei hilft ein ehrliches EB. Erwartungshaltungen muss man wechselseitig klären, griffig und ehrlich.

Kompromissbereitschaft wird leichter erzielt, wenn erklärt wird, warum die Gegebenheiten in einem Unternehmen so sind, wie sie sind. Manchmal wird man ungünstige Rahmenbedingungen neben einer guten Argumentation auch durch Benefits und attraktives Gehalt kompensieren müssen.

FOTOS: REGINA HÜGLI, RENNEZ, P & C

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8 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : O N BOA R D IN G

Vom ersten Tag an angekommen Onboarding kam um die Jahrtausendwende aus dem angloamerikanischen Raum zu uns und beschreibt die systematische Integration von neuen Mitarbeitenden in eine Organisation TEXT: BRUNO JASCHKE

FOTOS: REGINA HÜGLI, KLAUS VYHNALEK

Kein Onboarding heißt: Keine offizielle Begrüßung, kein eingerichteter Arbeitsplatz, unklare Arbeitsabläufe und kein Gespräch mit einer Führungskraft

O N BOA R D IN G : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 9

klagt die WKO. In dessen Folge müssten sechzig Prozent der Betriebe bereits Umsatzeinbußen hinnehmen.

Es ist nicht damit getan, eine Person für eine Position zu finden und zu engagieren: Entscheidend ist vielmehr, dass sie darin auch verweilt. Je gefragter eine Person, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie zusammenpackt, wenn ihr der neue Arbeitsplatz nicht zusagt. Die „Candidate Journey Studie“ der Meta HR Unternehmensberatung von 2017 ergab, dass 44 Prozent der Neueingestellten wenige Monate nach Jobantritt bereits wieder auf dem Absprung waren, weitere 32 Prozent erklärten sich offen für neue Angebote. Als schwerste Unterlassungssünden ihrer Betriebe nannten diese Arbeitskräfte: Keine offizielle Begrüßung, ein nicht fertig eingerichteter Arbeitsplatz, unklare Arbeitsabläufe, die Unmöglichkeit eines Gesprächs mit einer Führungskraft. Ein weiterer, in unterschiedlichen Erhebungen regelmäßig genannter Grund für den frühen Ausstieg ist eine dramatische Diskrepanz zwischen Stellenbeschreibung und erlebter Arbeitsrealität.

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Der Vorläufer von Onboarding: Sozialisation im Unternehmen Um solche Fälle und damit die Notwendigkeit neuer, kostenaufwendiger Rekrutierungsverfahren zu unterbin-

den, sollten die Verantwortlichen für Human Resources (HR) darauf achten, neue Personen in den Betrieb zu integrieren und ihnen Bedingungen zu bieten, unter denen sie sich wohlfühlen und entfalten können. Diesen Integrationsprozess nennt man „Onboarding“ – also Aufsschiffholen, mit der neuen Umgebung vertraut machen, statt ins kalte Wasser werfen und sich selbst überlassen. „Das zugrunde liegende Phänomen“, erklärt Wolfgang Mayrhofer, Karriereforscher an der WU Wien, „ist zeitlos: Wie sorge ich dafür, dass neue Mitarbeitende gut in die ­Organisation hin­einfinden, und zwar mithilfe eines systematischen Programms, das die Organisation bereitstellt. In den 1970er-Jahren wird es unter dem Titel ,Organisationale Sozialisation‘ schon breiter diskutiert. Das Label ,Onboarding‘ kommt dann um die Jahrtausendwende aus dem angloamerikanischen Raum zu uns. Die Programme, unter welchem Titel auch immer, sind weit verbreitet.“ Ob das in Österreich tatsächlich so zutrifft, wird unterschiedlich beurteilt. Mayrhofer meint: „Jede Organisation mit einer halbwegs gut entwickelten HR-Arbeit hat, egal ob unter diesem Titel oder nicht, ein solches Programm. Es ist so etwas wie ein Klassiker unter den HR-Aktivitäten.“ Claudia Oster, eine UX (User Experience) Design Principal, sieht dage-

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E

ine hochqualifizierte Person tritt ihre neue Arbeitsstelle an. Der Empfang weiß nichts von ihr und kann ihr solchermaßen auch nicht den Weg zu ihrem Arbeitsplatz weisen. Der Computer auf dem Schreibtisch ist nicht eingerichtet, das Telefon nicht einsatzbereit. Weit und breit kein Mensch, der weiterhelfen könnte. Geschweige denn, dass der Chef zu sprechen wäre.

So oder so ähnlich erlebt rund ein Drittel aller Fachkräfte in Deutschland seinen ersten Arbeitstag. Nur die Hälfte wird zu ihrem Einstand vom Chef persönlich begrüßt. Jeder sechste Befragte gibt an, dass nicht einmal das Team über seinen Arbeitsbeginn

informiert war. Das sind die Ergebnisse einer Studie des Arbeitsmarktportals stepstone.de vom Jänner 2019, für die rund 13.000 Fach- und Führungskräfte nach ihren Erfahrungen zum Start in einem neuen Job befragt worden waren.

Der Einstieg kann schon den Ausstieg vorprogrammieren Es ist kein günstiger Zeitpunkt, qualifizierte Jobinteressenten zu verprellen: Nicht nur in Deutschland herrscht ein notorischer Mangel an Fachkräften, sondern auch hierzulande. 75 Prozent der österreichischen Unternehmen leiden unter starkem Fachkräftemangel,

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Onboarding beginnt manchmal mit einer Flasche Rotwein Onboarding beginnt nicht mit dem ersten Arbeitstag, sondern bereits bei Vertragsabschluss. Bevor eine Person ihre Stelle antritt, ist es wichtig, ihr Einblicke in die Unternehmenskultur zu verschaffen. Das kann durch Informationsmaterial geschehen, möglicherweise auch über Schulungen, Veranstaltungen oder Get-Togethers. Für den ersten Arbeitstag empfehlen sich neben einem fertig eingerichteten Arbeitsplatz ein Willkommensgeschenk und ein Gespräch mit dem Chef. Idealerweise ist das Team auf die neue Person vorbereitet. Für die erste Woche sollte ihr ein Mentor zugewiesen werden, der bei Fragen, Zweifeln und Unklarheiten helfen kann. Eine umfassende Führung durch die Räumlichkeiten bringt ihr das Unternehmen näher. Was die Person auf jeden Fall braucht, ist ein möglichst detaillierter Einarbeitungsplan und in der Folge das Einholen von Feedback. In dieser Phase müssen Firmenführung und HR-Verantwortliche ein offenes Ohr für Fragen und Bedenken haben.

Auch vor dem Hintergrund, dass die Erwartungen des Neulings sich nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nicht hundertprozentig mit der Firmenrealität decken.

Prinzipiell ist Onboarding für jede Art von Unternehmen jeder Größe sinnvoll. Gezielt angewandt wird es meist in größeren Betrieben. „Als systematisches HR-Programm verläuft es parallel zur Herausbildung einer eigenen, für HR-Angelegenheiten zuständigen Person. Dabei gilt die Faustregel: Eine HR-Person auf hundert Mitarbeitende“, erklärt Karriereforscher Mayrhofer.

Bei großen Unternehmen wird Onboarding meist mit besonders

viel Einfallsreichtum implementiert.

Beim Kurznachrichtendienst Twitter erwartet Neuankömmlinge neben einem eingerichteten E-MailAccount ein T-Shirt und eine Flasche Rotwein. Bereits am ersten Tag wird eine Betriebstour absolviert, außerdem werden verschiedene für den Job nötige Fertigkeiten trainiert. Jeden Monat findet für die „Neuen“ eine Happy Hour statt. Facebook oder der Wissens­pool Quora unterstützen Einsteigende, sie sich sofort einbringen möchten: So wird ein großer Teil des Onboardings bereits vor dem ersten Arbeitstag erledigt. Die Neuen erhalten sofort erste, überschaubare Projekte.

Unterschiedliche Sicht auf die Probleme von Neuen Auch hierzulande gibt es bemerkenswerte Beispiele: So führt die UX-­ Designerin Claudia Oster in Workshops vor, wie sich Onboarding-Prozesse durch Design Thinking verbessern lassen. Dabei geht es, grob vereinfacht, darum, unter Einbindung aller entscheidungsrelevanten Personen und Instanzen bessere Lösungen zu finden. Im Falle des Onboardings sind das Lösungen für neue Mitarbeitende. Zwar hält Oster die zen­trale Verantwortung der Personalabteilungen für die Gestaltung von Onboarding-Prozessen für sinnvoll, doch reiche deren Sicht über den Tellerrand hinaus nicht weit genug. „In DesignThinking-Workshops zum Thema Onboarding hat sich gezeigt, dass die neuen Mitarbeitenden ganz andere Probleme sehen als die Personalabteilung selbst. Was vorab von der Personalabteilung als großes Problem eingestuft wurde, etwa lange Wartezeiten auf Zutrittskarten, war für die Mitarbeitenden selbst kein großes Thema.

Sie haben negative Erlebnisse identifiziert, die einfach verhindert werden könnten, und positive Erlebnisse benannt, die beibehalten werden sollen:

Es hat sich gezeigt, dass die ­neuen Mitarbeitenden ganz andere ­Probleme sehen als die Personal­ abteilung selbst

„Wie sorge ich dafür, dass neue Mitarbeitende mithilfe eines systematischen Programms der Organisation gut in diese hineinfinden?“ WOLFGANG MAYRHOFER, WU WIEN

Michael Lang, Vizerektor Forschung und Personal, WU Wien

Wie ein Onboarding-Prozess praktisch aussieht Zu den österreichischen Institutionen, die ihren neuen Mitarbeitenden hauseigene Onboarding-Programme anbieten, gehört die WU Wien. Sie hat ihr Programm 2017 implementiert. Laut Michael Lang, dem Vizerektor für Forschung und Personal, gab es auch schon die zwanzig Jahre davor eine Art Onboarding.

In der ersten Phase des WU-WienOnboarding steht das, durch Unterlagen gestützte, Kennenlernen des Arbeitsumfeldes, der konkreten Arbeitsabläufe, der Kollegenschaft und der Führungskraft. Im zweiten Schritt nimmt der Neuling an der halbtägigen Veranstaltung „Welcome2WU“ teil. Dabei stellt der Vizerektor für Personal die WU vor und bietet Infos zu Serviceleistungen und Weiterbildungsangeboten in seinem Ressort. Dazu kommen „Socialising“ und eine Führung durch den Campus der WU Wien. Dann folgt drittens der „Strategietag“.

Dabei bietet die Rektorin Einblicke in die Gesamtorganisation, Ziele und Strategien der WU. Das wissenschaftliche Personal wird zu Austauschrunden mit der Vizerektorin für Lehre & Studierende sowie Vertreterinnen des Vizerektorats für Forschung eingeladen. Dem allgemeinen Personal bringt ein Kurzworkshop die Rahmenbedingungen und organisatorischen Besonderheiten von Universitäten näher. Daran schließt ein Social Event am WU-Campus für alle neuen Mitarbeitenden. In einer vierten Phase geht es dann um das Vertiefen der inhaltlichen Kernkompetenzen im jeweiligen Tätigkeitsbereich.

Die Teilnahme an allen oder einzelnen der vier Phasen erfolgt freiwillig. „Die Zahl und die persönlichen Rückmeldungen der Teilnehmenden machen deutlich, wie gern das Angebot angenommen und geschätzt wird“, erläutert Vizerektor Lang. „Daraus lässt sich schließen, dass unser Onboarding-Angebot einen sehr guten Ruf genießt und auch über Erzählungen in der Kollegenschaft beworben wird.

Bei der für unser Onboarding-Programm zuständigen Kollegin melden sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits vor der offiziellen Einladung, um sich über das On­boardingProgramm zu informieren und ihr Interesse an einer Teilnahme zu bekunden – ein schönes Zeichen.“

FOTO: REGINA HÜGLI, BEIGESTELLT

gen erhebliche Mängel. „Onboarding wird von vielen Unternehmen noch stark unterschätzt und erfährt wenig Aufmerksamkeit. Viele investieren in den Bereich Employer Branding (siehe Seite 4) und das Stärken der Arbeitgebermarke. Wenn aber der Onboarding-Prozess suboptimal verläuft oder gar nicht vorhanden ist, schwächt dies die Investition.“ Osters Beobachtung nach spießt es sich in der Phase zwischen dem Recruiting und dem faktischen Arbeitsantritt: „Dieser Übergang verläuft sehr holprig und mit vielen unnötigen Schwächen: von der fehlenden IT-Infrastruktur bis zur mangelhaften fachlichen Einschulung. Diese negativen Erfahrungen gleich bei Eintritt in ein Unternehmen wiegen schwer, bleiben lange im Gedächtnis und haben natürlich auch einen Einfluss auf die Außenwirkung. Teilweise gibt es zwar theoretisch gut überlegte Prozesse, in der Praxis kann die notwendige Qualität aber dann nicht gehalten werden.“

Häufig macht eine freundliche Begrüßung am Empfang schon den ersten großen Unterschied.“ Design Thinking versucht in Onboarding-Prozessen nicht nur konkrete Probleme herauszuarbeiten, sondern auch deren Kontext. „So kann man etwa erfahren, dass sich eine Mitarbeiterin beim Betreten des Gebäudes unwohl gefühlt hat, weil sie nicht genau wusste, wohin, und kein Ansprechpartner für sie da war.“

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Du bist auf Facebook und ich will dich!

