Anzeiger 12/17

12 2017

anzeiger

Das Magazin für die österreichische Buchbranche

Viele gute Ideen!

Datenschutz – aber wie?

Wiener Schmäh und Strizzis

Beispiele aus aller Welt zeigen: Innovation im Buchhandel ist nicht nur möglich, sondern bitter notwendig

Ab Mai 2018 gibt es neue Regeln für den Datenschutz. Was bedeutet das für die Buchhandelsbranche?

Gerhard Loibelsberger, Ur-Wiener, „Punk im Kopf“ und Krimiautor, erzählt uns, wann ihm das Speiben kommt

Der neue große Roman von

Bernhard Schlink m eint a Ersch nuar 12. Ja 2018

Ö s t e r r e i c h i s c h e P o s t A G F i r m e n z e i t u n g / G Z 0 2 Z 0 3 0 8 7 7 M / 1 5 2 . J a h r ga n g

Bernhard Schlink Olga Roman · Diogenes

320 Seiten, Leinen, € (A) 24.70, auch als eBook und Hörbuch erhältlich

Eine Frau, die kämpft und sich findet, ein Mann, der träumt und sich verliert – ihre bewegende Liebe, verschlungen in die Irrwege der deutschen Geschichte.

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– Inhalt –

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Gastkommentar Anwalt Alexander Koukal erklärt, was die neue Datenschutzver­­ordnung für die Branche bedeutet

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Fürchtet euch!

Das neue Jahr bringt Spannendes im Krimi- und Thriller-Genre

Persönlich Ungewöhnliche Ideen und neue Horizonte für den Buchhandel

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Jochen Jung

thema

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Kurz gesagt Sind Bücher zu billig? Menschen aus der Branche sagen ihre Meinung

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Essenziell Innovation im Buchhandel – was ist das? Und vor allem: Wie geht das?

Wir haben weltweit gute Geschäfts- ideen aufgespürt

lyrik

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Der Verleger verrät, wann ein Buch für ihn schön ist

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Beatrice Baumann Die Buchhändlerin hat sich die Ostsee nach Graz geholt

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Michael Sulzmann Der Ex-Fußballer hat auch als Antiquar immer ein Ziel vor Augen

Selbstredend Ein Gedicht Lyrik von Florica Madritsch Marin, kommentiert von Erwin Uhrmann

Würth-Preis für Literatur geht an Christoph Ransmayr

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Gutenberg-Galaxie Heinrich Böll, Martin Luther und Anna Karenina treffen in der Galaxie auf eine Schulbuch-App

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Beatrice Baumann hat ein Segelboot in ihrer Buchhandlung

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Kurzmeldungen Personalia Ehrenkreuz für Alexander Potyka Christoph Ransmayr erhält Würth- Preis für Europäische Literatur Staatspreis für Evelyne Polt-Heinzl „Goldener Plachutta“ ist Platinbuch HVB wechselt zu Media Control Runde Jubiläen der HVB-Mitglieder

28 Gerhard Loibelsberger erzählt von

Wäschermädeln und Wiener Strizzis

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Kramers Kinderstube

Weihnachtsfrieden

klassiker

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Klassiker Gullivers Reisen, Jonathan Swift

Standards marktdaten monatsbestseller Titelschutz Impressum

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I l l u s t r a t i o n : G e o r g f e i e r f e i l , F o t o s : M a g d a l e n a w e y r e r , k a n i z a J m a r ij a , C h r i s t o p h e r M a v r i č

wissenswert

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– Kurz gesagt –

Zu billig?

Oft heisst es, Buchpreise werden zu niedrig festgelegt.

Stimmt das? Und würde die kundschaft teurere Bücher kaufen?

Fotos: Fri eder Blickle, Sch nappschuetzen, Tobias Schmitzberger, Brigitte Bouroyen

Anhebung insgesamt wünschenswert.

Ja, bis jetzt sind Bücher zu billig. Es wäre für die gesamte Branche wünschenswert, wenn sich die Ladenpreise insgesamt langsam anheben ließen. Wir haben bis voriges Jahr etwa 15 Jahre lang dieselben Buchpreise beibehalten. Was das bei steigenden Allgemein- und Lohnkosten für Unternehmen bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. So verschieden die WarenLudwig Paulmichl, gruppen sind, so verschieden lassen sich Folio Verlag natürlich auch die Preise gestalten. Aber prinzipiell verträgt der Käufer oder die Käuferin eine Anhebung locker, wenn er oder sie dem Buch den Wert eines Nahrungs- und eines Genussmittels beimisst. Die Waren aus der Unterhaltungsindustrie oder der Gastronomie sind ja auch nicht geschenkt.

