ÖFG 2015

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das magazin der österreichischen forschungsgemeinschaft

Zeit in den

Illustration: Gerald Hartwig / www.geraldhartwig.com

Wissenschaften er chisch 5 i e r r e t Ös 01 stag 2 t f a h c issens

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for sc h u ng s för de ru ng ·bi l du ng sge r ec h t igk e i t·a k a de m i k e r i n n e nqu ot e 01_OEFG 1

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EDITORIAL LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER!

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auch heuer damit über die Aktivitäten der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.

Einstimmen dürfen wir Sie mit einem Interview mit Wissenschaftsminister und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (Seite 6) und Stellungnahmen von WissenschaftslandesrätInnen zur Forschungsförderung in ihren Bundesländern (Seite 8).

Ein wichtiger Baustein für den bildungspolitischen Schwerpunkt der ÖFG ist die Arbeitsgemeinschaft „Bildung und Ausbildung“ von Christiane Spiel. Sie widmete ihren diesjährigen Workshop dem Thema „Bildungsgerechtigkeit: ein erfüllbarer Anspruch?“ (Seite 12). Zur Abrundung dieser Thematik haben wir das Kolloquium „Welche Bildung brauchen wir?“ (Seite 18) organisiert.

An einem hochbrisanten Thema arbeitet das Forschungsteam rund um Reinhard Heinisch. Es behandelt das Verhältnis von „Demokratie und Islam“. Dabei ist es gelungen, mit John Esposito eine in diesem Diskurs führende Persönlichkeit nach Wien einzuladen.

Mit mehreren DoktorandInnenschools und Nachwuchskonferenzen konnte die ÖFG auch in diesem Jahr ein interessantes Angebot für NachwuchswissenschafterInnen anbieten. Zum Beispiel das PhD-Forum im Rahmen der Salzburger Festspiele der ARGE „Kulturelle Dynamiken“ zum Thema „Feasting and Fasting – Carnival Cultures“ (Seite 17). Oder den Workshop „Radio Frequency Engineering Working“ der ARGE Hochfrequenztechnik (Seite 16).

Der diesjährige Österreichische Wissenschaftstag war dem vielschichtigen Thema „Zeit in den Wissenschaften“ gewidmet (Seite

hubert Dürrstein, Vizepräsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

IMPRESSUM herausgeber, Medieninhaber und Verleger: Österreichische Forschungsgemeinschaft, Berggasse 25/21, 1092 Wien Tel. +43/1/319 57 70 E-Mail: oefg@oefg.at Druck: Wograndl Druck

24). Für diejenigen unter Ihnen, die „keine Zeit für die Zeit“ hatten, baten wir die ReferentInnen um kurze Interviews zu den Vorträgen. So können wir Ihnen auf diesem Weg zumindest einen Einblick vermitteln, in welcher Intensität der Begriff Zeit aus historischer, psychologischer, transkultureller, physikalischer, linguistischer, musikalischer und religionswissenschaftlicher Sicht beleuchtet wurde.

Wie bereits in der letzten Ausgabe stellen wir Ihnen unter der Rubrik „4 aus 300“ StipendiatInnen und deren Projekte vor, die mit Hilfe unserer Förderprogramme realisiert wurden (Seite 4). Weiterführende Informationen zu allen Aktivitäten finden Sie auf der Homepage der ÖFG unter www.oefg.at.

Leider muss ich an dieser Stelle auch vom Ableben unserer Präsidentin Abg. z. NR a. D. Mag. Katharina Cortolezis-Schlager berichten. Sie ist im Juli 2015 nach bewundernswerter Stärke in der Bewältigung ihrer Erkrankung verstorben. Die ÖFG verlor mit ihr eine engagierte und sehr vielfältige Persönlichkeit, die sich unermüdlich für die Zukunftsthemen Bildung, Wissenschaft und Forschung eingesetzt hat. Ab 2005 war sie als politische Quereinsteigerin für die ÖVP als Stadträtin für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Wien und zuletzt als Wissenschaftssprecherin der ÖVP im Nationalrat tätig. Seit 2013 leitete sie die Geschicke der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Hier ließ sie sowohl auf menschlicher Ebene als auch mit ihrem unermüdlichen Tatendrang eine tiefe Lücke zurück.

HUBERT DÜRRSTEIN

DIe ÖFG IST eIne FOrSchunGSFÖrDerunGSeInrIchTunG GeTrAGen VOn BunD unD LÄnDern

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Foto: Universität für Bodenkultur Wien

ngespornt durch das überaus positive A Feedback zur letztjährigen ersten Ausgabe unseres -Magazins, informieren wir Sie

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Fotos: Privat, Uni-Innsbruck, Vouk, Sissy Furgler, Barbara Mair/Universität Wien, Universität Wien, MedUni Wien / F. Matern, Martin Hasenöhrl, Universität Wien

Der Wissenschaftliche Beir at Der ÖfG

Walter Berka Univ.-Prof. für Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Uni Salzburg

hans Goebl Univ.-Prof. em. für Romanische Sprachwissenschaft, Uni Salzburg

Bernhard Jakoby Univ.-Prof. für Mikroelektronik, Uni Linz

cornelia Kasper Univ.-Prof. für Biopharmazeutische Technologie, BOKU Wien

Wolfgang Kautek Univ.-Prof. für Physikalische Chemie, Uni Wien (Beiratsvorsitzender)

Gottfried Magerl Univ.-Prof. em. für Elektrotechnik, Technische Uni Wien

Brigitte Mazohl Univ.-Prof. für Österreichische Geschichte, Uni Innsbruck

reinhard neck Univ.-Prof. für Volkswirtschaftslehre, Uni Klagenfurt

Oswald Panagl Univ.-Prof. em. für Sprachwissenschaften, Uni Salzburg

hans Tuppy Univ.-Prof. em. für Biochemie, Uni Wien, ehem. Wissenschaftsminister

heinrich Schmidinger Univ.-Prof. für Philosophie, Rektor der Uni Salzburg

ursula Schmidterfurth Univ.-Prof. für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien

christiane Spiel Univ.-Prof. für Bildungspsychologie und Evaluation, Uni Wien

Werner Waldhäusl Univ.-Prof. em. für Innere Medizin, MedUni Wien

Susanne WeigelinSchwiedrzik Univ.-Prof. für Sinologie, Vizerektorin, Uni Wien

Werner Wolf Univ.-Prof. für Englische Literaturwissenschaft, Uni Graz

i n h a lt nachWuchsfÖrDerunG

Von der ÖFg unterstützte Wissenschafterinnen

arGe Der ÖfG SeITe 4–5

im Gespr äch

Vizekanzler und Wissenschaftminister Reinhold mitterlehner SeITe 6–7

SeITe 8–11

BilDunGsGerechtiGkeit

Workshop zum Thema S e I T e 1 2 – 1 5

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Welche BilDunG Br auchen Wir? Kolloquium zum Thema

fÖrDerunGen der Bundesländer

Aus den ARgE „Hochfrequenztechnik“, „zukunft der Demokratie“, „Kulturelle Dynamiken“ „Wissenschaft und Kunst“ SeITe 16–17

SeITe 18–21

Wissenschaftssta Dt Wien

Hubert Christian Ehalt, Wissenschaftsreferent der Stadt Wien, über die Wissensmetropole SeITe 22–23

Österreichischer Wissenscha ftstaG

„zeit in den Wissenschaften“. geschichte der Stunde S e I T e 2 6 – 2 7 Japanisches zeitverständnis im Vergleich mit unserem S e I T e 2 8 – 2 9 Entgrenzte Arbeit SeITe 30–31 Lesen dehnt Lebenszeit SeITe 32 Keine Einheitssprache SeITe 33 zukunft voraussagen SeITe 34–35 zeit in der musik SeITe 36–37 zeit und Religion SeITe 38–39

puBlikationen SeITe 40

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Exzellenz am internationalen Parkett Um W I S S e n S c h A F T L I c h e M n A c h W u c h S die internationale Kommunikation zu erleichtern, fördert die ÖFg Forschungsaufenthalte und Kongressreisen

achwuchs in den Wissenschaften wird N zunehmend ein Problem. Nicht, weil es an InteressentInnen fehlt, sondern weil

die Aussichten darauf, wie eine Karriere in Wissenschaft und Forschung sich gestalten könnte, immer unklarer werden. Die Verunsicherung führt etwa schon in der Schweiz dazu, dass der wissenschaftliche Nachwuchs zurückgeht.

Um den wissenschaftlichen Nachwuchs in Österreich zu motivieren und damit den Forschungsstandort mitzusichern, ist es wichtig, jungen Menschen eine international vernetzte Karriere zu ermöglichen. Die junge heimische Exzellenz muss sich im Ausland sichtbar machen können. Das unterstützt die ÖFG durch die Förderung von Forschungsaufenthalten und Kongressreisen.

Für Qualitätssicherung sorgt dabei der ehrenamtliche und unabhängige Wissenschaftliche Beirat, der KandidatInnen mit herausragenden Leistungen auswählt. Unter anderem werden dazu deren Einbindung in Projekte und bisherige internationale Publikationen herangezogen. Dieses Förderprogramm für internationale Kommunikation deckt Ausgaben ab, die andere Institutionen oft nicht tragen. Seit Beginn ihrer Förderaktivitäten hat die ÖFG bereits Tausende NachwuchswissenschafterInnen unterstützt. Vier von ihnen stellen wir hier vor.

Teresa Kovacs. Die Germanistin war an der University of MichiganDearborn

Jörg Paetzold. Der Volkswirtschafter geht an die University of California Berkeley

MeSSen, InWIeFern STeuern DIe hAnDLunGen VOn MenSchen BeeInFLuSSen Teresa Kovacs, 27, Forschungsplattform Elfriede Jelinek, Universität Wien Teresa Kovacs’ Dissertation im Fach Germanistik setzt sich mit den „Sekundärdramen“ Elfriede Jelineks auseinander. Einer Gattung, die Österreichs einzige Nobelpreisträgerin selbst kreiert hat und die – auf unterschiedliche Weise – immer als Begleitdrama eines Hauptdramas gedacht ist. „Ein Sekundärdrama eignet sich nicht nur dazu, Gattungs- und Epochengrenzen zu diskutieren, sondern auch, um die Grenze bzw. das Verhältnis zwischen Text und Bühne

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näher zu betrachten“, erklärt Kovacs, die an der Universität Wien Germanistik, Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert hat. „Damit hat die Autorin einerseits auf eine bestimmte Inszenierungspraxis reagiert, aber auch selbst auf künftige Inszenierungspraktiken eingewirkt.“ Ende März konnte Kovacs ihre bisherigen Forschungsergebnisse mithilfe einer ÖFG-Reiseförderung bei der Tagung der Austrian Studies Association „Grenzen überqueren – Grenzen verwischen“ an der University of Michigan-Dearborn (USA) vorstellen.

Die erste Teilnahme an einer größeren Konferenz außerhalb Europas war für die junge Universitätsassistentin, die an der „Forschungsplattform Elfriede Jelinek“ beschäftigt ist, eine wertvolle Erfahrung: „Ich habe viel über den Ablauf solcher Veranstaltungen erfahren und auch neue Formen der Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse kennengelernt“, resümiert sie. „Außerdem konnte ich mich mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus den USA, Kanada, Südamerika und Europa vernetzen und wichtige Kontakte aufbauen.“ Jörg Paetzold, 32, Fachbereich für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Salzburg Lohn- und Einkommensteuer tragen in den meisten Ländern erheblich zu den Einnahmen des öffentlichen Haushalts bei. Aber was ist, wenn etwa eine hohe Belastung des Faktors Arbeit mangelnde Arbeitsanreize bietet und damit – wie unter anderem kritisiert wird – besonders die Arbeitslosigkeit im Niedriglohnsektor verstärkt? Wie hängen Arbeitsentscheidungen und Arbeitsangebot mit Besteuerungssystemen zusammen? Welche Wechselwirkung besteht mit Steuerhinterziehung?

Jörg Paetzold befasst sich damit, zu messen und zu evaluieren, ob und inwiefern Steuern die Handlungen der Menschen beeinflussen. „Das ist ein zentraler Parameter volkswirtschaftlicher Forschung“, erklärt der Post-Doc an der Uni Salzburg. „Schließlich möchte der Staat seine Umverteilungs- und Steuerungsziele erreichen, ohne auf negative Weise auf das Verhalten der Bevölkerung ein-

Fotos: Privat

VON USCHI SORZ

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zuwirken.“ Seine Arbeit zielt darauf ab, neue Erkenntnisse über Steuerausweichreaktionen zu gewinnen. Von September bis Ende Dezember wird er an einem Forschungsprojekt der UC Berkeley (USA) teilnehmen, das sich die Einführung eines sehr hohen Eingangssteuersatzes in Österreich 2005 (38,33 Prozent) zunutze macht, um erste Evidenz über Verhaltensanpassungen von Beschäftigten im Niedriglohnbereich zu erbringen. „Die Schätzung der Anpassungsreaktionen für diese Einkommensgruppe bei Beachtung einer Steuertarifreform ist in der wissenschaftlichen Literatur – und auch für Österreich – neuartig“, so der Ökonom.

Der USA-Aufenthalt wurde von der ÖFG gefördert.

Julia nicolussi. Sie forscht am Max-PlanckInstitut in Hamburg

Julia Nicolussi, 27, Institut für Zivil- und Unternehmensrecht, Wirtschaftsuniversität Wien Das Hamburger Max-Planck-Institut (MPI) für ausländisches und internationales Privatrecht ist eine herausragende europäische Forschungsstätte für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Das wiederum ist Julia Nicolussis Forschungsschwerpunkt. Die Universitätsassistentin, die ihr Studium der Rechtswissenschaften 2010 abgeschlossen hat, verfasst ihre Dissertation im Bereich des Aktienrechts. „Dank der Förderung der ÖFG konnte ich den Februar dort als Gastwissenschafterin verbringen“, berichtet sie. „Davon habe ich sehr profitiert, denn das MPI ist sowohl in

christof Strabler.

Er baute sich an der Universität Strasbourg ein wissenschaftliches Netzwerk auf

Fotos: Privat

KünFTIG erneuerBAre TreIBSTOFFe AuS LIchT GeWInnen rechtsdogmatischer als auch in rechtspolitischer Hinsicht eine maßgebliche Stimme auf dem Gebiet des Aktienrechts.“ Abgesehen von der Freude, die ihr die Arbeit in der exzellent sortierten Bibliothek und der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort bereitet haben, war der Aufenthalt auch eine wissenschaftliche Notwendigkeit für sie. „Da das österreichische und das deutsche Aktienrecht eine gemeinsame historische Entwicklung haben, ist es für mich als österreichische Aktienrechtle-

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rin ganz wesentlich, die deutsche Rechtslage zu kennen und im Auge zu behalten“, erklärt Nicolussi, die auch schon im Vorjahr am MPI zu Gast war. „Nun konnte ich noch weiter in die deutsche Diskussion eindringen und diese letztlich für Österreich fruchtbar machen.“ Um ihre Forschung weiter voranzutreiben, wurde ihr am MPI ein eigener Arbeitsbereich zur Verfügung gestellt.

Christof Strabler, 29, Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie, Zentrum für Chemie und Biomedizin, Universität Innsbruck Mit den Energieproblemen der Zukunft oder vielmehr deren Lösung beschäftigt sich Christof Strabler. Die Forschungsarbeit des Chemikers, der seine Doktorarbeit im nächsten Jahr abschließen wird, dreht sich um die künstliche Photosynthese. „Hier sind die Ziele hoch gesteckt“, sagt er. „Denn mit dieser Technik möchte man künftig erneuerbare Treibstoffe aus Licht gewinnen.“ Gelingt es, mithilfe von Sonnenlicht und einem geeigneten Katalysatorsystem Wasser in seine Bestandteile zu spalten, könnte man den Wasserstoff etwa in Brennstoffzellen zur CO2-freien und schadstofffreien Stromerzeugung nutzen oder in der chemischen Industrie verwenden.

Die Vorgänge hinter dieser komplexen Materie sollen photochemische Messungen besser verstehbar machen. „Die machen wir an Kooperationsuniversitäten mit entsprechenden Messgeräten, bekommen dann aber normalerweise nur die Ergebnisse bzw. deren direkte Interpretation“, so Strabler. „Ich wollte diese Untersuchungen unbedingt einmal hautnah miterleben und meine Komplexverbindungen selbst analysieren.“ Ein ÖFG-geförderter Aufenthalt an der Universität Strasbourg (F) ermöglichte ihm das vor Kurzem. „Das war unglaublich spannend“, erzählt der junge Wissenschafter begeistert. „Der Austausch mit Experten war auch sehr nützlich für meine Tätigkeit in Österreich und für die weitere Zusammenarbeit konnte ich mir ein kleines Netzwerk aufbauen.“

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Ein österreichisches Tenure-Track-System im gespräch über seine Wissenschaftspolitik erwähnt Vizekanzler r e I n h O L D M I T T e r L e h n e r auch neue Formen der wissenschaftlichen Karriere Professorinnen durch ein vereinfachtes Berufungsverfahren auf Basis internationaler Qualitätsstandards in die Kurie der ordentlichen Professoren berufen werden. Wir gehen hier in Richtung eines österreichischen Tenure-Track-Systems, von der Assistentenbis zur Professorenstelle. In Summe könnten von der Neuregelung rund 3.300 Personen profitieren.