TEXT: MONA SAIDI

Die Fotografin Regina Hügli hat die Bilder dieser Ausgabe gemacht.

Menschen und ihre Realitäten kennenzulernen und spielerisch abzubilden, liebt sie an ihrem Beruf besonders. Die Verbundenheit mit der Natur ist ihr persönlich wichtig: Mit dem Projekt „Sharing Water“ ­fokussiert sie auf die Beziehung zum Wasser und macht auf ­Konflikte durch den Klimawandel und gemeinschaftliche Lösungsansätze im Umgang mit Wasser in Europa aufmerksam. www.sharing-water.net, www.reginahuegli.com

U

nternehmen müssen auch dort präsent sein, wo Menschen sich privat und beruflich vernetzen. Das Recruiting von qualifiziertem Personal findet mittlerweile nicht mehr nur auf Onlinejobbörsen statt, sondern auf Plattformen wie Xing, LinkedIn oder Facebook. Eine Erhebung des Institute for Competitive Recruiting aus dem Jahr 2017 hat festgestellt, dass Arbeitgeber ihre Stellenangebote zuerst über eigene Karriereseiten und Onlinejobbörsen kommunizieren, dicht gefolgt von den Social-Media-Business-Netzwerken Xing und Linkedin sowie den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter.

Social Media Recruiting statt Post & Pray Recruting Welche Wirkung hat es auf das Personalmarketing für Firmen und Bewerbende, wenn Social Media als zen­ trales Kommunikationsmedium gelten? Der ursprüngliche Weg, Anzeigen zu schalten und auf Bewerbungen zu hoffen, also „Post & Pray Recruiting“, ist wegen des hohen Streuverlustes ineffizient. Die gewünschte Zielgruppe sucht Stellenanzeigen nicht nur auf Portalen und Jobbörsen. Als Folge des demografischen Wandels und der Digitalisierung verändert sich die klassische Methode der Personalgewinnung zum sogenannten Social Recruiting.

Die Vermittlung einer neuen Stelle kann schon mittels eines FacebookPostings oder einer LinkedIn-Vernetzung entstehen. Der Vorteil dieser Recruiting-Methode ist die aktive Suche und Ansprache von Kandidaten sowie der schnelle Aufbau eines großen Netzes an Kontakten.

Firmen bewegen sich zur aktiven Personalbeschaffung (innerhalb datenschutzrechtlicher Grenzen) in den Social Networks. Darüber hinaus dienen sie ihnen auch zur Stärkung ihrer Arbeitgebermarke (Employer Branding, siehe Seite 4). In Form von Präsenz und Positionierung in Businessnetzwerken werden Werte, Image und Firmenpolitik nach außen getragen und wird Status vermittelt.

Dieser Recruitingtrend entspricht auch ein Stück weit dem „Personal Branding“. Dabei stellen sich auf Karriereplattformen Bewerbende mit ihren Qualitäten und Qualifikationen gezielt dar – mit Blick auf potenzielle Arbeitgeber. Unternehmen wiederum befassen sogenannte Headhunters mit der Aufgabe, um Positionen in Betrieben passend zu besetzen. Auf dem Karriere-Netzwerk LinkedIn können Interessenten ihr Profil für Recruiter freistellen. Sie gewähren Unternehmen einen Einblick in den persönlichen Werdegang sowie ­andere be-

ruflich relevante Informationen, um kontaktiert und angeworben zu werden.

Die Social-Media-Business-Netzwerke spielen vor allem eine wichtige Rolle, wenn die Personalvermittlung auf internationaler Ebene stattfindet. Die Bewerbungsprozesse werden durch Funktionen wie das Hochladen eines standardisierten Lebenslaufes vereinheitlicht und mittels Tools wie „Easy Apply“ verkürzt.

Für Unternehmen sind Stellenanzeigen in den sozialen Netzwerken ein kostengünstiger und grafisch bereits aufbereiteter Zugang direkt an der Quelle. Diese Entwicklungen kommen sowohl Arbeitsuchenden als auch Unternehmen in Form von Zeit- und Kosteneinsparungen zugute.

Eigene Firmen zur richtigen Ansprache auf Social Media Doch wie bei jeder neuen Methode treten bei der Umsetzung auch Pro­ bleme zutage. Menschen bewegen sich auf Facebook, Twitter und Co. meist in einem privaten Kontext. Daher muss dort auch in Geschäftsangelegenheiten die Ansprache einer Person dementsprechend gewählt werden, um neue Mitarbeitende über Social Media zu gewinnen. Das Personalmarketing im Unternehmen braucht einiges Knowhow über neue Technologien und ihre sozialen Komponenten, um im Wettbewerb um neues Personal zu bestehen. Fehler in der Kommunikation können negative Auswirkungen zeitigen und das Firmenimage nachhaltig beschädigen.

Als Reaktion auf diese Recruitingtrends entwickeln sich neue Geschäftsmodelle. Ihr Ziel ist, HR-Aufgaben für andere Firmen zu übernehmen. Sie verkaufen ihnen eine Dienstleistung oder eine Software für Personalverwaltung und weitere anfallende HRTätigkeiten. Dieses Outsourcing deckt operative Tätigkeiten in den Bereichen Personalverwaltung, Employer Branding und Führungskräfteentwicklung ab. Sie unterstützen aber auch Analyse und Optimierung sowie strategische Entscheidungen in Unternehmen. Bewerbermanagement bildet dabei einen Schwerpunkt: Mit unterschiedlichen Strategien, unter anderem Social Recruiting, werden Unternehmen im Bereich Personalmarketing durch den Bewerbermarkt geleitet.

Der Bewerbermarkt ändert sich, daher müssen Unternehmen mit neuen Strategien wie Social Recruiting mithalten. Zu hoffen ist, dass in diesem Wettbewerb die Privatsphäre und die Daten der Bewerbenden res­ pektiert und mit Maß und Ziel auf diesen Plattformen dargestellt werden.

FOTO: REGINA HÜGLI

Unternehmen setzen im Personalmarketing verstärkt auf soziale Medien. Das bringt Veränderungen im Rekrutierungsprozess

„ So vielfältig wie die Menschen in der VIG sind auch die Möglichkeiten, die wir bieten!“ EL IS ABET H S TADL ER CEO der VIG

VIELFALT ALS WERT Mit rund 50 Gesellschaften und ca. 25.000 MitarbeiterInnen in Österreich und Zentral- und Osteuropa (CEE) ist die VIG geprägt durch die Diversität der unterschiedlichen Nationen, Kulturen, Sprachen, geschichtlichen Hintergründe, Unternehmenskulturen und lokalen Märkten.

etablierte und gut eingeführte Marken, die bereits im Kundenbewusstsein verankert sind, erhalten. Das stärkt die regionale Identität und das Engagement der lokalen MitarbeiterInnen. Es wird darauf vertraut, dass das Management und die MitarbeiterInnen vor Ort die größte Expertise über den lokalen Markt haben.

Die VIG sieht in dieser Vielfalt einen großen Wert und stützt daher ihr erfolgreiches Unternehmenskonzept auf die sog. „Mehrmarkenstrategie“. Dadurch bleiben

Und diese Vielfalt ist unser Erfolgsfaktor.

Die Vielzahl an Ideen, Herangehensweisen und Möglichkeiten ist ein Potential für kreative Ideen und Innovation. Vielfalt wird

somit zum Wert und durch unterschiedliche Perspektiven verbessern wir unsere Ergebnisse.

Unsere Unternehmenskultur und unser Arbeitsumfeld sind durch Wertschätzung und Respekt gekennzeichnet. Ein fairer und gerechter Umgang steht im Vordergrund, um sich mit all den unterschiedlichen Erfahrungen, Hintergründen, Bedürfnissen und Erwartungen, die die Menschen mitbringen, bestmöglich entfalten zu können.

Unser Anliegen ist, dass die Menschen stolz sind, für die VIG zu arbeiten und durch diese Identifikation mit dem Unternehmen zum Geschäftserfolg beitragen.

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„Das Interesse an Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen eint die Studierenden der BOKU“, sagt deren Rektor Hubert Hasenauer

Wir informieren über die Fakten H

ubert Hasenauer, Rektor der Universität für Bodenkultur, und Harald Rieder, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimatologie an der Universität für Bodenkultur, über die Aufgaben ihrer Universität in Zeiten der Klimakrise.

Herr Hasenauer, saurer Regen, Waldsterben, Bienensterben, Ressourcenverknappung und jetzt der Klimawandel. Ist die BOKU so etwas wie der Troubleshooter der österreichischen Gesellschaft?

Hubert Hasenauer: Ja. Als Universität des Lebens und der Nachhaltigkeit haben wir uns seit unserer Gründung 1872 stets der Lösung drängender Umweltfragen angenommen. Unsere Haupttätigkeitsfelder Lebensraum und Lebensqualität, Management von natürlichen Ressourcen und Umwelt sowie die Sicherung von Ernährung und Gesundheit dokumentieren dies.

Mit der Klimakrise haben diese Themen an Bedeutung ­zugenommen. Es

TEXT: WERNER STURMBERGER

Hubert Hasenauer, Rektor der Universität für Bodenkultur

Harald Rieder, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimatologie an der BOKU

ist nun wichtig zu verstehen, wie gesellschaftliches Handeln die Natur und damit unsere Lebensgrundlage beeinflusst. Die 15 Departments der BOKU forschen und lehren zu den Themen „Nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft“, Bioökonomie, „Vermeidung von bzw.

Anpassung an Klimafolgen“ sowie „Erschließung neuer Ressourcen“ in der Lebensmittel- und Biotechnologie.

Verändert der Klimawandel auch Forschung und Lehre?

Harald Rieder: Die traditionellen Fächer stellen auch heute noch wichtige Säulen der BOKU dar. Durch die vielfältigen Veränderungen in Natur und Gesellschaft inklusive der damit einhergehenden Zunahme an Umweltproblemen ist natürlich auch der Bedarf an zusätzlicher Expertise entstanden. Die Probleme, vor denen wir heute stehen, sind disziplinär nicht mehr lösbar. Inter- und Transdisziplinarität sowie Internationali-

tät und Praxis­relevanz sind die Pfeiler von Lehre und Forschung an der BOKU. Das zeigt sich auch deutlich in den verschiedenen Studiengängen, die allesamt über das „Drei-Säulen-Modell“ naturwissenschaftliche, technische und sozioökonomische Aspekte integrieren. Inhalte zu Klimawandel und Klimafolgen sowie Anpassungsund Vermeidungsstrategien sind heute in allen Studienplänen enthalten. Wir merken hier auch ein enormes Interesse von Seiten der Studierenden. Es ist mir wichtig, dass sie gut informiert an der gesellschaftlichen Diskussion teilnehmen können.

An der Universität zählt man an die 12.000 Studierende. Was führt junge Menschen an die BOKU? Hasenauer: Das Interesse an Umweltund Nachhaltigkeitsthemen eint die Studierenden der BOKU. Aus dem Bewusstsein heraus, dass die Umwelt ein limitiertes Gut ist, dass pfleglich genutzt werden soll, wollen ­junge

FOTOS: REGINA HÜGLI (1), BOKU (2)

Die Universität für Bodenkultur war nie nur auf „Bodenkultur“ beschränkt. Seit fast 150 Jahren forscht sie zum „Erhalt unserer Lebensgrundlage“. Die Klimakrise macht das besonders dringlich

K L IM AWA N D E L : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 15

Menschen mithelfen, unseren Planeten Erde zu schützen. Dafür bietet die Universität für Bodenkultur mit ihrer ganzheitlichen und lösungsorientierten Ausbildung ein attraktives Studienangebot. Wir sind stolz darauf, dass die Nachfrage nach BOKU-Absolventinnen und -Absolventen stetig steigt und diese am Arbeitsmarkt sehr erfolgreich sind. BOKU-Studierende haben eine attraktive Ausbildung und kein Problem, Jobs zu finden.

Was steht für Sie im Vordergrund: Das Monitoring der Klimakrise und ihrer Auswirkungen oder die Entwicklung von Anpassungsstrategien?