„Unsere Branche hat es in den letzten Jahren verpasst, die Preise angemessen anzuheben“ Kundschaft würde mehr zahlen.

Der Buchpreis bewegt sich zwischen 0,99 Euro für ein E-Book und bis zu 1.000 Euro für antiquarische Sammelobjekte. Je nachdem wie begehrt ein Titel ist, kann ein niedriger, aber auch ein hoher Preis angemessen sein. Allerdings ist der durchschnittliche Neupreis seit 1999 kaum gestiegen. Während ein Coffee to go heute 5 Euro kosten darf, gibt es ein Taschenbuch Andrea Ludorf, vom Bestsellerautor für 9,90 Euro. Unsere Vertriebsleiterin Branche hat es in den letzten Jahren verbei Bastei Lübbe passt, die Preise angemessen anzuheben.

Dabei zeigen Studien: Ein Kunde bzw. eine Kundin ist bereit, für ein attraktives Produkt auch einen angemessenen Preis zu zahlen, für ein Taschenbuch bis zu 15 Euro.

Preisgestaltung nicht nachvollziehbar.

Notenbücher gelten kaum als „zu billig“, weil die Herstellkosten wegen der individuellen Notensätze und niedrigeren Auflagen höher sind. Niedrige Buchpreise sind für uns ein indirektes Problem. Unsere Kunden und Kundinnen kaufen ja auch Bücher im Buchhandel und verstehen die Preisunterschiede nicht immer. Notenbücher werden daher oft irrtümlich für teuer gehalten. Als NotenverPeter Pany, lag kalkulieren wir aber stets knapp. Ein BeiMusikhaus – Musikspiel: unsere „Zeitreise durch die Musik für verlag Doblinger Kinder. Barock & Klassik“ hat 88 Seiten und kostet 29,90 Euro. Das Buch ist in Farbe und beinhaltet Musikgeschichte, Spiele, Kunst- und Literaturbeispiele, Klaviernoten, eine Musik-CD und eine App mit Zusatzmaterial!

„Unsere Kunden und Kundinnen verstehen die Preisunterschiede nicht immer“

Qualität wird geschätzt.

Ich betreibe seit fast sieben Jahren eine Buchhandlung in Gmünd. Während die laufenden Kosten ständig steigen, sind die Belletristikpreise konstant geblieben:­ 10,30 Euro für ein Taschenbuch, 15,50 Euro für eine Klappenbroschur und 20,60 Euro für ein Hardcover. Basis dafür ist die psychologische Preisgestaltung in Deutschland mit 9,99 Euro für das Taschenbuch und Birgit Stark, 19,99 Euro für das Hardcover. Die österreiBuchhandlung chischen Preise sind der beste Beweis dafür, Stark dass diese Preisschwelle kein Kaufkriterium ist. Ich bin überzeugt, dass meine Kunden und Kundinnen zehn Prozent mehr bezahlen würden, zumal ein Buch ein hochwertiges Produkt ist. Leser und Leserinnen schätzen das: Am deutschsprachigen Buchmarkt hat sich das e-Book nicht so durchgesetzt wie am englischsprachigen Markt, wo die Qualität des gedruckten Buches niedriger ist. Für den Buchhandel wäre eine Preisanhebung eine enorme Erleichterung.

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– Essenziell – Innovation im Buchhandel

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Gute Idee Text: Elisabeth Schepe Illustration: Georg Feierfeil

diese Internationalen Beispiele zeigen: Innovation im Buchhandel ist nicht nur möglich, sondern bitter notwendig und bringt auch etwas

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ch hab’s!“, ruft Wickie, sobald ihm eine Idee gekommen ist. Der Wikingerbub muss für einen genialen Einfall nur kurz an seiner Nase reiben. Unternehmer und Unternehmerinnen in der echten Welt tun sich da schwerer. Innovation – was ist das eigentlich? Und vor allem: Wie geht das? „Letztlich bedeutet Innovation nur, dass man versucht, etwas neu und besser zu machen“, sagt Innovationsexperte Nikolaus Franke (Interview S. 19) und ergänzt: „Das kann eigentlich jeder.“ Auch im Buchhandel – wohl nicht die erste Assoziation zum Thema Innovation – findet man jede Menge guter Ideen. Man muss nur genau hinschauen.