Herr Vizekanzler, wie laufen die Verhandlungen über die universitären Leistungsvereinbarungen?

Reinhold Mitterlehner: Im Rahmen der budgetären Möglichkeiten laufen die Gespräche mit allen Universitäten sehr positiv. Seitens des Ressorts haben wir die Schwerpunkte vor allem auf die Bereiche Profilbildung, Internationalisierung und Kooperation gelegt. Zudem wollen wir Schnittstellen, etwa mit der Wirtschaft oder anderen Bildungsinstitutionen, besser nutzen und bestehende Stärkefelder ausbauen. Dafür haben wir 615 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für die Universitäten im Budgetrahmen vereinbart. Trotzdem werden alle Beteiligten auch Maßnahmen für eine noch bessere Mittelverwendung setzen müssen.

reinhold Mitterlehner, verantwortlicher Minister für Wissenschaft und Forschung

Sie wollen den Wissensstandort Österreich weiter attraktivieren. Was heißt das konkret?

Mitterlehner: Im Studium geht es darum, die Studienströme noch besser zu verteilen, um eine bessere Betreuungsrelation zu schaffen. Das haben wir mit der Verlängerung der bestehenden Zugangsregelungen bis 2021 geschafft. Dadurch sind die Qualität der Lehre und die Verbindlichkeit des Studiums gestiegen, während die Zahl der Drop-outs gesunken ist. Neben den Studienbedingungen schaffen wir vor allem für den wissenschaftlichen Nachwuchs mehr Entfaltungs- und Karrieremöglichkeiten. In Zukunft sollen bereits Doktoratsstudierende als Jungforschende etabliert werden. Die bisherigen KettenverDIe BISherIGen KeTTenVerTrÄGe WerDen FLeXIBLer träge werden flexibler. Gleichzeitig haben wir im Zuge der Steuerreform auch eine Zuzugsprämie für ausländische Forschende eingeführt, um zusätzliche Anreize für wissenschaftliche Karrieren in Österreich zu schaffen.

Wird es in Österreich etwas dem Tenure Track Vergleichbares geben?

Mitterlehner: Im Zentrum stehen die Qualität und die Qualifikation der Personen. Künftig können außerordentliche und assoziierte

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Es gibt einen Forschungsaktionsplan, der schrittweise umgesetzt werden soll. Welche Schritte stehen als Nächstes an?

Mitterlehner: Wir haben mehrere Maßnahmen, die parallel angegangen werden. Der eine Bereich betrifft die angesprochene Verbesserung der wissenschaftlichen Karriere.

Parallel arbeiten wir intensiv daran, Österreich in die Gruppe der Innovation Leader zu bringen. Der Vergleich mit Ländern wie Dänemark und Schweden zeigt, dass wir unsere Struktur noch effizienter ausrichten müssen.

Nachholbedarf haben wir etwa bei der privaten Finanzierung, dem Einsatz von Venture Capital oder der Umwandlung universitärer Erkenntnisse in Patente und Firmengründungen. Zudem wollen wir die Arbeit unserer Wissenschafterinnen und Wissenschafter sichtbarer machen und die Bevölkerung stärker für diesen Bereich begeistern. Dem dient unter anderem das heurige Jahr der Forschung.

Was soll die Forschungsgesetznovelle bringen?

Mitterlehner: Der Aufsichtsrat des FWF konnte bisher nur in geringem Ausmaß die Aufgaben eines klassischen Kontrollorgans ausüben. Bei der Ausgestaltung haben wir uns stärker am Public-Corporate-Governance-Kodex orientiert. Zudem werden mit der Umwandlung der Präsidentenfunktion in eine hauptamtliche Tätigkeit und durch die Einsetzung eines kaufmännischen Vizepräsidenten die Führungsgremien aufgewertet und klare Kompetenzen festgelegt. Auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen erhalten mehr Mitsprache. Darüber hinaus ermöglichen wir mit der Novelle schnellere Entscheidungsprozesse, installieren ein zeitgemäßes Finanzcontrolling und schaffen klare Vorgaben zur Nutzung von Forschungsinfrastruktur.

Foto: Hans Ringhofer

INTERVIEW: CHRISTIAN ZILLNER

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Welche Möglichkeiten der Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sehen Sie? Mitterlehner: Die Kooperation läuft gut, es gibt aber noch viel Potenzial, etwa bei der Verwertung von Forschungsergebnissen.

An der israelischen Technion werden an die 100 Patente pro Jahr angemeldet. Die Absolventen sind für die Gründung von etwa 70 Prozent der israelischen Hightech-Firmen verantwortlich. Um schneller von der Innovation zum Produkt zu kommen, haben wir vier Wissenstransferzentren eingerichtet.

Zudem fördern wir Patente und universitäre Firmengründungen. In der gemeinsamen Forschung von Wirtschaft und Wissenschaft haben wir Best-Practice-Modelle wie die Christian-Doppler-Labors und die COMETZentren, an denen international renommierte Spitzenforschung stattfindet. Es geht darum, dass beide Seiten aufeinander zugehen und gemeinsames Potenzial heben.

Wie effizient müssen aus Ihrer Sicht die Ausbildungsstätten werden?

Mitterlehner: In Zeiten angespannter Budgets ist es wichtig, die vorhandenen Mittel effizient und mit größtmöglicher Hebelwirkung einzusetzen und bestehende Synergien bestmöglich zu nützen. Daher wird die Kooperation immer wichtiger. Das hat sich in der Praxis bewährt, etwa beim Vienna Scientific Cluster, Österreichs leistungsstärkstem Supercomputer. Im Sinne der Profilbildung wird es aber auch darum gehen, Schwerpunkte zu setzen und auszubauen.

Sehen Sie da einen Vorsprung bei den FHs? Mitterlehner: Aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungs- und Zugangsstruktur fällt ein genereller Vergleich zwischen den beiden Systemen schwer. Die Eigentümerstruktur und Größe der Fachhochschulen

Foto: Jakob Glaser

VIer WISSenSTrAnSFerZenTren SOLLen unS SchneLLer Zu PrODuKTen BrInGen kann eine effiziente Ressourcennutzung unterstützen, das ist aber kein Automatismus.

Ein Vorteil gegenüber den Universitäten liegt in der Planbarkeit. Fachhochschulen können sich ihre Studierenden durch Aufnahmeprüfungen aussuchen. Zudem haben sie die Möglichkeit, Studienbeiträge einzuheben.

Für die Universitäten sollen vor allem die 2007 eingeführten Leistungsvereinbarungen und die Verlängerung der Zugangsregelungen eine langfristige Planungserleichterung für die betroffenen Hochschulen bringen.

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Es gibt die Idee des Crowdfunding als zusätzliche Einnahmequelle. Wie soll das funktionieren?

Mitterlehner: Bei privater Finanzierung im Hochschulbereich liegt Österreich deutlich unter dem OECD- und EU-Schnitt. Wir sehen im internationalen Vergleich, dass es hier viele Möglichkeiten und Ansätze gibt.

An der Universität St. Gallen gibt es etwa eigene Crowdfunding-Plattformen, im angloamerikanischen Raum werden kampagnenartige Fundraising-Projekte aufgesetzt, und auch die Betreuung von erfolgreichen Alumni und Stiftungen hat einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Daher wollen wir auch gemeinnützige Stiftungen durch entsprechende Anreize motivieren, stärker als bisher in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Neben modernen rechtlichen Rahmenbedingungen braucht es aber auch die entsprechende Mentalität in der Bevölkerung. Es muss den Menschen klar sein, wenn ich etwas Gutes für die Gesellschaft tun will, bin ich mit Investitionen in Wissenschaft und Forschung richtig.

Kann das Ministerium Start-ups Hilfestellung leisten?

Mitterlehner: Entscheidend ist, dass wir das Umfeld für Gründerinnen und Gründer kontinuierlich verbessern, Innovationen fördern, den Zugang zu Finanzierungen unterstützen und den Unternehmergeist im Land stärken.

Konkret ist der Venture-Capital-Bereich in Österreich eher unterentwickelt. Hier haben wir mit den gesetzlichen Erleichterungen für Crowdfunding bereits konkrete Maßnahmen erarbeitet. Zudem entwickeln wir unser Förderprogramm laufend weiter und konzentrieren uns auf neue Ansätze, etwa auf Start-up-Inkubatoren und auf Förderungen, die privates Kapital nicht ersetzen, sondern hebeln.

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Warum Bundesländer Forschung fördern Die für Wissenschaft und Forschung verantwortlichen Politikerinnen und Politiker erklären ihre gründe für L A n D e S F Ö r D e r u n G e n in diesem Bereich

issenschaft und Forschung bedeuten W heute mehr denn je die Zukunft eines Landes – in guten wie in schlechten wirt-

schaftlichen Zeiten. Darin sind sich Österreichs Wissenschaftsbeauftragte einig. So konnten manche Bundesländer in den vergangenen Jahren ihre Budgetmittel für Wissenschaft und Forschung allen WirtschaftseInIGe BunDeSLÄnDer erhÖhen Ihre WISSenSchAFTSBuDGeTS TrOTZ KrISe krisen zum Trotz zum Teil verdreifachen.

Oberösterreich will mit seinem Forschungsprogramm „Innovatives OÖ 2020“ die For-

schungsquote von derzeit ca. 3 bis 2020 auf 4 Prozent erhöhen.

Führend im Bundesländer-Ranking ist die Steiermark mit einer F&E-Quote von 4,81 Prozent. In NÖ werden jährlich mehr als 11.000 Arbeitsplätze durch den wissenschaftlichen Betrieb und Umwegrentabilität geschaffen oder gesichert, wie Landeshauptmann Erwin Pröll berichtet. In der Steiermark sind es immerhin 10.000 Menschen. Auch in Vorarlberg finden hochqualifizierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter interessante Arbeitsplätze. In Wien, das zu den Topregionen in der EU zählt, sind gegenwärtig mehr als 170 Unternehmen im Life-Science-Sektor tätig. Mit 20 Universitäten, Privatuniversitäten und Fachhochschulen sowie 190.000 Studierenden ist Wien die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum.

Die Strategie der Stadt Wien: die besten wissenschaftlichen Köpfe fördern In Wien, das 2013 zur Innovationsstadt Nr. 1 in Europa erklärt wurde und 2015 den internationalen „Most Admired Knowledge Cities Award“ in der Kategorie „Knowledge CityRegion“ gewonnen hat, erreichen Wissenschaft und Forschung eine bisher nie dagewesene Akzeptanz in der Bevölkerung. „Da in der Wissenschaft, angesichts einer immer schärfer werdenden internationalen Konkurrenz, nur absolute Spitzenleistungen zählen, fördert Wien mit seinem breiten Spektrum an Möglichkeiten vorrangig die besten Köpfe. Und das nach Kriterien wie Interna-

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Andreas MailathPokorny, Stadtrat für Wissenschaft in Wien

erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich

tionalität und Interdisziplinarität“, erklärt Wiens Wissenschafts- und Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Zwischen 1997 und 2011 wurden sechs Fonds zur Förderung von Wissenschaft und Forschung gegründet: Jubiläumsfonds für die Österreichische Akademie der Wissenschaften (1997), die WU Wien (1998) und die BOKU (2011), ein Viktor Frankl-Fonds (1999), ein Fonds für innovative interdisziplinäre Krebsforschung (2000) und der aus Erträgen der Privatstiftung zur Verwaltung der Anteilsrechte der Bank Austria dotierte Wiener Wissenschafts-, Forschungsund Technologiefonds WWTF (2002).

Mit dem „Forschung, Technologie, Innovation“-Prozess verfolgt Wien eine eigene FTI-Strategie zur Standortbestimmung und Entwicklungsplanung für Wissenschaft und Forschung. Sie wird schrittweise umgesetzt werden. Mit einer Forschungsquote von 3,4 Prozent zählt Wien zu den Topregionen der EU. So setzen auch internationale Konzerne auf den Forschungs- und Wirtschaftsstandort. „Mehr als 170 Wiener Unternehmen sind gegenwärtig im Life-ScienceSektor tätig, deren Struktur internationalen Standards entspricht. Mit Innovationsbereitschaft und Offenheit wird auch Neugründern ermöglicht, mit ihren Ideen anzudocken“, sagt Mailath-Pokorny.

Niederösterreich will die Zahl der Wissenschaftstreibenden verdoppeln Bildung und Wissenschaft sind die Zukunftsthemen für eine Region. „Unser Ziel ist, in den kommenden zehn Jahren die Zahl der Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu verdoppeln. Dafür wollen wir die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. So haben wir vor dem Sommer ein neues Budget im Landtag beschließen lassen: In diesem sind keine Kürzungen im Bereich Wissenschaft und Forschung vorgesehen. Vielmehr kommt es, auch auf Grund unseres neuen Forschungs-, Technologie- und Innovations-Programms, zu einer Budgetsteigerung für Wissenschaft und Forschung“, erklärt Landeshauptmann Erwin Pröll. Dieses FTI-Programm soll den Wissenschaftsstandort Niederösterreich bis 2020 nachhaltig prägen, auch budgetär. „Allein in einem ersten Schritt werden wir dafür rund 40 Millionen Euro zur Verfügung stellen,

Fotos: Sabine Hauswirth, NLK

VON DIETER HöNIg

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Illustration: Gerald Hartwig

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womit 25 hochwertige Forschungsprojekte finanziert werden können.“ Die Budgetmittel Niederösterreichs für Wissenschaft und Forschung stiegen seit 2005 von 13 Millionen Euro auf über 50 Millionen.

Dazu wurden während der letzten Jahre über 600 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert. Dadurch konnte sich eine nachhaltige Wissenschaftslandschaft etablieren: Die Studierendenanzahl erhöhte sich von 3.900 zur Jahrtausendwende auf über 20.000 im Win-

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tersemester 2014/15. Eine Wissenschaftsachse von Krems über Tulln bis Klosterneuburg und Wiener Neustadt hat sich etabliert.

Dezentral liegende Forschungseinrichtungen wurden stetig aufgewertet. „Auch der Wirtschaftssektor profitierte von Investitionen in Wissenschaft und Forschung: 11.500 Arbeitsplätze in allen Wirtschaftsbereichen werden durch den laufenden wissenschaftlichen BeFortsetzung nächste Seite

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Fortsetzung von Seite 9

trieb, die Konsumeffekte der Beschäftigten und Studierenden sowie durch Bauinvestitionen des Landes Niederösterreich jährlich geschaffen und gesichert“, sagt Erwin Pröll.

Oberösterreich will sein Forschungsbudget bis 2020 verdreifachen Das Land Oberösterreich hat 2010 mit dem Ausbau seines Forschungsbudgets begonnen. Bis 2020 soll dieses verdreifacht und so eine Forschungsquote von 4 Prozent erreicht werden. Mit einer F&E-Quote von 3,17 Prozent liegt Oberösterreich schon heute europaweit im Spitzenfeld.

Um die Zukunftsfähigkeit des Forschungsund Wirtschaftsstandorts sicherzustellen, wurde das Wirtschafts- und Forschungsprogramm „Innovatives OÖ 2020“ ausgearbeitet.

Dieses Programm orientiert sich an der Innovation Chain Bildung-Forschung-Wirtschaft innerhalb der fünf Aktionsfelder Industrielle Produktionsprozesse, Energie, Gesundheit/ Alternde Gesellschaft, Lebensmittel/Ernährung und Mobilität/Logistik.

Sie sollen eine wissenschaftliche Spezialisierung in der Region ermöglichen. Als Teil der Umsetzung wurden 2015 die beiden Calls „Produktionsstandort 2050 – Industrie 4.0“ und „Medizintechnik (Gesundheitswesen, alternde Gesellschaft)“ mit einer Fördersumme von insgesamt 4,5 Millionen Euro abgewickelt. „Die oberösterreichische Forschungslandschaft ist insbesondere in Technologien wie Mechatronik, IKT und Werkstoffe von exzellenten Institutionen und Forschungseinrichtungen geprägt“, sagt Landeshauptmann-Stellvertreter und Wissenschaftslandesrat Thomas Stelzer. „Diese Kompetenzen gilt es auch in Zukunft zu stärken, weiter auszubauen und interdisziplinär zu verknüpfen.“ Bestehende Einrichtungen sollen unter besonderer Be-

Thomas Stelzer, LandeshauptmannStellvertreter in OÖ

christoph Drexler Landesrat für Wissenschaft in der Steiermark

DIe STeIerMArK FührT MIT eIner F&e-QuOTe VOn 4,81 PrOZenT rücksichtigung der Bedürfnisse der oberösterreichischen Wirtschaft und mit Fokus auf interdisziplinäre Forschung ausgebaut und vernetzt werden. Und die Ansiedlung internationaler Exzellenz wird ebenso forciert wie die Etablierung von Forschungsheadquartern internationaler Unternehmen.