Rieder: Wir wissen heute sehr gut, wie sich das Klima unter einzelnen sozioökonomischen Entwicklungspfaden in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Der 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarates hat deutlich vor Augen geführt, welche negativen Auswirkungen bei Überschreitung dieser Schwelle zu erwarten sind. Mit Blick auf die Erreichung der Pariser Klimaziele steht die interdisziplinäre Forschung hinsichtlich Mitigations- und Adaptionsmaßnahmen im Zentrum. Der Wandel zu einer CO2-neutralen Gesellschaft ist unerlässlich, um die Klimakrise zu bewältigen. Hierbei ist besonders wichtig, dass es zu keinen negativen Lockin-Effekten und unvorhergesehenen Umweltschäden kommt. Wichtig ist auch, dass die soziale Verträglichkeit

„Der Austausch mit der Gesellschaft zählt heute neben Forschung und Lehre zu den Kernaufgaben der Wissenschaft“ HARALD RIEDER, BOKU WIEN

gewährleistet ist. Wie dieser Wandel vollzogen wird, ist aber noch recht abstrakt skizziert. Die Forschungsgemeinschaft ist hier gefordert, Lösungswege aufzuzeigen. Dennoch sind ein kontinuierliches Klimamonitoring und die Modellentwicklung weiterhin erforderlich, um detaillierte Projektionen und belastbare Aussagen bezüglich Klimafolgen zu treffen. Im disziplinären Bereich wären in der Meteorologie verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung der saisonalen Vorhersagen, der Wechselwirkungen im Klimasystem sowie im Bereich der Prozessmodellierung von Extremereignissen wünschenswert.

Wie hat sich Ihr Forschungsfeld verändert?

Rieder: Die wachsenden Rechenkapazitäten haben eine stetige Weiterentwicklung der globalen und regionalen Klimamodelle angestoßen. Und die haben sich zu noch komplexeren Erdsystemmodellen weiterentwickelt: Damit lassen sich die physikalischen und chemischen Prozesse im Erdsystem immer vollständiger darstellen und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozeanen, Biosphäre und Geosphäre abbilden. Auch die Weiterentwicklung von Beobachtungsmethoden, vor allem im Bereich der Fernerkundung, gibt uns Möglichkeiten zum Monitoring des Klimasystems, von denen wir vor

einem Jahrzehnt noch geträumt haben. Gleichzeitig ist die gesellschaftliche Dimension stark ins Zentrum gerückt. Heute geht es nicht nur darum, ein besseres Verständnis von Klimaprozessen und deren Veränderung durch den Eingriff des Menschen zu erzielen. Die Betrachtung von Klimafolgen und die Erarbeitung von Vermeidungs- und Anpassungsstrategien ist zu einer der zentralen Aufgaben der Klimaforschung geworden.

Hat der Klimawandel Einfluss auf die gesellschaftliche Rolle von Forschenden?

Rieder: Der Austausch mit der Gesellschaft zählt heute neben Forschung und Lehre zu den Kernraufgaben der Wissenschaft. Wir werden immer öfter für Vorträge oder die Teilnahme an Informationsveranstaltungen und Diskussionen angefragt. Das Wahrnehmen dieser dritten Mission der Universität ist bedeutend, denn es ermöglicht uns, Faktenwissen in die Gesellschaft zu tragen. Eine nachhaltige Transformation kann nur gelingen, wenn die Menschen eingebunden sind und die politischen Entscheidungsträger die Sorge der Menschen spüren. Wir sehen heute sehr deutlich, dass das politische Interesse am Thema Klimawandel und Klimafolgen in Europa und national ansteigt. Die Proteste der „Fridays for Future“-Bewegung haben hier viel bewirkt.

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T

arja Knuuttila ist Professorin für Wissenschaftsphilosophie am Ins­ titut für Philosophie der Universität Wien. Sie forscht im Bereich Scienti­ fic Representation and Modeling mit Fokus auf synthetische Biologie, Inge­ nieurwissenschaften und Wirtschaft.

In Zusammenarbeit mit ­Andrea ­Loettgers hat sie den Kurs „Philoso­ phie der Klimawissenschaft“ am Ins­ titut für Philosophie der Universität Wien organisiert. Loettgers arbeitet als Senior Researcher im ERC-Pro­ jekt „Possible Life“ an der Universi­ tät Wien und forscht über Scientific Modeling mit Schwerpunkt in Phy­ sik, Neurobiologie und synthetischer Biologie. Graham Parkes, Professorial Research Fellow am Institut für Phi­ losophie der Universität Wien, wid­ met sein neues Buch „How to Think about the Climate Crisis – A Philoso­ phical Guide to Saner Ways of Living“ dem Klimawandel. Es wird 2020 bei Bloomsbury erscheinen.

Frau Knuuttila, wie können wir sicher sein, das Richtige gegen den Klimawandel zu tun? Es gibt weder Erfahrung noch Garantien …

Tarja Knuuttila: Der Klimawandel ist im Gang und eine lang bekannte Tat­ sache. Wir können uns nicht den Lu­ xus von Gewissheit oder Garantien als Handlungsgrundlage leisten. Em­ pirische Beweise zeigen uns schmel­ zende Gletscher, Waldbrände, neue

Seiden­ straße ohne Kohle Der Klimawandel beschäftigt nicht nur die Forschenden an der BOKU, auch Philo­sophinnen machen sich dazu Gedanken TEXT: BARBARA FREITAG

­ emperaturrekorde usw. Wir wissen T aber noch nicht, wie sich das Klima­ system als Folge der globalen Erwär­ mung verändern wird. Denn das Kli­ ma ist ein komplexes System mit vie­ len sich möglicherweise verstärkenden Rückkopplungseffekten. Daher gibt es die Angst der Forschenden vor dem Kippen des Systems. Dennoch sind Wissenschaft und Technologie unse­ re einzige Hoffnung. Wir wissen, dass die Weltbevölkerung in den nächs­ ten dreißig Jahren um zwei Milliar­ den Menschen zunehmen wird. Diese Entwicklung ist beängstigend, wenn sie mit dem Klimawandel einhergeht.

Andrea Loettgers: An diesem Punkt erweist sich die Wissenschaft als sehr hilfreich. In der Scientific Communi­ ty besteht Konsens darüber, dass der Klimawandel hauptsächlich durch menschliche Aktivitäten verursacht wird. Wir wissen auch sehr gut, wel­ che Art von Aktivitäten für den be­ obachteten Temperaturanstieg ver­ antwortlich ist, nämlich all jene, die zu einer Erhöhung der Konzentration von Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan führen. Dies sagt uns andererseits, dass alle Bemühungen zur Reduktion dieser Gase dazu bei­ tragen werden, einen weiteren Anstieg der mittleren Temperatur auf unse­ rem Planeten zu verhindern. Ich den­ ke, was die Menschen als Unsicher­ heit bezeichnen, bedeutet, nicht gut genug informiert zu sein.

Macht es Sinn, von einer historischen Schuld der Verursacher des Klimaproblems zu sprechen? Die meteorologischen Katastrophen passieren momentan in Regionen, wo die industrielle Revolution erst viel später eingesetzt hat.

Knuuttila: Es macht für mich Sinn, die großen Öl- und Gasunternehmen sowie die Regierungen verantwortlich zu machen. Wir haben es nicht mit einem Problem zu tun, das erst vor Kurzem erkannt worden wäre. Es hat auch eine Menge gezielter Fehlinfor­ mationen gegeben. Es ist tragisch und völlig ungerecht, dass die Schwächs­ ten die Last tragen, die größtenteils von den Unternehmen und Bürgern der reicheren Länder verursacht wird.

Die jetzt im Ruhestand befindliche und in den Ruhestand tretende Ge­ neration in den westlichen Ländern hat im Großen und Ganzen ein konti­ nuierliches Wirtschaftswachstum und eine vielleicht historisch beispiellose Wohlfahrt und Wohlstandsakkumu­ lation erlebt. Ihre Kinder und Enkel­ kinder sehen einer unsicheren Zukunft entgegen.

Loettgers: Den Verursachern der heu­ tigen Klimaprobleme die Schuld zu geben, hätte nur Sinn, wenn sie die Folgen ihres Handelns gekannt hät­ ten. Über Schuld in dem Zusammen­ hang zu sprechen ist gerechtfertigt ab dem Zeitpunkt, da Politik und Un­ ternehmen über den Klimawandel

FOTO: UNSPLASH/MASSIMO RIVENCI

„Wir sollten China in der Armutsbekämpfung unterstützen, damit es erneuerbare Energien statt Kohle für die neue ,Seidenstraße‘ verwendet.“ G. Parkes

K L IM AWA N D E L : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 17

FOTOS: BARBARA MAIR, FOTOSTUDIO DAS ATELIER, SETSUKO AIHARA

­ escheid wussten. Es geht nicht um B eine historische Schuld, sondern eher darum, dass sie keine adäquaten Maßnahmen zum Schutz des Klimas ergriffen und sich vor allem für ihre eigenen Interessen eingesetzt haben.

Herr Parkes, brauchen wir eine Klima-Ethik?

Graham Parkes: Was wir brauchen, sind praktische Ideen, wie wir die Klimakrise am besten bewältigen können. Statt eine Klima-Ethik zu verfolgen, sollten wir besser einfach fragen: In welcher Art von Gesellschaft oder Welt wollen wir leben? Und was ist überhaupt ein gutes menschliches Leben? Was brauchen wir wirklich, damit es uns gut geht, als Gemeinschaften und als Spezies? Wie können wir die Klimakatastrophe minimieren und zu vernünftigeren Lebensformen auf der Erde übergehen?

Gibt es eine moralische Verpflichtung für den Klimaschutz?

Parkes: Auch hier ist es vielleicht besser, sich nicht mit der Moral zu befassen, denn es gibt so viele verschiedene Moralvorstellungen. Es ist vernünftiger, sich auf einen Grundgedanken der Fairness im Sinne der Gerechtigkeit zu berufen, den man in den meisten Kulturen findet, ein Prinzip der Gegenseitigkeit. In der Bibel steht: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihnen

auch.“ Die gleiche Idee findet sich, negativ formuliert, bei Konfuzius: „Was du selbst nicht wünschest, tu nicht andern an.“ Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, „sich in die Lage des anderen zu versetzen“, ist es offensichtlich, dass Einzelpersonen, Gemeinschaften, Unternehmen oder Staaten, die Emissionen verursachen, selbst nicht von den Emissionen der anderen geschädigt werden wollen.

­ arja T Knuuttila, ­Philosophin, Universität Wien

Graham Parkes, Philosoph, Universität Wien

Wie sollte die Weltgemeinschaft mit Schwellenländern umgehen, die historisch am wenigsten zur Umweltsituation beigetragen haben, aber jetzt nachziehen wollen?

Parkes: Es ist der größte Affront gegen die Klimagerechtigkeit und die globale Gerechtigkeit, dass die „unschuldigen“ Länder, die meisten von ihnen arm, die schlimmsten Auswirkungen erleben. Wenn wir uns in die Lage dieser Nationen versetzen, die ihre Heimat an die steigenden Meere verlieren, könnten wir dann wirklich sagen, dass es völlig in Ordnung ist, wenn die entwickelten Länder weiterhin den Planeten aufheizen? Die Situation in China etwa ist speziell. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Großteil der derzeitigen Emissionen aus deren Produktion von Gütern stammt, die wir im Westen konsumieren, und dass wir im Namen der Globalisierung viele unserer umweltschädlichsten Industrien nach Asien „exportiert“

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Andrea Loettgers, Philosophin, Universität Wien

haben. Wenn die Chinesen also sagen, dass sie sich um Millionen von Menschen kümmern müssen, die immer noch in Armut leben, und der billigste Weg, dies zu erreichen, die Verbrennung der enormen Kohlereserven, die China besitzt, wäre, dann hilft es nicht, mit den Worten zu antworten: „Das können Sie nicht tun, denn das würde den Planeten braten.“ Denn wir, Europa und Amerika, sind durch die Verbrennung von Kohle wohlhabend geworden. Auf jeden Fall sollten wir China in der Bekämpfung der Armut unterstützen, damit es erneuerbare Energien statt Kohle dafür verwendet, und auch China überzeugen, „die neue Seidenstraße“ mit erneuerbaren Energien statt Kohle zu schaffen.

Sie haben über Nietzsche gearbeitet. In Anspielung auf dessen Terminus von der „Fernstenliebe“ im Gegensatz zur „Nächstenliebe“: Mitgefühl und Einfühlungsvermögen sind nicht sehr verlässlich.

Parkes: Ja, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl sind genau das, was fehlt – und was Christentum, Konfuzianismus und Buddhismus fördern. Wenn wir praktizieren würden, uns in die Lage der anderen hineinzuversetzen, dann könnten wir Narzissmus und Stammesdenken zurücklassen und die Liebe, die wir unserer Familie entgegenbringen, auf andere Menschen, auch im Ausland, ausweiten.

