ÖFG 2016

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das magazin der österreichischen forschungsgemeinschaft

grenzen in den Wissenschaften

Illustration: Georg Feierfeil / www.schorschfeierfeil.com

Österreichischer Wissenschaftstag 2016

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EDITORIAL LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER!

Aktivitäten ausführlich informieren.

Die Österreichische Forschungsgemeinschaft ist stets darum bemüht, gesellschaftsrelevante Themen durch einen evidenzbasierten wissenschaftlichen Diskurs mit Hilfe von Symposien und Tagungen zu flankieren.

Deshalb hat die ÖFG auch eine Tagung zum geplanten „Haus der Geschichte“ durchgeführt (S. 6), um der oft vermissten inhaltlichen Diskussion dieses Projekts breiten Raum zu bieten. Bei der Tagung „Differenziertes Schulsystem vs. Gesamtschule – Wie fair ist unser Bildungssystem?“ (S. 10) versuchte die ÖFG die in diesem Zusammenhang oft ideologisch geführten Diskussionen zu versachlichen, Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsmöglichkeiten auszuloten und Vorschläge für konstruktive Maßnahmen zu erarbeiten.

Die Arbeitsgemeinschaften konnten mit zahlreichen Workshops und Nachwuchskonferenzen ein breites Angebot konzipieren, wie zum Beispiel den Workshop „Bildung und Ausbildung: Realität und Vision“ der Arbeitsgemeinschaft Bildung und Ausbildung – wir baten Christiane Spiel zu einem Resümee anlässlich des Abschlusses der von ihr geleiteten ARGE (S. 14).

In Innsbruck wurde im Rahmen eines Workshops der ARGE Finanzkrisen zum Thema „Regulation as a factor of systemic risk“ die langfristige Entwicklung in der internationalen Finanzmarktregulierung diskutiert, während die ARGE Demokratie anlässlich der Unregelmäßigkeiten rund um die Bundespräsidentenwahlen ein Symposium zum The-

Karlheinz Töchterle, Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

IMPRESSUM herausgeber, Medieninhaber und Verleger: Österreichische Forschungsgemeinschaft, Berggasse 25/21, 1092 Wien Tel. +43/1/319 57 70 E-Mail: oefg@oefg.at Druck: Wograndl Druck

ma „Angst vor der Verantwortung? Zur Lage von Demokratie, Gesetzgebung und Rechtsprechung in Österreich“ (S. 17) veranstaltete.

Die ARGE Kulturelle Dynamiken widmete ihre transdisziplinäre Haupttagung dem Thema „Hybridisierung“, aus der wie in den Vorjahren eine Publikation hervorgehen wird.

Zu den Forschungsaktivitäten in Bund und Land wurden neben Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner auch die Verantwortlichen der Bundesländer zu ihren speziellen Forschungsförderungsaktivitäten befragt (S. 18).

Schließlich finden Sie in diesem Magazin auch eine umfangreiche Nachbetrachtung in Form von Interviews mit Vortragenden des diesjährigen Österreichischen Wissenschaftstages zum Thema „Grenzen in den Wissenschaften“ (S. 22).

Am Wissenschaftstag nähern sich internationale Referenten aus unterschiedlichen Fachrichtungen einer grundlegenden wissenschaftlichen Themenstellung. Wir baten diese zum Interview, um den Lesern die „Grenzen der Wissenschaften“ aus philosophischer, historischer, raumwissenschaftlicher, normativer, physikalischer, linguistischer und künstlerischer Perspektive näherzubringen.

Die aus den Aktivitäten der ÖFG hervorgehenden Publikationen, Stellungnahmen und Empfehlungen sind über die Homepage www.oefg.at abrufbar.

Wir wünschen Ihnen nun eine spannende Lektüre und freuen uns, Sie bei den nächsten Veranstaltungen der ÖFG begrüßen zu dürfen!

Ihr KARLHEINZ TöCHTERLE

DIe ÖFG IST eIne FOrSchunGSFÖrDerunGSeInrIchTunG GeTrAGen VOn BunD unD LÄnDern

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Foto: Parlamentsdirektion/Photo Simonis

uch in dieser dritten Ausgabe des MagaA zins der Österreichischen Forschungsgemeinschaft möchten wir Sie über unsere

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Fotos: Privat, Uni-Innsbruck, Vouk, Sissy Furgler, Barbara Mair/Universität Wien, Universität Wien, MedUni Wien / F. Matern, Martin Hasenöhrl, Universität Wien

DER WISSENSCHAFTLICHE BEIR AT DER ÖFG

Walter Berka Univ.-Prof. für Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Uni Salzburg

hans Goebl Univ.-Prof. em. für Romanische Sprachwissenschaft, Uni Salzburg

Bernhard Jakoby Univ.-Prof. für Mikroelektronik, Uni Linz

cornelia Kasper Univ.-Prof. für Biopharmazeutische Technologie, BOKU Wien

Wolfgang Kautek Univ.-Prof. für Physikalische Chemie, Uni Wien

Gottfried Magerl Univ.-Prof. em. für Elektrotechnik, Technische Uni Wien

Brigitte Mazohl Univ.-Prof. für Österreichische Geschichte, Uni Innsbruck

reinhard neck Univ.-Prof. für Volkswirtschaftslehre, Uni Klagenfurt

Oswald Panagl Univ.-Prof. em. für Sprachwissenschaften, Uni Salzburg

hans Tuppy Univ.-Prof. em. für Biochemie, Uni Wien, ehem. Wissenschaftsminister

heinrich Schmidinger Univ.-Prof. für Philosophie, Rektor der Uni Salzburg

ursula Schmidterfurth Univ.-Prof. für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien

christiane Spiel Univ.-Prof. für Bildungspsychologie und Evaluation, Uni Wien (Beiratsvorsitzende)

Werner Waldhäusl Univ.-Prof. em. für Innere Medizin, MedUni Wien

Susanne WeigelinSchwiedrzik Univ.-Prof. für Sinologie, Uni Wien

Werner Wolf Univ.-Prof. für Englische Literaturwissenschaft, Uni Graz

I N H A LT NACHWUCHSFÖRDERUNG

Von der ÖFg unterstützte Wissenschaftlerinnen

Oliver Rathkolb und Thomas Winkelbauer im Historikergespräch

SeITe 6–9

BILDUNGSSYSTEM SeITe 10–11

BILDUNGSSTUDIE gabriele Böheim-galehr

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Christiane Spiel

SeITe 14–15

SeITe 4–5

HAUS DER GESCHICHTE

Bericht vom Workshop der ÖFg zum Thema Bildungsfairness

BILDUNG 4.0

SeITe 12–13

ARGE DER ÖFG

Aus den ARgE „Finanzkrisen“, „Staatliche Aufgaben, private Akteure“, „zukunft der Demokratie“, „Kulturelle Dynamiken“ und „Hochfrequenztechnik“ SeITe 16–17

FÖRDERUNGSPOLITIK Von Bund und Ländern

SeITe 18–21

ÖSTERREICHISCHER WISSENSCHAFTSTAG zum Thema „grenzen in den Wissenschaften. interviews zu:

„Die Verbesserung des menschen“ „,Frieden‘ kann auch ,grenze‘ bedeuten“ „nationale Literaturen im geeinten Europa“ „Ein anderes Europa“ „mongolische Überraschung“ „Kein Blick in schwarze Löcher“ „Einheit in Verschiedenheit“ „grenzen der Aufmerksamkeit“

PUBLIKATIONEN

SeITe 22–25 SeITe 26–27 SeITe 28–29 SeITe 30–31 SeITe 32–33 SeITe 34–35 SeITe 36–37 SeITe 38–39 SeITe 40

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Wichtige Impulse für die Karriere Wer I n D e r W I S S e n S c h A F T K A r r I e r e machen will, muss sich früh vernetzen.

Die ÖFg unterstützt junge Forschende dabei, zu Kontakten zu kommen VON USCHI SORZ

Bernadette edtmaier konnte ihr Projekt bei einer Tagung in Valencia präsentieren

Sigrun Golluch konnte ihre Arbeit bei einer Konferenz in Singapur vorstellen

Bernadette Edtmaier, 29, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg Bernadette Edtmaier, Dissertantin am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, beschäftigt sich mit antisemitischen Argumentationsmustern von 14- bis 25-Jährigen in Österreich. „Mich interessiert besonders, erFOrSchunG DeS AnTISeMITISMuS unTer 14- BIS 25-JÄhrIGen In ÖSTerreIch welche jahrhundertealten Bilder bis heute überdauern konnten, wie sie sich verändert haben und laufend neu angepasst wurden“, sagt die Oberösterreicherin. Trotz der Tabuisierung als Folge der Verbrechen der Nazizeit fänden Menschen immer wieder neue Wege, antisemitische Überzeugungen auszudrücken. Nur eben subtiler oder über Umwege. „Etwa durch Codewörter wie ,Ostküste‘ als Anspielung auf eine angebliche ,jüdische Finanz‘ in den USA“, verdeutlicht

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sie. „Auch Stellungnahmen zum Israel-Palästina-Konflikt enthalten teils traditionelle Stereotype.“ Gegenwärtig wisse man wenig darüber, welche Bilder Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, Religionszugehörigkeit und Sozialisation hierzu im Kopf haben und warum.

Auch in ihrer Studie spiegeln sich klassische antisemitische und auf Israel bezogene Argumente wider. Erfreulicherweise würden sich aber die meisten nicht antisemitisch äußern oder sogar dezidiert dagegen aussprechen. „Natürlich ist noch zu klären, inwieweit Provokation, aber auch soziale Erwünschtheit bei den Antworten mitspielen“, so Edtmaier, die auch ein Lehramtsstudium abgeschlossen hat. Ihre Ergebnisse möchte sie für pädagogische Projekte nutzbar machen. Durch die ÖFG-Förderung konnte sie einen Teil ihres Dissertationsprojekts bei der ESSHC-Tagung in Valencia präsentieren. „Das hat mir wertvolle Einblicke in aktuelle Forschungsdiskurse gebracht.“ Sigrun Goluch, 31, Zentrum f. Med. Physik u. Biomed.

Technik, MedUni Wien An der MedUni Wien steht Österreichs einziger 7-Tesla-Magnetresonanztomograph.

Vorläufig noch zu Forschungszwecken. Die Zulassung zur Klinik sei aber nur eine Frage der Zeit, sagt Sigrun Goluch. Gegenüber den üblichen Magnetfeldstärken von 1,5 oder drei Tesla könne man mit sieben Tesla nämlich eine viel höhere Datenauflösung und damit eine wesentlich bessere Diagnostik erreichen. Allerdings bedürfe es dazu neuer Techniken und Hardware. Goluch, Mathematikerin mit Doktorat in Medizinischer Physik, arbeitet als Post-Doc an der Entwicklung von Hardwarekomponenten. „Konkret befasse ich mich mit Radiofrequenzspulen“, so die Niederösterreicherin. „Die können bei einer

ArBeITeT An Der enTWIcKLunG VOn rADIOFreQuenZSPuLen Für DIe MeDIZIn bestimmten Frequenz im Nahfeld Signale senden bzw. empfangen und stellen somit die Verbindung zwischen dem Scanner und dem Menschen an der Konsole her.“

Fotos: Andreas Kolarik Fotografie, Privat

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eine Frage: Heimische Exzellenz im Ausland sichtbar zu machen, ist eng verknüpft mit der Sicherung des Forschungsstandorts Österreich. „Konferenzen, Forschungsaufenthalte oder Publikationen tragen wesentlich zur Visibilität sowie zur internationalen Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei“, sagt die Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien. „Das ist schon in einer frühen Phase ihrer Laufbahn enorm wichtig.“ Als Vorsitzende des ehrenamtlichen und unabhängigen wissenschaftlichen Beirats ist sie in die Auswahl der Jungforscherinnen und -forscher eingebunden, welche die ÖFG dabei unterstützen möchte. Denn trotz herausragender Leistungen können ihnen die Institutionen, in denen sie tätig, sind, Auslandsaufenthalte oder Kongressreisen nicht immer ermöglichen. Aus formalen Gründen etwa oder weil sie die Mittel dafür nicht aufbringen können. Hier springt die ÖFG mit von Bund und Ländern finanzierten Förderprogrammen ein. Von den jährlich knapp 300 ÖFG-Stipendiatinnen und -Stipendiaten stellen wir exemplarisch vier mit ihren Projekten vor.

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Besonders fasziniert ist sie von der Magnetresonanz-Spektroskopie. Dabei werden die Informationen nicht wie üblich aus Wasserstoffatomen bezogen, sondern z. B. aus Phosphor, Kohlenstoff oder Natrium. „So bekommt man Einblicke in die Stoffwechselvorgänge der Zellen“, erklärt Goluch. Für sie macht die Kombination von hochtheoretischer Physik mit medizinischer Anwendung den Reiz an ihrer Arbeit aus. Als Erstautorin eines Posters ermöglichte die ÖFG es ihr, dieses an einer Konferenz in Singapur vorzustellen. „Der Austausch mit namhaften Wissenschaftlern aus der MagnetresonanzCommunity über die Errungenschaften und Schwierigkeiten bringt einen selbst weiter.“

Markus Schosserer erhielt Reisefinanzierung für Forschungsaufenthalt in den USA

Markus Schosserer, 35, Department f. Biotechnologie, BOKU Wien „Altersforschung begeistert mich, weil sie extrem interdisziplinär und abwechslungsreich ist“, sagt Markus Schosserer. Durch die steigende Lebenserwartung sei das Fach zudem gesellschaftlich relevant und böte noch genügend Teilaspekte, an denen bislang niemand forsche. Er selbst beschäftigt sich mit der Biologie der Zellalterung. Dazu untersucht er menschliche Zellkulturen sowie winzige Fadenwürmer. „Mich interessieren speziell die

Daniela Pfabigan erhielt eine Förderung für Forschungsaufenthalt in China

Fotos: Privat

A LT e r S F O r S c h u n G : u n T e r S u c h u n G e n D e r B I O L O G I e D e r Z e L L A LT e r u n G Veränderungen der ribosomalen RNA“, so der Universitätsassistent am Department für Biotechnologie der BOKU Wien. Ribosomen sind molekulare Komplexe, die den Zell-Bauplan von Messenger-RNAs ablesen und in Proteine übersetzen, die für die Struktur und Funktion der Zellen essenziell sind. „Kleinste Veränderungen der ribosomalen RNA beeinflussen sowohl die Auswahl der zu übersetzenden Informationen als auch die Genauigkeit dieses Prozesses und damit die Lebens- und Gesundheitsspanne von Organismen.“ Verstehe man menschliche Alterungsprozesse besser, könne man auch Strategien gegenüber altersassoziierten Erkrankungen entwickeln.

Die ÖFG übernahm die Reisekosten für einen Forschungsaufenthalt des Biotech-

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nologen in Maine, USA. Dort konnte er am Mount Desert Island Biological Laboratory eine Methode erlernen, die weltweit nur an wenigen Instituten etabliert ist. „Ich habe Ribosomen aus Fadenwürmern isoliert und unzählige Proben generiert, die ich nun in unserem Labor in Wien näher untersuche“, so Schosserer. Neben dem wissenschaftlichen Input habe er auch viel über die Forschungskultur und Lebensweise in den USA gelernt. „Das war sehr bereichernd.“ Daniela Pfabigan, 35, School of Psychological Sciences, Universität Peking Noch durchschlagender sind die Folgen ihres Forschungsaufenthalts für Daniela Pfabigan.

Nach dem Doktorat in Biologischer Psychologie beschäftigte sie sich fünf Jahre lang an der Fakultät für Psychologie (Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit) der Universität Wien mit neurowissenschaftlicher Forschung. Seit Ende August lebt und arbeitet sie in China: Die von der ÖFG geförderten zwei Monate Laborarbeit im Reich der Mitte brachten ihr nämlich eine Post-Doc-Stelle an der Universität Peking ein. Die trat sie gleich in Anschluss an ihre Anstellung in Wien an.

Im Fokus ihrer Forschung steht die Verarbeitung von sozialen Feedbackreizen. „Mich interessiert, wie unser Gehirn fehlerhaftes Verhalten und Feedbackreize von außen verarbeitet“, sagt sie. „Um unseren Alltag erfolgreich zu meistern, müssen wir ständig beobachten, Fehler erkennen, einschätzen, wie sich unsere Mitmenschen uns gegenüber und zueinander verhalten. Und nicht zuletzt

F O r S c h T, W I e D A S G e h I r n F e h L e r h A F T e S V e r h A LT e n V e r A r B e I T e T unser eigenes Handeln planen.“ Zu den großen Herausforderungen zähle es, im Labor ein soziales Umfeld zu schaffen. „Gleichzeitig macht das unsere Forschung so spannend.“ Mit ihren Erkenntnissen möchte Pfabigan einen Beitrag zum guten Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen leisten. „Dazu müssen wir unser alltägliches Miteinander besser verstehen“, so die Waldviertlerin. „Im positiven wie im negativen Sinn.“

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Fremdheitserfahrungen vermitteln infolge der Ö F G - TA G u n G zum „Haus der geschichte“ (HgÖ) sprachen zwei führende Historiker über seine Bedeutung

achdem sich der Nationalrat im März N dieses Jahres zur Realisierung des Projekts in der Wiener Hofburg bekannt hatte,

lud die ÖFG am 30. Juni in den Augustinertrakt der Nationalbibliothek. „Der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ist es ein Anliegen, den Diskurs über dieses für Österreich bedeutende Projekt mitzugestalten“, erklärte Karlheinz Töchterle, Präsident der ÖFG, den Hintergrund der Tagung.

Zum Auftakt präsentierte Oliver Rathkolb, Vorsitzender des Internationalen Beirats des geplanten Museums und Historiker an der Universität Wien, das Projekt. Der Kunsthistoriker Artur Rosenauer thematisierte im Anschluss die Geschichte der Wiener Hofburg, während der Museologe Gottfried Friedl anhand internationaler Beispiele zeigte, wie man die Schaffung öffentlicher Räume für die Geschichtsvermittlung nutzen kann.

Im zweiten Teil gab Philip Lesiak, Historiker an der Universität Graz, Einblick in die Planung zum Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich. Hermann Schäfer, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, referierte über seine Erfahrungen und identifizierte dabei kritische Erfolgsfaktoren.