Schließlich setzt das Land auf eine Reihe von Förderprogrammen für den Nachwuchs sowie für herausragende Studierende und Lehrende ausländischer Hochschulen und Universitäten.

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Steiermark ist stolz auf die höchste F&E-Quote aller Bundesländer Hier liegt die F&E-Quote mit 4,81 Prozent nach neuester Berechnung (2013) an der Spitze der Bundesländer. Der größte Teil kommt aus dem Unternehmenssektor (75 Prozent).

Im Forschungsportfolio überwiegen der technische und der naturwissenschaftliche Bereich. „Obwohl die Forschungsförderung österreichweit in den letzten Jahren mit knapper werdenden öffentlichen Haushalten konfrontiert war, ist es uns in der Steirermark gelungen, trotz des empfindlichen Budgetkonsolidierungskurses den Bereich Wissenschaft und Forschung, von moderaten Änderungen abgesehen, stabil zu halten“, sagt Landesrat Christoph Drexler. Kein leichtes Unterfangen, zumal sich nahezu jede bundesweite Kürzung in der jeweiligen Region niederschlägt. Denn Förderwerber, die auf Bundesebene keine oder weniger Mittel erhalten, wenden sich an das Land. „In der steirischen Forschungs- und Entwicklungslandschaft sind knapp 10.000 Personen vollzeitbeschäftigt. Zwei bis drei Prozent der Steirerinnen und Steirer finden hochqualifizierte Arbeit in diesem Zukunftssektor.“ Der Bereich F&E gewinnt zunehmend an Bedeutung. Was dem Wirtschaftsstandort Steiermark zugutekommt: Denn Forschung und Entwicklung bestimmen auch Wohlstand und Arbeit. „Unsere Forschungsstrategie wird mit der regionalen Wirtschaftsstrategie abgestimmt, um steirisches Know-how auf die Wertschöpfungskette zu fokussieren und damit auch interdisziplinäre Ansätze zu bieten. So gibt es Kooperationen zwischen Fachdisziplinen, Universitäten, aber auch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie länderübergreifende Vernetzungen. Etwa gemeinsame Schwerpunktsetzungen wie ROBOTICS in Kärnten mit dem JOANNEUM RESEARCH Institut unter Kärntner Kapitalbeteiligung.“ Salzburgs Wissenschafts- und Innovationsstrategie lautet WISS 2025 Trotz schwieriger budgetärer Verhältnisse des Landes Salzburg konnte das Fördervolumen in den letzten Jahren weitgehend beibehalten werden. Seit 2013 wurden etwa Gender-spezifische Förderungen konsequent ausgebaut. „Wir beteiligen uns am MatchingFunds-Projekt des FWF, fördern die FrauenSommer-Universität ditact, vergeben ein Habilstipendium für Frauen an der ParisLodron-Universität und unterstützen die Gender-Medizin-Thematik an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität PMU“, sagt

Fotos: Land OÖ, Teresa Rothwangl

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Fotos: Land Salzburg, Land Tirol / Berger, Arno Meusburger

Landesrätin Martina Berthold. Nach einer Phase intensiver Investitionen in nachhaltige Strukturen, wie etwa die Förderung von 3 Stiftungsprofessuren im Bereich der Biowissenschaften an der Paris-Lodron-Universität sowie an der PMU, wurde gemeinsam mit der für anwendungsorientierte Forschung zuständigen Wirtschaftsabteilung eine Wissenschafts- und Innovationsstrategie erarbeitet: WISS 2025. Sie strebt die Fokussierung der Fördervergabe auf wenige Stärkefelder an und ist stark standortbezogen ausgerichtet.

Künftig sollen die Fördermittel vor allem in die Bereiche Life Sciences, IKT (Smart Data and Services), Smart Materials, Intelligentes Bauen sowie Creative Industries fließen.

Grundlagenforschung ist Bundesaufgabe.

Daher fördert das Land Salzburg in diesem Bereich komplementär, wobei spezifische Landesinteressen berücksichtigt werden.

Forschungsmittel erhalten u. a. das Krebsforschungslabor an den Landeskliniken, ein Forschungsfonds an der PMU, die ParisLodron-Universität, die Pädagogische Hochschule Stefan Zweig sowie Einrichtungen, die gemeinsam mit der Stadt Salzburg gefördert werden und international sichtbar sind. Also das Salzburger Literaturarchiv mit Nachlässen herausragender Autorinnen und Autoren sowie das Stefan-Zweig-Center.

Tirol verstärkt die tertiäre Bildung für seine peripheren Regionen Tirol setzt auch in wirtschaftlich schweren Zeiten auf die Förderung von Wissenschaft und Forschung. „Es gibt sogar steigende Budgets, da sowohl Landeshauptmann Günther Platter als auch ich der Meinung sind, dass Investitionen in Wissenschaft und Forschung, ein wichtiger Schritt in eine erfolgreiche Zukunft eines Landes sind“, erklärt Wissenschaftslandesrat Bernhard Tilg. So wurde im Jahr 2014 der Tiroler Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung gegründet und mit jährlich 3 Millionen Euro dotiert. Da dieser Fonds in Kooperation mit dem FWF als Matching Fund besteht, kann das Land Tirol noch von der Co-Finanzierung der Österreichischen Nationalstiftung profitieren. Daneben bleibt der Tiroler Wissenschaftsfonds mit rund einer Million Euro jährlich dotiert.

Mit der Co-Finanzierung durch die Nationalstiftung des Bundes stehen bis zu 7 Millionen Euro an Fördergeldern für die Tiroler Nachwuchsforschung zur Verfügung.

Tirol finanziert mehrere Stiftungsprofessuren an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit rund 700.000 Euro pro Jahr.

Seit 2014 besteht in Landeck durch eine Kooperation mit der Leopold-Franzens-

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Martina Berthold, Landesrätin für Wissenschaft in Salzburg

Bernhard Tilg, Landesrat für Wissenschaft in Tirol

Bernadette Mennel, Landesrätin für Wissenschaft in Vorarlberg

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Universität und der Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik in Hall ein Bachelorstudium für Gesundheit, Sport, Touristik und Wirtschaft. 71 Studierende haben dort im ersten Jahr begonnen, heuer sind bereits 85 Studierende inskribiert.

Ab 2016 wird es in Kooperation mit den beiden Institutionen ein Bachelorstudium für Mechatronik in Lienz geben. „Das soll auch peripheren Regionen ermöglichen, tertiäre Bildung anzubieten. Sie hilft dabei, die Regionen zu entwickeln und die regionale Wirtschaft mit hochqualifizierten ArbeitnehmerInnen zu unterstützen“, sagt Tilg.

Vorarlberg hat sein Wissenschaftsbudget mehr als verdoppelt In Vorarlberg wurden in den letzten Jahren die Förderungen für Wissenschaft und Weiterbildung kontinuierlich erhöht. Und das trotz Wirtschaftskrise! 2010 waren es 16 Millionen, 2014 schon fast 22 Millionen Euro. „Vorarlberg verfügt über innovative und bestens vernetzte Einrichtungen im Wissenschafts- und Forschungsbereich, die sich einen ausgezeichneten Ruf über die Landesgrenzen hinaus erworben haben“, erklärt Landesrätin Bernadette Mennel. „Hier werden nicht nur Wissenschaft und Forschung auf höchstem Niveau betrieben, sondern auch Arbeitsplätze für Wissenschafterinnen und Wissenschafter geschaffen.“ Das Land Vorarlberg stellt für Wissenschaft und Forschung verschiedene Förderungen zur Verfügung. Etwa für Diplomarbeiten und Dissertationen, wissenschaftliche Publikationen sowie Projekte oder Veranstaltungen mit Relevanz für Vorarlberg. Dadurch wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Land gefördert und Vorarlberger Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zu Beginn ihrer Karriere eine finanzielle Hilfestellung gewährt. Das Budget hiefür wurde mehr als verdoppelt: von über 2,2 Millionen Euro 2010 auf über sechs Millionen Euro 2014.

Mit diesen Förderungen konnten Forschungsprojekte an Vorarlberger Einrichtungen wie dem Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn oder am Forschungsinstitut VIVIT in Feldkirch sowie an anderen wissenschaftlichen Institutionen finanziell unterstützt werden. „Das sind wichtige Impulse zur Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung im Land“, sagt Mennel. „Eine bedeutende Rolle spielt die Fachhochschule Vorarlberg, die Studienangebote sowie Forschung in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut hat.“

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Wem werden Bildungsbemühungen gerecht? ist B I L D u n G S G e r e c h T I G K e I T ein erfüllbarer Anspruch in unserer auf Wettbewerb ausgerichteten gesellschaft?

ie ARGE Bildung und Ausbildung der D ÖFG veranstaltete im Juni 2015 den Workshop „Bildungsgerechtigkeit – ein er-

füllbarer Anspruch?“. Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Konstanz, und Jürgen Maes, Professor für Pädagogische Psychologie in München, hielten Vorträge im Rahmen des Workshops.

Wir sprachen mit den beiden am Rande der Veranstaltung über die Entwicklungen im Bildungsbereich.

Marius Busemeyer, Politologe an der Universität Konstanz

Herr Maes, Sie sagten jüngst: Alle wollen Gerechtigkeit, alle reden darüber, aber jeder meint damit was anderes. Was meinen Sie damit?

Jürgen Maes: Als Psychologe interessiere ich mich weniger für objektive Kriterien von Gerechtigkeit als für die subjektiven Wahrnehmungen von Individuen. Sie sind von Person zu Person sehr unterschiedlich: Die einen finden es gerecht, wenn nach individueller Leistung verteilt wird. Die anderen fordern absolute Gleichheit. Und wieder andere finden es gerecht, wenn die Bedürftigkeit von Personen berücksichtigt wird. Den einen kommt es auf die Ergebnisse einer Verteilung an. Den anderen eher darauf, wie sie von anderen behandelt werden und ob die Verfahren fair sind, die zu bestimmten Verteilungen führen.

Vielleicht kann man sagen: Es ist wünschenswert, wenn möglichst viele das Gefühl haben, WAS WIr DrInGenD BrAuchen, IST eIne u M FA S S e n D e P e r S P e K T I V e gerecht behandelt zu werden. Und wenn über die divergierenden Vorstellungen konstruktive Diskurse geführt werden können.

Sie verwendeten den Begriff Gerechtigkeitsparadox: Der Wunsch nach Gerechtigkeit führe oft gerade zu Ungerechtigkeit. Was genau meinen Sie damit?

Maes: Viele sozialpsychologische Studien zeigen, dass Menschen ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Gerechtigkeit haben. Sie streben danach, in einer gerechten Welt zu leben.

Aber sie wären hoffnungslos überfordert, alle Missstände in der Welt und alle vorhandenen

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Ungerechtigkeiten zu beseitigen. So stellen sie häufig Gerechtigkeit nur in ihren Köpfen her, indem sie sich zu überzeugen versuchen, dass eigentlich gar keine Ungerechtigkeiten existieren. Und die Opfer von Ungerechtigkeiten ihr Schicksal selbst verursacht haben.

Das Paradox besteht darin, dass gerade der starke Wunsch nach Gerechtigkeit dazu führen kann, dass Ungerechtigkeiten geleugnet und bestehende Ungerechtigkeiten eher zementiert als beseitigt werden.

Herr Busemeyer, man sagt, es müsse Bildungsgerechtigkeit geben, da sonst dem Sozialstaat enorme Kosten entstehen würden.

Sollte also der Staat Ihrer Meinung nach die Bildungsausgaben steigern?

Marius Busemeyer: Natürlich sind mehr Investitionen in Bildung sinnvoll. Und in den meisten europäischen Ländern auch weiterhin notwendig. Es geht aber nicht nur darum, pauschal die Ausgaben zu steigern. Man muss auch darauf achten, dass die Gelder sinnvoll eingesetzt werden. Die Forschung zeigt, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen der Höhe der Bildungsausgaben und den erzielten Ergebnissen gibt. Es kommt ganz wesentlich auch auf die institutionelle Ausgestaltung des Bildungssystems an.

Eine Studie aus dem Jahr 2013 besagt, dass gerade in Österreich die Wahl der Bildung und damit auch die Chance auf sozialen Aufstieg sehr von der sozialen Herkunft bestimmt wird. Sind soziale Benachteiligungen vererbbar?

Busemeyer: Zwischen sozialer Ungleichheit einerseits und Bildungsgerechtigkeit andererseits bestehen komplexe Wechselwirkungen. Ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit beeinflusst sicherlich auch herkunftsbedingte Unterschiede im Zugang zu Bildung. Umgekehrt beeinflusst die Bildungsgerechtigkeit die spätere Verteilung von Einkommen auf dem Arbeitsmarkt, also soziale Ungleichheit.

Diese Wechselwirkungen können in erheblichem Maße tatsächlich zur Vererbung von Benachteiligungen über Generationen hinweg beitragen.

Maes: Auch aus psychologischer Sicht bestehen hier vielerlei Wechselwirkungen. Sowohl soziale Ungleichheit als auch schlechtere Bildungschancen gehen mit erlebter Hilf-

Foto: University of Konstanz

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losigkeit und geringer Wahrnehmung von Handlungsoptionen einher. Sie können sich gegenseitig stabilisieren.

Hat sich in Deutschland an dieser Ungleichheit in den letzten Jahren etwas zum Positiven verändert?

Busemeyer: Herkunftsbedingte Unterschiede in der Bildungsbeteiligung sind hartnäckig. Sie können bestenfalls langfristig abgebaut werden. Ein wesentlicher Antrieb sind hier die Bildungsaspirationen der Benachteiligten, die Zugang zu höherer Bildung einfordern. Das heißt, der Prozess der Bildungsexpansion, der bereits seit Jahrzehnten anhält, setzt sich weiter fort. Die Entwicklungen in Deutschland in den letzten Jahren haben aber auch gezeigt, dass eine voranschreitende Bildungsexpansion nicht automatisch zu weniger sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt beiträgt. Letztere ist in den letzten zehn Jahren in Deutschland im internationalen Vergleich stark angestiegen.

Jürgen Maes, Professor für Pädagogische Psychologie in München

Könnte die Gesamtschule einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit leisten?

Busemeyer: Die empirische Bildungsforschung zeigt, dass die herkunftsbedingten Ungleichheiten tendenziell in Ländern mit Gesamtschulen niedriger sind. Aber die Schulstruktur ist nicht der einzige Faktor, der hier wichtig ist. Hinzu kommen Fragen wie die Einfachheit der Übergänge zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung. Ö S T e r r e I c h h AT M I T D e r L e h r e M I T M AT u r A F O r T S c h r I T T e G e M A c h T

Foto: Privat

Hier hat Österreich mit der Lehre mit Matura im Vergleich zu Deutschland schon wesentliche Fortschritte gemacht. Auch die Einführung der Neuen Mittelschule geht aus meiner Sicht in die richtige Richtung.

Welchen Stellenwert messen Sie der Förderung im frühkindlichen Alter bei?

Busemeyer: Die frühkindliche Bildung kann insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Schichten wesentlich dazu beitragen, sozial bedingte Benachteiligungen auszugleichen.

Die Forschung zeigt aber auch, dass in Ländern, in denen frühkindliche Bildung noch

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nicht flächendeckend ausgebaut ist, diese Bildungsmöglichkeiten vor allem von Angehörigen der Mittelschichten genutzt werden. Dies könnte dann tatsächlich zu einer Verschärfung von Ungleichheiten beitragen.

Insofern sollte aus einer bildungspolitischen Perspektive Priorität darauf gelegt werden, die frühkindliche Bildung weiter und engagierter auszubauen.

Maes: Dem kann ich nur zustimmen. Wichtig ist auch, wie überhaupt frühkindliche Bildung konzipiert wird, d. h. ob sie überwiegend kognitive Aspekte fokussiert oder auch motivationale und sozial-integrative.

Bildung wird in unserer Gesellschaft zunehmend unter dem Aspekt der ökonomischen Verwertbarkeit gesehen …

Maes: Das ist ein Trend, den ich für bedenklich halte. Wirtschafts- und Sozialwissenschafter haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend das Menschenbild des Homo oeconomicus propagiert. Sie gehen von einem Menschen aus, der nüchtern und marktorientiert seinen Nutzen kalkuliert. Unter verschiedenen Handlungsoptionen wählt er ganz rational immer diejenige, die seinem Eigeninteresse am meisten dient. Zunehmend mehr Lebensbereiche werden von diesem Menschenbild durchdrungen, so auch der Bildungssektor. Der reale Mensch aber ist anders. Seine Motive und Wertvorstellungen sind komplexer. Gerade Bildung beinhaltet doch auch die Möglichkeit, individuelle Wertvorstellungen zu entwickeln und aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken.