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„Die Digitalisierung reicht weit in die Arbeitswelt hinein. Dazu steigt das Maß der verlangten sozialen Kompetenzen merklich an.“ B. Kluger-Schieder

Neue Berufsprofile und Anforderungen Barbara Kluger-Schieder, Institutsleiterin am WIFI Wien, erklärt Trends der Erwachsenenbildung rau Kluger-Schieder, in welche Richtung bewegt sich die heimische Weiterbildungslandschaft?

Barbara Kluger-Schieder: Aktuell ändern sich die Berufsprofile und die Anforderungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Digitalisierung reicht weit in die Arbeitswelt hinein. Das hat nicht nur eine technische Seite, sondern beinhaltet auch Aspekte wie das Führen im digitalen Zeitalter oder den Umgang mit virtuellen Teams. Zudem steigt das Maß der verlangten sozialen Kompetenzen merklich an.

Warum?

Kluger-Schieder: Manche Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung und Automatisierung überflüssig, Menschen lassen sich umschulen und müssen sich weiterentwickeln. Viele gehen dann in Richtung

Dienstleistungs- und Pflegebereich, wo man viel mehr kommunizieren muss als bei rein manuellen Arbeiten. Um hier seinen Arbeitsplatz zu sichern, braucht man einfach andere Skills. Diese Umkehr spüren wir deutlich. Eine WKO-Studie zum Thema Bildung der Zukunft hat prognostiziert, dass bei Berufstätigen bis 2030 nicht nur fünfzig Prozent mehr technologische, sondern auch über 25 Prozent mehr soziale und emotionale Fähigkeiten gefragt sein werden.

Wie steht es mit dem Einfluss der künstlichen Intelligenz KI? Kluger-Schieder: Beim WIFI haben wir mit dem KI-Space in Niederösterreich ein Vorreiterprojekt. Wir setzen in verschiedenen Bundesländern bestimmte Schwerpunkte und bauen so in zukunftsrelevanten Bereichen fundiertes Know-how auf. Da

sehen wir, was gebraucht wird, und können die didaktischen Konzepte dahinter evaluieren. Wenn das Ganze gut funktioniert, wird es in anderen Landes-WIFIs ausgerollt. Das WIFI Oberösterreich etwa ist spezialisiert auf Robotik. Da geht es um darauf basierende hochtechnisierte Unterstützungsleistungen.

Welche Weiterbildungsmaßnahmen erhöhen die Karrierechancen wirklich?

Kluger-Schieder: Zunächst stellt sich die Frage, was man unter Karriere versteht. Ist das auch die Möglichkeit für einen Arbeiter, sich neue Fertigkeiten anzueignen und dafür von seiner Firma für eine andere Aufgabe als die bisherige eingesetzt zu werden? Oder ist Karriere nur die Ausbildung auf einem höheren Level, um in der Hie­ rarchie aufzusteigen? Grundsätzlich kann man aber sagen: Weiterbildung

hilft immer. Egal ob jemand seine bestehende Position verbessern will oder ob es um den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt geht. Das Angebot ist weitgehend da. Wichtiger als einzelne Maßnahmen sind ein Bewusstsein dafür und dass man die Gelegenheiten auch ergreift.

Wie stehen Unternehmen zu Weiterbildung?

Kluger-Schieder: Die Weiterbildungsbereitschaft der Unternehmen ist in Österreich erstaunlich hoch. Inklusive Lehrlingsausbildung bieten über 87 Prozent Aus- und Weiterbildung an. Das liegt weit über dem EU28-Durchschnitt von 66 Prozent. Der Trend geht hier in Richtung individualisierter Bildungsangebote. Firmen wenden sich mit ihren Wünschen an die Erwachsenenbildungsinstitutionen und bekommen eine

FOTO: REGINA HÜGLI

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„Junge Menschen brauchen virtuelle Lernplattformen und die Möglichkeit, E-Learningwie Präsenzphasen je nach Bedarf gewichten zu können“ BARBARA KLUGER-SCHIEDER, WIFI WIEN

Barbara KlugerSchieder,

Institutsleiterin WIFI Wien

FOTO: FLORIAN LIERZER/WIFI

maß­geschneiderte Schulung für ihre Teams, die entweder beim Anbieter oder direkt im Betrieb stattfindet. Bei Staplerkursen für Logistikunternehmen etwa gehen unsere Trainerinnen und Trainer dorthin.

es die Perspektiven von Arbeitgebern und -nehmern einander gegenübergestellt hat. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?

Kluger-Schieder: Wir haben gesehen, dass es den Unternehmen durchaus bewusst ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr größtes Kapital sind. Von diesen helfen ihnen natürlich nur die besten und von den besten die richtigen. Die tüchtigste Arbeitskraft bringt ihnen nichts, wenn sie nicht ins Portfolio passt. Es ist also zunehmend wichtig, mit den richtigen Methoden nach der richtigen Belegschaft zu suchen. Interessant war für uns auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar gute und faire Entlohnung wollen, aber die Arbeitsplatzsicherheit einen höheren Stellenwert hat als die Karriere. Und Weiterbildungsangebote empfinden sie als Topbenefit.

Ich habe im WIFI-Kursbuch sogar Tätowierkurse gesehen …

Kluger-Schieder: Ja, manchmal muss ich schmunzeln, wenn ich Rechnungen für künstliche Häute unterschreibe. Aber Tätowieren ist ein sehr gefragter Kurs, viele machen sich damit selbstständig. Unternehmerische Ausbildung bedeutet ja nicht nur klassische Meisterkurse, sondern eine große Bandbreite. Innovative Techniken, etwa im Bausegment, führen zu neuen Berufsbildern, auf die man als Anbieter rechtzeitig aufspringen muss. Da gibt es zum Beispiel fertige Techniker oder Baumeister, die sich zusätzliches Know-how über das Zusammenspiel von Heizung, Kühlung und Wasser in Gebäuden aneignen und dann vielleicht nur noch das beruflich machen. Aber auch Steuerkennzahlen oder Arbeitsrecht interessieren Selbstständige.

Bekommt lebenslanges Lernen als Zukunftsthema auf manchen Hierarchiestufen besonders viel Aufmerksamkeit?

Kluger-Schieder: Insgesamt sind es rund 15 Prozent der berufstätigen Erwachsenen, bei denen man von lebenslangem Lernen sprechen kann.

Und ja, es gibt relativ viele längere, häufig modulartig aufgebaute Lehrgänge für Führungskräfte. Das ist vielleicht auch eine Frage der besseren finanziellen Mittel, aber die Einstellung, seine Kompetenzen laufend erweitern zu wollen, scheint in bestimmten Positionen üblicher zu sein.

Man braucht auch eine starke Motivation, denn im Normalfall macht man das berufsbegleitend. Das ist fordernd, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.

Ich würde das lebenslange Lernen aber nicht auf Führungskräfte begrenzen, es gibt auch andere Berufsbilder mit permanentem Weiterbildungsbedarf. So tragen etwa Brandschutzbeauftragte, Aufzugswarte oder andere Sicherheitsfachkräfte eine hohe Verantwortung und müssen sich immer wieder neu zertifizieren lassen. Apropos Fachkräftemangel: Alle hochqualifizierten Fachkräfte müssen sich lebenslang weiterbilden.

Gibt es Gruppen, auf deren Bedürfnisse sich Erwachsenenbildungsanbieter stärker einstellen müssen?

Kluger-Schieder: Ja, sicher. Im WIFI haben wir u. a. bei den Friseurinnen und Friseuren einen hohen Migrantinnen- und Migrantenanteil. Hier brauchen die Lehrenden ein Gespür dafür, wie Integration gelingen kann. Unsere hauseigene didaktische Methode verlangt von ihnen allerdings ohnehin ein sensibles Eingehen auf individuelle Bedürfnisse. Ältere ­Kundinnen und

Was bringt dieses Engagement den Unternehmen?

Kluger-Schieder: Es geht um den Wettbewerbsfaktor. Versierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen die Chancen, dass Unternehmen sich am Markt gut positionieren können.

Auch möchten sie ihre Beschäftigten halten. Die Investition in Weiterbildung ist mit dem Wunsch verbunden, dass diese speziell für sie qualifizierten Leute auch künftig bei ihnen bleiben.

Laut dem neuesten UNESCOWeltbericht für Erwachsenenbildung nehmen in Österreich nur fünf Prozent der Geringqualifizierten an Weiterbildungsmaßnahmen teil …

Kluger-Schieder: Studien belegen: Je höher der Bildungsgrad ist, umso mehr Weiterbildung wird gemacht; je niedriger er ist, desto weniger. Das hängt u. a. damit zusammen, in welche Mitarbeitergruppen Betriebe investieren. Wenn jemand aus Privatinitiative in die Bildungsinstitutionen kommt, spielen auch finanzielle Förderungen eine Rolle. Diese unterscheiden sich je nach Bundesland. Natürlich ist es auch eine Bewusstseinsfrage. Manche sind schwer zu erreichen.

Im Vorjahr hat das WIFI eine Umfrage dazu gemacht, in der

Welche Trends sind am Erwachsenenbildungsmarkt zu beobachten?

Kunden interessieren sich oft für Dinge, die sie eventuell auch in der Pension betreiben können, etwa Shiatsu, Fotografie oder die Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater.

Wie lernen junge Erwachsene 2020?

Kluger-Schieder: Eine offene Lernkultur und individualisierte Lehrund Lernmöglichkeiten sind für diese Gruppe unabdingbar. Junge Menschen möchten lernen, wann sie Zeit und Lust haben. Sie brauchen virtuelle Lernplattformen bzw. die Möglichkeit, E-Learning- und Präsenzphasen je nach Bedarf unterschiedlich gewichten zu können. Aber auch mobilere Lernräume, in denen es beispielsweise statt einer fixen Klassenbestuhlung Sessel mit Rollen gibt und wo man Boden und Wände beschreiben kann. Beim E-Learning steht Qualität erst seit Kurzem im Fokus. Heute weiß man, dass es nichts nützt, wenn man auf eine Lernplattform irgendeinen Film hochlädt und die Lernenden weder davor noch danach unterstützt.

Lernplattformen müssen ein begleiteter Weg des Lernens sein, inklusive Präsenzphasen. Unseren jungen Kundinnen und Kunden bilden übrigens sehr gerne Peergroups und tauschen sich aus. Nicht nur in den Persönlichkeitsbildungs-, sondern auch den fachlichen Programmen.

USCHI SORZ

Praktisch Open House ist auch theoretisch am besten.

20.3.2020

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Diversity in Schweizer Praxis Ein Programm der Universität St. Gallen will hochqualifizierten ­Frauen nach der Karrierepause zu adäquaten Positionen verhelfen TEXT: DOROTHEE NEURURER

S

ie sind keine Bittstellerinnen“, betont der Executive Coach in der Runde von zwanzig Frauen auf dem Novartis Campus in Basel. Alle sind hochqualifiziert, haben ihre Karriere wegen einer Familienpause unterbrochen und nehmen am CAS-Studienprogramm Women Back to Business, kurz WBB, der Universität St. Gallen teil. Ziel des bisher einmaligen Programms im deutschsprachigen Raum ist der Wiederein- oder Umstieg nach einer Familienpause in eine qualifizierte Position.

Zwar steht Diversity heute in jedem größeren Unternehmen im Firmen-Verhaltenskodex. „Aber in der Realität gibt es leider noch immer stereotypes Denken. Vielen Frauen werden nach der Familienpause Stellen angeboten, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen. Dennoch hat sich da in den letzten Jahren einiges getan“, sagt Patricia Widmer, Programme Head und Mutter von zwei Kindern im Teenageralter.

Hochkompetent, lebenserfahren, weiblich und lernbegierig Auf dem Lehrplan in St. Gallen stehen strategisches Management, Con­ trolling und Marketing, die klassischen Schwerpunkte eines Executive-

MBAs in kondensierter Form. Rund

vierzig Prozent der Teilnehmerinnen haben einen ökonomischen, dreißig Prozent einen mathematischen, Informatik-, naturwissenschaftlichen oder technischen (MINT) Hintergrund, gefolgt von IT-Expertinnen. Aber auch Linguistinnen und Architektinnen sind dabei. Sie zeigen sich im Kurs sehr motiviert und fordern die DozentenInnen auch heraus. So diskutiert eine Kreditanalystin, Mutter von drei Kindern, nach 15 Jahren Familienpause mit dem Finanzdozenten auf Augenhöre über Bilanzen, eine Vergütungsspezialistin über Bonussysteme.