Die beiden Historiker Roman Sandgruber, Universität Linz, und Thomas Winkelbauer, Universität Wien, widmeten sich grundsätzlichen Fragestellungen des Projekts.

Oliver rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, Vorsitzender des internationalen Wissenschaftlichen Beirats: „Gott sei Dank fragt man bei der PISA-Studie nicht nach historischem Wissen. Das würde zu erschütternden Ergebnissen führen.“

e I n e B r e I T e PA L e T T e A n F r A G e n W u r D e KOnTrOVerS DISKuTIerT Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion, an der neben Rathkolb und Winkelbauer auch Heidemarie Uhl, Historikerin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied des internationalen Wissenschaftlichen Beirats des HGÖ, Franz Schausberger, Ländervertreter im Beirat des HGÖ, und Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), teilnahmen. In diesem Rahmen wurde unter reger Anteilnahme des Publikums eine breite Palette unterschiedli-

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cher Fragen kontrovers diskutiert: die politische Unabhängigkeit des Hauses, dessen organisatorische Anbindung an die ÖNB, mögliche Synergien und Wechselwirkungen mit anderen Museen und Sammlungen, die räumliche und historische Schwerpunktsetzung und letztlich auch die notwendige Budgetierung.

Diese wurde nun im November von Kulturminister Thomas Drozda fixiert. Zugleich wurde das Projekt etwas verkleinert und die Posten des Direktors des HGÖ und des Schlüsselpersonals wurden offiziell ausgeschrieben. Im Lichte dieser neuen Entwicklungen haben wir Oliver Rathkolb und Thomas Winkelbauer zum Interview über das HGÖ, dessen Relevanz und Zukunft gebeten.

Braucht man überhaupt eine Institution wie das Haus der Geschichte Österreich?

Oliver Rathkolb: Wenn Sie den Wahlkampf in den USA Revue passieren lassen und an jene denken, die uns in den nächsten Jahren bevorstehen werden, dann haben sie eines gemeinsam: Wir befinden uns inmitten einer Auseinandersetzung über Identitäten. Ein solches Haus kann, wenn es gut aufgestellt ist und auch eine entsprechende Außenwirkung entfaltet, in der Auseinandersetzung mit historischen Beispielen Möglichkeiten eröffnen, diesen Identitätskonflikt zu verregeln. Klassische Beispiele wären etwa Wien vor 1914 oder die Österreichisch-Ungarische Monarchie vor dem Hintergrund der Vielzahl unterschiedlicher nationaler Identitätskonstruktionen. Wenn dieses Unterfangen gelingt, ist so ein Haus heute wichtiger als noch vor zehn Jahren.

Thomas Winkelbauer: Ich würde auch andere Akzente setzen und davor warnen, allzu sehr auf diese Identitätsproblematik abzustellen. In den konkreten Ausstellungskonzepten sollte man darauf achten, Fremdheitserfahrungen zu vermitteln, um ein Bewusstsein für die Veränderungen der jüngeren und nicht mehr ganz so jungen Vergangenheit zu schaffen, um zu verdeutlichen, dass wir heute in völlig anderen Zeiten leben.

Natürlich gibt es mit der chronologischen Kette eine gewisse Kontinuität. Neben dieser sollten aber auch Brüche thematisiert werden. Etwa Dinge, die heute vergessen sind,

Foto: Matthias Cremer

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Foto: Emi Cristea/Shutterstock

weil sie uns seltsam oder „strange“ vorkommen. Das wäre ein möglicher Ansatzpunkt, um Neues über vermeintlich allseits bekannte historische Entwicklungen und Ereignisse zu vermitteln. Gerade hinsichtlich des Holocaust und der NS-Zeit wird es darum gehen, diese Themen konzentriert darzubieten, ohne Schülerinnen und Schüler, die ja ein besonders wichtiger Teil des Publikums sein werden, zu langweilen.

Im Rahmen der Budgetierung wurde das Projekt verkleinert und als Provisorium eingerichtet. Ist das nicht etwas enttäuschend?

Rathkolb: Ich habe mehrfach Phasen erlebt, wo ich geglaubt habe, das Projekt wird sowieso schubladisiert. Insofern ist die Realisierung als Erfolgserlebnis zu verbuchen.

Schlussendlich wird aber die Qualität darüber entscheiden, ob das Projekt wirklich funktioniert und sich in der Gesellschaft Platz verschaffen kann. Die Fläche wurde zwar um tausend Quadratmeter reduziert,

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Prominente Lage Das HGÖ soll in den Räumlichkeiten der Hofburg realisiert werden

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damit ist man nunmehr gezwungen zu fokussieren und eine kluge Auswahl an Objekten zu treffen, um das Publikum wirklich zu packen, nicht zu überfordern und in den Diskurs hineinzuziehen. Wenn man so will, kann man das im Moment als Probegalopp auffassen, ohne dass dadurch die Dauerausstellung für die 2020 geplante Erweiterung auf 3.000 Quadratmeter festgeschrieben ist.

Das muss also kein Nachteil sein. Viele der besten Ausstellungen sind unter ähnlichen Bedingungen entstanden.

Warum hat es so lange gedauert, das Projekt zu realisieren? Sind das budgetäre Probleme oder gibt es zwischen politischen Lagern noch immer stark divergierende Geschichtsinterpretationen?

Rathkolb: Das erlebe ich nur bei Politikern alten Stils, wo es auch noch Befürchtungen gibt, eine Institution wie das HGÖ könne die Gesellschaft spalten. Die Menschen interessiert das überhaupt nicht mehr. Die zentralen historischen Themen, der Nationalso-

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„ D A S S PA n n e n D S T e u n D n I c h T DAS POLITISch OPPOrTunSTe PrOJeKT“

Halten Sie die Hofburg für eine geeignete Heimat für das Museum?

Rathkolb: Der Ort spielt sicherlich eine zentrale Rolle für ein Museum. Der Platz vereinigt viele historische Ereignisse in seiner virtuellen und Denkmal-Geschichte, sodass er schon beinahe ein Museum für sich ist, wenn man das entsprechend aufbereitet. Allein anhand des 1917 fertiggestellten Gebäudes kann man spannende Episoden der österreichischen Geschichte thematisieren. Insofern ist das schon ein ungewöhnlicher Platz, der auch für Touristen ungemein gut gelegen ist.

Winkelbauer: Was das Gebäude betrifft, bin ich skeptisch, ob man diese zum Teil grässlichen Räume als Museum adaptieren kann, ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen. Was die Wichtigkeit der zentralen Lage betrifft, stimme ich dir aber vollkommen zu. Der Gedanke eines speziell für das Haus der Geschichte konzipierten Neubaus gefällt mir aber nach wie vor.

Rathkolb: Das bedeutet aber 50 Millionen aufwärts und das wird sich in Anbetracht der aktuellen Budgetsituation mit Crowdfunding allein nicht stemmen lassen. Was ich aber wirklich gern anregen würde, wäre eine internationale Enquete, um zu überlegen, wie der Heldenplatz in 20 oder 30 Jahren aussehen könnte. Im Idealfall könnte dort ein Verbindungsglied über den Maria-TheresienPlatz hin zum MuseumsQuartier, das für den Heldenplatz durchwegs Vorbildcharakter haben könnte, entstehen. Ab Sommer nächsten Jahres wird das Parlament am Heldenplatz in zwei Pavillons sein Ausweichquartier beziehen. Vielleicht kann man das ja dann im Sinne des HGÖ weiternutzen oder über den historischen Abschluss hin zum Volksgarten nachdenken.

thematisieren würde oder zumindest die Zeit der Habsburgermonarchie von Anfang an, also seit 1526, stärker berücksichtigt hätte.

Rathkolb: Aus einer Reihe von Gründen kann es keine Gesamtgeschichte sein. Daher haben wir auch bewusst das Genitiv-s im Namen weggelassen. Ich habe mich gegen eine Konstruktion der Republik-Geschichte beginnend mit 1918 gewehrt. Das ist eine Langzeitentwicklung, die man entsprechend thematisieren muss. Wenn ich das politische und bürokratische Personal der Ersten und teilweise auch noch der Zweiten Republik verstehen will, muss ich mich mit dessen Prägung in der Monarchie beschäftigen. Uns war es wichtig, einen flexiblen und durchlässigen Periodisierungsversuch zu wagen. Das wird es erlauben, auch die Monarchie zu thematisieren.

Wie schwierig ist es, Menschen für Geschichte zu interessieren?

Winkelbauer: Ich befürchte, dass das zunehmend ein Minderheitenprogramm wird und dass Allgemeinbildung an Wert verliert – es auch keinen subjektiv empfundenen Druck mehr gibt, sich eine solche anzueignen. Den wenigsten ist das als Defizit gegenwärtig, obwohl zu einem Bürger- und Bürgerinnen-Dasein in einer demokratischen Republik das Bewusstsein der historischen Verankerung sowie Wissen über die Geschichtlichkeit des politischen Systems, in dem wir leben und unsere Bürgerrechte ausüben, gehören. Angesichts der massiven Überfütterung mit Informationen wird es, auch in den Schulen, immer schwieriger, Interesse zu wecken. Das Smartphone ist da oft

zialismus und die Kanzler-Diktaturen, sind auch im Schulunterricht gut ausgeleuchtet.

Ereignisse wie jene des Jahres 1927 und der Bürgerkrieg 1934 gehen schön langsam in Richtung „kühle“ Geschichte. Das Problem war jahrelang dieses großkoalitionäre Denken. Die diskutierten Projekte signalisierten immer so etwas wie „die große Koalition macht Geschichte“ und erweckten den Anschein von Geschichtsproporz. Claudia Haas’ museologische Umsetzungsstudie, auf die wir im Beirat aufgebaut haben, war ein wichtiger Schritt, um von diesem Vorgehen wegzukommen. Im Auswahlbeirat, aus dessen Dreier-Vorschlag das Direktorium bestimmt werden wird, sind auch heftige Kritiker vertreten wie Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste. Sie wird sicherlich darauf achten, dass da alles mit rechten Dingen zugehen wird. Das finde ich auch gut so, denn für mich sollte das spannendste und nicht das politisch opportunste Projekt eine Chance auf Umsetzung bekommen.

Thomas Winkelbauer, Professor für Österreichische Geschichte und Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien: „Zu einem bewussten BürgerDasein gehört Wissen um die Geschichtlichkeit des politischen Systems, in dem wir leben und unserer Bürgerrechte ausüben.“

Herr Winkelbauer, Sie haben sich etwas an der Namensgebung gestoßen?

Winkelbauer: Ich habe zwei Einwände gegen den Namen, aber das ist schon ein alter Hut. Ich weiß nicht, warum man nicht Haus der Geschichte Österreichs sagen soll – mir fehlt das Genitiv-s. Da der Schwerpunkt auf der Republik liegt, würde ich dafür plädieren, es Haus der Geschichte der Republik Österreich zu nennen. Natürlich hätte es mich auch gefreut, wenn dieses Haus die Geschichte Österreichs aus einer längerfristigen Perspektive

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Foto: Privat

Fortsetzung von Seite 7

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Fotos: Lukas Ilgner

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spannender als das, was der Lehrer oder die Lehrerin zu bieten haben.

Rathkolb: Ich glaube auch, dass sich so, wie du das beschrieben hast, ein Gefühl der Apathie breitmacht. Man flüchtet sich in sein Smartphone-Biedermeier und vergisst vollkommen, was das politisch bedeutet: Das ist immer verbunden mit einem Anstieg des Autoritarismus, der Sehnsucht nach einem Führer, der einfache Antworten gibt oder in den Social Media am coolsten auftritt. Man muss sich ja nur anschauen, wer die meisten Follower auf Facebook hat. Da sieht man schon, wohin dieser Diskurs führt. Die digitale Revolution hat eine potente Gegenwelt entstehen lassen, die sich unter anderem in Zirkeln für Verschwörungstheorien aller Sorten organisiert. Da brauche ich natürlich kein wissenschaftliches Erklärungsmodell.

Winkelbauer: Das „profil“ hat ja unlängst den Wutbürger zur Person des Jahres erkoren. Das ist natürlich ein Idealtyp jener Leute, die die Deutung der Welt vor allem mit

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Podiumsdiskussion Im Augustinertrakt der Nationalbibliothek debattierten ExpertInnen über die Zukunft des HGÖ

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Ressentiments befriedigen und kein Interesse daran haben, sich aufklären zu lassen. Für rationale Argumente sind diese Menschen verloren und ich weiß auch nicht, wie man sie wieder dafür gewinnen kann.

Was kann das HGÖ dieser Entwicklung entgegensetzen?

Rathkolb: Letztlich stellt das ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Das Haus der Geschichte Österreich könnte aber ein Ort sein, wo man sich Zeit nimmt, sich langfristige historische Entwicklungen anzusehen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn es gelingt, Interesse für das Entstehen unserer Demokratie, unserer Sozialsysteme und unseres Alltags zu wecken. Es gibt zum Beispiel kaum Wissen über die Lebensverhältnisse im 19. Jahrhundert auf dem heutigen Staatsgebiet oder über die Auswanderung aus der Habsburgermonarchie. Das Bewusstsein dafür, wie Krisen und Kriege entstehen, ist weitgehend verloren gegangen.

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Wie fair ist unser Bildungssystem?

Die Ö S T e r r e I c h I S c h e F O r S c h u n G S G e M e I n S c h A F T lud an die Universität innsbruck, um mit Expertinnen aktuelle Fragen des Schulwesens zu diskutieren Überzeugung zum Ausdruck, dass Begabung einen Anspruch auf Förderung begründet.

Für Giesinger sind allerdings die Grundannahmen des Arguments nicht erfüllt: Die Zuteilung zum Schulsystem basiere nicht alleinig auf Leistung und diese sei selbst eine Folge sozialer Prozesse.

FG-Präsident Karlheinz Töchterle eröffÖ nete die Tagung am 22. September mit dem Wunsch, eine „evidenzbasierte sach-

liche Diskussion zum Thema Gymnasium contra Gesamtschule“ zu führen. Sichtlich erfreut über deren Stattfinden zeigte sich Helmut Fend, Universität Zürich: „Das, was hier gestern und heute an Wissen über die Realitäten des Bildungswesens vorgestellt wurde, ist für mich die Erfüllung eines Traumes.“ Vor fast 50 Jahren sei er das letzte Mal an der Universität Innsbruck gewesen, Wissen über das Bildungswesen sei damals praktisch nicht vorhanden gewesen.

eröffnungsredner ÖFG-Präsident Karlheinz Töchterle führte in die Veranstaltung ein

„Luft nach oben“ Claudia Schreiner, Direktorin des Bundesinstituts für Bildungsforschung, erinnerte in ihrem Vortrag an den in der Verfassung festgehaltenen Auftrag, Bildung unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund zu vermitteln, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

De facto gäbe es jedoch Chancenungleichheiten beim Kompetenzerwerb, bei Bildungswegen und Abschlüssen. „Internationale Studien wie PISA belegen regelmäßig, dass in Bezug auf das Ausmaß an Chancengerechtigkeit in Österreich noch ‚Luft nach oben‘ besteht“, so Schreiner. Österreich bewege sich aber sowohl beim Leistungsniveau als auch bei der Chancengerechtigkeit im Bereich des OECD-Schnitts.

Gleiche Chancen?

Im Eröffnungsvortrag widmete sich Johannes Giesinger vom Ethik-Zentrum der Universität Zürich dem vorherrschenden Verständnis „DIe ZuTeILunG ZuM SchuLSYSTeM BASIerT nIchT ALLeInIG AuF LeISTunG“ von Chancengleichheit: Diese sei gegeben, wenn das gegliederte System Kinder alleinig aufgrund ihrer Begabungen einem entsprechenden Schultyp zuweise. Dieses Argument sei mit der pädagogischen Überlegung verknüpft, dass die Schaffung leistungshomogener Gruppen eine optimale Förderung aller ermögliche. Gleichzeitig komme darin die

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Schulwahl und soziale Herkunft Kai Maaz, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit jenen Faktoren, die hinter der Bildungswegentscheidung zur Sekundarstufe stehen. Sein Fazit: „Der Übergang ist im Wesentlichen über Leistung gesteuert. Es gibt aber unerfreuliche Effekte, die im Bereich der sozialen Herkunft – Bildungsniveau und sozioökonomischer Status der Eltern – liegen.“ Kinder aus privilegierteren Schichten werden als begabter eingeschätzt, ihnen werden mehr soziale Fähigkeiten zugeschrieben und sie werden als motivierter beschrieben. Dieser Effekt sei im Vergleich zum Leistungsaspekt aber deutlich schwächer ausgeprägt. Entstehen würden die Ungleichheiten bereits im frühkindlichen Bereich und damit noch vor Schuleintritt.

Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, erörterte in seinem Vortrag die Auswirkung der Mehrgliedrigkeit von Systemen auf Chancengleichheit.

Basierend auf internationalen Vergleichen und Fallstudien konstatierte er: „Die Studien zeigen alle relativ konsistent, dass sich diese frühe Mehrgliedrigkeit tendenziell verstärkend auf die Ungleichheit der Bildungsergebnisse und die Abhängigkeit der Schulleistung vom familiären Hintergrund auswirkt.“ Negative Effekte bei SchülerInnen aus sozioökonomisch schlechter gestellten Haushalten seien besonders stark ausgeprägt, während selbst die besten nicht profitieren würden.

Allheilmittel Gesamtschule?

Im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung erarbeitete das Forschungsprojekt „Gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen“ Reformempfehlungen. Für Gabriele Böheim-Galehr, Leiterin des Projekts, sind dabei die gemeinsame Qualifizierung der Lehrpersonen und

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Fotos: Universität Innsbruck, ÖFG

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eine Pädagogik, die die individuellen Fähigkeiten der SchülerInnen berücksichtigt und unterstützt, zentral.

Während weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit von Verbesserungen im Schulsystem bestand, blieb die Bedeutung der Schulform für diese umstritten. BöheimGalehr rät zur Einführung einer gemeinsamen Schule für die 5. bis 8. Schulstufe, da diese den Vorarlberger Reformbestrebungen den besten Rahmen bieten würde. Fend hielt dagegen fest: „In der jetzigen Phase finde ich es wichtiger, die derzeitigen integrierten Schulen, die Neue Mittelschule, möglichst gut zu machen. Ich würde das gegenüber einem Kampf um die Auflösung der Gym-

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Austragungsort Die Tagung fand am 22. und 23. 9. an der Universität Innsbruck statt

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nasien präferieren.“ Internationale Studien würden zeigen, dass ein solcher Schritt die Bildungsgerechtigkeit nur marginal beeinflussen würde.