Manche Buchhändler und Buchhändlerinnen haben mit ungewöhnlichen Geschäftsmodellen Erfolg, manche haben ihr Angebot mit einer guten Idee erweitert und manche Start-ups und Apps bieten völlig neue Perspektiven. Wir haben von Nashville über

Innsbruck bis Kalkutta innovative Beispiele aus der Branche aufgespürt.

Buchhandlung als Post Partner Die Post ist da – und zwar in der Buchhandlung. Kuppitsch in der Schottengasse ist seit Juli eine Post-Partner-Filiale. Die Österreichische Post baut seit Jahren ein Partnernetz auf, das auf Provisionsbasis funktioniert.

Seine Post aufgeben oder auch abholen kann man bereits an vielen Tankstellen, bei Greißlern oder in Gemeindeämtern am Land. Nun auch an einem schicken verspiegelten Pult in der Buchhandlung Kuppitsch. „Die Menschen sind uns dankbar, weil viele Postämter in der Umgebung geschlossen haben“, sagt Geschäftsführer Michael Kratochvil. Hilft das auch dem Buchhandel? „Anfangs war es ein Kundenbindungsinstrument: Unsere Stammkunden sind draufgekom»

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– Essenziell – Innovation im Buchhandel

„Täglich kommen etwa 150 bis 200 Postkunden in meine Buchhandlung“ Michael Kratochvil, Buchhandlung Kuppitsch

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men, dass sie hier jetzt auch das Postgeschäft erledigen können. Beim Herbstund Weihnachtsgeschäft sehen wir aber auch eine Frequenzsteigerung.“ In Zahlen? „Täglich kommen etwa 150 bis 200 Postkunden.“ Bei Kuppitsch müssen sie alle erst einmal in den ersten Stock, vorbei an vielen Büchern.

Sie ziehen dann ein Ticket und können im Geschäft umherschlendern, bis ihre Nummer auf einem Bildschirm angezeigt wird.

Am Schalter steht eine von Kratochvils Angestellten. Insgesamt hat er fünf seiner Leute für diese Aufgabe eingeschult. Ist dieses Konzept auch für andere Buchhandlungen anwendbar? „Man muss beim Verhältnis zwischen Buchhandlung und Post vorsichtig sein. In einer kleinen Buchhandlung kann einem dieses Geschäft das Kerngeschäft kaputtmachen, denn die Buchhandelskundschaft könnte sich gestört fühlen.“ Kuppitsch hat allein im ersten Stock eine Fläche von 640 Quadratmetern, die Kundinnen und Kunden kommen einander nicht in die Quere. Fallweise holen nun manche ihre Amazon-Buchbestellung in der Buchhandlung ab. Ist das nicht eine schräge Kombination? „Ja eh“, sagt Michael Kratochvil. „Aber ich verdiene mit.“ Er sieht es als „sanfte Aufklärung“: „Vielleicht denkt sich der Kunde beim nächsten Mal: Das wäre einfacher auch gegangen.“ Amazon mit eigenen Mitteln schlagen: Lieferdienste Einfach, aber wirkungsvoll: Einige Buchhandlungen und ein österreichisches Startup bekämpfen Amazon mit seinen eigenen Mitteln: dem Zustelldienst. Im Gegensatz zum Online-Riesen liefern sie sogar noch am selben Tag. Vergangenes Jahr sorgten vor allem die beiden Schüler Konstantin Klingler und Moritz Stephan mit Lobu für Aufsehen. Bei Lobu kann man in Wien per SMS ein Buch bestellen, das noch am selben Tag

via Fahrradkurier von der nächstgelegenen Buchhandlung geliefert wird. Aktuell pausiert das Projekt, da die beiden Initiatoren noch nicht alt genug für die offizielle Gründung sind. Laut ihrer PR-Agentin bereiten sie sich gerade auf den Launch 2018 vor.

So wird derzeit ein Chatbot entwickelt, der dabei helfen soll, die Bestellungen abzuwickeln. Das Ziel sei, Lobu auf ganz Österreich auszudehnen. In den Kerngebieten der Städte soll weiterhin die Lieferung per Fahrradkurier forciert werden, während über große Distanzen die Post ins Spiel kommen soll.