Die zwei- bis dreitägigen Module finden bei Partnerfirmen des WBBProgramms statt. Ob in der Pharma-, Finanzbranche, im Einzelhandel oder ICT, diese Firmen bieten neben der Kursinfrastruktur sich selbst als potenzielle künftige Arbeitgeber an. „Mit den WBB-Absolventinnen haben die Firmen sehr gute Erfahrungen gemacht, weil sie wissen, dass diese sehr motiviert sind und extrem schnell lernen. Ihre Lebenserfahrung und eine gewisse Seniorität schätzen Arbeitgeber und Kunden. Und sie sind sehr loyal, also keine Job-Hopper. Das bedeutet für Unternehmen Stabilität“, sagt Patricia Widmer. Verantwortung, Loyalität und Lebenserfahrung – das

klingt im digitalen Zeitalter mit permanentem Drang zur Prozessoptimierung nach Ruhe und Vernunft. Fähigkeiten, die man nicht in einem Workshop, sondern bei den täglichen Herausforderungen im Familienleben, also mit Kindern, pflegebedürftigen Eltern, durch Jobverlust des Partners oder bei der Scheidung lernt. Im Leben sind Eigenschaften gefragt, die auch in einem Job den Unterschied machen können.

Unterstützung für Frauen in der Hoffnung auf Mitarbeiterinnen Das WBB-Netzwerk bietet Frauen einen konkurrenzfreien und geschützten Raum, in dem sie einander auf Augenhöhe begegnen und ähnliche Erfahrungen teilen. Das setzt wichtige Energie und Motivation frei. Beides ist für einen Wiedereinstieg ins Berufsleben dringend nötig. Wer sich längere Zeit nur im Familienuniversum bewegt hat und immer für andere da war, muss sich mit dem Businessuniversum und dessen Regeln erst wieder vertraut machen, selbst wenn das Fachwissen noch vorhanden ist. Da­ rauf wird in intensiven Skills-Workshops eingegangen, wo es um die Themen eigene Stärken, Selbstbewusstsein und Karriereplanung geht.

„Diversity“ heißt für Frauen noch immer: weniger Geld Seit vier Jahren gibt es zusätzlich einen englischsprachigen Kurs, der vor allem Expat-Frauen anspricht. Hier liegt der Altersdurchschnitt mit Ende dreißig unter dem der deutschsprachigen Teilnehmerinnen, die Mitte vierzig sind. Dazu kommen Frauen unterschiedlicher Nationalitäten aus Nordund Südamerika, Asien, Afrika und Osteuropa.

Der Wiedereinstieg in eine qualifizierte Position hat auch eine wirtschaftliche Komponente. Eine Studie der Universität Neuchâtel aus dem Jahr 2019 namens „Neues Finanzierungsmodell familienexterner Betreuung – unter Berücksichtigung positiver Anreize für berufstätige Eltern und kindlicher Frühförderung“ im Auftrag der Stiftung Pro Familia kommt zum Ergebnis, dass für Frauen mit Tertiärabschluss in der Schweiz die Lohneinbußen vor und nach der Mutterschaft mit minus 21 Prozent besonders hoch ausfallen. Wer durchschnittlich 6,7 Jahre zu Hause bleibt, hat in der Schweiz rund 400.000 Euro weniger im Familienbudget. Für Deutschland und Österreich fallen die Lohneinbußen mit über fünfzig Prozent noch mehr ins Gewicht. Nicht eingerechnet sind dabei die vielen Stunden, die diese Frauen gratis und im Ehrenamt für soziale Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Gemeinschaftszentren erbringen. Diversity wäre ein feines Konzept, wenn es denn auch wirklich zu mehr Gerechtigkeit für Frauen führen würde.

FOTO: ANNA-TINA EBERHARD

„Frauen werden Stellen angeboten, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen.“ Patricia Widmer (rechts), WBB

Meist geht einer Festanstellung ein Praktikum voraus. Eine gute Gelegenheit für beide Seiten, sich risikolos kennenzulernen. Eine Teilnehmerin aus Basel, Ökonomin und Mutter von zwei Söhnen, hat bei einem Pharmariesen während sechs Monaten den Zukunftstag organisiert. Eine schwedische Teilnehmerin, die während der Mutterschaft eine Ausbildung zur Goldschmiedin abgeschlossen hat, bringt ihre Erfahrung aus der Selbstständigkeit bei einem internationalen Versicherungskonzern ein.

Wegen des Fachkräftemangels geht ein Marktführer für Cloud-basiertes ITSM ganz neue Wege. In einem Pilotprojekt bildet die Firma WBB-Teilnehmerinnen kostenlos und unabhängig von deren IT-Vorkenntnissen aus.

Dabei profitieren beide Seiten: Die ITTrainer erweitern ihre Lehrfähigkeiten, die WBB-Frauen können risikolos über digitale Workflows auf Systemadministratorenebene lernen.

Manche WBB-Absolventinnen wagen den Sprung in die Selbstständigkeit. Eine Textildesignerin wäre ohne das WBB-Programm nicht auf die Idee gekommen, mit nachhaltiger Mode eine Firma zu gründen. Eine frühere SAP-Spezialistin berät heute als Expertin für Digital Recruiting Firmen bei der Suche nach Fachkräften.

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Abschied vom Homo oeconomicus?

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FOTOS: WU WIEN,ROBERT GORTANA, CARL ANDERS NILSSON, PRIVAT (2), WIFO

as Grundparadigma der Ökonomie, meint der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister, könne man von dem ablesen, was in den Standardlehrbüchern unterrichtet wird: Gleichgewichtstheorie, mikroökonomische Fundierung und Homo oeconomicus.

Eine Änderung werde meist dann eingeleitet, wenn eine herrschende Theorie wichtige Probleme nicht befriedigend erklären kann. Dieser Wechsel sei jedoch ein komplexer und langwieriger Prozess.

Weg vom Konkurrenzdenken zur Interdisziplinarität?

Können sich also wissenschaftliche Paradigmen, Modelle und Forschungsmethoden in der Ökonomie ändern? Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung, Weltbevölkerung oder Feminismus schreien förmlich nach wirtschaftswissenschaftlicher Wahrnehmung. Werden diese Themen nun in die Ökonomie integriert und – wenn ja – wie? „Wenn man auf aktuelle Herausforderungen von der neoklassischen Ökonomie keine nützlichen Antworten erhält, sind diese Probleme Gelegenheiten für Ökonomen, ihr Denkgerüst kritisch zu beäugen“, sagt Sigrid Stagl, Vorstand am Institut für Ökologische Ökonomie an der WU Wien.

Daher seien derzeit eher Ökonomen gefragt, die in der interdisziplinären Zusammenarbeit versiert und an dieser interessiert sind. „In der ökologischen Ökonomie haben wir schon vor langer Zeit damit aufgehört, die anderen zu kritisieren. Wir haben beschlossen, als Kollektiv ein besseres Analyseinstrumentarium zu entwickeln.“ Monika Merz, Professorin für Angewandte Ökonomie im Bereich der Makroökonomie an der Universität Wien, ist ebenfalls der Meinung, dass es gegenwärtig nicht um einen Methodenstreit geht. Es habe aber die Vielfalt an Untersuchungsmethoden zugenommen. Das große Schlagwort lautet Maschinenlernen, mit dem der gesamte Bereich von Data Science einhergehe.

Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien in Wien spricht davon, dass man vom Konkurrenzdenken ab-

Sigrid Stagl, Ökologische Ökonomie, WU Wien

Die Wirtschaftswissenschaften nehmen immer mehr Aspekte menschlichen Verhaltens in die ökonomische Forschung auf TEXT: NORA PAUL

„In der meistzitierten Zeitschrift der Wirtschaftswissenschaften hat es noch nie einen Beitrag über den Klimawandel gegeben CHRISTIAN FELBER GEMEINWOHLÖKONOMIE

Christian Felber, Initiator der Gemeinwohlökonomie

Helmut Hofer, Institut für Höhere Studien, Wien

komme. „Es ist alles viel breiter geworden.“ Auch sei in den letzten Jahren einiges passiert, um einen neuen großen Finanzcrash zu vermeiden.

Dazu sei die klassische Makroökonomie mit der Analyse von Finanzmärkten verbunden worden.

Kennt die Wirtschaftswissenschaft keinen Klimawandel?

Interdisziplinarität, Integration und Kooperation scheinen demnach wichtige Themen zu sein. Christian ­Felber, Initiator der Gemeinwohlökonomie, prophezeit eine „Wiedervereinigung von Wirtschaft und Ethik, von quantitativen und qualitativen Werten“. Die wirtschaftliche Betrachtung der Märkte werde viel differenzierter sein müssen – weg von reiner Wirtschaftswissenschaft, die auf Finanzkennzahlen fokussiert ist, hin zu einer ganzheitlicheren, politischen und gleichzeitig ökologischen Ökonomie. Die Auseinandersetzung mit manchen Bereichen bleibe derzeit jedoch noch auf der Strecke. Dazu verweist der am Berliner Institute for Advanced Sustainability Studies, IASS, wirkende Felber auf einen Beitrag des britischen Ökonomen Nicholas Stern, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass „es in der meistzitierten und prominentesten Zeitschrift der Wirtschaftswissenschaften, im ‚Quarterly Journal of Economics‘, noch nie einen Beitrag über Klimawandel gegeben hat“.

Für Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien, ist die größte Herausforderung für die Wirtschaftwissenschaften, „einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten. Zum einen sollten sie ihr Know-how einsetzen, um gute Vorschläge für die Politik zu machen. Zum anderen müssen sie gegenüber den politischen Entscheidungsträgern so kommunikationsfähig sein, dass sie verstanden werden.

Es gibt ja im Kreis der sozial engagierten Ökonomen solche, die sich nie in die ‚Niederungen‘ der praktischen Umsetzung hinablassen, sondern lieber in Alternativszenarien schwelgen und Utopien ausbauen, die an sich zwar interessant sein mögen, wo aber

Monika Merz, Angewandte Ökonomie, Universität Wien

der Weg vom Status quo zur Utopie völlig im Dunkeln liegt.“ Auch Christian Felber konstatiert „eine gefährliche Entfremdung zwischen der Wirtschaftswissenschaft und der Lebensrealität der Menschen mit ihren Werten und Grundbedürfnissen“. Die Forschenden sollten mehr mit den Betroffenen sprechen.

Unbeachtete Leistungen der Frauen in der Forschung beachten Seit zwanzig Jahren ist die „Gesellschaft für Plurale Ökonomik“ als weltweite Reformbewegung tätig und fordert neben Transdisziplinarität auch Interdisziplinarität, Theorienvielfalt, Methodenvielfalt und Kontextualisierung. Dabei gerät das Konzept des Homo oeconomicus, also das theoretische Modell eines Nutzenmaximierers, in Wirtschaftswissenschaft und Spieltheorie in Frage. Der Begriff wird nicht völlig aufgegeben, wohl aber die Annahme, der Homo oeconomicus würde stets unter der Voraussetzung handeln, über alle nötigen Informationen für vernünftiges Handeln zum eigenen Nutzen zu verfügen. Man zieht nun auch in Betracht, dass Individuen aus sozioökonomischer Perspektive Teile von Gruppen sind, die man abzubilden versuchen sollte. So werden etwa Verhaltensmodelle aus der Sozialpsychologie angewendet, in denen individuelle Präferenzen abgebildet werden ebenso wie soziale und subjektiv wahrgenommene Normen. „Schon in der griechischen Oikonomia waren Fürsorge, Kooperation, Fülle und Genügsamkeit die Leitwerte“, erklärt Felber.

Auch „der Genderaspekt wird sich nicht mehr lange rausbugsieren lassen“, meint er. Es gehe um wertvolle Leistungen, die vor allem von Frauen etwa im Haushalt erbracht, aber vom aktuellen Leistungsmessinstrumentarium nicht adäquat abgebildet werden. Diese unbeachteten Leistungen der Frauen seien essenziell, um Wirtschaft und Gesellschaft gut funktionieren zu lassen. „Daher muss man diese Leistungen auch in die ökonomischen Modelle mit aufnehmen“, sagt die Ökonomin Stagl.

Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher in Wien

Christoph Badelt, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

22 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : BU R N - O U T

„Ich habe sogar noch gearbeitet, als mein Körper nur noch aus dem letzten Loch gepfiffen hat.“ Andrea Burger

Wenn ich mich selbst verheize, helfe ich niemandem Nachdem ihre Gedanken monatelang nur noch um ihr Arbeitspensum gekreist waren, brach die 46-jährige Andrea Burger (Name von der Redaktion geändert) zusammen rau Burger, woran haben Sie gemerkt, dass Sie ein Burn-out hatten?

Andrea Burger: Ich muss gestehen, dass ich es selber gar nicht gemerkt habe, besser gesagt, es mir nicht und nicht eingestehen wollte, obwohl es viele Signale gab. So leide ich seit Langem an Schlafstörungen. Die letzten Jahre bin ich jedes Mal krank geworden, sobald wir auf Urlaub gefahren sind. Das Schlimmste für mich war, dass ich die letzten Monate vor dem Zusammenbruch überhaupt nicht mehr aufhören konnte, an die Arbeit zu denken: beim Einkaufen, am Wochenende oder in der Nacht. Obwohl wir viel mit den Kindern unternommen und oft Freunde getroffen haben, haben mir die Treffen, Gespräche und

TEXT: CHRISTINA RADEMACHER

Ausflüge nur noch wenig bedeutet.