„OB DIe SchuLFOrM Für VerBeSSerunGen V O n B e D e u T u n G I S T, B L e I B T u M S T r I T T e n “ Die damit verbundenen Fragen sollten auch im Rahmen der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben Böheim-Galehr und Maaz auch Landesrätin Beate Palfrader, Michael Schratz (Universität Innsbruck) und Rainer Gögele (Initiative „Pro Gymnasium“) teilnahmen, unter reger Anteilnahme des Publikums kontrovers diskutiert werden.

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„Wir lassen zu viele zurück“ Sagt G A B r I e L e B Ö h e I M - G A L e h r , Studienleiterin und Vizerektorin der PH Vorarlberg, im gespräch über ihre Schulstudie

asierend auf den Empfehlungen der StuB die „Schule der 10- bis 14-Jährigen“ will Vorarlberg für die Sekundarstufe I eine ge-

meinsame Schule einführen. Noch scheitert das am Bund. Gabriele Böheim-Galehr, Studienleiterin und Vizerektorin der PH Vorarlberg, sprach mit uns über zentrale Erkenntnisse ihres Forschungsprojekts.

Warum ist die Akzeptanz der Gesamtschule in Vorarlberg so hoch?

Gabriele Böheim-Galehr: Die Landesregierung hat beschlossen, die sehr emotionale Debatte auf eine sachlichere Ebene zu bringen, und uns mit der Analyse der Sekundarstufe beauftragt. Wir haben einen stark regionalen Fokus gewählt und eine Vollerhebung in den Schulen der Sekundarstufe I durchgeführt, um eindeutige Ergebnisse zu erzielen, das Thema breit zu kommunizieren und unterschiedlichste AkteurInnen einzubinden. Das resultiert in einer breiten und parteiübergreifenden Unterstützung der Schule der 10- bis 14-Jährigen.

Gabriele BöheimGalehr, Vizerektorin der PH Vorarlberg: „Die immer heterogenere Schülerschaft verlangt nach einer neuen Pädagogik, die auf Individualisierung und Differenzierung setzt.“

Was sind die großen Herausforderungen des Schulsystems?

Böheim-Galehr: Wir erleben auch in Vorarlberg eine zunehmend heterogene Schülerschaft. Das wird uns zukünftig vermehrt beschäftigen. Die OECD weist zudem seit Jahren darauf hin, dass wir die Kinder zu früh trennen.

Es gibt auch zu viele Kinder, die Bildungsstandards nicht erreichen, gleichzeitig bringen wir „WIr WOLLen eIne neue, eIne BeSSere SchuLe Für DIe 10- BIS 14-JÄhrIGen“ zu wenige Spitzenleute hervor. Auch gibt es in Österreich einen straffen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Hintergrund des Elternhauses und dem Bildungsweg. Die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes sind nicht immer ausschlaggebend. Wir lassen dadurch viel zu viele Talente zurück.

Wie kann man das Schulsystem zukunftsfähig machen?

Böheim-Galehr: Zentral ist die Entwicklung einer neuen Pädagogik, die vermehrt auf In-

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dividualisierung und Differenzierung setzt.

Ein wichtiger Schritt dafür ist die gemeinsame Qualifizierung des Lehrpersonals für die Sekundarstufe I und II. Seit Herbst ist diese neue Form der Ausbildung Realität. Im Schulalltag sollte die Lehre zur Unterstützung der PädagogInnen von einem multiprofessionellen Team getragen werden. Wir begrüßen auch die Stärkung der Schulautonomie und halten es für wichtig, Ressourcen entsprechend den sich in Schulen jeweils stellenden Herausforderungen zur Verfügung zu stellen.

Im Rahmen der Schulorganisation haben wir uns für einen Ausbau ganztätiger Schulformen ausgesprochen, um den unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten von Kindern Rechnung zu tragen. Letztlich sollten all diese Maßnahmen zur strukturellen Änderung der Organisation und zu einer gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen führen.

Was erwarten Sie sich von dieser Schulform?

Böheim-Galehr: Ich möchte vorausschicken, es geht nicht darum, das Gymnasium abzuschaffen. Es erfüllt einen wichtigen Teil des Bildungsauftrages. Die Frage ist nur, wann es beginnen soll. Für die 10- bis 14-Jährigen streben wir eine neue, eine bessere Schule an. Eine Schule, die die Stärken des Gymnasiums und der Mittelschule verbindet. Eine förderorientierte Schule, die SchülerInnen entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten zu hohen Leistungen führt. Eine angebotsorientierte Schule mit mehr Wahlmöglichkeiten für SchülerInnen. Eine Schule, die Jugendlichen eine faire Chance bietet, sich mit 14 Jahren für den Bildungsweg zu entscheiden, für den sie besonders begabt und geeignet sind.

Verschiebt sich durch die gemeinsame Schule die Konzentration besonders leistungsstarker SchülerInnen nicht einfach nur auf kleinere soziale Einheiten? Von Schulen auf Klassen oder Leistungsgruppen?

Böheim-Galehr: Die gemeinsame Schule lebt davon, dass Schüler mit unterschiedlichem Hintergrund und Leistungsstärke zusammen unterrichtet werden. Die besonders Talentierten sollen dabei gefördert und die Schwächeren gezielt unterstützt werden, auch in temporären Leistungs- und Förder-

Foto: A. Serra

VON WERNER STURMBERgER

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Fotos: ÖFG

kursen. Der Kern ist aber immer die Klasse.

Deren Zusammensetzung erfolgt nicht nach Leistungskriterien, sondern nach Vielfalt. In der Diskussion wird diese immer nur auf den Leistungsaspekt verkürzt, dabei gibt es noch andere: Gender, Sprache, sozioökonomischer und kultureller Hintergrund der Eltern usw.

Kann die stärkere Durchmischung der Klassen die Förderung leistungsfähigerer Kinder behindern?

Böheim-Galehr: Die Studien, die ich kenne, kommen zu dem Schluss, dass Kinder, die in einem oder mehreren Fächern weniger leistungsstark sind, deutlich von nicht segregierten Schulen profitieren, ohne dass leistungsstärkere SchülerInnen dadurch Nachteile

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Dialog Bei der ÖFGTagung in Innsbruck wurde auch die Frage der Gesamtschule diskutiert

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erfahren würden. Didaktisch ist das aber natürlich eine voraussetzungsvolle Aufgabe.

Wie funktioniert der Einfluss des Elternhauses überhaupt?

Böheim-Galehr: In vielen Fällen reproduzieren Eltern mit ihren Kindern das, was sie selbst erlebt haben und was ihnen vertraut ist. Natürlich gibt es Kinder aus bildungsfernen Haushalten, die ihren Weg machen. In Summe sind es aber viel zu viele, denen das nicht gelingt. Das hat aber nicht vorrangig mit kognitiven Fähigkeiten zu tun, sondern mit den Erwartungen der Eltern, Information und passenden Strategien, um ein Kind erfolgreich durch ein Schulsystem zu bringen.

Sozioökonomisch besser gestellte Haushalte haben hier deutlich mehr Möglichkeiten.

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„Industrie 4.0 braucht auch Bildung 4.0“ hat acht Jahre lang die ARgE „Bildung und Ausbildung“ geleitet und dabei Weitblick bewiesen DIe BILDunGSPSYchOLOGIn chrISTIAne SPIeL

Frau Spiel, Ihre Arbeitsgemeinschaft hat sich in den letzten Jahren u. a. mit Themen wie Bildungsgerechtigkeit oder Übergänge im Bildungssystem beschäftigt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Christiane Spiel: Sehr positiv. Es ist uns gelungen, wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Themen wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten, einen breiten Diskurs dazu zu führen und die wichtigsten Befunde in Positionspapieren zusammenzufassen. Diese wurden dann breit an die Medien, die Politik sowie die einschlägige Community versandt.

Die Rückmeldungen zu diesen insgesamt acht Positionspapieren waren sehr positiv.

Auch die ständig wachsende TeilnehmerInnenzahl bei unseren Workshops ist als Zeichen für deren Qualität und Akzeptanz zu sehen.

christiane Spiel Seit Juni 2016 ist Christiane Spiel Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.

Sie wird auch in dieser Funktion ihre langjährige Erfahrung im Bereich „Bildung und Ausbildung“ einbringen

Beim diesjährigen Workshop Bildung und Ausbildung war mehr Autonomie für Schulen ein Thema. Ist die jetzige Reform der große Wurf ?

Spiel: Aus meiner Sicht geht die Reform in die richtige Richtung. Sie besteht auch nicht aus Einzelmaßnahmen, sondern ist ein sinnvolles Gesamtpaket. Sicherlich wird noch einiges zu ergänzen sein. Insbesondere kommt es auf die Umsetzung an, d. h., dass diese wirklich flächendeckend gelingt.

Spiel: In vielen anderen Ländern ist dies längst üblich – gemeint ist die Einbettung der Schulen in die Gemeinde, ins Grätzel. Das beinhaltet insbesondere Kooperationen mit Sportvereinen, Kultur- und Kunstvereinen etc. Die Schule ist dann kein geschlossener Ort mehr, wo alle, die nicht dazugehören, schulfremde Personen sind. Vielmehr öffnet sich die Schule nach außen und nach innen.

Eine Voraussetzung dafür ist allerdings die Einrichtung von Ganztagsschulen.

Der deutsche Politologe Marius Busemeyer hat Österreich mit seiner Lehre mit Matura oder der Neuen Mittelschule als beispielgebend hervorgehoben. Jammern wir etwa auf hohem Niveau?

Spiel: Die von Busemeyer angesprochenen Einrichtungen sind sehr positiv. Es gibt sie jedoch noch nicht in ausreichendem Umfang.

Generell ist die berufliche Bildung mit all ihren Angeboten in Österreich sehr gut aufgestellt. Insbesondere die Berufsbildende Höhere Schule ist eine Erfolgsgeschichte. Vielen ist gar nicht bewusst, dass das duale System nur in sehr wenigen Ländern in dieser Form etabliert ist. Und wo dies der Fall ist, insbesondere in der Schweiz, Deutschland und Österreich, gibt es im Vergleich mit anderen Ländern eine deutlich geringere Arbeitslosenrate bei Jugendlichen.

Spiel: Reform-Hysterie ist wohl überzogen.

Allerdings wurden in den letzten Jahren viele nicht ausreichend aufeinander abgestimmte Maßnahmen beschlossen, deren Verankerung dann zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese muss systematisch geplant werden, unter Einbezug der Betroffenen, und sollte durch eine Evaluierung begleitet sein.

In der Expertenrunde war man sich weitgehend einig, dass die Gesamtschule für mehr Gerechtigkeit sorgt. Deren Umsetzung löst jedoch immer wieder heftigste Diskussionen aus.

Wie stehen Sie zur Gesamtschule?

Spiel: Grundsätzlich positiv, da sie die Chancengerechtigkeit erhöht. Sie kann jedoch nicht einfach verordnet und ohne Akzeptanz der Beteiligten eingeführt werden. Darunter würden nur die SchülerInnen leiden. Vielmehr muss Überzeugungsarbeit geleistet werden: So muss etwa denjenigen, die Benachteiligungen für gute SchülerInnen befürchten, vermittelt werden, wie eine innere Differenzierung erfolgreich umgesetzt werden kann.

In Ihrem Buch „Schule – zum Lernen erziehen“ haben Sie einen neuen Aspekt in die Bildungsdebatte eingebracht: Schule soll Teil der Gesellschaft sein. Wie genau ist das zu verstehen?

Der Philosoph Jürgen Mittelstraß hat mit seiner Feststellung, „Bildung und Ausbildung haben einander aus dem Auge verloren“, aufhorchen lassen. Der Bildungspsychologe

Gewerkschaftsvertreter sprechen von ReformHysterie. Ist da aus Ihrer Sicht was dran? „In VIeLen LÄnDern IST DIe eInBeTTunG Der SchuLen In DIe GeMeInDe üBLIch“

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Foto: MichaelMazohl

VON DIETER HöNIg

28.11.2016 11:17:01 Uhr

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Fotos: Regina Hügli

Jürgen Maes spricht gar vom Menschenbild des Homo oeconomicus. Eine bedenkliche Entwicklung?

Spiel: Die Annahme des Homo oeconomicus bestimmte sehr lange die Modelle und Annahmen in der Ökonomie. In der Psychologie wissen wir jedoch, dass dies nicht stimmt: Menschen handeln nicht immer sachrational. Das haben die Verhaltensökonomen in der Zwischenzeit auch erkannt. Die von Jürgen Mittelstraß angesprochene traditionelle, institutionelle Trennung von Bildung und Ausbildung ist meiner Ansicht nach überholt.

Vielmehr ist für die Bewährung in der Welt von morgen die Verknüpfung von Wissen, Handlungsfähigkeit und Handeln gefordert.

Der digitale Wandel hat begonnen und wir fürchten uns schon wieder, meinte Hannes Androsch. Sind Sie seiner Meinung?

Spiel: Ich glaube, wir sind uns gar nicht bewusst, welche Veränderungen durch den

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ArGe Bildung und Ausbildung Szenen von Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft

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digitalen Wandel auf uns zukommen. Meiner Ansicht nach brauchen wir jedoch in Ergänzung oder als Antwort auf Industrie 4.0 und die digitale Revolution auch die soziale Innovation oder Revolution sowie Bildung 4.0.

Auch die Migration stellt uns vor gewaltige Herausforderungen bei der Ausbildung.

Was können wir tun, um zu verhindern, dass MigrantInnen immer mehr an den Rand der Gesellschaft abgedrängt werden?

„WIr SInD unS Der VerÄnDerunGen Durch D e n D I G I TA L e n W A n D e L n I c h T B e W u S S T “ Spiel: Sie brauchen eine Tagesstruktur und eine Aufgabe, die sie gleichzeitig in die österreichische Gesellschaft integriert. Damit wären auch die menschlichen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie, Eingebundenheit und nach Gebrauchtwerden befriedigt.

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Was dem Teufel nicht mal im Zorn einfällt Ein kursorischer Überblick über neue Entwicklungen in den unterschiedlichen A r B e I T S G e M e I n S c h A F T e n der ÖFg im Jahr 2016 ARGE Staatliche Aufgaben, private Akteu-

VON DIETER HöNIg

ARGE Finanzkrisen: Europa steckt noch im-

Thomas Gehrig, Leiter der ARGE Finanzkrisen

Franz Merli, Leiter der ARGE Staatliche Aufgaben, private Akteure

DIe JAhreSKOnFerenZ 2016 Der ArGe G A LT D e r B A n K e n r e G u L I e r u n G Schwächung des europäischen Bankensektors beigetragen haben – was einem Stabilitätsabbau insgesamt gleichkommt. Es stellte sich dabei auch die Frage, inwieweit für diese Entwicklungen falsche Risikoabschätzungen bei Staatsanleihen verantwortlich sind. Und was das Delegieren der Aufsichtsfunktion ausgerechnet auf die zu beaufsichtigenden Banken gebracht hat, etwa beim Genehmigen interner Risikomodelle. Schließlich wurde auch diskutiert, wie weit sich eine verfehlte Bankenregulierung auch auf andere Sektoren wie die der Versicherungen auswirkt.

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S TA AT L I c h e A u F G A B e : V O r r e c h T O D e r PFLIchT? FrAGT MAn In Der ArGe Diskussion. In den Referaten und bei den lebhaften Debatten zeigten sich die historische Dimension der Konzepte ebenso wie ihre Erklärungsschwächen und ihr unklares Verhältnis zueinander. Auch wurden verwandte Erscheinungen beleuchtet, die nicht einmal dem „Teufel im Zorn“ einfallen könnten (und die auch nicht in diese Begriffswelt passen): „Private in der nichthoheitlichen Staatsverwaltung oder privater Befehl und Zwang.“ Auch in der Schweiz und in Deutschland hat man mit diesem Zuständigkeits- und Begriffsdschungel zu kämpfen. Hinter all den Seltsamkeiten stehen laut Merli jeweils unterschiedliche rechtliche Abgrenzungen zwischen „öffentlich“ oder „staatlich“ und „privat“. Genau diesen wird sich die ARGE in ihrer dritten Tagung widmen: Im Mai 2018 soll es dann um die „Neuvermessung einer Grenze“ gehen.

Fotos: Uni Wien, Privat

mer in der Bewältigung der letzten Finanzkrise. Dabei werden nur äußerst geringe Fortschritte erzielt. Zu diesem Schluss kommt eine gemeinsame Studie des Leiters der ARGE für Finanzkrisen, Thomas Gehrig, mit dem Brüssler Institut Bruegel.

Für die ersten 18 Monate ihrer Tätigkeit konnte der Bankenunion ein im Wesentlichen positives Zeugnis ausgestellt werden.

Doch wird bemängelt, dass man sich zu sehr auf Nebenthemen konzentriere. So zeigen aktuelle Studien zur Robustheit des europäischen Bankenwesens nur wenig Besserung bei der massiven Unterkapitalisierung. Besonders betroffen sind große und systemisch wichtige europäische Banken wie etwa die Deutsche Bank.

Konkret äußert sich diese massive Unterkapitalisierung in der hohen Sensibilität der Aktienkurse und Finanzwerte bei schlechten Nachrichten. Gehrig warnt eindringlichst vor einer Pleite der Deutschen Bank: Die Folgen wären bei Weitem verheerender als die Pleite von Lehman Brothers, die 2008 die große Finanzkrise auslöste.

Im November wurden daher auf der Jahreskonferenz der ARGE in Innsbruck vorrangig Fragen nach der Bankenregulierung als Quelle und Treiber von Systemrisiken thematisiert. In der Diskussion standen etwa die Empfehlungen des Basler Ausschusses und inwieweit sie seit 1988 (unbeabsichtigt) zur

re: Die Pseudostaatlichkeit treibt mittlerweile seltsame Blüten. So werden Aufgaben von Privatpersonen wahrgenommen, die eigentlich durch öffentliche Organe ausgeführt werden sollten: JägerInnen kontrollieren ihre Reviere selbst, TierärztInnen prüfen Fleisch, Wirte versorgen AsylwerberInnen und bewerten ihre Angebote selbst, Busunternehmen befördern SchülerInnen, Banken wickeln Förderungen ab, Produzenten zertifizieren ihre eigenen Produkte und Sicherheitsdienste übernehmen öffentliche Überwachungen und prüfen dazu ihr Personal und ihre Leistungen selbst.