In Tirol bieten die Buchhandlungen Wagner’sche und Tyrolia mit „Wagner’sche bringt’s“ und „Tyrolia Running Books“ schon länger Lieferdienste an. Die Nachfrage lässt laut Stephan Bair, Prokurist bei Tyrolia, noch

auf sich warten: „Unser Angebot wird noch nicht so angenommen, wie wir das erwartet haben, wenngleich wir überzeugt davon sind, dass es gut in unser Portfolio passt.“ Ganz persönliche Bücher über das Bücherabo Viele Unternehmen in der Branche experimentieren mit Buchabos, aktuell vor allem im Bereich der E-Books. Thalia hat Tolino Select entwickelt, Amazon sein Kindle-Unlimited-Programm. Sie legen den Hype um Streamingdienste auf das Buch um und wollen so eine Art „Netflix of books“ schaffen.

Schon länger als Kindle, Netflix & Co gibt es Rotraut Schöberls Roman-Abo. Die Betreiberin der Buchhandlung Leporello verschickt jeden Monat weit über hundert Abos. Manche von ihnen laufen schon jahrelang. Wie geht die Buchhändlerin die Auswahl an? „Wir erstellen ein ,Psychogramm‘ der zu beschenkenden Person, mit literarischen und persönlichen Vorlieben. Zu diesen passend wird jedes Monat aus den neu erschienenen Büchern ausgewählt.“ Eine Laufzeit von einem Jahr kostet für gebundene Bücher 340 Euro, für Taschenbücher 186 Euro. Die Zielgruppe des Abos, das neben Romanen auch Krimis, Sachbücher oder Kinderbücher enthalten kann, ist denkbar breit: „Unser jüngster Abo-Nutznießer ist 18 Monate alt.

Er hat ein Abo von der Tante, die Mutter hat auch eines. Unsere älteste Abonnentin ist über 92 Jahre alt.“

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Schauen Sie

über den Tellerrand!

Nikolaus Franke ist der Vorstand des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der WU Wien und leitet das WU Gründerzentrum. Er war Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Welchen Stellenwert hat Innovation in einer Branche, die wie der Buchhandel teilweise existenzielle Probleme hat? Reicht eine gute Idee aus, um neben Amazon zu überleben?

Nikolaus Franke — Ich würde es umgekehrt formulieren: Wer sich jetzt nichts Neues einfallen lässt, für den brechen sehr schwere Zeiten an. Gute Ideen sind natürlich keine Garantie, sondern eher so etwas wie eine Voraussetzung für künftigen Erfolg. Wer das ignoriert, wird Opfer der „schöpferischen Zerstörung“, wie Joseph Schumpeter diesen Prozess genannt hat.

Große Konzerne haben ein eigenes Innova­ tionsmanagement, eine Innovationsstrategie.

Wie gehen kleine Einzelhändler das Thema am besten an?

Franke — Wir sehen häufig, dass kleine Unternehmen und Start-ups besonders innovativ sind. Ihr potenzieller Vorteil sind Flexibilität und Geschwindigkeit. Ein Kleinunternehmen kann eine Idee sehr schnell umsetzen. Ein Großunternehmen hat zwar mehr Ressourcen, aber es ist auch bürokratisch, langsam und schwerfällig. Jede Menge Abteilungen reden mit. Eine Idee wird evaluiert, ein Konzept entwickelt, in tausend Gremien und Lenkungsausschüssen zerredet … Ein kleiner Händler kann da längst gehandelt haben – wenn er den Mut hat.

Foto: stephan huger

Was bedeutet Innovation eigentlich? Muss es gleich ein ganz neues Geschäftsmodell sein, oder ist zum Beispiel ein zusätzliches Angebot auch schon Innovation?

Franke — Innovation ist vielfältig. Natürlich denkt man als Erstes an Produktinnovationen oder neue Geschäftsmodelle. Aber man kann auch neuartige Dienstleistungen anbieten, Prozesse vereinfachen, neue Märkte erschließen, die Dinge anders organisieren, ungewöhnliche Partnerschaften eingehen, sich bei Werbung und Vertrieb etwas einfallen lassen … Letztlich bedeutet Innovation nur, dass man versucht, etwas neu und besser zu machen. Das kann eigentlich jeder.

Wie kommt man auf innovative Ideen für Innovationen?

Franke — Es gibt mehrere wichtige Quellen.

Die meisten Unternehmer und Unternehmerinnen denken dabei intuitiv vor allem an die eigene Kreativität. Die ist natürlich wichtig. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Kreativität von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Sehr oft wird diese Ressource vernachlässigt. Gerade bei kleinen Betrieben, wo die Zusammenarbeit zwangsläufig eng und informell ist, ist es aber möglich, aus Mitarbeitern „Mit-Unternehmer“ zu machen. Wissenschaftlich nennt man das „Intrapreneurship“.