Wann haben Sie die Diagnose bekommen?

Burger: Mein Mann hat mir oft gesagt, dass ich richtig arbeitsfanatisch geworden sei und er große Angst habe, dass ich krank werde. Geglaubt habe ich ihm das nicht. Die Diagnose „Erschöpfungsdepression“ habe ich von der Hausärztin erhalten, nachdem ich nicht mehr in der Lage war, ins Büro zu gehen.

Paul ­Jiménez, ­Psychologe, Universität Graz

Wie viel Zeit benötigt man, um nach einem Burn-out wieder gesund zu werden?

Burger: Ich habe Menschen getroffen, die sich nach zwei bis drei Mo-

naten wieder arbeitsfit gefühlt haben.

Ich hingegen bin bereits seit knapp einem Jahr im Krankenstand.

Was hat geholfen?

Burger: Meine Hausärztin hat mir klipp und klar gesagt, was mit mir los ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für mich die Kombination aus erstens sehr viel Zeit für mich alleine, zweitens Bewegung in der Natur und vor allem drittens Psychotherapie ist, die mir hilft. Meine Psychotherapeutin hat wirklich Großartiges geleistet!

Was hat nicht geholfen?

Burger: Die ersten Monate meines Krankenstandes bin ich mir selber im Weg gestanden, da ich nicht

FOTOS: REGINA HÜGLI, JIMENEZ

F

BU R N - O U T : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 23

­akzeptieren wollte, arbeitsunfähig zu sein. Verletzend waren die Aussagen einiger Personen, die mir das Gefühl gegeben haben, nicht krank zu sein, sondern nur zu „tachinieren“.

Welche Maßnahmen hätten das Burn-out verhindern können?

Burger: Ich habe in der Arbeit nie mitbekommen, dass Burn-out-Prophylaxe ein Thema wäre, und das, obwohl es in der Firma einige Burn-out-Fälle gibt.

Dabei gibt es einen einfachen Schlüssel zum Erfolg. Ein Beispiel ist das Autofahren, wo uns allen klar ist, dass man viele Kilometer fahren kann, aber dann muss man eine Pause machen, um das Auto wieder aufzutanken. Ich muss darauf achten, dass der Motor nicht überhitzt und genug Luft in den Reifen ist.

Von Zeit zu Zeit muss mein Auto sogar für ein paar Tage in die Werkstatt.

Mit einem Auto, bei dem die Bremsen nicht mehr funktionieren und die Achsen gebrochen sind, darf ich keinen Meter mehr fahren, sondern muss sofort zum Experten. Genau das habe ich bei mir selber nicht beachtet: Ich habe sogar noch gearbeitet, als mein Körper nur noch aus dem letzten Loch gepfiffen hat. Ich habe nicht auf meine körperlichen Signale und die Erschöpfung geachtet.

Jetzt mache ich manches Mal von meinem Recht Gebrauch, Nein zu sagen. Das ist schwer für mich, weil ich ja gern anderen helfe. Aber wenn

„Am besten sollte jemand in betreuter Teilzeit in den Arbeitsprozess zurückkehren. Denn wenn man von null auf hundert geht, ist die Gefahr eines Rückfalls sehr groß“ PAUL JIMÉNEZ, PSYCHOLOGE, UNIVERSITÄT GRAZ

Risikoprävention und Katastrophenmanagement

Master

Rückkehr am besten in Teilzeit Wenn die Gedanken nur noch um die Arbeit kreisen, sei das Burn-out-Risiko groß, sagt Paul Jiménez, Psychologieprofessor an der Universität Graz. „Wichtig ist, ob ich mich erholen kann oder das Gefühl habe, mich im Hamsterrad zu drehen.“ Schutz vor der totalen Erschöpfung biete das Gefühl, Sinn in der Arbeit zu erleben: „Menschen, die im Beruf erfolgreich sind, schlittern selten ins Burn-out.“ Aber auch Erfolgreiche müssten prüfen, ob sie sich noch von der Arbeit lösen können oder bereits Workaholics sind.

Die persönliche Erholungs-Beanspruchungs-Bilanz lässt sich mit einem Test der Universität Graz erkunden (www.burnout-check.com). Was die Unternehmen angeht, müssen sie seit 2013 psychische Belastungen am Arbeitsplatz evaluieren. „Viele Firmen haben diese Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes am Anfang negativ gesehen, aber sie ist eine große Hilfe bei der Organisationsentwicklung“, meint Jiménez. „Wenn man es richtig macht, betreibt man damit automatisch Burn-out-Prävention.“ Deutlich schwieriger als die Vorbeugung sei die Rehabilitation. Hier rät er zu einem betreuten, langsamen Wiedereinstieg in die Arbeit.

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Gibt es gesellschaftliche Faktoren, die zur Entstehung eines Burn-outs beitragen?

Burger: Ja, bestimmt! Ich verstehe nicht, warum wir in unserem Wirtschaftssystem glauben, dass wir immer noch mehr Leistung, Überstunden und zusätzliche Wachstumsraten erbringen müssen, im Gegenzug aber auf Ausruhen, Entspannen und Nichtstun verzichten. Das ist kein gesundes Gleichgewicht! Etwas provokant formuliert, erinnert mich der Umgang mit Burn-out an den Spruch „Gewinne werden privatisiert, Verluste verstaatlicht“. Solange sich der Mitarbeiter für das Unternehmen völlig verausgabt, ist alles in Ordnung. Sobald derselbe Mitarbeiter jedoch an Burnout erkrankt, werden die Folgekosten, also Kosten für lange Krankenstände, Arbeitslosigkeit, Psychotherapeuten und Reha-Maßnahmen, sowie die Verantwortung schnell auf die Allgemeinheit oder den Erkrankten selbst übergewälzt. Ich bin keine Expertin, aber vielleicht würde ein gesetzliches Bonus-Malus-System helfen, die Burnout-Raten zu senken: Firmen, in denen keine Mitarbeiter an Burn-out erkranken, könnten finanziell entlastet werden, während Firmen, die viele Burn-out-Fälle produzieren, höhere Beiträge leisten müssten.

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24 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : TEC H N O LO G IE

Hartes Pflaster für Hedys Erbinnen

Hedy Lamarr wird als großes Vorbild gepriesen. Dennoch profitieren Frauen deutlich weniger von der Expansion bei MINT-Jobs. Dadurch verlieren wir wichtige Perspektiven bei der Gestaltung der Digitalisierung TEXT: WERNER STURMBERGER

ährend die Wiener HollywoodDiva Hedy Lamarr mittlerweile auch für ihre Leistungen auf dem Gebiet der Technik gewürdigt wird – sie wurde in die US National Inventors Hall of Fame aufgenommen –, fassen Mädchen und Frauen auf diesem Gebiet kaum Fuß. „Es ist seit hundert Jahren fast dasselbe: Wir leben in einem Kulturkreis, in dem Technik männlich besetzt ist“, sagt Iris Appiano-Kugler, Abteilungsleiterin der Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen. „International betrachtet ist das eine österreichische und deutsche Spezialität. In anderen Ländern kennt man das so nicht.“ Als Gleichbehandlungs- und Gender-Mainstreaming-Beauftragte des AMS ist Appiano-Kugler auch maßgeblich an der Umsetzung des Frauenförderungsplans des AMS beteiligt: Das 2006 gestartete „FIT – Frauen in Handwerk und Technik“ unterstützt Mädchen und Frauen beim Ein- bzw.

Umstieg in diese Branchen.

Es entstehen schlechte Produkte und Dienstleitungen, die Diskriminierungen vollautomatisiert fortschreiben

Als Technikberufe noch weiblich waren Zwar steigt der Anteil von Frauen mit technischen Ausbildungen allmählich an, es ist jedoch noch viel Luft nach

FOTOS: REGINA HÜGLI, AMS

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TEC H N O LO G IE : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 25

oben. Bei Burschen sind die drei häufigsten Lehrberufe Metall-, Elektround Kraftfahrzeugtechnik.

Bei Mädchen findet sich mit Metalltechnik erst seit dem Jahr 2018 ein technischer Lehrberuf unter den Top Ten. Obwohl Frauen die Mehrheit der Studierenden stellen, machen sie in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gerade einmal ein Drittel aus.

Im Ingenieurswesen und im verarbeitenden Gewerbe sind es weniger als dreißig, in der Informations- und Kommunikationstechnologie weniger als zwanzig Prozent.

Für ­Appiano-Kugler ist klar, dass in ­diesen ­Ungleichverhältnissen mehr soziale und wirtschaftliche Konstellationen denn tatsächliche geschlechterspezifischer Unterschiede zum Ausdruck kommen.

So sei Setzer einmal ein Frauenberuf gewesen: „Man hat argumentiert, dass dafür feine Hände nötig sind und die Arbeit daher auch von Klavier spielenden Bürgerstöchtern verrichtet werden kann. Doch als es ein Überangebot an Arbeitskräften gab, wurde ,Setzerin‘ ein Männerberuf: Frauen sollten nicht mit so schweren und dreckigen Maschinen arbeiten, hieß es dann.“ Ähnlich verhält es sich mit der Softwareentwicklung, die in den 1940er-Jahren fest in Frauenhand war.

Eine Kultur, die Frauen aktiv von Technikberufen abhält Als „Leaking Pipeline“ bezeichnet man das Verlorengehen von Frauen auf dem Weg in technische Berufe. Der Begriff verweist auf jene Mechanismen, die dazu beitragen, dass vor allem weiße, heterosexuelle Männer in Berufe und Positionen mit hohem Status und Einkommen landen, wie man sie überproportional in der Technik findet. „Ich unterstelle da nicht einmal böse Absichten, aber es gibt einfach Mechanismen, die Frauen signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind.

Und die setzen bereits ganz früh ein“, sagt Appiano-Kugler.

Iris Appiano-Kugler, Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik für Frauen“, Gleichbehandlungs- und GenderMainstreaming-Beauftragte des AMS Österreich Mehr Informationen unter: www.ams.at/fit

„International betrachtet ist das eine österreichische und deutsche Spezialität. In anderen Ländern kennt man das so nicht“ IRIS APPIANO-KUGLER, AMS

Ein wichtiger Faktor für ein Interesse an Technik ist ein Familienmitglied, das einem technischen Beruf nachgeht. Mädchen fehlen aber oft die entsprechenden Vorbilder wie auch Möglichkeiten, ihr Technikinteresse zu entdecken, etwa durch Spielzeug.

Angebote fehlen dann auch später in der Pubertät: Anders als für Burschen ist es für Mädchen sehr viel schwieriger, als technikaffine „Nerds“ oder „Gamer“ Wertschätzung zu erfahren.

Technikerinnen im Beruf – kein leichtes Pflaster Der Druck zu Geschlechterkonformität setzt sich bei der Berufswahl fort, zeigt eine Studie der FH Oberösterreich: Neun von zehn der befragten Schülerinnen in Oberösterreich gaben an, es sei ihnen nahegelegt worden, etwas Kommunikatives, Soziales oder Frauentypisches zu studieren.

Eine „untypische“ Studienwahl wird so nachhaltig erschwert: Drei Viertel der befragten Schülerinnen trauten sich kein Informatikstudium zu. Studienautorin Martina Gaisch, Professorin am Campus Hagenberg, macht dafür fehlende elterliche Förderung und verzerrte Leistungsbewertungen in der Schule verantwortlich: Mädchen würden in Physik, Mathematik und Informatik bei gleicher Leistung schlechter bewertet werden.

Ein weiterer Punkt: Die Gestaltung von Studiengängen beachte die Präferenzen junger Frauen nach ­interdisziplinärer Ausrichtung, kreativen Fächern und Gruppenarbeiten nicht ausreichend. Diese Ausschlussmechanismen setzen sich im Berufsleben fort.

Laut einer Studie des Instituts für Höhere Studien IHS sind MINT-Absolventinnen schlechter in den Arbeitsmarkt integriert als ihre Kommilitonen. Generell landen sie seltener in studiennahen Jobs und verlassen diese auch schneller wieder.