Wie lässt sich diese Vielzahl privater Beteiligungen an der staatlichen Verwaltung in eine verständliche Ordnung bringen? Dieser Frage gingen die ReferentInnen der zweiten Tagung der Arbeitsgemeinschaft an der Universität Innsbruck nach. „Konzession, Beleihung, Verwaltungshilfe und Inpflichtnahme“ lauten Begriffe, die diese und ähnliche Aufgaben im Hinblick auf Rechtsregeln zusammenfassen sollten.

Staatliche Aufgaben oder hoheitliche Befugnis, Vorrecht oder Pflicht der Aufgabenerfüllung? Diese Fragen stellte Franz Merli zur

28.11.2016 11:04:21 Uhr

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ARGE Zukunft der Demokratie: Nach sechs

Jahren Arbeit und ebenso vielen Forschungskonferenzen, bei denen Themen wie Medien und Demokratie, Institutionen, Migration, neue Formen der Bürgerbeteiligung sowie Islam und Demokratie behandelt wurden, sei es nun an der Zeit, neue Wege zu gehen, erklärt Reinhard Heinisch. Die Vorgänge um die Bundespräsidentenwahl 2016 haben die Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel von Politik und Recht sowie die Qualität der Gesetzgebung und der Rechtsprechung gelenkt. Die daraus resultierenden offenen Fragen diskutierten zahlreiche WissenschaftlerInnen aus Politik- und Rechtswissenschaft Ende November 2016 bei einem Symposium, veranstaltet von der ARGE sowie der Sektion Politik und Verwaltung der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft.

Die Arbeitsgemeinschaft beschäftigt sich seit Beginn des Jahres mit diesen Themen im Rahmen des zweijährigen Projekts „Zukunft der Demokratie: Verfassung – Parlament – Verwaltung“. Zusammen mit ExpertInnen aus verschiedenen Disziplinen begann die Arbeit an einem Buch, das als Standardwerk für die Diskussion „Demokratie in Österreich“ dienen soll. Darin werden typische politische, juristische und administrative Entscheidungsabläufe nachgezeichnet und systemische Schwächen und demokratiepolitische Probleme aufgezeigt. Basierend auf dem Modell der letzten drei Jahre, wurde in Kooperation mit der Gesellschaft für Politikwissenschaft und dem Institut für Höhere Studien eine weitere Graduiertenkonferenz für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Demokratieforschung organisiert.

reinhard heinisch, Leiter der ARGE Zukunft der Demokratie

Sabine coelschFoisner, Leiterin der ARGE Kulturelle Dynamiken

ARGE Hochfrequenztechnik: Sie umfasst neben den drei Hochfrequenztechnik-Instituten an den heimischen TUs auch Institute, die sich mit der digitalen Signalverarbeitung und Informationssystemen auseinandersetzen. So arbeiten derzeit fünf Institute der ARGE interdisziplinär zusammen: Das Institut für Hochfrequenztechnik sowie das „Signal Processing and Speech Communication Laboratory“ an der TU Graz, das „Institute of Telecommunications“ und das „Institute of Electrodynamics, Microwave and Circuit Engineering“ an der TU Wien sowie das „In-

RF-Systems“ an der Uni Linz.

ZuSAMMenWIrKen VOn WISSenSchAFT unD KünSTLerIScher VISIOn

Fotos: Privat, Luigi Caputo, Christian Jungwirth

weisen, stellt sich für die Wissenschaft die Frage: „Wie kommt das Neue in die Welt?“ Den Denkanstoß lieferten, laut CölschFoisner, sowohl Transplantationsmedizin, Nanotechnologie und Mensch-KunststoffInteraktionen sowie politische Überschreibungen von Territorien, Flüchtlingsströme oder Widerstände gegen Globalisierungstendenzen. Die Frage, zugunsten welch neuer Grenzziehungen sich gegenwärtig Grenzen verflüchtigen, werde immer brisanter.

Mit elf Beiträgen aus den Life Sciences, Religions-, Gesellschafts- und Bildungswissenschaften sowie Architektur, Film- und Theaterpraxis will die ARGE unter dem Gesichtspunkt der Hybridisierung den Dialog zwischen Grenz-Diskursen in unterschiedlichen Forschungsdisziplinen herstellen. Sie beleuchtet neue Phänomene des Erinnerns und Vergessens, des Sammelns und Digitalisierens sowie des Imaginierens und Heilens.

stitute for Communications Engineering and

Symposium zum Thema „Hybridisierung“ schloss unmittelbar an das Thema des Wissenschaftstags 2016 „Grenzen in den Wissen-

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B e I S P I e L F ü r I n T e r D I S Z I P L I n A r I TÄT: „ O P T I S c h e K O M M u n I K AT I O n “ I n G r A Z

ARGE Kulturelle Dynamiken: Ihr viertes

schaften“ an. „Die großen Fragen unserer Zeit erfordern das Zusammenwirken von Wissenschaft und künstlerischer Vision“, sagt Sabine Cölsch-Foisner. Aufbrüche in Neues, egal, ob es sich um Geisteshaltungen, Technologien oder Kunstformen handelt, vollziehen sich nicht sprunghaft, sondern im Spannungsfeld von Tradition und Innovation mit Blick auf Übergänge und Zwischenräume. Während künstlerische Strategien paradigmatisch im Sinne von Verfremdungseffekt, ‚violation of language‘ oder ‚willing suspension of disbelief ‘ auf Übertritte in imaginäre Welten ver-

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Wolfgang Bösch, Leiter der ARGE Hochfrequenztechnik

Als Beispiel für diese Interdisziplinarität nennt der ARGE-Leiter Wolfgang Bösch die Forschungsgruppe für Optische Kommunikation (OptiKom) am Institut für Hochfrequenztechnik der TU Graz als ideale Ergänzung zu den Forschungen im Höchstfrequenzbereich an der Uni Linz und der TU Graz: Sie beschäftigt sich mit dem Design von optischen Kommunikationssystemen einschließlich Optical Wireless/Free Space Optics sowie den zugehörigen Kanalmodellen und modernen Modulations- und Kodierverfahren für zukünftige Anwendungen in der optischen Nachrichtenübertragung.

Die Entwicklung von Sendeschaltungen und optischen Empfängern sowie zugehörige Messungen ergänzen die Aktivitäten, die sich seit 2000 auch in Kooperationen mit EU- und ESA-Projekten widerspiegeln.

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Exzellente Forschungsquote VON JOHANNES MOERTH

ie österreichische Bundesregierung hat D ein klares strategisches Ziel, nämlich dass Österreich in die Spitzengruppe der innovativsten Länder der Welt vorrückt. „Laut aktuellen Eurostat-Daten liegen wir aktuell bei den Forschungsausgaben auf dem zweiten Platz in Europa, allerdings haben wir Nachholbedarf beim Wissenstransfer in die Wirtschaft und bei Spin-off-Gründungen.

Daher müssen wir schauen, dass wir unser Innovationspotenzial besser und effizienter nutzen“, so Vizekanzler Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

Forschung, Technologie und Innovation sind Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung. Für den Wirtschaftsstandort Österreich und dessen Wettbewerbsfähigkeit sind daher innovationsfördernde Rahmenbedingungen, global agierende Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie die aktive Teilnahme an EU-Programmen wichtig. Österreich hat in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt (beim European Innovation Scoreboard von Platz 7 2011 auf Platz 11 2015 gesunken). 2016 ist mit Platz 10 eine Trendwende zu beobachten. Diese Trendwende soll in den nächsten Jahren anhalten, daher hat die Bundesregierung Anfang November ein Forschungs- und Infrastrukturpaket in Höhe von 700 Millionen Euro bis zum Jahr 2021 beschlossen. Die staatlichen Gelder sollen zusätzlich 500 Mil-

Vizekanzler reinhold Mitterlehner: „Laut aktuellen Eurostat-Daten liegen wir aktuell bei den Forschungsausgaben auf dem zweiten Platz in Europa.“

runD 85% Der neu VerGeBenen MITTeL WerDen KOMPeTITIV VerGeBen lionen Euro an privaten Investitionen auslösen. Die zusätzlichen Mittel, die im Finanzrahmen 2018 bis 2021 fixiert werden müssen, stärken einerseits die Grundlagenforschung und setzen andererseits an der Schnittstelle Wissenschaft und Wirtschaft an.

Rund 85 % der neu vergebenen Mittel werden kompetitiv vergeben. Damit wird ein Wettbewerb um die besten und innovativsten Ideen geschaffen. Der Wissenschaftsfonds FWF wird deutlich aufgestockt, von aktuell 184 Millionen Euro jährlich sukzessive mit frischen Bundesmitteln auf 290 Millionen pro Jahr bis 2021. Damit können rund 1.500

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zusätzliche Forscher finanziert werden. Die Akademie der Wissenschaften soll 40 Millionen für Schwerpunktthemen wie Digitalisierung erhalten. „Wir sind in der erfreulichen Situation, dass es viele Jungwissenschaftler mit großartigen Ideen an den Unis gibt. Sie mussten zuletzt mangels nötiger Budgetmittel beim FWF abgelehnt werden, diese Situation sollte sich damit verbessern. Wir wollen damit den Standort attraktiver machen, mehr Wissenschaftler aus dem Ausland anziehen und ihn internationaler machen“, erläutert Staatssekretär Harald Mahrer. Österreich zählt international zu den herausragendsten Standorten für Forschungen im Bereich der Quantenphysik und Quantentechnologie. Dieser bestehende Schwerpunkt soll insbesondere im Hinblick auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und Anwendungsmöglichkeiten ausgebaut werden. Konkret sollen in die Entwicklung eines Quantencomputer-Demonstrators zehn Millionen Euro investiert und ein eigenes Förderprogramm (dotiert mit 5,36 Millionen Euro pro Jahr ab 2018) eingerichtet werden, um die Beteiligung an der geplanten europäischen Flagship-Initiative zur Quantenforschung zu unterstützen.

Zur Schaffung eines österreichischen Private-Equity-Wachstumsfonds will die Regierung 30 Millionen Euro investieren und damit durch private Mittel ein Fonds-Volumen von mindestens 100 Millionen Euro, mittelfristig sogar 300 Millionen Euro erreichen. Die 30 Millionen Euro sollen durch Umschichtung von derzeit ungebundenem Kapital des awsMittelstandsfonds aufgebracht werden.

Weiters wird für die heimischen Hochschulen und private Partner ein „Forschungsbeteiligungsfonds“ eingerichtet. Insgesamt zehn Millionen Euro sollen im selben Ausmaß zur Verfügung gestellt werden, wie privates Kapital mobilisiert wird. Die gleiche Summe soll vom Europäischen Investitionsfonds (EIF) kommen. Zudem könnte die Forschungsprämie nach positiver Evaluierung von derzeit 12 auf 13 Prozent angehoben werden. „Die Angewandte Forschung hat, wenn man Singapur oder Südkorea heranzieht, viel Luft nach oben. Und genau dort wollen wir auch hin. Es geht auch darum, die

Foto: BMWFW/Hans Ringhofer

Vizekanzler Wissenschaftsminister Reinhold mitterlehner und Staatssekretär Harald mahrer über den W I S S e n S c h A F T S S TA n D O r T Ö S T e r r e I c h

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Innovationskette von der Grundlagenforschung in die Anwendung zu unterstützen, Patente zu generieren, Start-ups zu gründen.

Da kann man nicht nur an die Grundlagen denken, sondern muss das System als Ganzes betrachten“, so Mahrer.

Neben den Maßnahmen für die Angewandte Forschung sowie die Grundlagenforschung, hat sich die Bundesregierung auch mehr Tempo beim Breitbandausbau verordnet. So soll Österreich beginnend ab 2017 zum Pilotland für die 5G-Technologie werden, dazu wird die bestehende Breitbandförderung evaluiert. Vor allem die Wissenschaft

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und Forschung soll von dieser technischen Infrastruktur profitieren. „Der F&E-Standort Österreich ist weiter im Aufwind und steht international sehr gut da. Innerhalb kürzester Zeit haben wir bei der Forschungsquote Innovationsführer wie Deutschland, Dänemark und nun Finnland überholt. Das ist ein Beleg für die exzellente Arbeit an unseren Hochschulen, Forschungseinrichtungen und forschenden Unternehmen. Daher bündeln wir jetzt vorhandene Strukturen, schaffen innovative Instrumente und geben neues Geld für exzellente Forschung made in Austria“, sagt Mitterlehner.

Mehr Forschung im eigenen Bundesland Die in den Ländern für Wissenschaft verantwortlichen Politikerinnen und Politiker erklären ihre G r ü n D e F ü r D I e F Ö r D e r u n G D e r W I S S e n S c h A F T schung und Entwicklung“ arbeiten. Das ist Platz drei innerhalb der Europäischen Union.

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elchen Stellenwert Kunst- und KulW turforschung einnimmt, lässt sich an der Förderfreude der Wissenschafts- und

Fotos: Peter Rigaud, NLK

Kulturbeauftragten Österreichs abschätzen.

In Wien hat sich die Zahl der Unis und Fachhochschulen von 12 auf 20 erhöht. Ziel ist, die Stadt für ihre wissenschaftlichen Leistungen international ebenso bekannt zu machen wie für ihre Kultur. Denn Wissen sei der wichtigste Rohstoff der Zukunft und schaffe zudem Arbeitsplätze, erklärt Andreas Mailath-Pokorny. Der Wissenschafts- und Kulturstadtrat hält den Wissensdrang junger Generationen für die Basis jeder zukunftsorientierten Entwicklung. Neben den Studiernden bildet ein international vernetztes Lehrpersonal eine weitere tragende Säule der Wissenschaftsstrategie der Stadt.

Für Vortragende, DozentInnen und ForscherInnen werden mit der Errichtung des Gästehauses Aspern Anreize geschaffen, nach Wien zu kommen. „Mit über hundert Wohneinheiten bietet dieses Gästehaus ForscherInnen aus der ganzen Welt eine komfortable Möglichkeit, sich hier bei uns an den Wiener Universitäten auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Dadurch wird der Standort Wien für den internationalen Forschungsaustausch noch attraktiver“, so der Stadtrat.

Der Erfolg dieser Strategie ließe sich schon daran messen, dass fünf Prozent aller Beschäftigten der Stadt im Bereich „For-

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Andreas MailathPokorny, Stadtrat für Wissenschaft in Wien

erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich

Niederösterreichs Wissenschafts- und Forschungspolitik ist nach über zwei Jahrzehnten Aufbauarbeit in einer Phase angelangt, da die Bemühungen Früchte tragen: Das Krebstherapie- und Krebsforschungszentrum MedAustron in Wiener Neustadt wird fertiggestellt, der Teil für wissenschaftliche Forschung ist bereits in Betrieb. Seit November können im neuen medizinisch-klinischen Teil die ersten Patienten behandelt werden.

Noch heuer werden die neuen Räumlichkeiten der „Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften“ in Krems fertiggestellt und Anfang nächsten Jahres eröffnet.

An der Privatuniversität IST-Austria in Maria Gugging wird am mittlerweile fünften Laborgebäude geplant. Landeshauptmann Erwin Pröll verweist zudem auf eine aktuelle Statistik: Niederösterreich verzeichnet einen neuen Rekord an Studierenden – knapp 51.000 befinden sich aktuell in akademischer Ausbildung an Universitäten, Fachhochschulen oder Pädagogischen Akademien. „Das zeigt, dass unsere Anstrengungen, ein wissenschafts- und bildungsfreundliches Klima zu schaffen, mehr und mehr fruchten“, erklärt Pröll. Er sieht in dieser Entwicklung eine weitere Motivation, den eingeschlagenen Weg Fortsetzung nächste Seite

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Fortsetzung von Seite 19

fortzusetzen – etwa mit dem „Programm für Forschung, Technologie und Innovation“.

Es wurde 2015 vom niederösterreichischen Landtag einstimmig beschlossen. „Wer in Wissenschaft investiert, ölt den stärksten Motor für die Entwicklung eines Landes“, meint der Landeshauptmann.

Oberösterreich will gezielte Impulse in Richtung Innovation setzen.

Mit der neuen oberösterreichischen Forschungsförderung „Step Ahead through Research – STAR“ wird das Land in den Jahren 2017 bis 2021 zusätzliche 40 Millionen Euro in die Forschungsförderung investieren. „Diese Mittel sollen es ermöglichen, neue Wege in der Forschung zu gehen, zukunftsorientierte Themen aufzugreifen und in noch unbesetzte Innovationsbereiche vorzustoßen“ erklärt Landeshauptmann-Stv. Thomas Stelzer. Zudem stelle das neue Programm einen noch höheren Qualitätsanspruch an die oberösterreichische Forschung. Eine strikte Qualitätssicherung sorge auch bei geförderten Initiativen für internationales Top-Niveau.

Dies soll die Position Oberösterreichs im nationalen sowie internationalen Forschungsund Technologiewettbewerb noch weiter stärken. Fördermittel im Rahmen von „STAR“ dienen zur Finanzierung von Projekten und personenbezogenen Initiativen.

Des Weiteren sind Ausschreibungen zu neuen Themen, die Förderung von kreativen Projekten mit hohem Innovationsgrad, Doktoratsprogramme und Stiftungsprofessuren geplant. Die erhöhten Fördermittel machen es möglich, „Flagship-Projekte“ zu realisieren. Dabei wird sich Oberösterreich verstärkt auf die Kernkompetenzen des Landes wie „innovative Werkstoffe, Informations- und Kommunikationstechnologien und Mechatronik“

Thomas Stelzer, LandeshauptmannStellvertreter in OÖ

christopher Drexler, Landesrat für Wissenschaft in der Steiermark

OBerÖSTerreIch STecKT BIS 2012 Z u S ÄT Z L I c h 4 0 M I O . e u r O I n F O r S c h u n G konzentrieren. Eine erste Ausschreibung gilt dem Thema Digitalisierung. Diese oberösterreichische Ausschreibung soll nationale Förderprogramme zum Thema Digitalisierung ergänzen. Bundesweite Programme decken zwar durch ihre inhaltliche Breite viele Themengebiete ab, die regionale Ausschreibung bringt aber eine zusätzliche Dynamik in spezifischen Wissensbereichen.