Sollte man auch nach außen schauen?

Franke — Auf jeden Fall. Wir leben im Zeitalter von Open Innovation. Kunden und Kundinnen sind sehr wichtige Innovationsquellen. Manche haben Ideen, andere haben Bedürfnisse, die noch nicht befriedigt werden. Hier kann die Kundennähe eines Einzelhändlers sehr hilfreich sein. Es gibt Online-Foren und Communities, in denen sich die Menschen austauschen. Die sollte man analysieren. Und schließlich ist es extrem wichtig, über den Tellerrand hinauszuschauen. Was tut sich in anderen Branchen?

Was machen Apotheken, was machen Ver-

„Wer sich jetzt nichts Neues einfallen lässt, für den brechen sehr schwere Zeiten an“

Nikolaus Franke erklärt, worum es bei Innovation eigentlich geht

lage, was machen Reisebüros angesichts der digitalen Revolution? Was funktioniert dort? Welche Start-ups mit innovativen ­Ideen gibt es, was tun die? Es ist nicht wichtig, woher die Idee kommt. Es ist wichtig, dass sie gut ist und man sie umsetzt.

Muss sich Innovation immer sofort rentieren?

Oder sollte man eher nach dem Trial-andError-Prinzip gehen?

Franke — Am Ende geht es darum, dass man auch betriebswirtschaftlichen Erfolg hat. Wie bei jeder anderen Investition kann es natürlich dauern, bis er sich einstellt.

Wir sehen häufig, dass bei Innovationen riesige langfristige Pläne gemacht werden, ganz ausgetüftelte Dinger. Das Problem: Sie bauen auf sehr vielen Unklarheiten und Annahmen auf. Oft kommt es dann anders, manchmal irrt man sich, und schon behindert der schöne Plan einen mehr, als er nutzt. Der Boxer Mike Tyson hat einmal gesagt: „Everyone has a plan ’till they get punched in the mouth“. Ich fürchte, das gilt auch für Innovation. Wenn man eine Idee hat, dann sollte man bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit Kunden und Kundinnen reden und Feedback einholen. Wenn es geht, dann die Idee ausprobieren, einen Prototypen für Produkt oder Service bauen, und generell nach dem Trial-and-ErrorPrinzip vorgehen. Schnell und wiederholt experimentieren und immer weiter lernen.

Nikolaus Franke, Innovationsexperte

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– Essenziell – Innovation im Buchhandel

zig Euro pro Person kann sie eine Gruppe von maximal 15 Personen ganz für sich allein haben. Das bringt auch dem Handel etwas: „Keiner der Teilnehmer verlässt unser Geschäft, ohne sich einen schönen Stapel Bücher reserviert zu haben“, sagt Prokurist Stephan Bair. Für ihn ist die Filialvermietung ein „Dauerbrenner“. „Auch für 2018 sind wir schon wieder gut gebucht.“ Eine Bestellplattform für Spezialwünsche Ein Kunde oder eine Kundin möchte ein spezielles Buch bestellen, das nicht so leicht aufzutreiben ist? Das österreichische Start-up „Oktobooks“ schafft Abhilfe für Antiquariate und Buchhandlungen. Die Online-Bestellplattform bündelt relevante Wiederverkaufsseiten für gebrauchte und Großhändler für fremdsprachige Bücher auf einer einzigen Suchmaske.

Buchhandlungen können direkt über Oktobooks bestellen. Der Kunde oder die Kundin wird automatisch informiert, wenn das Buch zur Abholung bereit ist. Bei der Registrierung wird eine individuelle Handelsspanne festgelegt. Abgerechnet werden die Käufe praktischerweise monatlich mit einer Sammelrechnung.

Ein Inder bringt Bücher auf Rädern Nashvilles kurioseste Buchhandlung verkauft nicht nur Bücher. Sie kann auch fahren, bremsen und hupen. „Peggy“, kurz für „Pegasus“, heißt das Büchermobil der lokalen Buchhandlung „Parnassus Books“. Peggy ist seit März 2016 in Betrieb und die logische Antwort des Buchhandels auf den Hype um Foodtrucks.