In Ihrem Vortrag sprachen Sie über empfundene Bildungsungerechtigkeit. Was empfehlen Sie Schülern und Eltern gegen Ungerechtigkeiten?

Maes: Das ist ein weites Feld. Zentral kommt es auf die Vermittlung von Sensibilität und Kompetenzen an. Sensibilität für die unterschiedlichen Ziele, Werte und Motive der Beteiligten. Und Kompetenzen zum konstruktiven Dialog und zur Beilegung von Konflikten. Strukturell kann das in Schulen durch die Etablierung von Mediationsangeboten, den Einsatz von Peer-Mediatoren u. ä. unterstützt werden.

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Moderatorinnen und Vortragende: Barbara Schober, Johannes Giesinger (oben rechts), Marius Busemeyer und Ulrike Greiner Fortsetzung von Seite 12

LehrenDe KÖnnTe MAn Durch unTerSTüTZenDeS PerSOnAL enTLASTen der objektiven entspricht, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Im internationalen Vergleich liegen die Lehrverpflichtungen der österreichischen Lehrkräfte eher unter dem Durchschnitt. Die vermeintlich hohe Arbeitsbelastung kann aber auch daraus resultieren, dass dem Lehrpersonal neben der eigentlichen Lehrtätigkeit auch viele andere Aufgaben zugemutet werden, die in anderen Ländern von unterstützendem Personal wie Sozialpsychologen, Sozialpädagogen, aber auch administrativem Personal und ähnli-

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chem übernommen werden. Insofern könnten die Lehrenden in Österreich dadurch entlastet werden, dass mehr unterstützendes Personal eingestellt wird.

Wir haben in manchen Ländern Europas schon längere Zeit eine ganz enorme Jugendarbeitslosigkeit. Schnell sind wir mit der Erklärung zur Hand, dies betreffe nur die schlecht Ausgebildeten …

Maes: Das ist ein typisches Beispiel für das schon angesprochene Gerechtigkeitsparadox. Menschen ertragen wahrgenommene Ungerechtigkeiten nur sehr schwer und versuchen diese zu korrigieren, wenn das in ihrer Macht steht. Wenn sie sich aber selbst nicht in der Lage sehen, aktiv etwas gegen vorhandene Ungerechtigkeiten zu unternehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit, den Opfern eine Selbstverschuldung ihrer Notlage zu attestieren und so die Gerechtigkeit wenigstens im eigenen Kopf wiederherzustellen. In der Literatur ist dieses Phänomen auch als „blaming the victim“ bekannt geworden.

Busemeyer: Natürlich hängen Bildungsleistungen und -abschlüsse ganz wesentlich mit dem Risiko der Arbeitslosigkeit zusammen.

Insofern ist es wichtig darauf zu achten, dass Jugendliche, die eine schlechtere schulische Vorbildung haben, trotzdem Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung haben. Im internationalen Vergleich schneidet Österreich

Fotos: ÖFG

Pädagogen seien stärker belastet als Ärzte oder Polizisten. Was muss man für die Lehrenden tun?

Maes: Lehrkräfte unterliegen einer Vielzahl eigener und externer Erwartungen und Ansprüche an ihre Tätigkeit. Wenn sie das Gefühl haben, dem trotz aller Bemühungen nicht vollends gerecht werden zu können, sind problematische Entwicklungen möglich. Unterstützt werden können sie durch verstärkte Information, Hilfen zur Selbstklärung und zur Kommunikation der erlebten Diskrepanzen.

Busemeyer: Inwiefern die subjektiv gefühlte Arbeitsbelastung der Lehrenden tatsächlich

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Das Publikum beim Workshop erwartet Antworten auf die Frage, wie Bildungsgerechtigkeit wirklich hergestellt werden kann

in diesem Punkt wegen des dualen Ausbildungssystems deutlich besser ab als andere Länder.

cheren Gesellschaft beizutragen? Letztlich müssen wir uns immer fragen: Wo wollen wir als Gesellschaft hin?

Wir leben in einer Erfolgsgesellschaft. Wie gerecht kann das sein?

Busemeyer: Bildung kann nur dann zur Verminderung sozialer Ungleichheit beitragen, wenn sichergestellt ist, dass der Zugang zu attraktiven Jobs und Posten auch wirklich von der Bildungsleistung und nicht von anderen Kriterien wie Beziehungen oder Netzwerken abhängt. Insofern sollte das meritokratische Prinzip – also die Förderung der Besten – gelten. Allerdings nicht ohne Einschränkungen.

Denn auch eine Leistungsgesellschaft sollte

Heute investieren vorausschauende Unternehmen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden. Könnte es sein, dass sich die Bildungsdebatte in zehn bis 15 Jahren um Fragen der Gerechtigkeit am Sektor Aus- und Weiterbildung dreht?

Busemeyer: Darüber sprechen wir ja heute schon. Natürlich werden in Zukunft Weiterbildung und Lifelong Learning nochmals an Bedeutung gewinnen. Aus der Gerechtigkeitsperspektive betrachtet besteht hier Gefahr, dass vor allem diejenigen, die ohnehin gut ausgebildet sind und sich auf dem Arbeitsmarkt gut etabliert haben, in den Genuss von Weiterbildung kommen, diejenigen aber, die schon in früheren Phasen keinen Zugang zu guter Bildung bekommen haben, weiter benachteiligt werden. Abhilfe könnte eine gesetzliche Verankerung eines umfassenden Rechts auf Weiterbildung schaffen. Was wir dringend brauchen, ist eine umfassende Perspektive. Und zwar eine Perspektive, die sowohl die Auswirkungen von Reformen untersucht als auch die politischen und institutionellen Faktoren, die ihr Zustandekommen erklären. Es macht ja keinen Sinn, Reformen am akademischen Reißbrett zu entwerfen, die politisch nicht umsetzbar sind.

FrAGe IST ABer Auch: WAS WIrD ALS erFOLG GeSehen? sich denen widmen, die nicht in gleicher Weise leistungsfähig wie andere sind.

Maes: Bildungsteilhabe soll Aufstieg und gesellschaftlichen Erfolg ermöglichen. Die Frage ist aber auch: Was wird als Erfolg gesehen? Ist es nur die Möglichkeit, besser als andere zu sein, sie notfalls auch auszubooten und abzuhängen, im Sinne von survival of the fittest zu bestehen? Das Menschenbild des Homo oeconomicus legt das zumindest nahe. Wäre es nicht auch ein schöner Erfolg, etwas für andere zu tun, zu einer menschli-

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Aus den Arbeitsgemeinschaften ArBeITSGeMeInSchAFTen Der ÖFG

VON DIETER HöNIg

Internationale Preise – einer Gruppe namens RFID Technologies der ARGE Hochfrequenztechnik gelingt preiswürdige Forschung Die Forschungsgruppe RFID Technologies am Institut für Hochfrequenztechnik der TU Graz forscht an Themen im Bereich Radio Frequency Identification (RFID) Technologies. Die Gruppe hat sich im Jahr 2013 unter Institutsvorstand Wolfgang Bösch formiert und wird von Jasmin Grosinger geleitet. Sie umfasst derzeit fünf Doktoranden, die in enger Kooperation mit steirischen RFID-Firmen wie etwa Infineon Technologies Austria AG, NXP Semiconductors, Frosch Electronics GmbH und Enso Detego an diversen Aufgaben im Bereich Near Field Communication High Frequency RFID und Ultra High Frequency RFID arbeiten.

Man hat langjährige Erfahrung in der Durchführung von RFID-Forschungsprojekten und arbeitet derzeit u. a. am K-Project „SeCoS – Secure Contactless Sphere: Smart RFID-Technologies for a Connected World“ sowie am BRIDGE-Projekt „K@Home – Kalium Home Monitoring für Patienten mit Herz- und Nieren-Insuffizienz“. Im Zuge von wissenschaftlichen Konferenzen und Journalen konnte man bereits Forschungsergebnisse publizieren und auch Preise gewinnen: Im September 2014 hat die Gruppe auf der IEEE RFID-TA-Konferenz in Tampere, Finnland, die Publikation „A Miniaturized Dual Band RFID Tag“ präsentiert und damit den zweiten

Wolfgang Bösch, Leiter der ARGE Hochfrequenztechnik

reinhard heinisch, Leiter der ARGE Zukunft der Demokratie

Twitter, Blogging und Facebook für Demokratie? – Bei ihrer 4. Forschungskonferenz stellte die ARGE Zukunft der Demokratie u. a. die Frage nach politischen Implikationen von Social Media

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Die ARGE „Zukunft der Demokratie“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Herausforderungen der Demokratie in unserer Zeit zu analysieren – mit einem besonderen Bezug zu Österreich.

Anfang November 2014 wurde gemeinsam mit dem Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Akademie der Wissenschaften die Tagung „Medienwandel – Wandel der Demokratie? Das demokratische Potenzial der Social Media“ als 4. ARGE-Forschungskonferenz durchgeführt. Ziel war es, den durch Veränderungen der Medienstrukturen ausgelösten Wandel politischer Prozesse entlang von drei Perspektiven zu untersuchen, die für die Einschätzung des demokratischen Potenzials der Social Media relevant erscheinen: den Perspektiven der Politik, des Journalismus und der Zivilgesellschaft.

Im Verlauf der Veranstaltung wurden Ergebnisse jüngster Forschungsarbeiten vorgestellt und im Anschluss diskutiert. Zur Diskussion standen besonders Arbeiten einer Langzeitstudie aus Deutschland bezüglich Auswirkungen diverser Medien wie Twitter, Blogging, und Facebook. Für die Veranstaltung konnten zahlreiche internationale Expertinnen und Experten gewonnen werden.

W I r A n A LY S I e r e n h e r A u S F O r D e r u n G e n D e r D e M O K r AT I e I n u n S e r e r Z e I T

eIne GruPPe FOrSchT An rADIO FreQ u e n c Y I D e n T I F I c AT I O n T e c h n O L O G I e S Platz des Studierendenwettbewerbs gewonnen. Im November 2014 war sie mit der Publikation „A Silver Inkjet Printed Ferrite NFC Antenna“ erfolgreich und gewann den ersten Preis des Best-Paper-Wettbewerbs auf der LAPC-Konferenz in Loughborough, GB.

im Jahr 2015

Der Hauptvortrag wurde von Winfried Schulz von der Universität Nürnberg-Erlangen zur Rolle der neuen Medien in demokratischen Prozessen gehalten.

Im Rahmen eines öffentlichen Forums im Haus der Akademie fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „From the newspaper to Facebook – more or less democracy?“ statt, an der u. a. auch Konrad Mitschka vom ORF und Euke Frank vom Magazin „Woman“ teilnahmen.

Sonifikation und virtuelle Akustik – diese und andere Verfahren zur Transmedialisierung stehen im Mittelpunkt der Haupttagung der ARGE Kulturelle Dynamiken Die fortschreitende Vernetzung ihrer Forschungscluster ist wesentliches Anliegen der ARGE Kulturelle Dynamiken. Zu die-

Fotos: Christian Jungwirth, Privat

neuigkeiten aus den

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sem Zweck fanden neben den jährlichen Dezember-Haupttagungen in Wien („Memorialisierung“, 2013; „Theatralisierung“, 2014; sowie zur aktuellen „Transmedialisierung“, 2015) eintägige Arbeitssymposien für Habilitanden und Habilitandinnen statt: „Invention and Memory in Biography“ (Universität Salzburg, Mai 2014); „Halbautomaten, Semisouveräne und Mittelbewusste“ (Kunstuniversität Linz, Mai 2015).

Besonders erfolgreich war die einwöchige Salzburg Easter School in Kooperation mit Salzburgs Osterfestspielen 2015. Hier hinterfragten 12 internationale Doktorandinnen und Doktoranden die Verismo-Ästhetik von „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ im Hinblick auf Philipp Stölzls aufsehenerregende Inszenierung der beiden Kurzopern als filmisch dargestellte Parallelwelten. Durch das Spiel im Spiel deuten diese scheinbar die Wirklichkeit an, decken dabei aber auch die großen Leidenschaften der handelnden Figuren auf.

Die Zusammenhänge zwischen früheren Aufführungstraditionen und medialen Neuinterpretationen weisen auf die Haupttagung der ARGE vom 10. bis 11. Dezember zum Thema „Transmedialisierung“ in der Sky Lounge der Universität Wien hin: Das Interesse richtet sich sowohl auf transmediale Überführungen in Gesellschaft, Kunst und Kultur – von Technik und kognitiven Vorgängen in Daten für unterschiedliche Anwendungsbereiche (Lernen, Verhaltenstherapie) bis zur interaktiven Vermittlung von Lyrik.

Aber auch auf die mediale Realisierung medienübergreifender Verfahren wie dem des

Fotos: Luigi Caputo, Privat

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Wie viel Wissenschaft bekommt der Kunst?“ Das war eine der Fragestellungen, mit denen sich die ARGE Wissenschaft und Kunst in den letzten Jahren befasste

Sabine coelschFoisner, Leiterin der ARGE Kulturelle Dynamiken

Otto neumaier, Leiter der ARGE Wissenschaft und Kunst

Im Februar 2008 wurde die ARGE „Wissenschaft und Kunst“ eingesetzt. Ziel war es, das noch ungenutzte Potenzial wechselseitiger Befruchtung anzusprechen, kreative Brücken zu schlagen und sinnvolle Kooperationen anzuregen. Mit dem an österreichischen Universitäten vorhandenen Wissensschatz verschiedener Disziplinen konnte man so eine Plattform schaffen, die dem Dialog zwischen den Wissenschafts- und Kunstuniversitäten neue Impulse verlieh.

Otto Neumaier, Leiter der ARGE, lud in der Folge Vertreterinnen und Vertreter verschiedener künstlerischer, geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen ein, aus denen sich schließlich ein aktiver Kern von zwölf Mitgliedern bildete. Vom November 2008 bis Mai 2014 traf man sich zu insgesamt 22 Arbeitssitzungen und organisierte zehn Tagungen, deren Ergebnisse in sechs Büchern sowie vier Online-Publikationen herausgegeben wurden. Die Tagungen dienten zum einen der Untersuchung verschiedener Aspekte der Beziehungen zwischen Wissenschaft und

GeMeInSAMe SPrAche ZuM BeSSeren VerS TÄ n D n I S V O n W I S S e n S c h A F T u n D K u n S T

TrAnSMeDIALe üBerFührunGen In G e S e L L S c h A F T, K u n S T u n D K u LT u r Erzählens auf Bühne und Leinwand oder in Computerspielen.

Den Mittelpunkt der Tagung bilden hochaktuelle Entwicklungen in der Gegenwartskultur wie Sonifikation und virtuelle Akustik, die Schnittstellen zwischen Mensch und Technologie (embodied interaction und interaction design), Hirnforschung zwischen Medientechnik und Naturphilosophie sowie die Funktion öffentlicher Texte von Verkehrsschildern bis Werbeplakaten an Orten des alltäglichen Lebens.

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Künsten, mit Themen wie etwa „Resonanzen zwischen Wissenschaft und Kunst“, „Wie viel Wissenschaft bekommt der Kunst?“ oder „Grenzgänge zwischen Wissenschaft und Kunst“. Zum anderen der Erhellung von Phänomenen wie Staub, Beschleunigung, Problemlösungsstrategien oder Ironie und Satire aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive.

Wegen der allgemeinen Aufgabenstellung konnte man zwar nicht alle Möglichkeiten der Beziehungen zwischen Wissenschaften und Künsten ausschöpfen. In den vergangenen sieben Jahren ist es jedoch gelungen, wesentliche Aspekte zumindest herauszuarbeiten. Letztlich war es auch Verdienst der ARGE, dass man trotz unterschiedlicher Zugänge zu einer gemeinsamen Sprache, zum besseren Verständnis von Wissenschaft und Kunst, finden konnte.

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Welche Bildung brauchen wir?

VON ALEXANDRA MARKL

sterreich schneidet in der im November Ö veröffentlichten Studie „Education at a glance“ in Bezug auf die AkademiOECD-

kerInnenquote schlecht ab. Mit 30 Prozent liegen wir zwei Prozent unter dem Durchschnitt der EU-Länder und drei Prozent unter dem der OECD-Mitgliedsstaaten. Die neuen Werte sind allerdings besser als jene 20 Prozent, die Österreich in den vergangenen Jahren erreichte. Das hat weniger mit der Anzahl von Abschlüssen als mit dem veränderten Berechnungssystem der OECD zu tun.

So werden seit heuer die vierten und fünften BHS-Lehrgänge sowie Aufbaulehrgänge mitgezählt.