Die Steiermark achtet in ihrer Forschungspolitik auf die Einbeziehung der wesentlichen Akteure sowie auf eine Fokussierung

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der vorhandenen Mittel. Die steirische Forschungsförderung regt darüber hinaus kooperative und interdisziplinäre Forschung an. „So hat etwa die Ausschreibungsreihe ,Human-Technology-Interface‘ HTI in den letzten Jahren wesentlich dazu beigetragen, dieses Zukunftsfeld in der gesamten universitären und außeruniversitären Forschung breit auszubauen“, sagt Landesrat Christopher Drexler. „Das ermöglicht neben der Weiterentwicklung im Gesundheitsbereich auch eine enorme Wertschöpfung für das Land.“ Es wurden Spezial-Forschungspreise des Landes Steiermark für den Bereich HTI in den Kategorien Grundlagenforschung, wirtschaftliche Anwendungen, Nachwuchs und Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ausgelobt. „Die Stärke der anwendungsorientierten Forschung darf aber das Bewusstsein und die Bemühung um Vielfalt des Wissenschaftsstandortes nicht schmälern oder die unterschiedlichen Anforderungen und Kulturen einzelner Wissenschaftsdisziplinen vergessen lassen“, ergänzt der Landesrat.

Vor diesem Hintergrund wurde mit der Ausschreibungsreihe „Polaritäten in der Wissensgesellschaft“ gezielt der Versuch unternommen, für die aktuellen Herausforderungen die Potenziale der Geistes-, Sozial- und Kunst- und Kulturwissenschaften am Standort Steiermark zu nutzen. „Gerade dieser Bereich hat eine wichtige Funktion auf die gesellschaftliche, kulturelle und demographische Entwicklung unseres Landes. Er fördert kritische Stimmen und kann zudem Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme bieten“, meint Drexler.

Die Ausschreibung 2016 lautete „Alt und Neu – Tradition und Avantgarde“. „Alt und Neu“ soll nicht nur ein historisches Thema behandeln, sondern auch das aktuelle Konfliktfeld zwischen retardierenden und modernen Tendenzen aufzeigen. „Beispiele, in denen Altes und Neues in räumlicher und zeitlicher Nähe zueinander existieren können, eröffnen Betrachtungsmöglichkeiten, ob sich etwa diese Koexistenz – ohne Leugnung der Spannungen – als Zukunftsmodell nicht nur für die steirische Kunst-, Kulturoder Architekturszene eignet, sondern auch beispielgebend für gesellschaftliche und politische Prozesse sein könnte.“ Abschließend stellt Drexler die Frage: „Muss das Gemeinsame zwingend populär besetzt sein?“ Salzburg richtete vor genau einem Jahr ein neues Doktoratskolleg ein. Es dient für Dissertationsprojekte im Themenbereich „Die Künste und ihre öffentliche Wirkung: Konzepte – Transfer – Resonanz“. „In einem

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Zeitraum von drei Jahren werden Doktoratsarbeiten mit insgesamt 200.000 Euro gefördert. Nun liegen schon die ersten sieben Arbeiten vor. Sie behandeln so unterschiedlichen Themen wie ,Ästhetische Erfahrung im Umgang mit Musik‘ oder ,Die Stadt als performativer Raum‘ oder ,Wandlungen der Ästhetik des Grotesken in literarischen Texten der Schoah‘“, berichtet Landesrätin Martina Berthold.

Im Rahmen des Kultur- und Kunstschwerpunkts der WISS 2025 wird das interdisziplinär angelegte Doktoratskolleg „Transkulturalität und Geschlechterforschung“ gefördert. „Kultur wird dabei nicht als autonomer, abgegrenzter Bereich verstanden, sondern als etwas, das im Austausch mit Anderem entsteht“, sagt die Landesrätin.

Laut Berthold ist die bessere Verknüpfung von bestehenden Schwerpunkten der universitären Einrichtungen eines der wichtigsten Ziele der Wissenschafts- und Innovationsstrategie 2025 des Landes. Kunst und Kultur bilden also einen ganz wesentlichen Bestandteil des Wissens- und Wissenschaftsstandorts Salzburg. Immerhin lenken sie die internationale Aufmerksamkeit auf Stadt und Land.

In Tirol zeigt sich der Stellenwert von Forschung und Entwicklung für das Bundesland auch darin, dass Edeltraud Hanappi-Egger, die Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien und erste Tirolerin an der Spitze einer Universität, heuer zur „Tirolerin des Jahres“ gekürt wurde. Beim heurigen „Zukunftstag Tirols“ standen Forschung und Entwicklung sowie Innovation im Fokus: Rund 250 ForscherInnen und UnternehmerInnen kamen zu dieser Veranstaltung der Tiroler Landesregierung.

ForscherInnen werden durch den Tiroler Wissenschaftsfonds mit 4,8 Millionen Euro gefördert. Mit der zusätzlichen Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) des Bundes ergibt das eine jährliche Tiroler Forschungsförderung von insgesamt über sieben Millionen Euro.

Dass Tirol in den vergangenen Jahren gezielt in Bildung, Forschung und Innovation investiert hat, belegen die auf 37,4 Millionen Euro gestiegenen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung im letzten Landeshaushalt. Mit einer Forschungsquote von über drei Prozent liegt Tirol an vierter Stelle unter Österreichs Bundesländern. „In den vergangenen Jahren haben wir kontinuierlich den aus unseren acht Hochschulen bestehenden Campus Tirol ausgebaut, zuletzt mit dem im Herbst erfolgten Start eines Mechatronikstudiums in Lienz. In Landeck wurde heuer für die Tou-

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Martina Berthold, Landesrätin für Wissenschaft in Salzburg

Bernhard Tilg, Landesrat für Wissenschaft in Tirol

Bernadette Mennel, Landesrätin für Wissenschaft in Vorarlberg

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rismusforschung eine Stiftungsprofessur im Bachelorstudium ,Wirtschaft, Gesundheitsund Sporttourismus‘ eingerichtet“, berichtet Landesrat Bernhard Tilg.

Für diese Bemühungen gab es auch einen europäischen Preis. Der EU-Ausschuss der Regionen zeichnete den gemeinsamen, mit jährlich 1,4 Millionen Euro dotierten Wissenschaftsfonds der Euregio Tirol-SüdtirolTrentino mit der Silbermedaille des Preises „Building Europe across Boarders“ aus.

Vorarlbergs Wissenschaftler müssen nicht auswandern. Schließlich gilt das Land traditionell als attraktiver Standort für innovative Unternehmen und damit als interessanter Arbeitsplatz für hochqualifizierte WissenschaftlerInnen. Wissenschaftlichen Einrichtungen stellt das Land großzügige Unterstützung für Forschungsprojekte zur Verfügung. „Unseren WissenschaftlerInnen soll dadurch eine wissenschaftliche Karriere im eigenen Land ermöglicht werden“, erklärt Landesrätin Bernadette Mennel.

So betreibt das „Vorarlberg Institute for Vascular Investigation and Treatment VIVIT“ seit 1997 als einzige Institution der Region molekularbiologische und biomedizinische klinische Forschung. Schwerpunkte liegen dabei auf den Bereichen Adipositas, Diabetes mellitus, Arteriosklerose sowie Herz- und Gefäßerkrankungen. „Seit seinem Bestehen hat das VIVIT über 200 wissenschaftliche Publikationen und über 1.200 Kongressbeiträge hervorgebracht und konnte mit seiner Forschung internationales Ansehen gewinnen“, berichtet Mennel.

Am Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck in Dornbirn betreiben rund zwanzig Personen Grundlagenforschung und angewandte Forschung in den Bereichen Sporttextilien, Technische Stickerei, Textilveredlung und Ausrüstung,

VOrArLBerG WILL WISSenSchAFTLern eIne KArrIere IM LAnD erMÖGLIchen Zellulosefaserforschung und Naturfarbstoffe. Mit den Fördermitteln des Landes werden eine Assistentenstelle für Doktoranden und eine FFG-Stiftungsprofessur gefördert.

Als weiteren Schwerpunkt der Wissenschaftsförderung nennt Mennel den Aufbau der Forschungskompetenz an der Pädagogischen Hochschule. Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Bildung und Gesellschaft“ werden u. a. die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Schule untersucht und Bildungskonzepte erarbeitet.

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Die Verbesserung des Menschen Der Philosoph K A r L A c h A M über die grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis und menschlich-tierische mischwesen

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m Österreichischen Wissenschaftstag A 2016 sprach der Philosoph und Sozialwissenschaftler Karl Acham zum Thema

„Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis“. Die Rede war u. a. von Grenzen zwischen Naturund Geisteswissenschaften sowie zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und jener der Kunst. Aber auch Grenzen, deren Sinn nicht

sofort einleuchtet, kamen im Vortrag zur Sprache. Etwa jene, die sich aus Ethik- und Moralfragen ergeben, oder aus der Begrenztheit unserer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Außerdem setzt sich die Wissenschaft selbst Grenzen mit wissenschaftlichen Kriterien, über deren Sinn man sich nicht immer einig ist.

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ein neues Verhältnis zu den natürlichen Ressourcen gesetzt und ihre Bedürfnisse, auch als Folge der sozioökonomischen Entwicklung, in vielen Teilen der Welt immer höher geschraubt.

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Herr Acham, wie sinnvoll ist es, in einem Europa ohne Grenzen jedem Land selbst zu überlassen, was in Forschung und Wissenschaft sein darf und was nicht? Sollten Ethik- und Moralfragen in puncto wissenschaftlicher Erkenntnis europaweit nicht gleichermaßen gelten?

Karl Acham: So sehr die Standards wissenschaftlicher Erkenntnis nicht an nationale Grenzen gebunden sind, so sehr sind die auf die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse bezogenen Fragen der Moral im Staatenbund der EU noch immer eine Sache nationaler politischer Entscheidungen. Mir persönlich ist ein solcher ethischer Föderalismus lieber, der alle Involvierten zu gründlichen Überlegungen nötigt, als ein oft allzu rasch mit Sachzwängen begründeter ethischer Zentralismus. Und auch dann, wenn ich mich im Gegensatz zu den von meinem Staat vertretenen wissenschaftsethischen Positionen befinden sollte.

Karl Acham: „Menschlich-tierische Mischwesen beflügeln angesichts der Möglichkeiten, welche die moderne Biophysik eröffnet, die Fantasie der Menschen.“

Sie sprachen auch von Grenzen, die uns vor der Willkür staatlicher Institutionen sowie ökonomischer Interessenvertretungen schützen sollten. Aber finden diese Institutionen, wenn es ihren Interessen dient, nicht immer wieder Mittel, diese Grenzen zu umgehen?

Acham: Ja, immer wieder, aber das macht schutzrechtliche Bestimmungen nicht obsolet. Es gibt, wie wir wissen, immer wieder Kriminelle, die gegen das Gesetz handeln.

Sagt das was gegen strafrechtliche Bestimmungen?

Der Einfluss des Menschen auf die Erde hat zum Anthropozän geführt. Nimmt die Wissenschaft den Satz „Sich die Erde untertan machen“ etwa zu wörtlich, indem sie Naturgesetze ignoriert?

Acham: Ich glaube, dass sich die meisten Wissenschaftler weder vorsätzlich im Sinne „ I c h G L A u B e n I c h T, D A S S W I S S e n S c h A F T L e r n AT u r G e S e T Z T e G r e n Z e n I G n O r I e r e n “ des von Ihnen zitierten Imperativs aus dem Alten Testament ans Werk machten, noch, dass sie von der Natur gesetzte Grenzen ignoriert haben. Es ist nicht zu übersehen, dass die Menschen schon deshalb einen so großen Einfluss auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ausüben, weil ihre Zahl innerhalb von zwei Jahrhunderten um das Siebenfache zugenommen hat und in derselben Zeit gleich drei industrielle Revolutionen stattgefunden haben. Dadurch wurden die Menschen in

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Sie sprachen in Ihrem Vortrag auch das sogenannte Genome editing an, also die Möglichkeit, menschlich-tierische Mischwesen zu produzieren …

Acham: Menschlich-tierische Mischwesen beflügeln angesichts der Möglichkeiten, welche die moderne Biophysik eröffnet, die Fantasie der Menschen. Mit Hilfe eines neuen, von den Wissenschaftlerinnen Emmanuele Charpentier vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und Jennifer Doudna von der Uni Berkeley entwickelten biotechnischen Verfahrens sind Biologen und Mediziner in der Lage, die Erbsubstanz, das Genom, umzuschreiben und gewissermaßen wie einen Buchtext zu editieren – deshalb die Bezeichnung Genomeditierung oder Genome editing. In den vergangenen drei Jahren wurden mithilfe dieser Methode große Fortschritte in der Grundlagenforschung erzielt.

So versteht man etwa jetzt besser, welche Prozesse bei der Entstehung von Krebs von besonderer Bedeutung sind. Man ist aber auch dem immer wieder in Literatur und Film – vom Golem über Frankenstein bis zu den Cyborgs – thematisierten Wunsch bestimmter Menschen näher gekommen, selbst menschliche oder menschenähnliche Kreaturen herzustellen. Einen sehr konkreten Schritt in diese Richtung stellt die Möglichkeit dar, Veränderungen des menschlichen Genoms durchzuführen, die auf Enhancement zielen, also die Verbesserung von Menschen.

Bisher haben Menschen das Humangenom nie gezielt und generationenübergreifend verändert – sie konnten es auch nicht. Nun aber könnten sie es. Die volle Tragweite der sozialökonomischen und ethischen Folgen dieser Entwicklungen ist derzeit noch nicht abzuschätzen.

Der Genetiker Markus Hengstschläger meinte jüngst, gerade Genetiker seien in ethischen Fragen restlos überfordert. Es bedürfe daher der Hilfe von Philosophen und Theologen, die ihnen den Weg ausleuchten – Ethik sozusagen als Taschenlampe …

Acham: Der Ingenieur für Maschinenbau und Literat Robert Musil sprach schon vom Erfordernis der Komplementarität von Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn. Mir scheint, dass nicht wenigen Philosophen und Theologen der Wirklichkeitssinn, manchen Naturwissenschaftlern aber der Möglich-

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keitssinn fehlt. Eine empirische Wissenschaft vermag, wie schon Max Weber ausführte, niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann, und unter Umständen, was er will. Andererseits erschien es ihm richtig, dass das Mögliche sehr oft nur dadurch zum Wirklichen wird, dass man nach dem Jenseits seiner Möglichkeiten griff. So brauchen einander Realisten und Utopisten. Aber ein Erfolg stellt sich bei dieser Kooperation nur ein, wenn beide auch voneinander im Fachlichen hinreichend Bescheid wissen. Denn erst das macht Argumente wechselseitig nachvollziehbar.

Sie nennen Grenzen, bedingt durch die Begrenztheit unserer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten – aber was man erkennt, kann man auch sagen …

Acham: Schon der frühe Wittgenstein machte im „Tractatus logico-philosophicus“ auf die Gebundenheit des Erkennens an die Sprache aufmerksam. Was sich überhaupt sagen lässt, das lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.

Nun könnte einer natürlich verlangen, dass der, der uns sagt, man müsse darüber schweigen, wovon man nicht reden kann, gegebenenfalls auch sagt, worüber er schweigt.

Wittgenstein hätte dem Scherzbold vielleicht gesagt, das zeige sich diesem bestenfalls, denn es entziehe sich einer propositionalen Wahrheitserkenntnis. Nicht solle man das durch Geschwätz zerreden, worauf es ihm in existenzieller Hinsicht ankomme: auf das Mystische und das Ethische. Beides liegt jenseits dessen, was sich überhaupt sagen lässt, und zu ihm führen vielleicht einige Wege der Kunst und Meditation, aber nicht die der Wissenschaft.

Hier sprechen Sie Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst an – aber gibt es diese in Wahrheit überhaupt, oder sind es nur unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel.

Acham: Dass Kunst etwas mit Wahrheit in einem weiteren Sinne zu tun haben kann, zeigt sich schon daran, dass ein gutes Porträt oft mehr über einen Menschen aussagt als eingehende biografische Analysen. Aber auch daran, dass mitunter Musik einem Gefühlszustand in höherem Maße gerecht wird als der sprachlich vorgetragene Versuch des Emotionspsychologen, jenem Zustand Ausdruck zu verleihen. Es wäre besser, hier von einer der Sache angemessenen Repräsentation des gemeinten Gegenstandes oder Sachverhalts im Erleben von Kunst zu sprechen.

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In einer solchen unmittelbaren Wahrnehmung findet die Kunst ihre Erfüllung, nicht aber in jenen Formen der Wahrheitserkenntnis, wie sie für die Wissenschaft charakteristisch sind. Selbst wenn man zuzugestehen bereit ist, dass das wissenschaftliche Erkennen letztlich um des Erlebens willen da ist, so ist doch das Erleben deshalb nicht das Ziel der Erkenntnis. Denn dieses liegt darin, eine bestimmte Ordnung in der Welt aufzufinden, nicht aber in der Gefühlsbeziehung zu ihr.

Das Ziel des Erkennens fällt so mit dem des Erlebens nicht zusammen.

Gemeinsam ist allerdings Wissenschaft und Kunst die befreiende Wirkung, die sich dadurch einstellen kann, dass durch die Wissenschaft wie die Kunst das herkömmliche Bild der Wirklichkeit in Frage gestellt oder modifiziert wird. Insofern sollten Kunst und Wissenschaft einander als unterschiedliche Perspektiven ergänzen.

Sie haben mit Karl Popper auf jene Grenzen hingewiesen, die dem wissenschaftlichen Verstand aufgrund seiner kritischen Rationalität gesetzt sind. Sehen Sie in der Metaphysik, auf die sich viele von uns zuweilen einlassen, eine absolute Grenzüberschreitung?

Acham: Popper kritisierte die strenge Abgrenzung wissenschaftlicher von metaphysischen Sätzen, die im Logischen Empirismus des Wiener Kreises praktiziert wurde.

Dieser, wie andere damit verwandte Überzeugungen auch, beruhe auf der durchaus metaphysischen Voraussetzung einer Glaubensentscheidung zur Rationalität, die aber nicht selbst rational begründbar ist.