Die Studie des IHS zeigt zudem, dass MINT-Absolventinnen um 500 bis 600 Euro im Monat weniger verdienen als ihre Kollegen. Die vielerorts vorherrschendenden Arbeits-

praxisnah forschungsstark chancenreich 18 Bachelor- und 12 Masterstudiengänge Weiterbildungsangebote www.fh-salzburg.ac.at

platzkulturen dürften sich zusätzlich negativ auf die Verbleibedauer auswirken: Laut des weltweiten „Women in Tech Survey Report“ des Softwareunternehmens Ivanti berichten zwei Drittel der Befragten Frauen von Benachteiligungen, ein Drittel von Sexismus. „Als Frau in klassischen Männerdomänen braucht man ein dickes Fell“, so Appiano-Kugler. Ein Umdenken bei heimischen Unternehmen hält sie darum für dringend geboten: „In großen Unternehmen wird Diversität mittlerweile offensiv angegangen. Österreich ist aber vor allem durch klein- und mittelständische Unternehmen geprägt. Da hat man oft noch nicht erkannt, dass man Frauen im Recrui­ting explizit ansprechen und für ein ansprechendes Arbeitsumfeld sorgen muss.“ In der Technik liegt die Zukunft – auch der Vorurteile?

Dass Frauen sich unbedingt um eine Karriere im MINT-Bereich bemühen sollten, liegt für die AMS-Expertin Appiano-Kugler auf der Hand: „Viele Mädchen und Frauen befassen sich gar nicht damit und verpassen so die Chance zu entdecken, wie gestalterisch Technik sein kann. Gleichzeitig sind es meist sehr gute Arbeitsplätze, nicht nur was Entlohnung und Aufstiegschancen betrifft. Aufgrund des Arbeitskräftemangels sind Unternehmen nun auch bereit, auf die Wünsche potenzieller Mitarbeiterinnen, etwa was die Vereinbarkeit von Job und Familie betrifft, einzugehen.“ Im Moment haben Frauen nur geringen Anteil an der Expansion der MINT-Jobs. Wie wichtig es wäre, dass bei der Gestaltung der Digitalisierung mehr Diversität vorherrscht, zeigen Fehlentwicklungen der jüngsten Vergangenheit: Systeme künstlicher Intelligenz, die dunkle Haut oder Frauenstimmen gar nicht oder schlechter erkennen oder Frauen einen niedrigeren Kreditrahmen zuweisen. So entstehen schlechte Produkte, vor allem aber Dienstleitungen, die Diskriminierungen vollautomatisiert fortschreiben.

26 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : F E R N ST U D IU M

Von Wirtschaftsinformatik über Pflegemanagement und Psychologie bis zur Theologie lässt sich mittlerweile fast alles fern der Universität studieren

In Niederösterreich und Stanford B

reitbandinternet und Smart­phone ermöglichen es, sich von jedem Ort aus in einen Hörsaal zu klicken, sei er real oder virtuell. Nicht nur bei privaten Anbietern wie ­Euro-FH, Hamburger Fern-Hochschule oder Fernuniversität Hagen, denn mittlerweile bieten auch öffentliche Universitäten Fernstudien an.

In Österreich ist das momentan allerdings nur die Universität Linz mit dem Studienfach Jus. Von insgesamt 5.600 Jus-Studierenden im WS 2019/20 haben sich 3.900 für den „Multimedialehrgang“, also das Fernstudium, entschieden.

Sie haben natürlich auch die Möglichkeit, Präsenz-Lehrveranstaltungen zu besuchen. Über eine Kooperation mit der Fernuniversität Hagen ist die Universität Linz außerdem ein wichtiger Ansprechpartner in Sachen Fernstudium. Die einzige durch den

TEXT: SABINE EDITH BRAUN

Iris Pfarl ­absolviert ein Fernstudium an der Universität Stanford

Bund ­finanzierte Fernfachhochschule Österreichs, die Ferdinand Porsche FernFH, bietet fünf Studiengänge an: nämlich Aging Services Management (Bachelor), Betriebswirtschaft & Wirtschaftspsychologie (Bachelor, Master) sowie Wirtschaftsinformatik (Bachelor, Master).

Doch tatsächlich gibt es fast kein Wissensgebiet, das sich nicht auch aus der Ferne, also fern von einer Hochschule, studieren ließe: Das gilt von Wirtschaftsrecht über Mechatronik bis Pflegemanagement und Psychologie.

Auch Theologie kann man fern von einer Uni lernen.

Bei Martin Obermeir-Siegrist waren je ein Semester methodistische Kirchengeschichte bzw. methodistische Lehre, also Ethik und Dogmatik, im Fernstudium ein wichtiger Schritt zu seiner jetzigen beruflichen Tätigkeit als methodistischer Pastor.

Positive Aspekte eines Fernstudiums Als Obermeir-Siegrist, ausgebildeter Kindergartenpädagoge, sein Studium der evangelischen Theologie in Wien begann, wusste er noch nicht, dass er später als Pastor tätig sein möchte.

Doch im Herbst 2011 wurde er Pastor auf Probe. Dazu empfahl ihm die Kirche zwei Semester Fernstudium an der „Methodist E-Academy“ der Theologischen Hochschule in Reutlingen – parallel zu seiner praktischen Ausbildung als Pastor.

Es sind dabei neben vielem anderen vor allem die präzisen Zeitangaben, die er positiv erlebt hat: „Wie viel Aufwand etwas ist, war sehr klar angegeben: Etwa zwei Stunden Onlinezeit samt Diskussion im Forum, oder vier Stunden Aufwand für eine Hausübung – inklusive Lektüre.“ Ein weiterer Vorteil: die Präsenzblöcke, etwa ein

FOTOS: REGINA HÜGLI, PRIVAT

Mit der Bildung hat sich auch die Weiterbildung geändert: Weg vom klassischen Fernlehrgang hin zum akademischen Fernstudium

F E R N ST U D IU M : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 27

Einstiegsblock zur Kirchengeschichte, eine Studienreise nach England sowie ein zweites Blockseminar in Deutschland. „Die Präsenzblöcke haben meine Motivation gesteigert, auch weil man wusste, mit wem man es zu tun hat“, sagt Martin Obermeir-Siegrist. In seinem Fall waren dies neun deutschsprachige Kolleginnen und Kollegen neben zwanzig Mitstudierenden der englischsprachigen Gruppe. Er sieht einen Vorteil in Form der enormen Diversität, von der er profitierte.

Was, wenn die Technik während des Unterrichts ausfällt?

Gab es auch Nachteile? Ja, und zwar in Form der reinen Onlinezeit im Forum, die es zu absolvieren galt: „Da konnte ich mich oft schwer motivieren. Das ist etwas anderes, als wenn man selbst auf die Uni geht.“ Außerdem sei die verwendete Moodle-Variante im Vergleich zu Social-MediaSeiten mühsam zu bedienen gewesen.

Technische Ausfälle können auch zum Worst-Case-Szenario werden.

Bei Obermeir-Siegrist just am Tag des Präsenzblocks. „Weil niemand wusste, wie lange die Behebung des technischen Schadens dauert, saßen wir mehrere Stunden im Hörsaal herum und warteten. So gründlich aufgeräumt wie an dem Tag war mein PC seither nie mehr“, lacht der ­Pastor, und fügt hinzu: „Am ärgerlichsten war

„Alles ist beim Stanford-Fernstudium gut organisiert und gleichzeitig unkonventionell. Die Vortragenden sind zum Teil sehr schräg“ IRIS PFARL, FERNSTUDENTIN

es für jene, die von weither angereist kamen, etwa eine Kollegin aus Wladiwostok, die drei Tage auf der Reise war.“ Mit vier Kindern zu Hause und doch auch in Stanford Ein geografisch ähnlich fernes Fernstudium wie die russische Theologin betreibt auch Iris Pfarl. Die WU-Absolventin mit Doktorat in Außenhandel absolviert in Stanford ein postgraduales „Innovation and Entrepreneurship Certificate“ – ausschließlich online. Dieses Fernstudium ist ein modulares System mit 15 Kursen zur Auswahl. Für vier Kurse gibt es das Minizertifikat, für acht Kurse das große. Am Ende von jedem Modul wartet ein Multiple-Choice-Test. „Bei diesem kann man zwar alle Unterlagen verwenden, aber die Fragen sind wirklich gefinkelt“, sagt Pfarl. Dafür gibt es binnen 24 Stunden ein umfangreiches persönliches Feedback.

Das Fernstudium ist für die Mutter von vier Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren die ideale Möglichkeit, nach der letzten Karenz wieder in die Weiterbildung einzusteigen.

Gleichzeitig bietet es ihr auch die Möglichkeit zur Umorientierung in Richtung Selbstständigkeit. Sie kann nun weiterhin in der Beratung im Bereich Export- und Unternehmensfinanzierung tätig sein, aber dank der

Stanford Ausbildung auch im Bereich Innovation Management. „Und ein Nine-to-five-Job geht mit vier Kindern sowieso nicht“, sagt sie.

Ausschlaggebend für ihre Entscheidung für Stanford: Sowohl die Qualität wie auch die Anforderungen dort seien „top“. Daher passe auch das Preis-Leistungs-Verhältnis. „Verglichen damit sind die Kosten bei hiesigen Studien relativ hoch.“ Um in Stanford überhaupt zugelassen zu werden, musste die Niederösterreicherin unter anderem einen Bewerbungsessay verfassen.

Alle Videos und Vorträge, die sie zu erarbeiten hat, dauern zwischen fünf und 15 Minuten: „Das ist ein Vorteil, denn so geht die Aufmerksamkeit nicht verloren.“ E-Lernstoff in Form kleiner Häppchen ist aber nicht der einzige Vorteil, den Stanford bietet: „Alles ist lückenlos und straight organisiert, dabei gleichzeitig unkonventionell. Die Vortragenden sind zum Teil sehr schräg, machen aus allem eine Inszenierung“, erklärt Pfarl. Auch dass das Wort „Failure“, also Scheitern, in Stanford dazugehöre, sei verglichen mit den Erfahrungen in Österreich angenehm neu und anders.

Einziger Wermutstropfen: „Socialising“ kommt zu kurz. Über ein Forum kann man sich vernetzen. „Doch ich bevorzuge Face-to-Face.

Aber das kommt wohl auf die Lebensphase an.“

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28 FALTER 10/20 T H EM A 1/ 20 : B I LD UNG : M E N SC H E N R EC H T SB IL D U N G

Kinder, es gibt Menschenrechte!

Damit sie davon etwas erfahren, bieten Institutionen wie Amnesty International oder das ETC in Graz Workshops und Kurse, ja ganze Human-Rights-Schulen an

FOTO : REGINA HÜGLI

TEXT: SOPHIE HANAK

„Wenn Kinder nie die Erfahrung machen, gemäß den Menschenrechten behandelt zu werden, werden sie ihnen wenig wert sein.“ G. Rabussay-Schwald

M E N SC H E N R EC H T SB IL D U N G : B IL D U N G : TH E MA 1/20 FALTER 10/20 29

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FOTO: ANDREA KLEM

eder von uns hat schon einmal etwas über Menschenrechte gehört. Fragt man aber genauer nach, können nur wenige diese definieren oder mehr als drei aufzählen. Dabei ist es recht einfach: Menschenrechte sind jene Rechte, die man deshalb hat, weil man ein Mensch ist. Diese bestehen aus 30 Artikel in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, die durch die UN-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurden.

Der Grund, warum viele Menschen ihre Rechte nicht kennen? Noch vor einigen Jahren waren die Angebote hinsichtlich Menschenrechtsbildung recht spärlich. In der Schule wurden diese höchstens einmal erwähnt, erinnern können sich nicht viele daran.

Glücklicherweise hat sich dies in den letzten Jahren geändert.

Amnesty International gibt Kurse zur Menschenrechtsbildung Die Arbeit von Amnesty International basiert auf den Menschenrechten. Daher bietet die Institution seit einigen Jahren Kurse und Workshops zum Thema für Lehrende, SchülerInnen und allgemein für die Öffentlichkeit. Gudrun Rabussay-Schwald, Leiterin der Abteilung für Menschenrechtsbildung bei Amnesty International Österreich, hat dazu einen Vortrag bei der zweiten Jahrestagung für Menschenrechtsbildung im Dezember 2019 an der Pädagogischen Hochschule in Wien gehalten. „Meist ist es so, dass die Schulen auf uns zukommen“, sagt Gudrun ­Rabussay-Schwald. „Bei den Workshops ist es uns sehr wichtig, sie in einem anschaulichen Kontext zu gestalten, damit die SchülerInnen vor allem verstehen, was die Menschenrechte mit ihnen zu tun haben und wie sie selbst aktiv werden können.“ Für jedes Alter gibt es ein maßgeschneidertes Programm sowie unterschiedliche thematische Schwerpunkte. „In der Berufsschule bieten wir andere Methoden an als in der Volksschule. Für die jüngeren Kinder haben wir uns sogar ein Kasperl­theater ausgedacht. Dieses handelt vom Zauberer Unerbittlich, der im Zauberwald wohnt und alles verbietet. Beispielsweise darf man nur ein einziges Lied singen. So kommt der Kasperl in Schwierigkeiten und ins Gefängnis.