Ist diese niedrige AkademikerInnenquote wirklich das Problem, als das es die OECD ansieht? Bedeutet sie, dass zu wenige Menschen Zugang zu einem Arbeitsmarkt mit besseren Aufstiegschancen haben?

Die OECD sieht im höheren Bildungsgrad die Chance für Menschen auf Beschäftigung, Einkommen, allgemeinen Wohlstand und persönliches Wohlergehen. Doch wird dieser Theorie von der Korrelation zwischen akademischem Abschluss und wirtschaftlichem Erfolg immer häufiger widersprochen.

So sieht der Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann in der AkademikerInnenquote einen „Fetisch“. In der Wochenzeitung Die Zeit bezweifelt er, dass nur ein Studium zu beruflicher und sozialer Erfüllung führt. Dasselbe Ziel sei wohl auch mit einer soliden beruflichen Ausbildung zu erreichen. Die Aka-

eckart Severing, Professor am Institut für Pädagogik der Universität Erlangen-Nürnberg

cort-Denis hachmeister, Projektmanager am Centrum für Hochschulentwicklung CHE

PhILOSOPh LIeSSMAnn SIehT In Der AKADeMIKerInnenQuOTe eInen „FeTISch“ demisierung einer Gesellschaft erhöhe nicht unbedingt die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft.

Dies bekräftigt Eckart Severing vom Institut für Pädagogik der Universität ErlangenNürnberg: „Es muss nicht stimmen, dass Wirtschaftswachstum mit Akademisierung korreliert“, gibt er im Rahmen des hochschulpolitischen Kolloquiums der ÖFG im November 2015 zu bedenken. Severing weist darauf hin, dass sich Prognosen über Akademisierung selten bewahrheitet haben.

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So seien etwa StudienanfängerInnenzahlen entgegen der Vorschau stark gestiegen: „In Deutschland fingen 2013 zum ersten Mal mehr Menschen ein Studium an als eine berufsbildende Schule.“ Das bedeutet zwar mehr AkademikerInnen, aber auch einen steigenden Druck auf die Berufsschulen.

Auch bei uns steigt die Zahl der StudienanfängerInnen. Im Wintersemester 2014/15 studierten in Österreich erstmals über 300.000 Personen. Ein Bedarf nach ihnen besteht dennoch an Hoch- wie berufsbildenden Schulen. Beide Bereiche sind nicht mehr so deutlich nach der Art des Wissens getrennt. So bilden einerseits Berufsschulen wissensintensiver aus, während andererseits Hochschulen immer mehr berufliche Qualifikationen akademisch vermitteln.

Diese Vermischung findet bereits beim Eintritt in die Ausbildung statt: „Es sind nicht mehr nur GymnasiastInnen, die ein Studium beginnen, sondern auch Menschen, die auf anderem Weg eine Zugangsberechtigung erworben haben. In Deutschland greifen berufsbildende Schulen bereits in den Wettbewerb um leistungsfähige SchulabgängerInnen ein und versuchen, AbiturientInnen ins Handwerk zu holen.“ Gleichzeitig ist eine starke Differenzierung der Studien im Gang. Cort-Denis Hachmeister vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) spricht von bis zu 3.000 verschiedenen Bezeichnungen, allein 140 davon seien Informatikstudiengänge. Auch Österreich folgt diesem Trend: „Mittlerweile gibt es fast 2.000 Studienrichtungen“, sagt Martin Unger vom Institut für höhere Studien (IHS).

Alte Modelle lösen sich auf. Das betrifft auch den Einstieg in den Arbeitsmarkt. „Zwar ist es weiterhin der Fall, dass Universitäten für wissenschaftliche Tätigkeiten und akademische Berufe vorbereiten, aber es gibt einen großen Bereich, im dem nicht eindeutig ist, ob man auf den zukünftigen Arbeitsplatz mit einer beruflichen oder akademischen Ausbildung besser vorbereitet ist“, erklärt Severing.

Diese Entwicklung ist gerade in Österreich frappant. Denn laut OECD-Studie leistet unser System der Berufsbildung Enormes: Fortsetzung nächste Seite

Fotos: Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) gemeinnützige GmbH, Thomas Kunsch im Auftrag des CHE

Österreich hinkt bei der A K A D e M I K e r . I n n e n Q u O T e anderen Ländern hinterher. ist das ein Problem?

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Fotos: Montanuniversität Leoben, Universität Wien, IST Austria, aau/tinefoto.com

Alltagsbilder von österreichischen universitäten: Nicht alles würde man auf den ersten Blick für tertiäre Ausbildung halten: Das erste Bild zeigt die Montanuni Leoben, daneben die Uni Wien Fachrichtung Chemie, weiters IST Austria Klosterneuburg und Alpen-Adria Uni Klagenfurt

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universität oder Berufsbildende höhere Schule? Manche Bachelorstudien unterscheiden sich kaum von höherer Berufsbildung

Im Vergleich zu allen anderen 46 Mitgliedsstaaten gelingt dank der Berufsbildung der Übergang in den Arbeitsmarkt hierzulande wesentlich reibungsloser. Wohl auch deshalb gibt es mittlerweile akademische Studiengänge, die große Ähnlichkeiten mit berufsbildenden Schulen aufweisen, wie etwa den Bachelor für Gesundheitskommunikation oder für energieeffiziente Gebäudetechnik.

In Deutschland geht man noch einen Schritt Mehr AKADeMIKerInnen BeDeuTen nIchT A u T O M AT I S c h e I n e B e S S e r e W I r T S c h A F T weiter und bietet bereits branchenbezogene Bachelors an. „Der Aldi-Bachelor ist so ein Beispiel – da werden Traineeprogramme von Unternehmen akademisch veredelt“, meint Severing.

Ein Trend, der für Kritik sorgt. Auch Liessmann beanstandet, dass man Ausbildungsgänge akademisiere, die eigentlich keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügten.

Nur um die von der OECD geforderte AkademikerInnenquote zu erreichen. Diese kann also im Extremfall den eigentlich angestreb-

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ten höheren Bildungsgrad unterlaufen. Und reizt auch Unternehmen nur bedingt, AkademikerInnen einzustellen.

Denn Firmen differenzieren mittlerweile immer weniger zwischen BewerberInnen, die einen Hochschul- oder einen Berufsbildungsabschluss haben. „Ausbildungen zu technischen Berufen, zum Beispiel Mechatronik, unterscheiden sich kaum mehr von einer zum Bachelor im Maschinenbau“, erklärt Severing. „Die Unternehmen sagen mittlerweile, dass eine dreieinhalbjährige Berufsausbildung auch nicht so verschieden von einem fünf- bis sechssemestrigen Bachelorstudiengang sei.“ Eine Erhöhung der AkademikerInnenrate anzustreben, wirkt in diesem Umfeld nicht mehr zeitgemäß. Severing: „Die Kritik der OECD an der Quote ignoriert diese Entwicklung. Da wird behauptet, dass nur eine akademische Ausbildung auf die besondere Produktivität in der Arbeitswelt vorbereitet.“ Ein weiterer Kritiker des „Akademisierungswahns“ ist der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin. Die steigenden StudienanfängerInnenzahlen stünden in keiner Relation zu den wirtschaftlichen Bedarfspro-

Foto: Uni Graz / Lunghammer

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„Ein Wettbewerb dieser beiden Ausbildungssysteme ist doch kontraproduktiv“, meint der Pädagoge Eckart Severing

gnosen. Außerdem gestalte sich die akademische Bildung zunehmend beliebiger und flacher. Ein ideales Bildungssystem sollte sich an den Begabungen und Interessen der Jungen orientieren – in der universitären und der beruflichen Bildung. Und die allgemeinbildenden Schulen sollten mehr handwerkliche, technische und gestalterische Kompetenzen bieten. Severing geht noch weiter. Denn nicht nur in den Schulen, sondern auch beim weiteren Ausbildungsweg plädiert er für eine

Foto: Universität Innsbruck

GeMeInSAMe GrunDSTuFen Für hOchunD BeruFSBILDenDe SchuLen „Verzahnung“. Gemeinsame Grundstufen seien der richtige Weg: „Eine Ausbildung von ein bis zwei Jahren, in der man zuerst integriert Studium und Berufsausbildung verfolgt und aus der heraus sich dann jede und jeder für das Hochschulstudium oder nur für einen Ausbildungsabschluss entscheiden kann.“ Die Auszubildenden könnten also gemeinsam starten, woraus sich wiederum eine stärkere Überschneidung der Fächer ergäbe. Und letztendlich wird damit auch eine Reduzierung der Vielzahl an Studiengängen möglich.

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Dieses ausbildungsintegrierende Studium, so stellt sich Severing vor, solle auf Nutzung und Brauchbarkeit des Wissens am Arbeitsmarkt und im Beruf ausgerichtet sein. In Österreich handeln viele Studierenden schon danach. „Bei uns gibt es bereits Fakultäten, wo ein quasi duales Studium praktiziert wird“, sagt Martin Unger vom IHS. „Das kommt daher, dass sich die Studierenden während des Studiums die Berufserfahrung selbst organisieren, meist über Uni-Netzwerke.“ Dafür dauert das Studium oft länger – das Modell eines Studiums mit integrierter Ausbildung würde hier Abhilfe schaffen.

Außerdem wäre der Konflikt zwischen Berufsschulen und Universitäten entschärft.

Severing: „Ein Wettbewerb dieser Systeme ist doch kontraproduktiv. Vor allem, wo man sich mittlerweile zu einem guten Teil an denselben Arbeitsmarkt wendet. Wir brauchen verzahnte Formate.“ Das ist die Akademisierung der Zukunft: ein stärkeres Ineinandergreifen der Ausbildungswege. Es könnte die Arbeitskräfte erbringen, die der Markt braucht. Die AkademikerInnenquote der OECD spielt dann vielleicht keine so große Rolle mehr.

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Wissenschaftsstadt Wien Wissenschaftsreferent der Stadt Wien und „Vater“ der „Wiener Vorlesungen“, über die Aufgaben von Forschungsförderung h u B e r T c h r I S T I A n e h A LT,

Wissenschaftsförderung ist die Schnittstelle zwischen Forschung und Öffentlichkeit immer wichtiger geworden. Die Gestaltung dieser Schnittstelle, etwa mit den Wiener Vorlesungen seit Frühjahr 1987, hat für die Stadt Wien eine besondere Wichtigkeit.

Herr Ehalt, worin bestehen die Herausforderungen und Aufgaben eines Wissenschaftsreferenten?

Hubert Christian Ehalt: Wenn man Wissenschaft und Forschung fördern will, muss man wissen, was diese dringend benötigen. Dazu braucht es nicht nur bürokratisch-technokratisches Wissen über Abläufe, sondern auch Verständnis, Interesse und Empathie, möglichst in einem kollegialen Verhältnis aller Beteiligten. Als Wissenschafter weiß ich aus Erfahrung, wo Hilfestellung benötigt wird. Die Aufgabe des Wissenschaftsreferenten hat vier Schwerpunkte: exzellente Forschung zu unterstützen, vorhandene Stärken zu nützen, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern sowie die öffentliche Akzeptanz von Wissenschaft und Forschung zu unterstützen.

hubert christian ehalt ist Historiker und Anthropologe, Wissenschaftsreferent der Stadt Wien, Generalsekretär von fünf städtischen Wissenschaftsförderungsfonds und Koordinator der Wiener Vorlesungen

Wie vertragen sich die Aufgaben des Universitätsprofessors mit denen des Forschungsförderers?

Ehalt: Als Wissenschafter kenne ich die Spielregeln der Wissenschaft. Das kommt meiner Arbeit als Förderer zugute. Allerdings gibt es eine Hauptmaxime, der sich der Wissenschaftsförderer unterzuordnen hat: Persönliche Vorlieben, Prioritäten und natürlich auch Wertsetzungen sind strikt hintanzusetzen!

Wie werden Wissenschaft und Forschung in Wien gefördert?

W I e n h AT S I c h Z u r W I S S e n S - u n D W I S S e n S c h A F T S S TA D T e n T W I c K e LT Ehalt: Für die aktuelle Forschung wichtige Themen werden über die Ausschreibungen der durch die Stadt dotierten Fonds und Stiftungen unterstützt. Die Entscheidungen werden durch Kuratorien, die von der Stadt und den Universitäten mit ExpertInnen beschickt werden, auf Grundlage unabhängiger Gutachten getroffen. Mit mehr als einem Dutzend Stipendienprogrammen werden junge Wissenschaftstreibende auf ihrem Karriereweg und bei der Durchführung wichtiger Forschungsvorhaben unterstützt. Im Bereich der

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Wie stehen Universitäten, Fachhochschulen und Forschungsgemeinschaften zur Stadt Wien?

Ehalt: Der Erfolg der Wissenschaftsstadt Wien zeigt sich u. a. im ausgezeichneten Verhältnis zwischen Stadtverwaltung und den zurzeit 20 Universitäten, Privatuniversitäten, Fachhochschulen und der Pädagogischen Akademie. Allen Beteiligten ist der Wert dieser Zusammenarbeit bewusst und somit auch förderungswürdig. Wien ist längst nicht nur Kulturhauptstadt. Es hat sich in den letzten dreißig Jahren auch zur Wissens- und Wissenschaftsstadt entwickelt.

Wie wird wissenschaftlicher Nachwuchs gefördert?

Ehalt: Die Stadt vergibt jährlich etwa 50 Wissenschaftsstipendien für die Durchführung kleiner Projekte sowie weitere 20 Forschungsstipendien für größere Projekte, die der empirischen Erforschung und Analyse der Wiener Wissensbasis gewidmet sind.

Die besten Arbeiten werden in der Enzyklopädie des Wiener Wissens, die rund 30 Bände umfasst, publiziert. Weiters werden die besten Dissertationen an der Uni Wien, die besten Diplomarbeiten an der TU Wien, an der Wirtschaftsuniversität, am Konservatorium und der Uni für angewandte Kunst unterstützt. Die Stadt Wien beteiligt sich an der Dotierung der Doktoratsförderungsprogramme und unterstützt die Apart-Stipendien und Doc-Stipendien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie zahlreiche andere Stipendienprogramme und Preise.

Wie ist es um den außeruniversitären wissenschaftlichen Sektor bestellt?

Ehalt: Mit Projektförderungen unterstützt die Stadt den außeruniversitären Sektor, zu dem u. a. die ÖFG gehört. Die exzellenten Leistungen von außeruniversitären Institutionen haben in Wien eine lange Tradition.

Man denke nur an den Wiener Kreis, an die

Foto: Florian Stecher

VON DIETER HöNIg

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volkstümlichen Universitätsvorträge in der Ersten Republik, vor allem aber an die Volkshochschulen, die oft mit großer Autonomie und Kompetenz eigenständige Bildungs- und Forschungsprogramme entwickelt haben.

Festsaal im Wiener Rathaus, dem Ort der Wiener Vorlesungen

Foto: Timeline / Rudi Handl

Ich ArBeITe Zu enTWIcKLunGen Der W I S S e n S - u n D K u LT u r G e S c h I c h T e W I e n S Sie fördern Geistes- und Naturwissenschaften …

Ehalt: Wien ist, auch durch Förderungen der Stadt bedingt, ein Hotspot im Bereich der Quantenphysik und der Life Sciences.

Auch die Wiener Medizinische Schule hat in einer interdisziplinären innovativen Krebsforschung, in der Erforschung von Herz- und Kreislauferkrankungen sowie der Orthopädie einen exzellenten Ruf. Aber auch der Erfolg der Geisteswissenschaften ist beeindruckend. Deren Erkenntnisse fördern und unterstützen eine mündige Zivilgesellschaft.

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So führte etwa der Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften zuletzt einen Call zum Thema „Big Data, Analyse großer Datenmengen in der historischen und aktuellen Demographie im Zusammenhang mit Populationsdynamik“ durch.

Welche Fragen interessieren den Geschichtsforscher Ehalt?

Ehalt: Durch meine Aufgabe als Wissenschaftsreferent und Forschungsförderer der Stadt Wien haben sich auch meine wissenschaftlichen Schwerpunkte entwickelt. So arbeite ich u. a. zu Entwicklungen der Wissens- und Kulturgeschichte Wiens. Die Erste Wiener Moderne, die Zeit zwischen 1760 und 1792, die Epoche Mozarts, Joseph von Sonnenfels’, Ignaz Borns und der Wiener Jakobiner um Franz Hebenstreit ist erst zu erforschen. Ich will sie für die Kulturgeschichte erschließen und vermitteln.

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Zeit in den Wissenschaften … … lautete das Thema des Ö S T e r r e I c h I S c h e n W I S S e n S c h A F T S TA G e S 2 0 1 5 im Hotel Panhans am Semmering. Wir sprachen mit den Vortragenden zum Thema

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Illustration: Georg Feierfeil

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„Wir brauchen keine präzise Zeitmessung“ und das wachsende Bedürfnis nach einer exakten zeitmessung im Laufe unserer gesellschaftlichen Entwicklung

DIe GeSchIchTe Der STunDe

ine alte Kirchturmuhr ist die einzige Uhr, E mit der sich Gerhard Dohrn-van Rossum in seinen vier Wänden umgibt.