Popper bezeichnet die ihr zugrunde liegende Haltung als einen irrationalen Glauben an die Vernunft. Ein arger Fehler wäre es, das Metaphysische mit dem Unklaren und Wissenschaft mit dem Klaren zu identifizieren. Diese Denkweise fordert in der Tat zu „ e I n F e h L e r W Ä r e , M e TA P h Y S I S c h e S M I T DeM unKLAren Zu IDenTIFIZIeren“ „Spaziergängen in die Metaphysik“ heraus.

Entgegen der Überzeugung des frühen Wittgenstein und verschiedener logischer Empiristen ist man sich nach wie vor darüber im Unklaren, was „klar“ heißt, wenn davon die Rede ist, dass sich klar sagen lasse, was sich überhaupt sagen lässt. Nähme man diese Art von Metaphysikkritik ernst, so wäre vermutlich die Wissenschaft längst aus Mangel an Fantasie und Wagemut erstarrt. Man gefiele sich darin, exakt über Triviales und trivial über Wichtiges zu sprechen.

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„Frieden“ kann auch „Grenze“ bedeuten Der I n D O G e r M A n I S T T h O M A S L I n D n e r spürt dem Vokabular nach, mit dem wir aus- und eingrenzen. Das habe auch mit grenzüberschreitung zu tun

seinem aktuell erschienenen Buch „200 Iner,nJahre Indogermanistik“ gibt Thomas Lindausgehend von Franz Bopp und dessen

1816 veröffentlichtem Hauptwerk, einen Überblick über Theorie und Praxis der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft.

Im Gespräch klärt er die Erschließung von Wörtern wie Grenze, das übrigens aus dem Polnischen stammt.

Wie erschließt man die Etymologie eines Wortes?

Thomas Lindner: Zunächst ist es wichtig, dass man sich einen Überblick über die synchronen und diachronen Verwendungen eines Wortes verschafft. Konkret sieht das so aus, dass man es von der Gegenwart bis in die früheste Überlieferung zurückverfolgt und die Veränderungen von Wortkörper und Inhalt dokumentiert. Man kann aber noch weitergehen: Durch Sprachvergleich und Rekonstruktion kommt man in die Prähistorie des Urindogermanischen, die uns nicht mehr durch Textdokumente überliefert ist, und versucht, grundsprachliche Formen und Bedeutungen zu erschließen. In meinem heuer erschienenen Buch gehe ich auf Methoden und Kriterien ein und beschreibe wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge.

Thomas Lindner: „Bei der Etymologie des Wortes Frieden stellen wir fest, dass es auf eine Grundbedeutung des friedlichen Miteinanders in der eigenen Sippe zurückgeht, aber auch Grenze bedeuten kann. “

War es für Sie naheliegend, sich mit dem Begriff der Grenze zu beschäftigen?

Lindner: Als ich zu diesem Vortrag eingeladen wurde, habe ich mir lange überlegt, wie ich das Thema aus linguistischer Sicht an„ G r e n Z e K O M M T I M S PÄT M I T T e L A LT e r A u S D e M A LT P O L n I S c h e n I n S D e u T S c h e “ gehen sollte. Hier gibt es verschiedene Zugänge, etwa erkenntnistheoretischer oder sprachphilosophischer Art. Als historischvergleichender Sprachwissenschaftler habe ich mich schließlich dafür entschieden, das Wortfeld Grenze in den wichtigsten europäischen Sprachen etymologisch aufzubereiten und damit das sprachliche Fundament des Generalthemas in den Mittelpunkt zu stellen.

Seit wann sprechen wir im Deutschen überhaupt von Grenze?

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Lindner: Zunächst waren es meistens Wörter für räumliche Grenzen, die aber in der Folge auch auf zeitliche oder metaphorische Grenzen übertragen werden konnten. Das Lehnwort Grenze kommt erst im Spätmittelalter aus dem Altpolnischen ins Deutsche und verdrängte ältere Erbwörter wie Mark oder Gescheide. Dabei spielte eine große Rolle, dass die älteren deutschen Erbwörter etwas konkret Physisches bezeichneten, etwa ein Grenzland oder eine Grenzmarke, wogegen das aus dem Slawischen entlehnte Wort für eine modernere, abstrakt-lineare Grenzkonzeption herangezogen werden konnte.

Dem Diktum „Ohne Grenzen gibt es keinen Frieden“ ist aus rein sprachwissenschaftlicher Sicht allerdings nicht zuzustimmen, oder?

Lindner: Bei der Etymologie des Wortes Frieden stellen wir fest, dass es auf eine Grundbedeutung des friedlichen Miteinanders in der eigenen Sippe zurückgeht, aber auch Grenze bedeuten kann. Da üblicherweise abstrakte von konkreten Vorstellungen herkommen, nahm die ältere Forschung an, dass hier der abstrakte Begriff des Friedens von einer konkreten Auffassung eines abgegrenzten Bereichs herrührt. Das hat sich zwar als unhaltbar erwiesen. Aber es ist so, dass die Linguistik ihre Erkenntnisse wertneutral beschreiben und erklären muss. Wenn jemand etwa aufgrund der aktuellen Ereignisse aus einem solchen sprachlichen Befund ableiten möchte, dass es ohne Grenzen keinen Frieden gibt, so ist das jedenfalls keine legitime sprachwissenschaftliche Schlussfolgerung.

Wie eng sind Gesamt- und Sprachgeschichte verknüpft?

Lindner: Die Sprachgeschichte ist ja nur ein kleiner Teil der Gesamtgeschichte und vollzieht sich immer in einem größeren Rahmen.

Innerhalb der Sprachgeschichtsforschung gibt es eine Richtung, die die sprachlichen Daten zusammen mit den außersprachlichen Realien untersucht und auf die enge Verknüpfung zwischen Wörtern und Sachen abhebt. Etwa durch die Sesshaftwerdung des Menschen und im Zuge der Entstehung von Hochkulturen sind viele neue Wortschatzbereiche entstanden, darunter auch das

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Vokabular der Verortung und Begrenzung von öffentlichen und privaten Räumen.

Kann man Ihren Vortrag dahingehend interpretieren, dass Sprachräume zwar nebeneinander, aber nie abgeschlossen existieren?

Lindner: Es gab immer schon sprachlichen Austausch zwischen Sprachgruppen und über Sprachräume hinweg. Die vielen wechselseitigen Entlehnungen zeigen dies seit Anbeginn der sprachlichen Überlieferung.

Das kam durch unterschiedliche Faktoren zustande: Handelsbeziehungen, kultureller Einfluss, persönliche Motive, aber natürlich

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auch Kriege und Eroberungen. Anhand von Fremd- und Lehnwörtern kann man die diversen Motive für Sprachkontakt ganz gut nachvollziehen: Manchmal kommen neue Kulturgüter in eine Sprache und mit den neuen Sachen auch die fremden Wörter. Ein anderes Mal wiederum werden einer Sprache durch kriegerische Ereignisse Wörter gewissermaßen aufoktroyiert, die aber im Wortschatz bleiben und sich dann letztlich assimilieren. So übernahmen etwa die romanischen Sprachen infolge der Wirrnisse der Völkerwanderungszeit das Wort für Krieg – im Französischen „guerre“ – aus dem Germanischen.

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Nationale Literaturen im geeinten Europa erklärt, wie es im Europa des 19. Jahrhunderts zu einer nationalen neuordnung der Literatur kam L I T e r AT u r W I S S e n S c h A F T L e r F r A n K B A A S n e r

In der Literatur sollte es jetzt auch darum gehen, dieses auf die Nation ausgerichtete Gemeinsame aufzuspüren, das wie eine Entelechie, eine Vorbestimmung, in den Ursprung der Völker zurückprojiziert wurde. Die Literaturgeschichtsschreibung musste zeigen können, dass sich das wie ein roter Faden durch die Geschichte der Nation zieht.

n ihrem gemeinsam verfassten Buch „WerIbindet“ te: Von Plato bis Pop – Alles, was uns verversammeln Frank Baasner, Peter

Prange und Johannes Thiele literarische Klassiker im Spannungsfeld von Begriffspaaren wie Leben und Sinn. Sie wollen damit dem europäischen Erbe nachspüren. Im Interview spürt Frank Baasner auch der Idee eines europäischen Bezugsraums für die Literaturen der europäischen Länder nach.

Herr Baasner, haben Grenzen in der Literatur schon immer eine Rolle gespielt?

Frank Baasner: Jeder, der etwas Neues schreiben wollte, musste sich vom Altem abgrenzen. Jahrhundertelang war es eine Modeerscheinung, dass jeder dasselbe wie sein Vorgänger geschrieben hat, nur eben ein bisschen anders. Mit dem Geniekult in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts ändert sich das schlagartig. Das Genie ist mit dem göttlichen Funken versehen und muss aus dem Nichts etwas völlig Neues schaffen – puff ! Das war auch als Abgrenzung gegenüber Frankreich wichtig, wo die Schriftsteller noch stark regelorientiert gearbeitet haben.

Frank Baasner: „In der Literatur sollte es auch darum gehen, das auf die Nation ausgerichtete Gemeinsame aufzuspüren.“

In dieser Phase gewinnen auch die nationalen Grenzziehungen in der Literatur an Bedeutung?

Baasner: Von Herder stammte die Idee und wurde von Schlegel und anderen später weiterentwickelt, Sprache und Literatur seien S P r A c h e u n D L I T e r AT u r S e I e n D e r eDeLSTe AuSDrucK eIneS „VOLKS“ der edelste Ausdruck von etwas, das man Volk nannte. Eine Quasi-Stammeslogik, eine Wesenheit oder Gemeinschaftsidee, die, geschichtsphilosophisch betrachtet, immer schon in diesem Volk angelegt war und sich in der Literatur und Sprache entfaltet. Als Reaktion darauf passiert in der Wissenschaftstheorie etwas sehr Interessantes: Man beginnt zwischen dem zu trennen, was man bisher gemacht hat, und dem, was man künftig machen muss. Das, was man bisher gemacht hatte, war Gelehrsamkeit. Gelehrte haben europaweit gesammelt, archiviert und thesauriert.

Das war ab nun nur noch für die Studierstube.

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Inwieweit war diese Nationalisierung für die weitere historische Entwicklung prägend?

Baasner: Ich würde nicht sagen, dass das automatisch zu Nationalismus oder sogar zum Faschismus geführt hat. Es weist aber auf eine Erkenntnis hin, die etwas ungemütlich ist: nämlich auf die Parallelentwicklung der Nationalstaaten mit ihren harten Grenzen samt folgenden Kämpfen um Vormachtstellung und jener der Demokratisierung nach innen. In Folge der Französischen Revolution haben sich die Staaten allmählich demokratisiert und nationalisiert. Alle Bürger bekommen die gleichen Rechte. Es wird wichtiger zu definieren, wer zu diesem Kreis der Anspruchsberechtigten gehört, zur Nation, und wo deren Grenzen verlaufen. Die Literaturwissenschaft hat im Zuge der Modernisierung der Universitäten mitgeholfen, die Bevölkerung auf diese nationale Ideologie einzuschwören. Mit dem Zweiten Weltkrieg endet diese Form der Literaturwissenschaft abrupt. Die Nationalisierung von Literatur im Schulunterricht ist bis heute ein Überbleibsel davon.

Entspricht das der Literatur? Haben sich Literaturschaffende nicht schon immer grenzüberschreitend orientiert?

Baasner: Man hat immer schon über den eigenen Tellerrand geblickt, geografisch, aber auch historisch. Ende des 18., Anfang des 19.

Jahrhunderts wächst die deutsche Kulturlandschaft sehr schnell. Das hatte auch damit zu tun, dass man sich auf viele Vorgänger als Ressourcen beziehen und von diesen abgrenzen konnte: Als Romantiker kannte man die Griechen, die Römer, Shakespeare aber auch Calderón. Ich würde nicht von einem geschlossenen europäischen Kulturraum, eher einem Bezugsraum sprechen. Goethe selbst formulierte in dieser Phase konträr zum vorherrschenden Zeitgeist die Idee der

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Weltliteratur. Darin spiegelt sich diese prinzipielle Offenheit des literarischen Betriebs wider. Er verstand darunter Werke, die einem kosmopolitischen Geist verpflichtet waren.

Man könne etwas als das Eigene wahrnehmen, ihm aber gleichzeitig in einem Zustand pendelnder, dialogischer Dialektik der literarischen Produktion weltweit begegnen.

Was können die Literaturwissenschaften heute leisten?

Baasner: Auerbach hat einmal in Anknüpfung an Goethes Idee der Weltliteratur angeregt, Literatur größer zu denken. Natürlich gibt es so etwas wie Kulturräume und Nationalsprachen. Wir leben aber in einem inter-

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nationalen Bezugsraum. Diesen auf Nationen herunterzubrechen, war eine bewusste Entscheidung des 19. Jahrhunderts, ist aber nicht die einzig mögliche. Mein Plädoyer wäre: Lasst uns mehr am gemeinsamen europäischen Beziehungsgeflecht arbeiten, vor allem auch in den Schulen, wo ja die Europäer von morgen heranwachsen. Ich will nicht mit dem dogmatischen Begriff vom abendländischen Erbe kommen, der ja vor allem der Grenzziehung dient. Wenn ich mich im Moment umsehe und bemerke, dass Europa bei der ersten ernsten Prüfung zu zerbrechen droht, dann brauchen wir mehr Solidarität und ein Bewusstsein für das, was Europa sein könnte.

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Ein ganz anderes Europa Die h I S T O r I K e r I n S u S A n n e r A u analysiert möglichkeiten, die Alternativen zum nationalstaat im Hinblick auf grenzen erbringen könnten Es ist auch eine Aufgabe der Geschichtswissenschaft als Geisteswissenschaft zu zeigen, dass es anders hätte sein können und anders sein könnte, wenn die Akteure an bestimmten Punkten der Geschichte anders gehandelt hätten.

Rau, Historikerin an der UniversiSin derusanne tät Erfurt, sagt über die aktuelle Situation EU: „Mit Frontex hatte Schengen im-

mer schon eine Kehrseite. Die Auflösung der Grenzen im Inneren Europas ging auf Kosten stärkerer Außengrenzen.“ Noch im 17. Jahrhundert, so erklärt sie, überlagerten einander in Europa unterschiedliche Grenzräume – religiöse, politische und sprachlich. Der Nationalstaat sorgte dann für die Deckungsgleichheit dieser sehr unterschiedlichen Grenzen.

Frau Rau, was meinen Sie mit der Aussage, der moderne Nationalstaat habe unterschiedliche Grenzen homogenisiert?

Susanne Rau: Homogenisierung ist eine Erfindung des Nationalstaats. Sie meint in diesem Fall die Tendenz, diverse Dinge deckungsgleich zu machen: Nation, Sprache, Politik und am besten auch noch Religion.

Im „Idealfall“ das Christentum, das immer wieder als einheitsstiftender Faktor herangezogen wurde. Dabei handelt es sich aber um Phänomene, die, historisch betrachtet, ganz unterschiedlich und schon viel früher gewachsen sind. Erst später entsteht die Idee

Sabine rau: „Es ist wichtig, auf die Konstruiertheit des Nationalstaates hinzuweisen, denn unser heutiges Denken orientiert sich viel zu stark an diesem Modell.“

„eS GAB IDeen VOn eIneM eInheITLIchen, n I c h T A u F n AT I O n B e r u h e n D e n e u r O PA “ des Nationalstaats, die versucht, all diese Grenzen übereinanderzuschieben und zu fixieren. Es ist wichtig, auf diese Konstruiertheit des Nationalstaates hinzuweisen, denn unser heutiges Denken orientiert sich viel zu stark an diesem Modell. Es gibt auch andere politische und territoriale Konzepte, die nicht auf Homogenisierung und Deckungsgleichheit setzen – etwa jene, die dem Nationalstaat vorausgingen.

Was können wir aus der Zeit vor dem Nationalstaat lernen?

Rau: Natürlich können wir die Zeit nicht zurückdrehen. Verfolgt man die Geschichte des Nationalstaats, erkennt man, dass er eine historisch kontingente Entwicklung darstellt. Der Lauf der Geschichte hätte auch andere Möglichkeiten bereitgehalten – und es gibt nach wie vor andere Möglichkeiten.

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Was wären alternative Entwicklungslinien gewesen?

Rau: Vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation lässt sich ableiten, man hätte ein stärker föderales oder auf spezielle Aushandlungen bzw. Verträge setzendes System entwickeln können. Selbst im 19. Jahrhundert, als man eifrig über die klein- oder großdeutsche Lösung diskutiere, hätte man auch über ein solches System noch nachdenken können. Auf europäischer Ebene gab es bereits im Rahmen der Friedensverhandlungen des Dreißigjährigen Krieges weit fortgeschrittene Überlegungen im Sinne des Völkerrechts.

Im Verlauf der Geschichte stößt man immer wieder auf Momente, in denen über einen einheitlichen europäischen, also nicht unbedingt an die Nation gebundenen, Rechtsstaat nachgedacht werden konnte. Man hätte diese Variante stärker vorantreiben können. Auf akademischer Ebene gab es immer schon so etwas wie eine europäische Gelehrtenrepublik. Diese Form einer internationalen Gelehrtenkommunikation finden wir bereits recht früh. Einen Gelehrten im 14. oder 15.

Jahrhundert in Bologna hat die Staatsgrenze nicht sonderlich interessiert. Er wusste, er konnte mit jemandem in einen intellektuell interessanten Austausch treten, egal ob in Krakau, Paris oder sonst wo. Es gab diese Keimzelle europäisierter, sozialer Räume.

Sie hätten sich bereits früher stärker herausbilden können. Denn diesen intensiven Austausch gab es seit der Antike. Er blieb auch nicht auf Europa beschränkt. Vieles über die Geschichte des Abendlandes haben wir zum Beispiel aus arabischen Schriften gelernt.

Sie haben auch davon gesprochen, dass die Nation nicht real existiert. Wie ist das zu verstehen?

Rau: Die Bildung von Gruppen folgt bestimmten Regeln. Eine davon ist etwa, dass die Grenzen von Gruppen im Sinne von Zugehörigkeiten klar benannt werden

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können. Daher auch die soziologische Weisheit „ohne Grenzen kein Miteinander“. Man kann klar sagen, wer zu meiner Familie gehört oder was eine Schulklasse ist, weil man eben auch weiß, wer nicht Familien- oder Klassenmitglied ist. Sobald ich das auf die Nation übertrage, wird es problematisch.