Für die älteren Kinder haben wir viele interaktive Spiele entwickelt.“ Während der Workshops erkennen die SchülerInnen sehr schnell, wie und ob Menschenrechte in ihrem Alltag umgesetzt sind. Oft werden problematische Situationen besprochen wie etwa Mobbing. „Menschenrechte gleichen unterschiedliche Interessen aus. Dafür ist die Schule ein wichtiger Erfahrungsraum. Die Menschenrechte sind keine Einbahnstraße, sondern mein Recht im Spiegel des anderen“, sagt Rabussay-Schwald. Die Workshop­leiter bekommen zumeist

„Am Ende ihrer Volksschulzeit sollen alle SchülerInnen die wichtigsten Kinderrechte kennen“

sehr positive Rückmeldungen von den Teilnehmenden, die sich freuen, dass sie nach ihrer eigenen Meinung gefragt werden und diese auch vertreten dürfen. Das ist nicht überall selbstverständlich, aber an vielen Schulen oder zumindest in vielen Fächern wird das gefördert.

SIMONE PHILIPP, EUROPÄISCHES TRAININGS- UND FORSCHUNGSZENTRUM FÜR MENSCHENRECHTE UND DEMOKRATIE

Jedes Jahr vier bis fünf Millionen Menschen beim Briefmarathon Ein spannendes und sehr wirksames internationales Projekt, bei dem Schulklassen gern mitmachen, ist der Briefmarathon von Amnesty International, das größte Menschenrechts­ event weltweit. Jedes Jahr beteiligen sich daran vier bis fünf Millionen Menschen. Die Kinder schreiben Briefe für Menschen in Not und Gefahr: An Regierungen, um Unrecht zu beenden, und an bedrohte Menschen, um ihnen Solidarität zu zeigen. „Wir sind immer sehr beeindruckt, wie viele Säcke an Briefen da zusammenkommen und wie viel in der Menge bewegt werden kann. Die Folge davon ist, dass das internationale Interesse auf eine Person gerichtet wird. Beispielsweise gab es einen Fall in Nigeria, wo ein Mann schon zum Tode verurteilt war. Er kam aufgrund eines Briefmarathons frei.“ Ein umfassenderes Projekt sind die sogenannten „Human Rights Friendly Schools“: Hier sollen die Menschenrechte in den Mittelpunkt der Lernerfahrung gestellt werden und zu einem Bestandteil des Schulalltags werden.

Das Konzept beruht darauf, dass man Menschenrechte auch erleben muss, um ihre Bedeutung zu verstehen. „Natürlich kann man viel über Menschenrechte erzählen“, sagt RabussaySchwald. „Aber wenn Kinder die Erfahrung machen, nie gemäß den Menschenrechten behandelt zu werden, so

werden ihnen diese Rechte nicht viel wert sein. Das Ziel ist also, über die Rechte zu lernen und dass diese in der Schule auch angewendet und gelebt werden.“ Menschenrechte in den österreichischen Volksschulen Auch das „Europäische Trainingsund Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie“ (ETC) in Graz bietet Bildungsarbeit in Form von allgemein zugänglichen Lehrveranstaltungen, Workshops und internationalen Sommerakademien an.

Im Herbst 2019 wurde das Projekt „Unsere Menschenrechtsschule“ in zehn Volksschulen in Graz und der Steiermark gestartet. Es ist an das Programm der Human Rights Friendly School angelehnt. Zu Anfang gibt es Schulungen für das Lehrpersonal der teilnehmenden Volksschulen. Dann wird jeder Schule eine Toolbox mit Übungen, Unterrichtsplänen, Materialien und Zusatzinformationen zur Verfügung gestellt. Damit können die Lehrenden die Kinder über Menschenrechte unterrichten. Das Projekt ist auf Kinder ab der ersten Klasse zugeschnitten und läuft über zwei Jahre.

So soll jedes Kind zumindest einmal im Jahr etwas über Menschenrechten gehört haben. Dabei arbeitet das ETC mit den Schulbehörden auf Stadt- und Landesebene zusammen und wird dabei von den Pädagogischen Hochschulen wissenschaftlich begleitet. „Das Ziel des Projekts ist es, gemeinsam ein Umfeld zu schaffen, in dem die Menschenrechte eine Basis schaffen und die Kinder im Alltag anleiten. Am Ende ihrer Volksschulzeit sollen alle SchülerInnen die wichtigsten Kinderrechte kennen und diese im Schulalltag erfahren haben“, sagt ­Simone Philipp vom ETC Graz.

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Master des Datenuniversums Data Scientist ist ein Job mit Zukunft. Das merken auch in Österreich immer mehr Institutionen und bieten dazu eine entsprechende Ausbildung an

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s vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von der rasant vo­ ranschreitenden Digitalisierung ­lesen oder davon hören, was mit „Big Data“ heute alles möglich ist. Diese Ent­ wicklungen bedeuten für Unterneh­ men nicht nur, ihre Strukturen und Organisationsformen anzupassen. Sie haben vor allem auch einen tiefgrei­ fenden Wandel in der Personalpoli­ tik zur Folge. Damit gilt in weiterer Konsequenz: Jedes Unternehmen wird zum Softwareunternehmen und muss langfristig lernen, eine nachhaltige Datenexpertise zu etablieren.

Scharf darauf, Data Scientists kennenzulernen Noch vor wenigen Jahren hielten nur Spezialunternehmen im Softwarebe­ reich nach Data Scientists Ausschau.

Mittlerweile ist die Digitalkompetenz nicht mehr auf die IT beschränkt, son­ dern über das gesamte Unternehmen verteilt. Durch Big Data liegen in vie­ len Industrien riesige Datenmengen vor. Die Fähigkeit, diese sinnvoll zu kombinieren und zu interpretieren, ist allerdings rar.

Mit der zunehmenden Verfügbar­ keit von Daten und Informationen wächst für Unternehmen der Druck, sie für die eigene geschäftliche Ent­ wicklung zu nutzen, und dies mög­ lichst gewinnbringend. Die geschäftli­ chen Potenziale scheinen in nahezu je­ der Branche ebenso riesig zu sein wie die Datenmengen selbst. Gegenwärti­ ge Wirtschaftstrends stehen in direk­ ter Verbindung mit der Auswertung von Daten oder sind zumindest Teil der Daten-Generierungsfabrik.

Da stellt sich die Frage: Wer analy­ siert diese Daten eigentlich? „Es gibt einen riesigen Bedarf an Personen, die wissen, wie man seriös, reproduzierbar und auf wissenschaftlich fundierte Art einen Nutzen aus Daten ziehen kann“, sagt Arne Bathke, Dekan der Natur­ wissenschaftlichen Fakultät der Uni­ versität Salzburg. „Und die vernünf­ tig damit arbeiten. Das heißt, die auch ethisch darüber reflektieren, was man mit Daten alles nicht machen darf.“ Seit dem Wintersemester 2016 kann man an der Universität Salzburg das Masterstudium „Data ­Science“ be­ legen, das auf praktische Ausbildung sehr viel Wert legt. „Wir haben vor der Gründung des Studiengangs die Trends in den USA mitverfolgt und waren uns sicher, dass wir bald auch im deutschsprachigen Raum gut aus­

Masterstudium Data Science Universität Salzburg Hellbrunnerstraße 34 5020 Salzburg www.uni-salzburg.at Masterstudium Data Science und Engineering FH Oberösterreich Fakultät für Informatik, Kommuni­ kation, Medien Softwarepark 11 4232 Hagenberg Austria www.fh-ooe.at Bachelor Studiengang Data Science and Business Analytics FH St. Pölten Matthias Corvinus-Straße 15 3100 St. Pölten www.fhstp.ac.at Lehrgang Certified Business Data Scientist Österreichisches Controller-Institut und Controller Institut GmbH Vorgartenstraße 204/6 1020 Wien www.controller-institut.at MBA Data Analytics and Business Process Optimization Limak Austrian Business School Bergschlößlgasse 1 4020 Linz Standort Wien: Strozzigasse 2 1080 Wien www.limak.at Business Data Analysis Bootcamp Talent Garden Vienna Liechtensteinstraße 111–115 1090 Wien www.talentgarden.org

Arne ­Bathke, Dekan an der Universität Salzburg

Rita NiedermayrKruse, Controller­Institut Wien

gebildete Data Scientists brauchen werden. Nicht umsonst hat die ameri­ kanische Jobplattform Glassdoor.com den Data Scientist von 2016 bis 2019 als besten Job gelistet“, erklärt Bathke.

Seit 2018 ist auch ein duales Mas­ terstudium mit paralleler Anstellung bei attraktiven Unternehmen in Salz­ burg möglich. „Entweder bewirbt man sich gleich zu Beginn bei einem un­ serer Partnerunternehmen oder bleibt nach dem verpflichtenden Praktikum, etwa geringfügig, in dem jeweiligen Unternehmen. Knapp dreißig Un­ ternehmen in ganz Österreich sowie Behörden und wissenschaftliche Ein­ richtungen sind scharf darauf, unsere Studierenden kennenzulernen“, betont Bathke. Daher organisiert die Studi­ engangsleitung einmal pro Jahr eine Art „Speed Dating“, bei dem interes­ sierte Unternehmen potenzielle Prak­ tikantInnen kennenlernen können.

Voraussetzung für ein Masterstu­ dium im Bereich Data Science ist ein Bachelor. Quereinsteiger, die nicht aus den Bereichen Mathematik, Statistik oder Informatik kommen, müssen zu Beginn ein paar Grundlagenvorlesun­ gen in diesen Disziplinen nachholen.

Ein Data Scientist muss Statistik und lineare Algebra verstehen und an­ wenden können, braucht auch ein Ver­ ständnis für Datenbanken und Pro­ grammierung. Damit wird man kein IT-Experte, sondern eher ein seltener Allrounder aus Hacker, Analyst, Kom­ munikator und Berater. „Die Nachfra­ ge auf dem Arbeitsmarkt ist jedenfalls enorm“, erklärt Arne Bathke. „Data Science ist bestimmt nicht nur ein Hype. Daher werden wir unse­ ren Studiengang, der übrigens der ers­ te seiner Art in Österreich war, in Zu­ kunft noch mehr internationalisieren und in englischer Sprache anbieten.“

Bereich Know-how und Kompetenzen aufzubauen“, erklärt Rita NiedermayrKruse, Geschäftsführerin des Wiener Controller-Instituts. Der dort ange­ botene Lehrgang „Certified Business Data Scientist“ widmet sich der Rol­ le des Data Scientists als „Leiter für datengetriebene Analysen“. Die Jobbe­ schreibung: Big Data im Unternehmen zielgerichtet umsetzen. „Zu uns kommen ausschließlich Personen, die bereits in Unterneh­ men tätig sind und noch besser wer­ den wollen. Sie stammen aus den ver­ schiedensten Bereichen: Einkauf, HR, Controlling/Finanzwesen, Vertrieb oder auch Produktion“, sagt Nieder­ mayr-Kruse. Sie hat den Lehrgang gemeinsam mit Fachexperten entwi­ ckelt. Im Programm, das wieder vom 16. März bis 19. Mai 2020 stattfin­ det, wird an konkreten Projekten im Bereich der Advanced Analytics gear­ beitet, was dem Weiterbildungspro­ gramm auch eine Art AcceleratorFunktion verleiht.

Die zentrale Frage lautet dabei, wie Unternehmen ihre Geschäftsziele mit Data-Science-Methoden, Statistik und speziellen Tools noch besser erreichen können. „Wir entmystifizieren das The­ ma Algorithmus und Machine Lear­ ning und lehren dabei Use-Case-ori­ entiert“, erläutert ­Niedermayr-Kruse. „Von der Modellierung der Auslastung von Kapazitäten über die Entwicklung eines Modells für die Bewertung ei­ ner Bestellordnung bis zur Optimie­ rung der Notfallambulanz oder der Voraussage von Umsätzen waren da schon viele Anwendungsfälle unserer Teilnehmenden dabei, die sich weiter­ qualifizieren und einen hohen prakti­ schen Nutzen für ihre Unternehmen generieren.“

Kurs zu Data Science, Advanced Analytics und Machine Learning Verfügen Unternehmen bereits über eingespielte Teams oder stoßen bei der Einstellung von passenden Da­ tenexperten auf Schwierigkeiten, bie­ tet sich an, seinen Teams Expertise im Umgang mit Daten und den richtigen Analyseansätzen zu vermitteln. Hier­ für gibt es gezielte Angebote, die sich speziell an Berufstätige und an deren Arbeitgeber richten. „Wir arbeiten seit jeher eng mit Unternehmen zusammen und haben schon vor vier Jahren bemerkt, dass es einen großen Bedarf gibt, in diesem

„Die US -amerikanische Jobplattform Glass­door.com hat den Data Scientist von 2016 bis 2019 als besten Job gelistet“ ARNE BATHKE, UNIVERSITÄT SALZBURG

FOTOS: TECHNO-Z/KONRAD FERSTERER, INGE PRADER

TEXT: BARBARA DURAS

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