Warum ist der Tag in vierundzwanzig gleich lange Stunden geteilt?

Gerhard Dohrn-van Rossum: Die Wurzeln reichen in die Zeit Babyloniens zurück. Diese Teilung wurde nicht nur in der europäischen Antike, sondern auch in Ägypten, China und später in Japan übernommen. Die älteste Tagesteilung des Spätmittelalters ist die Italienische Uhr. Sie beginnt eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang und zählt vierundzwanzig gleich lange Stunden. Die 1388 eingeführte Nürnberger Uhr teilte den Tag auch in gleich lange Stunden. Deren Anzahl variierte aber je nach Jahreszeit. Unsere heutige Teilung in zweimal zwölf Stunden ist völlig abstrakt und unabhängig von der Natur. Diese Entfremdung bezeichne ich als Denaturalisierung.

Gerhard Dohrn-van rossum, Professor für Geschichte des Mittelalters an der TU Chemnitz

Warum distanzierte sich der Mensch von der Natur?

Dohrn-van Rossum: Es gibt keinen Text, der das erörtert. Eine mögliche Erklärung: Die Italiener fingen mit den gleich langen Stunden an. Dann merkten sie, wie schwierig es ist, 24 Glockenschläge zu zählen. Zweites Problem: Man benötigte sehr viel Seillänge im Glockenturm. Technisch war die Italienische Uhr somit unpraktisch. Die Nürnberger Uhr hatte wiederum damit zu kämpfen, dass BAuern SAGTen: GeBT unS eIne SAnDu h r , D A M I T W I r u n S e r e PA u S e K r I e G e n Tabellen nötig waren, weil sich alle vierzehn Tage die Tagesdauer ändert.

Wollten die Menschen nicht wissen, wie spät es ist?

Dohrn-van Rossum: Wir müssen uns koordinieren und brauchen daher Zeitmessung.

Wann ist Zeit fürs Frühstück, die Arbeit, den Schlaf ? Ab Mitte des 14. Jahrhunderts setzten sich Uhren in Europa rasch durch. Damals sagten sie aber nicht: Wir müssen wissen, wie viel Uhr es ist! Sondern: In Paris haben sie

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eine automatische, stundenschlagende Uhr! So was brauchen wir auch. Ich bezeichne das als urbanistische Prestige-Konkurrenz.

Ein Bedürfnis nach Zeitmessung gab es aus heutiger Sicht nicht, sondern Erfahrungen, die einen unumkehrbaren Prozess in Gang setzten. Wie etwa in der Arbeitswelt, wo die Präzisierung der Zeitmessung die Arbeitszeit für beide Seiten verhandelbar machte. Nun konnten auch Kosten verglichen werden. Die Redewendung „Zeit ist Geld“ von Benjamin Franklin existierte indirekt schon im Mittelalter.

Wodurch prägte das Mittelalter die Entwicklung?

Dohrn-van Rossum: Die mechanische Uhrwerkhemmung brachte den technischen Durchbruch. Sie ist sehr robust und lässt sich einfach nachbauen. Das erklärt ihren großen Erfolg. Im Mittelalter kannte man die Waagbalken- und die Kronradhemmung.

Beide verschwanden im 17. Jahrhundert mit der Entdeckung der Isochronie der Pendelschwingung. Seit Pendel und Unruhfeder kann man Uhren mit Minuten und Sekunden herstellen sowie Seechronometer als Navigationshilfen.

Haben sich Menschen gegen die exakte Uhrzeit gewehrt?

Dohrn-van Rossum: Man denkt vielleicht: Die armen Bauern, die müssen jetzt nach der Uhrzeit arbeiten. Das ist nicht wahr. Die Bauern sagten: Der Gutsherr treibt uns an, wir müssen den ganzen Tag schuften. Gebt uns eine Sanduhr, damit wir unsere Pause kriegen. Es gab eigentlich keinen Widerstand gegen die gleich langen Zeiteinheiten.

Auch nicht in den Klöstern?

Dohrn-van Rossum: Als Uhren aufkamen, nutzten sie auch Klostergemeinschaften.

Immer noch geistert die Vorstellung herum, dass die Kirche deshalb an Macht verloren hat. Das ist nicht korrekt. Es gibt keinen einzigen belegbaren Fall, der beweist, dass die Klöster an den ungleichen Stunden festhalten wollten. Außerdem ist der Umstieg auf die gleich langen Stunden nicht von oben angeordnet worden. Die waren dann einfach da.

Foto: ÖFG

VON SONJA BURgER

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Illustration: Georg Feierfeil

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Was verschwand?

Dohrn-van Rossum: Glockensignale. Diese ließen sich über große Distanzen übertragen. Es gab zum Beispiel Signale mit einem kleinen Klick, dem Vor-Schlag. Jeder wusste, dass man ab dann zu zählen beginnen muss.

Der Dom oder etwa das Rathaus gaben die Zeit vor. Alle Kirchen mussten die Zeit nachschlagen. Gleichzeitig hatte jedes Kloster, jede Schule und jedes Krankenhaus seine eigenen Glockenzeichen. Ich habe das für Venedig durchgespielt. Im Mittelalter war das ein unendliches Gebimmel. Erste Ziffernblätter tauchten übrigens rund 60 Jahre nach den stundenschlagenden Uhren um 1400 auf.

Sobald die Menschen die Uhrzeit wussten, brauchten sie keine Glockensignale mehr.

Das Klangensemble verarmte.

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Und wann schlug die Stunde der Minute?

Dohrn-van Rossum: Mit der Pendeluhr im 17. Jahrhundert ließen sich erstmals Minuten messen. Sekunden tauchten im bürgerlichen Leben um das Jahr 1700 bei Pferderennen in England auf. Für das Alltagsbewusstsein sind Sekunden vor allem im Sport wichtig. Ohne Präzision in der Zeitmessung wären Rekorde undenkbar. Im Leben läuft aber nichts im Sekundentakt.

Warum besitzen Sie eine Kirchturmuhr?

Dohrn-van Rossum: Weil der Mechanismus einfach ist und gleichzeitig so viel verändert hat. Anhand der Uhrwerkhemmung in einer Kirchturmuhr kann ich selbst einem Kind erklären, wie eine Uhr tickt. Quarzuhren oder jetzt Nanosekunden: Das ist alles viel zu abstrakt.

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Zur Stunde des Hundes schlafen im Vergleich mit unserem im Westen

VON WERNER STURMBERgER

m 1. 1 1873 führte Japan den gregorianiA schen Kalender ein. Da das alte Kalendersystem noch einen Schaltmonat in jedem

dritten Jahr kannte, ließen sich die klammen Staatskassen so um einen Monatslohn der Beamten entlasten. „Doch bis das neue System das alte verdrängen konnte, sollte es noch länger dauern“, erklärt Brigitte Steger von der University Cambridge, die sich mit der historischen Anthropologie der Zeit in Japan beschäftigt.

Brigitte Steger, A.o.

Professorin für Japanologie, Faculty of Asian and Middle Eastern Studies, University Cambridge

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Brigitte Steger: Bei meinem ersten Japanbesuch ist mir aufgefallen, dass viele Menschen sich darüber beklagen, zu wenig Zeit zum Schlafen zu finden. Dabei schwang aber ein gewisser Stolz mit. Ich hab’ mich dann mit dem Thema Schlaf beschäftigt. Dazu war es auch notwendig, das Verständnis von Tag und Nacht nachvollziehen zu können. Ich wollte verstehen, was es bedeutet, wenn jemand sagt, er gehe zur Stunde des Hundes schlafen.

Wie spät ist es dann?

Steger: Die Stunde des Hundes liegt theoretisch zwischen 19 und 21 Uhr westlicher Zeitrechnung. In Japan kam es unter dem starken kulturellen Einfluss Chinas im 7. Jahrhundert zur Übernahme des chinesischen Kalenders.

DIe STunDe DeS hunDeS LIeGT TheOreTISch ZWISchen 19 unD 21 uhr Dieser teilt den Tag in 12, nach den Tierkreiszeichen benannte, Doppelstunden. Aber was heißt das praktisch? Wie wussten die Leute, wie spät es war? Beachteten sie Temporalstunden oder Äquinoktialstunden?* Wie findet man solche Informationen?

Steger: Das ist Detektivarbeit. Das sind ganz verstreute Informationen in Tagebüchern, Chroniken, Geschichten, Bildern und anderen historischen Quellen. Mittlerweile gibt es elektronische Datenbanken, aber vieles ist nicht unmittelbar verständlich. Wie zum Beispiel ,issui‘, dessen Bedeutung ich selbst erst vor einem Jahr entdeckt habe.

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Was hat es damit auf sich?

Steger: Es ist ein Hinweis darauf, dass soziale Tätigkeiten wie das Sutren-Lesen im Tempel als Zeitbegriff wahrgenommen wurden. Hier geht es um das Reiskochen – issui. Das Wort setzt sich zusammen aus ,ichi‘ für eins und ,sui‘ für Reiskochen, also ,ein Reiskochen‘ und bezieht sich auf eine chinesische Geschichte der Tang-Zeit. Ein junger Mann, der vor einer wichtigen Entscheidung stand, schlief während des Reiskochens ein und begann zu träumen. Er träumte sein ganzes Leben, aber als er aufwachte, war gerade erst der Reis fertig. Die Geschichte hat den Menschen in Japan so gut gefallen, dass sie das immer weiter verwendet haben und sich allmählich die Schreibweise geändert hat. Im 16. Jahrhundert hat sich das chinesische Schriftzeichen geändert. Issui meint ein Nickerchen. Der Begriff ist heute nicht sehr verbreitet.

Dem Frühaufstehen scheint in Japan auch eine besondere Bedeutung zuzukommen?

Steger: Früh aufstehen und spät zu Bett gehen ist im Konfuzianismus eine Metapher für tugendhaften Lebenswandel. Aber auch andere geistesgeschichtliche Traditionen fordern Frühaufstehen. Zuerst nur für Staatsdiener, setzt es sich, beginnend mit dem Mittelalter, allmählich in den meisten Bevölkerungsschichten mit Ausnahme des Adels durch. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sogar eine nationale Frühaufstehbewegung. Sie wurde anfänglich vor allem von jungen Männern getragen, obwohl de facto Frauen früher aufstehen. Diese Bewegung stellte den Versuch dar, die Bevölkerung geistig zu mobilisieren. Mit Gymnastik, Singen und Bildungsprogrammen sollten sie lernen, für den eigenen Wohlstand – und damit auch für nationalen Fortschritt – hart zu arbeiten.

In Ihrem Vortrag haben Sie auf die Bedeutung des Radios hingewiesen?

Steger: Ab 1925 gab es den staatlichen Rundfunk, der Radiogymnastik als Programm ausstrahlte. Die Idee hatte man sich von einer amerikanischen Versicherung abgeschaut.

Angefangen hat das als Kinder-Gymnastik in den Sommerferien um sechs Uhr früh. Das gibt es übrigens heute noch. Das Radioprogramm führt zu einer Vereinheitlichung der

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J A PA n I S c h e S Z e I T V e r S TÄ n D n I S

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Illustration: Georg Feierfeil

Zeit und war für das Zeitbewusstsein viel wichtiger als andere Einrichtungen, denn wer nicht pünktlich das Gerät einschaltete, verpasste die Sendung. Mit dem Fernsehen hat sich das dann in den 1960ern verstärkt.

Welche Rolle spielten denn Uhren?

Steger: Mechanische Uhren aus Europa kannte man bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie hatten aber nur einen geringen Einfluss auf das Zeitverständnis. Während sich die Menschen in Europa an die Uhren anpassten, hat man in Japan die Uhren an die Menschen angepasst und diese von Äquinoktial- auf die lange Zeit verbreiteten TemporalStunden umgebaut.* Erst mit der Einführung des gregorianischen Kalenders wurden Äquinoktialstunden übernommen. Damit stieg der Einfluss der mechanischen Uhr. Anfang des 20. Jahrhunderts fanden Uhren dann stärkere Verbreitung. Viele konnte sich aber keine leisten. So haben sie nur die Kette einer Taschenuhr getragen.

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Wie hat man ohne Uhr die Zeit bestimmt?

Steger: Es gibt eine lange Tradition und eine Vielzahl von akustischen Zeitsignalen wie Hahnenschrei, Nachtwächter, die durch die Straßen gehen und die Stunden ankünden, Bauchladenverkäufer, die regelmäßige ihre Runden drehen und die Waren anpreisen.

Am wichtigsten waren die Zeitglocken der Tempel, die am Land nach wie vor läuten. In Kindergärten und Altenheimen sind Melodien, die spezifische Tätigkeiten und Zeiten wie Essenszeiten oder den Mittagsschlaf anzeigen, noch immer üblich. Jeden Tag um fünf Uhr am Nachmittag läuft eine kurze Melodie über die Lautsprecheranlagen des Zivilschutzes. Immer wenn diese läuft, wissen die Kinder, dass es Zeit ist nach Hause zu gehen. *Äquinoktial-Stunden teilen den Tag in 24 gleich lange Stunden. Temporal-Stunden teilen die Zeit zwischen Sonnenaufgang und -untergang in 12 gleich lange Stunden. Die Länge der Stunden variiert daher im Jahresverlauf.

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Das Phänomen entgrenzter Arbeit über die Beschleunigung der Arbeitswelt Das heißt, die Intensität der Arbeit steigt?

Korunka: Die soziale Beschleunigung hat viele Facetten, eine besonders wichtige ist sicherlich die Wahrnehmung der Intensität der Arbeit. In unseren Studien lässt sich eindeutig ein Mehr pro Zeiteinheit feststellen. Der Druck, immer mehr zu produzieren, Multitasking und die ständige Ablenkung durch E-Mails nehmen zu.

VON WERNER STURMBERgER

hristian Korunka untersucht die BedinC gungen und Folgen sozialer Beschleunigung. In seinen Studien erkennt er eine mehrfache Entgrenzung der Arbeit. Der damit verbundene Zugewinn an Autonomie sorgt aber auch für mehr Druck in der Arbeitswelt

Seit wann lässt sich das Phänomen der sozialen Beschleunigung feststellen?

Christian Korunka: Wir alle kennen das Phänomen aus Alltagsbeobachtungen: Arbeiten unter Zeitdruck, Deadlines und Erinnerungsverzerrung. In den großen europäischen Datensätzen zur Entwicklung der Erwerbsarbeit werden diese Aspekte in den 1990ern erstmals evident. Seither sind auch entsprechende soziale Rahmentheorien, wie jene von Hartmut Rosa, erschienen.

christian Korunka, Institut für Angewandte Psychologie – Arbeitsund Organisationspsychologie der Universität Wien

Lässt sich dieses Phänomen in allen Bereichen der Erwerbsarbeit beobachten?

Korunka: Es sind sicher nicht alle Bereiche und Arbeitnehmenden gleich betroffen. Besonders ausgeprägt ist es bei Personen in Führungspositionen und bei Dienstleistungen. Das ist allerdings ein sehr breiter Bereich – angefangen bei Krankenhäusern über öffentliche Verwaltung, Banken, IT-Firmen bis hin zu diversen Bürotätigkeiten. JournalistInnen sind da natürlich auch ein Paradebeispiel. Die soziale Beschleunigung betrifft also ein recht großes Segment der Gesellschaft.

Was steckt hinter dem Phänomen?

Korunka: Es betrifft vor allem jene TätigkeiAB WAnn WIrD AuTOnOMIe Zur BeLASTunG? WAS IST Zu VIeL AuTOnOMIe? ten, die durch Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt werden. Je zentraler diese Technologien für eine Tätigkeit sind, desto ausgeprägter ist die soziale Beschleunigung anzutreffen. Während der Aspekt der Informationstechnologie bereits länger etabliert ist, können wir beobachten, dass sich vor allem der Kommunikationsaspekt stark intensiviert. Bereits eine so simple Technologie wie E-Mail ermöglicht rasche Antworten und führt zu schnelleren Kommunikationszyklen.

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Es verändern sich aber nicht nur die Technologien, sondern auch die Rahmenbedingungen der Arbeit …

Korunka: Grundsätzlich geht der Trend, auch systemimmanent, hin zu mehr Flexibilisierung. Flexibilisierte Wirtschaftsbedürfnisse wie Just-In-Time-Delivery erzwingen neuartige Wirtschaftsrahmenbedingungen, eben flexiblere Formen der Beschäftigung: mehr neue Selbstständige, mehr Arbeitnehmer mit All-In-Verträgen. Das trägt zu einer Polarisierung des Arbeitsmarktes bei: einerseits mehr Arbeitslose und andererseits Beschäftigte, die mehr und entgrenzter arbeiten.