Die Nation kann natürlich auch empathisch sein, aber wenn sie aus 50 Millionen Menschen besteht, dann ist sie als Gruppe nicht mehr greifbar. Diese Greifbarkeit der scheinbar natürlichen Zusammengehörigkeit von Menschen einer Nation lässt sich nur mehr über „Einbildung“ oder Imagination, also über Eselsbrücken wie Symbolik oder Insze-

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nierungen eines kollektiven Gedächtnisses herstellen. Mit den Regeln und dem Funktionieren von realen Gruppenbildungsprozessen hat das nichts mehr zu tun. Das, was ich im Moment beobachte, finde ich aber beängstigend. Es macht nämlich einen großen Unterschied, wie diese Zugehörigkeit zur Nation oder zu Europa formuliert, wie sehr sie emotional aufgeladen wird und wie relevant sie für das Alltagsleben und die Identität von Menschen ist. Die Präsenz extremer Gruppierungen wie zum Beispiel der AfD macht es zusehends möglich, dem ausschließenden Charakter der Nation wieder zum Aufstieg zu verhelfen.

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Mongolische Überraschung untersucht die möglichkeiten, die das Studium des genoms für die medizin erbringen – und seine grenzen GenOMFOrScher chrISTOPh BOcK

m , dem Forschungszentrum für A Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, leitet CeMM

Christoph Bock eine Forschungsgruppe und die Biomedical Sequencing Facility. Seine eigene Genomsequenzierung hielt für ihn selbst eine Überraschung bereit.

Was bewegt einen dazu, Genomforscher zu werden?

Christoph Bock: Ich habe Informatik studiert und mich auf Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Bioinformatik spezialisiert. Als Wissenschaftler interessiert mich der Mensch in all seiner Komplexität.

Wie sind wir als lebendiger Organismus organisiert und was lässt uns relativ viele Jahre gesund leben? Wie entstehen Krankheiten und wie könnten digitale Technologien in Zukunft unserer Gesundheit dienen? Ich promovierte am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken und arbeitete in Boston und Wien an der Kartierung des menschlichen Epigenomes. Das junge Forschungsgebiet der Epigenetik beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Genen und Umwelt. Das Epigenom stellt nämlich einen Zugangs-Kontrollmechanismus für die Gene dar und steuert über ihre Aktivierung oder Deaktivierung, wie sich die Körperzellen entwickeln. Diese Kenntnisse sind auch für die Krebsforschung von großem Nutzen.

christoph Bock: „Was nach sorgfältiger Diskussion auf gesellschaftlicher Ebene vorstellbar wäre, ist die Korrektur von Gendefekten, die tödliche Krankheiten verursachen.“

Sie sind Genom-Austria-Projektleiter. Haben Sie Ihr eigenes Genom schon analysieren lassen? „MeIn eIGeneS GenOM IST VIeLLeIchT eIn BISSchen LAnGWeILIG“ Bock: Ja, schon früher, nicht erst im Rahmen von Genom Austria. Mein eigenes Genom ist eigentlich ganz normal – nordeuropäisch, vielleicht ein bisschen langweilig. Was mich aber doch überrascht hat, sind 0,2 Prozent mongolische Wurzeln. Man denke an Dschingis Khan und die Mongolenreiche, die in Europa ihre genetischen Spuren hinterlassen haben. Bei ca. 99 Prozent der Personen, deren Genome sequenziert werden, findet man wie bei mir nichts wirklich Schwerwie-

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gendes, lediglich Varianten, die mit einem erhöhten Risiko für eine gewisse Krankheit einhergehen. Ich habe zum Beispiel ein zwölfprozentiges und damit deutlich erhöhtes Risiko für eine Erblindung im Alter. Deswegen mache ich mir aber keine Sorgen. Das Risiko ist immer noch nicht sehr hoch. Und wenn man die Krankheit rechtzeitig erkennt, lässt sich der Verlauf mit Medikamenten recht gut verzögern. Was die mehrere Tausend Euro kostende Genom-Analyse außerdem leistet, ist die Wirkung von gewissen Medikamenten vorherzusagen. Wenn ein Proband auf Medikament X schlecht anspricht oder mit hohen Nebenwirkungen, wäre dieses Wissen für den Arzt sehr hilfreich, um den richtigen Wirkstoff in der richtigen Dosis zu verschreiben.

Glauben Sie, dass Eltern im Jahr 2026 erstmals die Möglichkeit haben werden, um leistbares Geld die genetische Ausstattung ihrer Kinder mitzugestalten: schönes Aussehen, hoher IQ? Bock: Nein. Das wird nicht passieren. Selbst wenn man alle ethischen Bedenken außer Acht lässt, was man natürlich nicht tun sollte.

Der IQ wird aus dem Zusammenspiel mehrerer Hunderter Gene und natürlich auch der Umwelt bestimmt. Man kann aber nur einzelne Gene technisch zuverlässig verändern.

Was aber nach sorgfältiger Diskussion auf gesellschaftlicher Ebene prinzipiell vorstellbar wäre, ist die Korrektur von Gendefekten, die tödliche Krankheiten verursachen.

Welche politischen oder bildungspolitischen Mittel halten Sie für geeignet, um die Öffentlichkeit fit für die Diskussion zum Thema Genomforschung zu machen?

Bock: Bei neuen Technologien muss man sich inhaltlich ausreichend und mit ihren Auswirkungen beschäftigen. Vieles lässt sich nicht ohne Weiteres aufhalten und findet über das Ausland seinen Weg nach Österreich. Die Förderung von Fähigkeiten zum Umgang mit Wahrscheinlichkeiten – die Genomforschung arbeitet sehr viel mit Wahrscheinlichkeiten – wird meines Erachtens stark vernachlässigt, was bei vielen Menschen zu einer falschen Einschätzung von Risken führt. Zum Beispiel ist die Angst vor Schlangen weit höher als vor Verkehrsunfällen, obwohl Letztere viel wahrscheinlicher sind.

Foto: CeMM 2016

VON CLAUDIA LAMINgER SCHMID

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Illustration: Georg Feierfeil

Spielen Menschen, die das Genom von Lebewesen gestalten, nicht eigentlich Gott?

Bock: Nach dieser Definition täte das jeder Mensch, der Äpfel im Garten züchtet. Denn Kreuzung und Züchtung verändern das Genom viel mehr, als es Genomforscher können.

Jedes medizinische Forschungsprojekt unterliegt strengen Regeln. Außerdem besteht derzeit ein weltweites Moratorium, keine genetischen Veränderungen an der menschlichen Keimbahn vorzunehmen.

Wenn sich beispielsweise das spätere Auftreten von Schizophrenie mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen lässt, weil es in meinem Genom verankert ist, müssen wir dann nicht die Definition von Gesundheit neu überdenken.

Bock: Eine strenge Trennung von gesund und krank gibt es vielleicht gar nicht. Genominformationen sind in gewisser Weise eine Erweiterung der medizinischen Familiengeschichte. Wenn ich die Krankheiten meiner

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Eltern und Großeltern kenne, vermag ich teilweise schon einzuschätzen, was mich einmal erwarten könnte. Mit der Genom-Analyse wird dies in vielen Fällen genauer. Aber ich würde nicht sagen, dass sich damit die Definition von Gesundheit verändert.

Wovon erhoffen Sie sich den größten Fortschritt?

Bock: Indem wir viel schneller und genauer analysieren können, welche biologische Rolle jedes einzelne Gen spielt. So wird die Entwicklung neuer Medikamente für viele Krankheiten beschleunigt. Außerdem laufen bald die ersten klinischen Studien an, die den Nutzen von CRISPR in der somatischen Gentherapie beweisen sollen. Dabei wird im Knochenmark von Patienten mit schwersten Erkrankungen – zum Beispiel einem defekten Immunsystem – der ursächliche Gendefekt mit CRISPR korrigiert, sodass das reparierte Immunsystem den Patienten wieder vor Infektionen schützt.

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Kein Blick in schwarze Löcher Aber solche Phänomene lassen sich mit klugen wissenschaftlichen Experimenten nachweisen, sagt die A S T r O P h Y S I K e r I n S A B I n e S c h I n D L e r

abine Schindler ist Professorin für AstroS„Schwarze physik an der Uni Innsbruck. Ihr Vortrag Löcher, Gravitationswellen, dunk-

le Energie – stoßen wir an Grenzen in der Physik?“ erklärt Begriffe und bahnbrechende Entdeckungen der Astrophysik. Mit Hilfe des Laser-Interferometer GravitationswellenObservatoriums LIGO konnten 2016 Gravitationswellen nachgewiesen werden – genau einhundert Jahre nach Einsteins Vorhersage.

Mit der sogenannten „Theory of Everything“ versuchen Wissenschaftler, eine gemeinsame Beschreibung von ganz kleinen und ganz großen Phänomenen zu erstellen und damit die Brücke zwischen Relativitätstheorie und Quantentheorie zu schlagen.

Sabine Schindler: „Sprichwörtliches AnsLicht-Bringen oder eine Erleuchtung gibt es bei schwarzen Löchern nicht.“

Gibt es Grenzen in einem stets größer werdenden Weltall?

Sabine Schindler: Wie wir bei dieser Tagung gehört haben, gibt es ganz verschiedenartige Grenzen – deswegen gibt es ganz sicher Grenzen. Einerseits die prinzipiellen Grenzen und dann noch Grenzen, an die wir aufgrund technologischer Begrenzungen stoßen. Die prinzipiellen Grenzen sind zum Beispiel der Horizont oder die Heisenberg’sche Unschärferelation. An technologische Grenzen stoßen wir in der Astrophysik natürlich sehr oft, weil wir sehr große Teleskope brauchen, sehr empfindliche Nachweisgeräte, sehr große Computer. So beschäftigen uns diese technologischen Grenzen auch sehr und wir versuchen, sie immer mehr auszuweiten. An „WIr ASTrOPhYSIKer VerSuchen, DIe GrenZen IMMer Mehr AuSZuWeITen“ den prinzipiellen Grenzen können wir leider nicht rütteln, und die technologischen Grenzen hängen leider oft mit finanziellen Grenzen zusammen.

Im Abstract zu Ihrem Vortrag schreiben Sie von schwarzen Löchern, Gravitationswellen und dunkler Energie und bezeichnen sie als harte Fakten. Warum werden diese dennoch oft bezweifelt? Weil man sie sich schlecht vorstellen kann?

Schindler: Sicher, vorstellen kann man sie sich nicht. Das sind alles Objekte, mit denen

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man im Alltag nichts zu tun hat. Von daher entziehen sie sich unserer Vorstellung. Wir reden trotzdem von Fakten, weil wir Nachweise für all diese Objekte haben. In den wenigsten Fällen sind das allerdings direkte Nachweise, weil sie eben kein Licht abgeben. Deshalb muss man sich sehr ausgefeilte Methoden ausdenken, mit denen man das doch nachweisen kann. Das hat man in diesen Fällen geschafft. Sprichwörtliches AnsLicht-Bringen oder eine Erleuchtung gibt es bei schwarzen Löchern nicht. Das schwarze Loch wird nicht erleuchtet. Aber es macht sich doch bemerkbar.

Sie sehen eine mögliche Grenzerweiterung durch geschickte Beobachtung. Wie sieht so eine geschickte Beobachtung aus?

Schindler: Am Beispiel der Gravitationswellen wird deutlich, dass man sehr geschickt beobachten muss, um so kleine Abstandsänderungen messen zu können. Dazu hat man Interferometer gebaut, die im Moment ein paar Kilometer lange Arme haben. Nur mit Hilfe von so großen Instrumenten ließen sich die Gravitationswellen nachweisen. Mit einem Interferometer im Weltraum wird es dann möglich sein, nicht nur so große Ereignisse wie die Kollision zweier schwarzer Löcher nachzuweisen, sondern auch viele andere Ereignisse, bei denen Gravitationswellen auftreten können.

Man braucht also sehr große Instrumente, um sehr kleine Dinge messen zu können. Gilt das auch umgekehrt?

Schindler: Die Expansion des Universums als Ganzes misst man mithilfe von Supernova-Explosionen. Für Astrophysiker ist aber ein Stern, und selbst eine Supernova, ein ziemlich kleines Objekt im riesigen Universum. Mithilfe von solchen „kleinen“ Objekten – wenn man versteht, was da passiert – kann man das ganze Universum ausmessen. Das ist also ein Beispiel, wie man mit etwas ganz Kleinem etwas ganz Großes messen kann.

Wissen wir mehr über das Universum als über die Tiefen der Ozeane oder über Bakterien?

Schindler: Es kann sein, dass wir noch gar nicht so viel über das Weltall wissen. Da

Foto: Privat

VON LUKAS SCHöPPL

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gibt es einfach noch viel zu entdecken, was wir jetzt noch gar nicht wissen. Ich glaube, es wird in allen Bereichen mit der gleichen Intensität und dem gleichen Enthusiasmus geforscht. Ein Tiefseeforscher ist sicher nicht weniger begeistert von seinem Fach als ich.

Die Natur samt Kosmos ist sehr komplex, man muss sehr lange forschen und oft ist es ein nicht sehr geradliniger Weg. Um das ganze Bild zu bekommen, muss man sehr viele kleine Mosaiksteinchen zusammensetzen.

Dafür braucht es viele Forscher. Das ist sicherlich in allen Fächern gleich.

Illustration: Georg Feierfeil

Gibt es Grenzen nur in drei Dimensionen?

Schindler: Mehrere Dimensionen, wie sie etwa in der Stringtheorie angenommen werden, kann man sich einfach nicht vorstellen.

Das Vorstellungsvermögen ist einfach auf das begrenzt, was uns im Alltag begegnet. Was man berechnen kann, hat viel weniger Grenzen. Man kann ganz einfach in mehreren Dimensionen rechnen. Von daher sehe ich das nicht so kritisch.

Glauben Sie, dass es notwendig ist, immer wieder neue Hypothesen aufzustellen, die sich vielleicht einmal als wahr erweisen werden?

Schindler: Ja, das ist sicher eine gute Methode, Hypothesen aufzustellen. Dann muss man

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sich noch die Experimente dazu ausdenken, anhand derer man die Hypothese verifizieren kann. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass Experimente, die für etwas ganz anderes da waren, unerwartete Ergebnisse bringen und einen so in neue Richtungen leiten. Es gibt also verschiedene Wege, vorwärtszukommen. Hypothesen aufzustellen und dann versuchen, sie nachzuweisen, ist sicher eine Methode, wie es weitergeht in der Wissenschaft, und die Fortschritt bringt.

Ist eine Theory of Everything sinnvoll und wichtig?

Schindler: Wie ich auch in meinem Vortrag gezeigt habe, gibt es einige Paradoxa, die ohne einer Theory of Everything auftreten.

Mit nur einer Theorie, von der man ausgeht, kommt man manchmal in Sackgassen. Dann findet man, dass diese Theorie einfach nicht hinreichend beschreibt, wie die Natur das macht. Insofern wäre es eine ideale Situation, eine Theorie zu haben, die alles beschreibt – von groß bis klein. Es würde allerdings auf keinen Fall bedeuten, dass es dann nichts mehr zu erforschen gäbe, nur weil man eine gemeinsame Beschreibung hat. Genauso wenig wie nach der gemeinsamen Beschreibung von Elektrizitätslehre und Magnetismus im Jahr 1865 die Forschung auf diesen Gebieten endete.

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Einheit in Verschiedenheit So nennt der T h e O L O G e M AT T h I A S B e c K sein Verständnis von der Wirkungsweise des menschlichen gehirns und der Wissenschaften

ant wollte, dass die Philosophie den siK cheren Gang einer Naturwissenschaft geht. Zur Geisteswissenschaft hat sie es geschafft. Seither stehen Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft in einer Art Opposition. Matthias Beck, Professor für Moraltheologie an der Universität Wien, fordert eine Zusammenarbeit der Disziplinen und komplementäre Zugänge.

Herr Beck, besteht ein Unterschied zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Forschung darin, dass die eine Grenzen hat und die andere nicht?

Matthias Beck: Zunächst einmal sollte klar sein, dass die Methoden des Zugangs zur Interpretation der Welt zwischen Geistes- und Naturwissenschaften unterschiedlich sind.

Bereits innerhalb der Naturwissenschaften werden unterschiedliche Methoden angewendet. Die Methode der Naturwissenschaft besteht im Dreiklang von Experiment, Messbarkeit und Wiederholbarkeit. Naturwissenschaften stellen Theorien auf und wollen diese dann mit Experimenten und Messungen bestätigen oder aber falsifizieren. Das ist das Grundparadigma der naturwissenschaftlichen Methoden, Theorien mit Experimenten zu bestätigen oder als falsch zu erweisen.

Geisteswissenschaften, ich denke jetzt an Philosophie oder Theologie, haben keine Methode in dem Sinne, dass sie irgendwelche Messmethoden anwenden würden. Sie ha-

Mattthias Beck: „Wir müssen die Dinge, die wir erforschen wollen, von Anfang an mit Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften zugleich angehen – als transdisziplinäre Forschung.“

„ A u c h D e r AT h e I S T S e T Z T e T W A S V O r A u S , nÄMLIch DASS eS GOTT nIchT GIBT“ ben kein Fernrohr und kein Mikroskop. Die Philosophie kann nur den Gesetzen der Vernunft folgen und das heißt nach Aristoteles, dem Nicht-Widerspruchs-Prinzip zu folgen.

Aussagen dürfen einander nicht widersprechen. Die Theologie hat gegenüber der Philosophie die Voraussetzung – jedenfalls das Judentum und das nachfolgende Christentum –, dass derjenige, den die Juden Jahwe und die Christen Gott nennen, sich in der Welt gezeigt und offenbart hat. Das ist eine Voraussetzung, die die Philosophie so natürlich

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nicht mitmacht. Insofern ist sowohl die Philosophie als auch die Theologie in gewissem Sinne unbeschränkt: Die Philosophie kann alles denken, was sie will, es muss nur logisch sein. Und die Theologie, ich spreche jetzt mehr von der jüdisch-christlichen Theologie als von Hinduismus oder Buddhismus, kann auch über alles nachdenken, mit der Zusatzinformation, dass wir davon ausgehen, dass Gott, also der letzte Ur-Grund allen Seins, sich selbst geoffenbart hat. Insofern hat die Theologie den weitesten Horizont und in diesem Sinne keine Beschränkungen. Es gibt nichts, worüber die Theologie nicht nachdenken könnte.

Die Philosophen des Mittelalters beschäftigten sich vor allem mit theologischen Problemen, setzten dabei aber Gott stets als gegeben. Diese Voraussetzung von Gott sehen Sie aber nicht als Einschränkung, sondern geradezu als Offenheit.

Beck: Fairerweise muss man sagen, dass alle Argumentationen etwas voraussetzen. Auch der Atheist setzt etwas voraus, nämlich dass es Gott nicht gibt. Oder der Agnostiker setzt voraus, dass er nicht wissen kann, ob es Gott gibt. Der Christ oder der Jude setzt eben voraus, dass es Gott gibt, und versucht von dort her, die Dinge plausibel zu machen. Also wenn man genauer zurückgeht, geht eigentlich jeder von einer Setzung aus, nur wird diese Setzung meistens nicht eigens reflektiert.

Gibt es einen gewissen Punkt, an dem Geisteswissenschaften nötig sind, um die Grenzen der Naturwissenschaften zu erweitern?

Beck: Ich würde es anders sagen: Die Naturwissenschaften haben ihre Grenzen schon erkannt, zum Beispiel in der Heisenberg’schen Unschärferelation, die besagt, dass man Ort und Impuls eines mikrophysikalischen Teilchens nicht gleichzeitig bestimmen kann. Man kann also die Natur mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht vollständig erfassen. Kant hat gesagt, dass das „Ding an sich“ nicht erkennbar ist.

Mir sagen inzwischen auch Biologen, „wir wissen nicht sicher, was Leben ist“. Je tiefer wir hineinschauen in die Natur, desto we-

Foto: Uni Wien

VON LUKAS SCHöPPL

28.11.2016 11:12:51 Uhr

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niger wissen wir, was sie eigentlich ist. Da kann uns die Philosophie, gerade die alte Naturphilosophie von Aristoteles, helfen, die Frage, was Leben ist, zu beantworten.

Die Naturwissenschaft ist in sich begrenzt.

Die Geisteswissenschaft kann die naturwissenschaftlichen Grenzen nicht erweitern.

Sie kann aber mit einem zweiten Zugang, nämlich mit dem geisteswissenschaftlichen Zugang, die Erkenntnis insgesamt erweitern. Ein christlich-theologisch denkender Mensch, der vom Dialogcharakter des Seins ausgeht, kann andere Fragen stellen, etwa ob nicht die Information im Körper dialogischen Charakter hat, wie Genetik und Epigenetik zeigen, als ein anderer Forscher. Er wird damit nicht die Methode der Naturwissenschaft ändern, aber andere Fragen stellen – und die richtige Frage ist der Schlüssel zum erfolgreichen Forscher.

Sie sagen: Das Allgemeine muss mit dem Einzelnen zusammengedacht werden.

Bedeutet dieses Zusammendenken ein Ende von Induktion und Deduktion, da ja das eine zu dem anderen führt?

Beck: Ich glaube nicht, dass es das Ende bedeuten wird. Aber ja, es muss zusammengedacht werden, gerade in der Medizin. Wir haben die Phänomene des Verallgemeinerbaren: Man kann Krebsforschung in China genauso machen wie in Wien, man kann das in Journals publizieren, aber in der konkreten Anwendung zeigt sich, dass jeder Mensch anders auf Medikamente reagiert und insofern als Einzelner betrachtet werden muss.

Soweit ich sehe, haben wir dazu noch keine wirkliche Wissenschaftstheorie, wie man das Allgemeine mit dem Einzelnen zusammendenkt. Vielleicht ein bisschen in der Psychologie, durch qualitative Befragungen. Ich glaube aber, das steht bisher noch eher auf schwachen Füßen.

Wollen Sie anregen, dass in diese Richtung mehr geforscht wird?

Beck: Ich will anregen, dass wir in diese Richtung mehr forschen. Doch vor allem ist es mir ein Anliegen, dass wir eine komplementäre Forschung brauchen, und zwar von Anfang an. Dass wir die Dinge, die wir erforschen wollen, von Anfang an mit Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften zugleich angehen.

Also transdisziplinäre Forschung, nicht mehr nur interdisziplinäre. Dass wir von Beginn an unsere Forschungsexperimente aus den verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaft zusammen angehen. Diese Vorgehensweise wird sich bei dem großen Human Brain Project als sinnvoll

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erweisen, das in Europa, Amerika, Asien und anderen Kontinenten läuft. Hierbei wird versucht, das menschliche Gehirn zu erfassen.

Wir müssen auch darüber nachdenken, was der menschliche Geist ist. Da haben Sie genau die Koinzidenz von Natur- und Geisteswissenschaften. Die einen können im Gehirn etwas messen – etwa Potenzialschwankungen – und Philosophie wie Theologie müssen sich genauer Gedanken darüber machen, was der menschliche Geist und dann auch der göttliche eigentlich ist.

Ist er ein „Ghost in the Machine“?

Beck: Nein, zunächst nicht. Aber die Dinge hängen miteinander zusammen. Das Human Brain Project ist von IT-Leuten angeregt und angeleitet worden, die sich gefragt haben, was denn der Unterschied zwischen einem Computer und dem menschlichen Gehirn sei. Ist der Computer ein verbessertes menschliches Gehirn? Oder ist das menschliche Gehirn doch etwas grundsätzlich Anderes? Die Frage nach dem Geist in der Maschine steckt schon in diesem Projekt. Man wird das sicherlich nach allen Seiten beleuchten. „eInheIT In VerSchIeDenheIT IST DAS BILD VOn eIneM GOTT In DreI PerSOnen“ Was steckt hinter Ihrem Wortgefüge „Einheit in Verschiedenheit“?

Beck: Einheit in Verschiedenheit ist im Grunde die Auffassung unseres christlichen Gottesbildes – ein Gott in drei Personen. Also ein Wesen in verschiedenen Ausfaltungen, könnte man sagen. Und dieses Bild, ein Gott in drei Personen, benutze ich auch für die Wissenschaften: Eine Welt mit verschiedenen Wissenschaften nennen wir Universität.

Die Universität soll aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven die eine Welt betrachten, oder um konkreter zu sein: den einen Menschen in der Unterschiedenheit von Geist und Materie. Das Gehirn ist Materie, die kann man messen, wiegt ungefähr 1,5 Kilogramm. Der Geist und die Gedanken wiegen nichts. Es wäre Unfug zu fragen, „wie viel Zentimeter hat Wahrheit, wie viel Kilogramm wiegt Liebe?“ Diese Phänomene sind nicht messbar, das hat René Descartes schon erkannt. Das eine menschliche Gehirn wirkt in der Verschiedenheit von materiellem Gehirn und immateriellen Gedanken. Deshalb Einheit in Verschiedenheit. Der eine Mensch lebt in der Komplexität der Verschiedenheit von Materie und Nicht-Materie, in der Betrachtung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften.

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Grenzen der Aufmerksamkeit in James Turrells Landart und John Cages Klavierzyklus „Etudes Australes“ sieht M u S I K W I S S e n S c h A F T L e r W O L F G A n G G r AT Z e r auch Unendlichkeit

er Kegel eines erloschenen Vulkans mitD ten in der Wüste von Arizona wurde zum Sehnsuchtsort für den amerikanischen

Licht-Künstler James Turrell. 1974 stieß er auf ihn und begann drei Jahre später mit der baulichen Adaption für seinen besonderen Zweck, einer Installation zur Erprobung von Wahrnehmungsweisen. Die Eröffnung wurde mehrfach verschoben, aber demnächst soll sie tatsächlich stattfinden, vierzig Jahre nach Projektbeginn.

Turrell möchte die Menschen zum Sehen verführen. Der Krater dient der Wahrnehmung des Himmels, man blickt durch seine Öffnungen wie durch ein Auge ins Universum. Der Künstler bietet allen, die gewillt sind, sein Werk zu erkunden, eine ganz neue Perspektive der Betrachtung. Ein wenig Didaktik ist auch dabei, denn die eigene Wahrnehmung von Nuancen und die Erinnerung an diese wollen erst geschult werden.

Wolfgang Gratzer: „Die große Zahl künstlerischer Handlungen, deren Ergebnisse als Auseinandersetzung mit Unendlichkeitsannahmen deutbar sind, lässt auf ein existenzielles Bedürfnis schließen.“

An den Grenzen des Denkens Der Salzburger Musikwissenschaftler Wolfgang Gratzer sagt dazu: „Der Erlebniswert hängt nicht unwesentlich mit dem zur Verfügung stehenden Konzentrationsvermögen zusammen.“ Die Faszination liegt für ihn „in den architektonischen Dimensionen dieser schwer zu erreichenden Anlage, den spektakulären Lichtskulpturen und in Turrells konsequentem Festhalten an seinen Plänen allen Hindernissen zum Trotz“. Etwa der drohenden Lichtverschmutzung des Himmels durch die näherrückende Großstadt Denver.

SeIne AuFMerKSAMKeIT AuF Den hIMMeL unD DAS unIVerSuM rIchTen John Cage, einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, komponierte die „Etudes Australes“ 1974/75 mit Hilfe von astronomischen Karten des südlichen Sternenhimmels, des Atlas Australis. Die komplex gestaltete Klavierkomposition gliedert sich in vier einzelne Bücher mit insgesamt 32 Etüden.

Er wählte Planetenpositionen mittels Zufallsoperation aus und übertrug sie in Töne. „Das Ergebnis des Balanceaktes zwischen Akzeptanz von Gegebenem und künstleri-

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scher Modellierung sind Partiturbilder hoher und höchster spieltechnischer Komplexitätsgrade“, sagt Gratzer. Es sei Cage allerdings niemals um den Eindruck faktischer Unspielbarkeit gegangen, sondern er habe Anreize schaffen wollen, um die von ihm vorgegebenen exorbitanten Hürden zu überwinden.

Was verbindet nun für Gratzer diese beiden Werke von Turrell und Cage miteinander? „Da wie dort kommt es zur Einladung, die eigene optische bzw. akustische Wahrnehmung auf den Himmel und das Universum zu richten. Beide regen dazu an, den Wahrnehmungsvorgang über längere Zeit zu gewähren und sich damit auf die Dimensionen astronomischer Unendlichkeit an den Grenzen des Denkens einzulassen.“ Daraus resultiere einerseits die Einsicht in die Beschränktheit solcher Wahrnehmung, aber auch die Chance, sich der Gestaltbarkeit der eigenen Wahrnehmungsmodi bewusst zu werden.

Mit der Unendlichkeit haben sich Künstler und Intellektuelle seit der Antike auseinandergesetzt und sie durchaus kontrovers diskutiert. Die Grenze zwischen künstlerischem und wissenschaftlichem Handeln wäre dabei nicht immer leicht ausmachbar. Gratzer: „Die große Zahl künstlerischer Handlungen, deren Ergebnisse als Auseinandersetzung mit Unendlichkeitsannahmen deutbar sind, lässt auf ein existenzielles Bedürfnis schließen.“ Wobei die Unendlichkeit im Kunstkontext keinesfalls immer positiv gewesen sein müsse, wie in Dantes „Divina Commedia“ nachzulesen ist. Es gibt auch jene Grenzfälle, die die Entstehungszeit von Kunstwerken betreffen. Gratzer verweist auf die Architekturgeschichte: „Wir wissen von vielen Kathedralen, deren Fertigstellung mehrere Generationen benötigte.“ Unendlich lange Musikstücke Einen Sonderfall bilden jene Schöpfungen anderer Kunstsparten, die absichtsvoll die Zeit zu dehnen versuchen. In der zeitgenössischen Musik finden sich einige Stücke, die ihren Reiz aus der Aufführungsdauer beziehen. Etwa das musikalische Projekt einer Initiative in der Buchardikirche im ostdeutschen Halberstadt, das 2001 den ersten Teil des Cage-Werkes, „Organ / As slow

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VON BARBARA fREITAg

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as possible“ spielte. Die Fortsetzung ist für das Jahr 2640 vorgesehen, da die Musiker die musikalischen Pausen als recht lange andauernd interpretieren. Der kanadische Komponist Rodney Graham wiederum veröffentlichte 1989 die Partitur „Parsifal“, für deren vollständige Realisierung er 39 Millionen Jahre veranschlagt hatte.

Ob solch extreme Formate auch heute, im Zeitalter der chronischen Zerstreuung und des Multitaskings, entstehen könnten? Gratzer spricht für das Bemühen um den Wiedergewinn von Aufmerksamkeit.

Der Musikwissenschaftler verweist auf eine Komposition des österreichischen Komponisten Radu Malfatti namens „hitsudan“, die

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folgende Spielanweisung voranstellt: „Lass den Klang klingen, bis der Nachklang nicht mehr deine Aufmerksamkeit hat.“ Erst dann sei der nächste Ton zu spielen, was natürlich einer besonderen Sensibilität und Konzentration bedürfe.

Für Gratzer geht es um Vigilianz. Das sei eine Form höherer, länger dauernder Aufmerksamkeit über den flüchtigen Moment hinaus: „Sich ähnlich wie beim Betrachten der maurischen Mosaike in der Alhambra in Zuwendung und Fokussierung zu üben, nicht gedanklich abzuschweifen, könnte gerade in Zeiten grassierenden Multitaskings als unüberwindbare Hürde begriffen werden – oder als Veränderungschance.“

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Publikationen der ÖFG Eine Auswahl

neuerer Bücher

Reihe des Österreichischen Wissenschaftstages: Wissenschaft. Bildung.

Politik. Band 18: Wahrheit in den Wissenschaften.

Herausgegeben von Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger. 2015, Böhlau Verlag, 178 Seiten.

In diesem Band wird dem heutigen Stellenwert der Wahrheit in den verschiedenen Wissenschaften nachgegangen. Die Diskurse darüber haben Relevanz für eine Gesellschaft westlichen Zuschnitts, in der Wahrheit weltanschaulich pluralisiert auftritt, in der andererseits eine demokratische Verständigung auf das, was in normativem Sinne als wahr zu gelten habe, notwendig bleibt; für eine Gesellschaft aber auch, für die eine mediale, ökonomische, technologische und politische Erzeugung von Wahrheit den Vorrang vor interesselosen Argumentationen über Wahrheit zu haben scheint.

Band 16: Kommunikation – Objekt und Agens von Wissenschaft.

Hg. Reinhard Neck, Heinrich Schmidinger und Susanne WeigelinSchwiedrzik, 2013, Böhlau, 202 Seiten.

Der Prozess der Erkenntnisfindung ist in der Wissenschaft ein Dialog des Forschenden mit dem Gegenstand der Forschung und damit auch ein Prozess der Kommunikation. Sie ist der Wissenschaft inhärent und zugleich in vielen Wissenschaftsdisziplinen selbst ein Gegenstand der Forschung.

Sie ist aber auch das wichtigste Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Ohne diese zusätzliche Funktion von Wissenschaft in der Gesellschaft würde sich die Wissenschaft der Fähigkeit berauben, ihre Erkenntnisse in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen.

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im Umfeld der Forschungsgemeinschaft Band 17: Wissenschaft – Agens oder Ergebnis globaler Dynamik?

Hg. Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger.

2014, Böhlau Verlag

160 Seiten.

Die Beiträge dieses Bandes umfassen ein breites Spektrum von Wissenschaftsdisziplinen und versuchen, Mosaiksteine zur Beantwortung der Frage zu liefern, wie weit Erkenntnisse der Forschung als Motor die Gesellschaft steuern oder umgekehrt die Wissenschaft gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt. Der Bogen reicht vom spätmittelalterlichen Universalienstreit über die Energiewende, dem medizinischen Fortschritt und die damit verbundene Auswirkung auf die demografische Entwicklung bis hin zu den Grenzen und Bedingungen universeller Normsetzung in einer globalisierten Welt.

Dabei werden die Wechselwirkungen von Technik und Gesellschaft, Technologie und Wirtschaftswachstum sowie aktuelle Krisen in Politik und Wirtschaft thematisiert.

Staatliche Aufgaben, private Akteure. Band 1: Erscheinungsformen und Effekte. Hg. Claudia Fuchs, Franz Merli, Magdalena Pöschl, Richard Sturn, Ewald Wiederin, Andreas W. Wimmer. 2015, Manz, 226 Seiten.

Private Akteure übernehmen heute vielfach staatliche Aufgaben, von der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen über die Marktzulassung von Produkten bis zur Unterbringung von Asylwerbern. Band 1 der Reihe bietet eine Einführung aus historischer, ökonomischer und politikwissenschaftlicher Sicht sowie eine rechtliche Analyse der Bereiche Regelbildung, Leistungserbringung, Wissensbeschaffung, Bewertung und Kontrolle.

Kulturelle Dynamiken/ Cultural Dynamics – Memorialisation. Hg. Sabine Coelsch-Foisner unter Mitarbeit von Christopher Herzog und Sophie Allen. 2015, Universitätsverlag Winter, 170 Seiten.

Asking how we cope with change and compensate for loss, both cognitively and culturally, ‘Memorialisation’ brings together leading scholars in museum studies and art history, literature and trauma studies, theology, psychiatry, neuroscience and cultural anthropology. In nine papers, this book traces the changing role of cultural vehicles for memorialisation and offers thought-provoking insights into biological, economic and political reasons for collecting and museumbuilding as well as into the practice of forensic archaeology pushed by sites of atrocity and genocide.

Kulturelle Dynamiken/ Cultural Dynamics / Theatralisierung. Hg. Sabine Coelsch-Foisner, Timo Heimerdinger unter Mitarbeit von Christopher Herzog.

2016, Universitätsverlag Winter, 270 Seiten.

„Theatralisierung“ verhandelt die Brisanz des Theaters als gesellschaftlichen Ort innovativer Wissensproduktion, als Raum des Erfahrens und als Verweis auf kulturelle Handlungsfelder und Praktiken, die das Kunsttheater ebenso wie Prozesse jenseits des Theaters betreffen. In unterschiedlichen epistemischen Gattungen gibt der Band einen transdisziplinären Aufriss über unterschiedliche Verortungen der Theatralisierung aus Sicht der Literaturwissenschaft, der Theaterwissenschaft, der (vergleichenden) Kulturwissenschaft, der Philosophie, Theologie, Anthropologie und Soziologie, der Sportwissenschaft und der Geschichtswissenschaft sowie unterschiedlicher Kunstsparten.

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