Zu Beginn des Jahrhunderts hat man auch sehr viel über flache Hierarchien als neue Form der Organisation gesprochen.

Korunka: Das Management by Objectives – also, Arbeit über Ziele zu definieren – ist sicherlich eine entscheidende Veränderung mit paradoxen Effekten. Es bedeutet mehr Autonomie und Freiheit, aber auch mehr Leistungsdruck.

Würde der Lehrsatz der Arbeits- und Organisationspsychologie nicht prinzipiell lauten, dass mehr Autonomie besser ist als weniger?

Korunka: Ja. Im Moment wird daher die Frage der Grenzen der Autonomie intensiv diskutiert: Ab wann wird mehr Autonomie zur Belastung? Was ist zu viel Autonomie? Es ist ähnlich wie bei Vitaminen. Bis zu einer gewissen Dosis sind Vitamine gesund, aber bei einer Überdosierung können sie auch schädlich sein. Dieses Mehr an Autonomie hat eben zwei Seiten. Zu den positiven Effekten zählen sicherlich die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Preis dieser Effekte könnte die Verdichtung der Arbeit sein.

In Ihrem Vortrag haben Sie das Credo der Arbeits-

Foto: Privat

chrISTIAn KOrunKA

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und Organisationspsychologie mit Verhältnisvor Verhaltensprävention beschrieben. Ist eine Veränderung der Verhältnisse bereits abzusehen?

Korunka: Der grundsätzliche Fokus meines Fachs liegt mehr auf den Strukturen als auf den einzelnen Menschen. Es hat daher eine gesellschaftskritische Ausrichtung. Was die nun GIBT eS eIne erheBunG Der PSYchISchen BeLASTunG BeI ArBeITnehMern

Illustration: Georg Feierfeil

Disziplin selbst tun kann, ist, auf die Bedingungen hinzuweisen. Das ist der erste Schritt und das passiert auch gerade. Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt und es gibt jetzt erstmals eine Erhebung der psychischen Belastungen bei Arbeitnehmern in Österreich.

Wie reagieren die Unternehmen auf die Folgen dieser Entwicklung?

Korunka: Wir arbeiten auch selbst mit Unternehmen zusammen und begleiten dort Prozesse zur Bekämpfung psychischer Belas-

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tungen. Diese zeigen durchaus Wirkung. Eine Evaluierung solch komplexer Phänomene ist aber immer schwierig, weil diese Phänomene schwer zu quantifizieren sind. Auf der Ebene weicher Indikatoren lässt sich aber feststellen, dass die Zufriedenheit steigt und die wahrgenommene Belastung sinkt. Mittelfristig führt das zu höherer Gesundheit in der Arbeitswelt und mehr Produktivität.

Was lässt sich auf Seiten der Verhaltensprävention bewerkstelligen?

Korunka: Auch hier ist es wichtig, die Bedingungen zu erkennen und zu beschreiben, um entsprechende Informations- und Beratungsangebote gestalten zu können. Dieses Mehr an Autonomie bedeutet, dass die Arbeitnehmenden, auch in einem positiven Sinne, auf sich selber zurückgeworfen sind und selber gestalten können. Im Kontext einer entgrenzten Arbeitswelt bedeutet das aber auch, selbst Grenzen zu setzen, sofern das möglich ist.

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Lesen dehnt die Lebenszeit Von der Beschäftigung mit unserer Z e I T K u LT u r in der literaturwissenschaftlichen Forschung VON SABINE EDITH BRAUN

inge es nach der Anglistik, bräuchten wir G uns keine Sorgen zu machen. Wir hätten wohl kaum Stress und viel Muße. Doch

wir sind gestresst, und zwar 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche. „Von einer Beschäftigung mit dieser Zeitkultur der Beschleunigung ist in der literaturwissenschaftlichen Forschung nichts zu entdecken“, bemerkt Ansgar Nünning vom Institut für Anglistik an der Universität Gießen.

Dies sei ein Versäumnis, denn in der englischsprachigen Literatur werde unser Zeitregime sehr wohl dargestellt.

Dies geschehe auf zwei Arten: „Die erste möchte ich die Mediatisierung des Erzählens nennen.“ Bestes Beispiel, sagt Nünning, sei Jennifer Egans Twitterroman „Black Box“ (2013) oder, ganz aktuell, Marisha Pessls Thriller „Night Film“, wo der Leser mittels QRCode sich interaktiv ins Geschehen schalten kann – um etwa genau jenen Song zu hören, den eine Figur im Roman gerade hört. „Ein multimodales, multimediales Erzählen“, so Nünning.

Die zweite Form verkörperten Romane in herkömmlicher „epischer Breite“. Sie widmen sich dem herrschenden Zeitdruck und Zeitmangel thematisch.

Hier führt Nünning Dave Eggers’ „The Circle“ (über den Arbeitsalltag bei einem Megakonzern à la Google) oder Jonathan Franzens „Purity“ (spannt den Bogen von der Stasi bis zu Wikileaks) als Beispiele an.

An „Purity“ zeige sich, wie die Literatur die

Ansgar nünning, Professor am Institut für Anglistik der Universität Gießen

Der BeSchLeunIGunG

turen, die dem Individuum Gestaltungsspielräume zurückgeben.“ So könne der Leser ein wenig von seiner Zeitsouveränität zurückgewinnen. Wichtig hierfür sei ein Tempo der Achtsamkeit, und zwar nicht nur beim Lesen. „Ein Achtsamkeitstempo kann nur so schnell sein, dass wir eine Situation aufmerksam und genau wahrnehmen können – im Hier und Jetzt.“ Auch wenn das Achtsamkeitstempo weit über die Literatur hinausgeht, so stelle zumindest jeder gute Erzähltext eine „Schule der Achtsamkeit“ dar. Eine Meisterin darin sei Virginia Woolf, etwa mit ihrem Text „Kew Gardens“, wo sie den bedächtigen Weg einer Schnecke durch den Park beschreibt. „Jeder kann selbst über seine Zeit entscheiden“, resümiert Ansgar Nünning, „und die Literatur kann uns dabei helfen: Lesen dehnt die Lebenszeit!“

JeDer KAnn üBer SeIne ZeIT e n T S c h e I D e n . D I e L I T e r AT u r K A n n DABeI heLFen Wiedergewinnung von komplexeren Zeit vorstellungen ermöglichen könne: „Durch das 24/7 haben wir das Empfinden zyklischer Zeitformen wie der Jahres- oder Tageszeiten verloren“, sagt Ansgar Nünning. Jonathan Franzen aber erzähle gleichermaßen zeitraffend, zeitdeckend und zeitdehnend – entsprechend dem Konzept der Multitemporalität von Hartmut Rosa. „Rosa meint damit das Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Zeitstruk-

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Es gibt keine globale Einheitssprache Harald Haarmann, der neun Sprachen spricht und elf passiv versteht, über D I e V e r Ä n D e r u n G u n D W e I T e r e n T W I c K L u n G von Sprachen Haarmann: Für traditionelle Plansprachen besteht kein Bedarf mehr, das Englische hat transnationale Eigenschaften angenommen.

Doch neue Sprachen entstehen auch heute: Auf dem Balkan herrschte bis Anfang der 1990er das Serbo-Kroatische vor, das viele regionale Varianten überdachte. Mit dem Zerfall Jugoslawiens ging die sprachliche Einheit verloren. Jetzt werden drei neue Sprachen mit regionaler Verbreitung verwendet: Kroatisch, Serbisch, Bosnisch. In den Wohnvierteln von Flüchtlingen in Paris, London und Berlin haben sich lokale Pidgins herausgebildet. Wenn sich diese Fusionsvarianten im Generationenwechsel als Muttersprachen tradieren, entstehen neue Kreolsprachen.

VON SABINE EDITH BRAUN

Herr Haarmann, was macht eigentlich die Archäolinguistik?

Harald Haarmann: Mit geeigneten Methoden herausfinden, wie sich unsere moderne Sprachenwelt entwickelt hat. Die Archäomythologie erkundet alte Überlieferungen, und wie deren Inhalte durch archäologische Erkenntnisse abgesichert werden können. In Zeiten des Umbruchs machen sich Menschen verstärkt auf die Suche nach den Ursprüngen ihrer Sprachen, Kulturen und Wertvorstellungen. Dies ist Teil unserer Identitätsfindung – im Einklang mit der Absicherung unseres Kulturerbes als Europäer.

harald haarmann, Leiter des europäischen Zweigs des US-amerikanischen Institute of Archaeomythology

Wie schätzen Sie das Klingonische ein?

Haarmann: Diese Kunstsprache ist ganz gut gelungen. Sie bietet einen Kontrast zu den simplizistischen Sci-Fi-Produktionen, wo alle Aliens fließend Englisch sprechen. Wird der Zuschauer mit einer exotischen Sprache konfrontiert, gibt das dem Geschehen ein realistisches Flair.

Viele Plansprachen haben heute keine Bedeutung mehr. Können neue Sprachen auf natürlichem Weg entstehen?

Fotos: ÖFG; Illustration: Georg Feierfeil

Sie sprechen neun Sprachen, haben passive Kenntnisse in elf weiteren. Welche hat sich am meisten verändert?

Haarmann: Das Katalanische. Von einer vom Spanischen unterdrückten Minoritätssprache wurde es zu einer regionalen Amtssprache aufgewertet. Ähnliches gilt für das Galicische, das ich lesen kann, und das Baskische, dessen grammatischer Bau und Grundwortschatz mir vertraut sind. Das Finnische, meine Heimsprache, hat sich zu einer modernen, mit technologischem Spezialwortschatz ausgerüsteten Sprache gemausert.

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Sind wir auf dem Weg zur globalen Einheitssprache?

Haarmann: Nein, dafür besteht kein Bedarf.

Die vermehrte Internetpräsenz von immer weiteren Sprachen hat einen unumkehrbaren Emanzipations-Boom ausgelöst. Die Identitätsfindung der heutigen Kulturnationen ist bilingual kodiert: Zur Festigung des sozialen Zusammenhalts innerhalb der lokalen Gemeinschaft dient die heimische Sprache, für die globale Kommunikation eine der Weltsprachen, meist Englisch.

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Aufgabe der Physik: Zukunft voraussagen Seit Albert Einsteins Relativitätstheorie spricht man in der Physik von der r A u M Z e I T. Welche neuen möglichkeiten eröffnet sie? Ötzi lediglich den einen Vorteil, exakt reproduzierbar zu sein, weil jedes Caesiumatom im Universum gleich ist.

Herr Schuller, Ihr Vortrag trägt den Titel „Zeit in der Thermodynamik und im Kosmos“ …

Frederic P. Schuller: Ich möchte vorwegnehmen, dass man aufgrund der Allgemeinen Relativitätstheorie nur von Zeiten, nicht von einer einzigen Zeit sprechen kann. Die Zeit, die eine Uhr anzeigt, hängt von der Geschichte dieser Uhr ab, womit gemeint ist, wann sie sich wo befunden hat.

Was bedeutet der Begriff Zeit in der Physik?

Schuller: Quantitativ ist Zeit einfach das, was eine Uhr misst. Damit ist Zeit in den Rechnungen des Physikers einfach eine Zahl.

Qualitativ spielt diese Zahl allerdings eine ganz besondere Rolle: Sie taucht in den Bewegungsgesetzen der Physik auf und bestimmt, wie weit in die Zukunft hinein man eine Vorhersage machen möchte. Ziel der Physik ist nämlich nicht mehr und nicht weniger, als die Zukunft vorauszusagen. Dazu dienen die Bewegungsgesetze, etwa das aus der Schule bekannte Newtonsche Gesetz, das die Beschleunigung der Bahnkurve eines Teilchens in Beziehung setzt zu den auf das Teilchen wirkenden Kräften. Damit kann man aus Anfangsort und Anfangsimpuls eines Teilchens seine Zukunft berechnen.

Frederic P. Schuller, Professor am Institut für Quantum Gravity der Universität ErlangenNürnberg

Wenn Zeit das ist, was eine Uhr misst, muss ich fragen: Was genau ist eine Uhr? Schuller: Das ist eine hervorragende Frage! Und die Antwort mag verblüffen: JedweeS LÄSST SIch nIchT SIcher SAGen, DASS MAn KeIne ZeITMASchInen BAuen KAnn de Materie stellt eine Uhr da. Und zwar eine perfekte! Betrachten Sie beispielsweise Ötzi.

Dessen Altersbestimmung per C14-Methode ist nichts anderes als eine Uhr. Und Ötzi tickt perfekt. Vergleicht man ihn mit einer Caesium-Atomuhr, so mag diese Aussage etwas merkwürdig anmuten. Dabei ist es nur sehr schwierig, wenn nicht praktisch unmöglich, aufgrund der Komplexität von Ötzi und den Umweltbedingungen, denen er ausgesetzt war, die Ötzi-Zeit auf die Atomuhrzeit umzurechnen. Atomuhren haben gegenüber etwa

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Damit reduziert sich das Studium von Zeit letztlich auf das Studium von Materie?

Schuller: Ganz genau! Um Zeit zu verstehen, muss man die Materie verstehen. Mithilfe des Standardmodells der Physik und der Bewegung der Quanten gelingt uns das heute umfassend – bis wir irgendwann neue Materie entdecken, wie es etwa die Spekulationen zu dunkler Materie nahelegen. Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie stimmt, sind wohl 95 Prozent der Materie-Energie im Universum nicht durch das Standardmodell abgedeckt.

Kann man eine Zeitmaschine für eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit bauen?

Schuller: Mit der Materie des Standardmodells wohl eher nicht. Aber es gibt Rechnungen, die nahelegen, dass exotische Materie mit gar nicht so exotischen Energie-ImpulsEigenschaften durchaus zu Raumzeiten führen kann, in der es Zeitschleifen gibt. Damit lässt sich nicht sicher sagen, dass man keine Zeitmaschinen bauen kann, aber es würde mehr Probleme aufwerfen als lösen.

Jetzt reden Sie aber nicht mehr von Zeiten, sondern von einer Raumzeit …

Schuller: Aha, Sie haben mich erwischt. Die vielen verschiedenen Zeiten, die Uhren mit verschiedenen Geschichten anzeigen, kodiert man elegant in der Struktur einer einzigen vierdimensionalen Raumzeit. Deren Struktur besteht im Wesentlichen aus einem an jedem Punkt befindlichen kleinen Halbkegel. Gemäß der Einstein-Gleichungen sind diese Halbkegel dann in bestimmter Weise angeordnet, bestimmt durch die Materie in der Raumzeit. Eventuell werden diese Halbkegel dann noch von einer Gravitationswelle durchgerüttelt.

Sie sprachen eben von Materie außerhalb der Beschreibung des Standardmodells der Teilchenphysik. Bestimmt solche exotische Materie dann die Raumzeit ebenfalls gemäß der Einsteinschen Gleichungen?

Schuller: Nein. Wenn man Materie mit hin-

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reichend anderer Kausalität als der des Standardmodells beobachtet, dann wäre die Allgemeine Relativitätstheorie mausetot.

Dann bräuchte man einen neuen Einstein, der alles wieder von Neuem entwickelt?

Schuller: Glücklicherweise nicht. Mit meiner Gruppe am Max-Planck-Institut und an der Uni in Erlangen habe ich zeigen können, dass man einen Satz von Gleichungen aufstellen

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kann, in die man eine beliebige Quantentheorie der Materie einfüttern kann und als Lösung die neuen Gravitationsgleichungen bekommt. Füttert man das Standardmodell ein, erhält man die Allgemeine Relativitätstheorie. Ist man mit exotischen Materiegleichungen konfrontiert, erhält man daraus dann stattdessen die dazu passende Gravitationstheorie. Wir sind aufgrund dieses wertvollen Ergebnisses jetzt also gerüstet!

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Vom Spatial Turn zum Performance-Wurm gibt es nur im Verhältnis zum Raum, heißt es in der modernen Philosophie.

Wie speziell geformt die zeit sein kann, ist im musikalischen genuss wahrnehmbar VON BARBARA fREITAg

einer indogermanischen Herkunft nach SEinbedeutet das Wort Zeit das „Abgeteilte“. klarer Hinweis auf eine räumliche Di-

mension, wie der Philosoph und Soziologe Stephan Günzel von der Berliner Technischen Kunsthochschule meint. Im Zeichen des Spatial Turn, der in den 1990ern Einzug in die Kulturwissenschaften hielt, müsse man Konsequenzen ziehen und dürfe sich in der Philosophie nicht länger auf eine Mystifizierung der Zeit zurückziehen. Nun gelte es, die umfassende Räumlichkeit zu akzeptieren. „Letztlich sind Zeitbeschreibungen immer darauf angewiesen, auf Raum zu rekurrieren, wie auch aus den Worten ‚Vergehen‘, ‚Ablauf ‘ oder ‚Augenblick‘ hervorgeht.“ Die Mystifizierung von Zeit habe spätestens mit der Behauptung einer „Anschauung“ durch Immanuel Kant ihren Anfang genommen. Er hat ihr einen Platz im menschlichen Wahrnehmungsapparat zugeschrieben. In der Tradition des kartesischen Dualismus wurde die Zeit als Veränderung und Bewegung von Körpern in das Innere des Subjekts verlagert. Mit Henri Bergson erreichte die philosophische Verklärung der Zeit gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Da wurde über die Form von Zeit als Objektbewegung hinaus ein reines Sein der Zeit als eigentlicher Wesenszug des Lebendigen behauptet.

Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts kamen wichtige Impulse für eine Neubewertung des Begriffs aus der Sprachphilosophie.

Werner Goebl, Professor an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien

Stephan Günzel, Professor für Medientheorie an der Berliner Technischen Kunsthochschule

ZeITBeSchreIBunGen SInD DArAuF AnGeWIeSen, AuF rAuM Zu reKurrIeren Fritz Mauthner etwa führte die Behauptung einer getrennten Existenz von Raum und Zeit auf den Gebrauch von Substantiven und Verben zurück. John McTaggart wies in seinem „Irrealitätsbeweis der Zeit“ nach, dass die drei existentiellen Dimensionen der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, nur insofern real seien, als sie auf relationale Ordnungsschemen von vor und nach zurückgeführt werden könnten.

Neue Raumtheorien ließen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts solche

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Konzeptionen von Zeit obsolet werden. Wie zum Beispiel der poetische Ansatz von Gaston Bachelard. Er wies auf die vorgängige Verräumlichung in philosophischen Texten hin. Michel Foucault erweiterte Bachelards Ansatz auf historische Räume. Und schließlich ging der soziologische Ansatz von Henri Lefebvre, für den Raum gesellschaftlich produziert ist, aus der Dialektik von Erfahrung und Begriff hervor.

In der Musik wird die Zeit als strukturierendes Element der Wahrnehmung angenommen. „Die Musik ist eine Kunstform, die über die Zeit abläuft. Die Zeit in der Musik ist in einer ganz speziellen Weise geformt. Sie wird von sich mehr oder weniger gleichmäßig wiederholenden periodischen Ereignissen bestimmt, den Tönen, die wir Menschen als Puls, als Takt oder als Beat wahrnehmen“, sagt Werner Goebl von der Uni für Musik und darstellende Kunst in Wien. In diesem Pulsgerüst erleben die Zuhörer die rhythmische Gliederung der einzelnen Töne und können diese ganz selbstverständlich in hierarchische und metrische Strukturen einteilen.

Selbst musikalisch nicht ausgebildeten Menschen falle es leicht, den Beat eines Musikstückes zu klopfen oder sich im Takt zu bewegen.

Vor allem in einem klassischen Konzert kommt der zeitlichen Gestaltung der einzelnen Noten eine zentrale Rolle zu. Sie wird in der künstlerischen Realisation einer Partitur neben Dynamik, Artikulation und Intonation zu einem der wichtigsten Ausdrucksparameter der musikalischen Interpretation.

Auf wissenschaftlicher Ebene versucht etwa die empirische Performance-Forschung, den musikalischen Ausdruck als eine ästhetische Abweichung von der Regularität der Partitur zu definieren und diese durch akribische Messung zu quantifizieren.

Der Musikwissenschafter Goebl entwickelte am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence ein besonderes Visualisierungstool. Mit dem PerformanceWurm lassen sich Aspekte der Interpretation von Klavierstücken berühmter Pianisten in eine Animation transferieren und in Echtzeit, synchron zur Musik, sichtbar machen. Aus der systematischen Analyse solcher Visualisierungen könne man dadurch

Fotos: Alexander Mayer, ÖFG

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stilistische Eigenarten der Pianisten identifizieren und quantifizieren. Mit dem Performance-Wurm konnte Goebl zum Beispiel Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Parametern Lokales Tempo und Lautheit bei Friedrich Gulda und Alfred Brendel gut erkennbar darstellen.

Spannend ist auch das Phänomen des Tempo Rubato, ebenfalls ein zeitlicher Aspekt der musikalischen Interpretation. Im 18. Jahrhundert bedeutete der italienische Terminus, dass in der Ausführung einer Me-

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lodiestimme irgendwo Zeit genommen wird, die dann später, in Relation zu einem metrischen Gerüst, zurückgegeben werden muss.

Ursprünglich traten Synchronisation und bewusste Asynchronizität zwischen Gesangsstimme und Begleitung auf und wurden später am Klavier imitiert. Frederic Chopin etwa war ein Anhänger des Rubato.

Im Jazz ist das ausdrucksvolle Beschleunigen und Verlangsamen auch heute noch beliebt. Billie Holiday und Frank Sinatra waren Meister dieses Stilmittels.

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Der nachhaltige Gestalter ihm und seinen n e u e n F O r M e n D e r r e L I G I O n im gegenwärtigen Erdzeitalter Anthropozän widmet sich die Religionswissenschaftlerin Anne Koch Koch: Lange war es ja so, dass die noch im klassischen Sinne verstandenen Religionen oder Herrscherhäuser und Dynastien Zeit strukturiert haben. Da gab es vor allem lineare oder zyklische Zeitmodelle. Sie beinhalteten oft eine Art Untergang oder Transformation, die man durchstehen musste.

rau Koch, die Religionswissenschaft von FRolleheute ist eine Kulturwissenschaft. Welche spielt hier die Religion?

Anne Koch: Religionswissenschaft heißt die Disziplin zwar, aber Religion gehört nicht zur Metasprache. Das heißt, es gibt nicht eine Definition von Religion, sondern eine Geschichte des Diskurses Religion und eine Ideen- und Begriffsgeschichte zu Religion und Religionstheorien. Mich interessieren nicht nur das Christentum, als Mastermodell zu Religion, die Hindureligionen, Islam oder buddhistische Strömungen usw. Mich interessiert alles, was normativ ist, ein System darstellt und in einer bestimmten Gesellschaft eine Wirkkraft entfaltet, also zum Beispiel mit starken Emotionen oder Ritualen umgeben ist. Diese normativen Ordnungen müssen nicht bewusst sein, denn mal ist es die Werthaltung hinter den Dingen, mal sind sie in den Praktiken versteckt. Deswegen gehört auch Managementliteratur, wo es um den idealen Menschen und ideale Führung geht, zum Gegenstandsbereich heutiger Religionswissenschaft.

Anne Koch, Professorin für Religionswissenschaften an der Universität Salzburg

Wie interpretieren Sie als Religionswissenschafterin das Phänomen Zeit?

Koch: Wir haben es erstens immer mit fabrizierter Zeit zu tun: Zeitvorstellungen, Zeitmodellen, Dramatisierungen, Zuspitzungen von Zeit. Und zweitens, wenn wir über Zeit reden, dann bezwecken wir schon etwas, dann handeln wir etwas aus. Was das ist, gilt DIe neuen MeDIen SPIeLen eIne GAnZ GrOSSe rOLLe Für reLIGIOn es herauszufinden. Stress, zum Beispiel, hat etwas mit einer Bewertung von modernem Arbeitsleben zu tun. Da geht es um die Verknappung von Zeit im neoliberalen Interesse, um sie zu monetarisieren und kostbarer, sprich teurer, zu machen. Oder die Angst um die Länge der Lebenszeit oder lebensverlängernde Maßnahmen, die in der Medizinethik diskutiert werden, da geht es um viel mehr, das lediglich in Zeitsprache verhandelt wird.

Wie sahen die Zeitmodelle früher aus?

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Was hat sich seit damals geändert?

Koch: Es geht jetzt nicht mehr so sehr um den Schöpfergott oder ein erschaffenes System, das die Welt am Laufen hält. Mit der Rede von Anthropozän ist der Mensch auf die Bühne getreten als nachhaltiger Gestalter der Erdoberfläche. Das heißt, der lange gültige Rahmen, dass Religionen die Stabilität oder die Gesetze des Weltgeschehens vorgeben, ist verloren.

Was bedeutet das nun für den nachhaltigen Gestalter?

Koch: Menschen und ihre Gesellschaften sind auf ihr Handeln zurückgeworfen und müssen dieses reflektieren: Welche Technologien lasse ich zu, welche ethischen Richtlinien möchte ich als geltende haben. Das bedeutet, es ist viel anspruchsvoller geworden sich zu einigen, da man jetzt immer ganz viele Ansichten hat, einen viel größeren Pluralismus. Das sind eben auch starke Veränderungen, die mit einer Art Verlust von Religion zu tun haben. Das ist gleichzeitig aber auch die Chance für andere Formen von Religion.

Und wie sehen diese anderen Religionsformen aus?

Koch: Also da gibt es viele kleinere Firmen und Einzelanbieter als Selbstunternehmer, die auf den Plan treten und Angebote machen in Bezug auf Zeitmanagement, erfüllte Zeit, Rituale für den Übergang zwischen bestimmten Lebensphasen – all diese klassischen Initiationsleistungen, die Religionen angeboten haben. Da sind immer mehr neue Akteure am Werk als Dienstleistungsanbieter für Sinnprodukte, für existenzielle Begleitungen, zum Beispiel Neo-Schamanen, die Kontakt herstellen zu inneren Wirklichkeiten, um zu entlasten usw.

Sind Neue Medien auch ein Thema für die Religion?

Foto: Tristan Vostry

VON ALMINA MAHMUTOVIC

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Illustration: Georg Feierfeil

Koch: Die Neuen Medien spielen eine ganz große Rolle für Religion. Zum einen, weil sie Peripherie und Zentrum ändern. Also ein Frauenkloster auf den Philippinen ist über die sozialen Medien genauso eng an bestimmte Debatten oder Events wie Gebetstage angeschlossen, wie das bislang nur in Mitteleuropa oder Nordamerika der Fall war.

Das kann in einer gewissen Weise, wenn das Land freien Zugriff zum Internet hat, zu einer größeren Gleichstellung führen. Und das andere ist, dass Religionen sich darüber noch mal anders organisieren können.

Sie haben erwähnt, dass die Wirtschaft auch zum Gegenstandsbereich der heutigen Religionswissenschaft zählt …

Koch: Ich habe zum Beispiel untersucht, wie in manchen Wirtschaftsberatungsfirmen neo-schamanische Techniken angewendet werden, wie Fantasiereisen oder Kraftquellen. Die heißen dann natürlich anders, aber zum Teil haben Coaches sogar eine schamanische Ausbildung. Oder die Jesuiten, die so eine Art Achtsamkeitsübung machen, wo sie sich mit Managern hinsetzen und schweigen.

Nach drei Minuten fragen sie dann den Mana-

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ger, was in den drei Minuten passiert ist usw.

Man merkt, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir fragen: Ist das jetzt Religion oder nicht? Es gibt da eine unglaubliche Wechselwirkung, die über gesellschaftliche Teilbereiche hinweg stattfindet.

Das heißt also, dass die Religion nach wie vor einen Einfluss auf die heutige Zeit hat?

Koch: Unbedingt. Einerseits in solchen ,gebrochenen’ Formen, die ich angesprochen habe, und andererseits in bestimmten religiösen Festen. Wie sehr die Feste jetzt noch religiös sind oder durch die Konsumkultur einen säkularistischen Eventcharakter bekommen haben, das ist eine andere Frage. Selbst wenn es noch Weihnachten und Ostern heißt. Und das andere ist, was ich in nachindustrialisierten Wissensgesellschaften beobachte, dieser unglaubliche Bedarf, wieder im Moment anzukommen und nicht hier zu ,appen‘ und dort fünf Fenster gleichzeitig auf dem Laptop offenzuhaben. Also nach Fokussierung scheint eine große Nachfrage zu bestehen. Und dafür werden dann auch als ,religiös‘ angepriesene Psychotechniken angeboten, die helfen, wieder ganz im Hier und Jetzt zu sein.

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Publikationen der ÖFG Eine Auswahl

neuerer Bücher

Reihe des Österreichischen Wissenschaftstages: Wissenschaft.

Bildung. Politik. Band 16: Kommunikation – Objekt und Agens von Wissenschaft. Hg Reinhard Neck, Heinrich Schmidinger und Susanne Weigelin-Schwiedrzik, 2013, Böhlau, 202 Seiten, 978-3-205-79489-9

Ob wir hypothesengetrieben arbeiten oder meinen, die Erkenntnisse voraussetzungslos dem Gegenstand entlocken zu können, der Prozess der Erkenntnisfindung ist in der Wissenschaft ein Dialog des Forschenden mit dem Gegenstand der Forschung und damit auch ein Prozess der Kommunikation. Sie ist der Wissenschaft inhärent und zugleich in vielen Wissenschaftsdisziplinen selbst ein Gegenstand der Forschung. Sie ist aber auch das wichtigste Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Ohne diese zusätzliche Funktion von Wissenschaft in der Gesellschaft würde sich die Wissenschaft der Fähigkeit berauben, ihre Erkenntnisse in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen und im Dialog mit dieser Öffentlichkeit neue Anstöße für die Forschung zu identifizieren.

Band 17: Wissenschaft – Agens oder Ergebnis globaler Dynamik?

Hg. Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger.

2014, Böhlau Verlag 160 Seiten. 978-3-205-79648-0

Die Beiträge dieses Bandes umfassen ein breites Spektrum von Wissenschaftsdisziplinen und versuchen, Mosaiksteine zur Beantwortung der Frage zu liefern, wie weit Erkenntnisse der Forschung als Motor die Gesellschaft steuern oder umgekehrt die Wissenschaft gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt. Der Bogen reicht vom spätmittelalterlichen Universalienstreit über die Energiewende, dem medizinischen

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im Umfeld der Forschungsgemeinschaft

Fortschritt und die damit verbundene Auswirkung auf die demografische Entwicklung bis hin zu den Grenzen und Bedingungen universeller Normsetzung in einer globalisierten Welt.

Dabei werden die Wechselwirkungen von Technik und Gesellschaft, Technologie und Wirtschaftswachstum sowie aktuelle Krisen in Politik und Wirtschaft thematisiert.

Band 18: Wahrheit in den Wissenschaften.

Herausgegeben von Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger.

2015, Böhlau Verlag, 178 Seiten. 978-3-205-20261-5

Dem heutigen Stellenwert des Themas „Wahrheit“ in den verschiedenen Wissenschaften nachzugehen, ist Inhalt des Bands. Die Diskurse darüber haben existenzielle Relevanz für eine Gesellschaft westlichen Zuschnitts, in der Wahrheit einerseits weltanschaulich pluralisiert auftritt, in der andererseits eine demokratische Verständigung auf das, was in normativem Sinne als wahr zu gelten habe, zugleich notwendig bleibt; für eine Gesellschaft aber auch, für die in globalisiertem Maßstab und in weltweiter Dynamik die mediale, ökonomische, technologische und politische Erzeugung von Wahrheit den Vorrang vor interesselosen Argumentationen über Wahrheit zu haben scheint.

Staatliche Aufgaben, private Akteure. Band 1: Erscheinungsformen und Effekte. Hg. Claudia Fuchs, Franz Merli, Magdalena Pöschl, Richard Sturn, Ewald Wiederin, Andreas W. Wimmer. 2015, Manz, 226 Seiten. 978-3-214-00982-3

Private Akteure übernehmen heute vielfach staatliche Aufgaben, von der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen über die Marktzulassung von Produkten bis zur Unterbringung von

Asylwerbern. Band 1 bietet eine Einführung aus historischer, ökonomischer und politikwissenschaftlicher Sicht sowie eine rechtliche Analyse der Bereiche Regelbildung, Leistungserbringung, Wissensbeschaffung, Bewertung und Kontrolle.

Kulturelle Dynamiken/ Cultural Dynamics – Memorialisation. Hg. Sabine Coelsch-Foisner unter Mitarbeit von Christopher Herzog und Sophie Allen. 2015, Universitätsverlag Winter, 170 Seiten.

978-3-8253-6396-3

Asking how we cope with change and compensate for loss, both cognitively and culturally, ‘Memorialisation’ brings together leading scholars in museum studies and art history, literature and trauma studies, theology, psychiatry, neuroscience and cultural anthropology. In nine papers, this book traces the changing role of cultural vehicles for memorialisation and offers thought-provoking insights into biological, economic and political reasons for collecting and museumbuilding as well as into the practice of forensic archaeology pushed by sites of atrocity and genocide.

Der Gordische Knoten – Lösungsszenarien in Wissenschaft und Kunst. Hg. Wolfgang Gratzer und Otto Neumaier. 2014, Lit, 224 Seiten. 978-3-643-50557-6

Lösungsszenarien für schier unüberwindliche Probleme spielen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst eine Rolle. Zu den frühesten Beispielen für ein solches Problem und seine unorthodoxe Lösung gehört die bekannte Rede vom Gordischen Knoten. Gibt es Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Ansätzen? Der Klärung solcher Fragen widmen sich die Beiträge im vorliegenden Band.

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