Auch in einigen anderen US-Städten setzen Indie-Buchhandlungen auf den Verkauf auf der Straße. Die New York Times lobt das Konzept: „So werden Bücher in Gegenden und Vororte ohne Buchhandlungen gebracht.“ Anderer Kontinent, anderes Vehikel: In Kalkutta liefert Tarun Kumar Shaw seit mehr als dreißig Jahren Bücher auf seinem Moped aus. Die Washington Post berichtete im Mai

über den indischen Kleinunternehmer und schrieb, Amazon-Chef Jeff Bezos könne bei seiner Expansion in Indien noch viel von Shaw lernen. In Kalkutta hat sich der Zulieferer einen guten Ruf erarbeitet: Er ist bekannt Beratungsdienst dafür, dass er jedes gewünschte Buch – sei beim Buchhändler buchen es noch so selten – auftreiben kann. Sein Die individuelle Beratung neu gedacht hat größter Vorteil ist jedoch, dass er genau die Buchhandlung Reuffel in ihrer Filiale in weiß, wie er sich auf seinem Moped durch Koblenz. Seit Kurzem können Kunden und die versteckten und verwinkelten Gassen der Kundinnen kostenlos einen persönlichen 4,5-Millionen-Metropole bewegen muss, dadreißigminütigen Beratungstermin buchen. mit das Buch möglichst schnell am Ziel an„Triff deinen Buchhändler“ heißt das neue kommt. Das soll ihm Jeff Bezos erst einmal Service. Wünsche und Interessen werden nachmachen. bereits bei der Online-Terminreservierung angegeben. Bei einem persönlichen Treffen Filialvermietung und einem Getränk mit der Lieblingsbuchan die KundInnen händlerin oder dem Lieblingsbuchhändler Das Stichwort „Mieten“ rief in letzter Zeit erhält man dann eine individuell zusameher negative Assoziationen in der Branche mengestellte Buchauswahl. hervor, können sich doch viele Buchhandlungen Geschäftslokale in den Innenstädten nicht mehr leisten. Tyrolia hat vor fünf Jahren den Spieß umgedreht: Der Filialist vermietet ganz einfach die Buchhandlung freitagabends an die Kundschaft. Für zwan-

„Es sollte schneller und einfacher sein, etwas in einem echten Geschäft zu kaufen als online“ Nick Brackenbury., Gründer der App „Nearst“ im Guardian

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Die Kundschaft zu den Buchmessen mitnehmen

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App für den Einzelhandel gegen Amazon In London hilft eine App dem Einzelhandel im Kampf gegen Amazon & Co: „Nearst“ hat bereits 250.000 Produkte von Londoner Geschäften gelistet, darunter auch Buchhandlungen. Hat man das gewünschte Produkt auf dem Smartphone ausgewählt, wird angezeigt, in welchem Geschäft in der Umgebung es erhältlich ist.

Per App kann das Produkt sofort bestellt werden. Man muss es nur noch abholen.

Für jeden Kauf zahlt das jeweilige Geschäft einen kleinen Betrag an die Plattform. Die Philosophie der App-Entwickler: „Es sollte schneller und einfacher sein, etwas in einem echten Geschäft zu finden und zu kaufen als online.“ Mit Nearst wollen sie die breite Produktauswahl in der Nähe für KonsumentInnen sichtbar machen. In einem Artikel des ­Guardian wird ein weiterer Vorteil für den stationären Buchhandel genannt: Nearst macht eine unkomplizierte Online-Inventur für kleine Geschäfte möglich, die mit minimalem Aufwand jede Woche aktualisiert werden kann.

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Für viele Buchhändler und BuchhändlerInnen sind die großen Branchenmessen ohnehin Fixtermine. Der Filialist Tyrolia nimmt seine Kundschaft einfach mit. In diesem Jahr organisierte Tyrolia eine Frankfurtreise für achtzig Personen. Stephan Bair ist jedes Jahr „Wir haben schon sehr positive Resonanz wieder vom Erfolg des Konzepts überrascht: bekommen und auch schon Buchungen“, „Freundschaften entstehen, Buchtipps wererzählt Geschäftsführer Robert Duchstein. den ausgetauscht, die wir dann auch nach „Die Idee dahinter ist natürlich, den Kunden Rückkehr in konkrete Bestellungen umwannoch mehr in den Fokus zu stellen und den deln dürfen.“ Auch Messetrips nach Leipzig Online-Kanal und den stationären Laden oder andere Lesereisen, die der Filialist anbietet – 2018 etwa nach Riga, Lissabon oder noch enger zu verknüpfen.“ Wie geht man ein solches Projekt eigent- Hamburg –, kommen gut an. lich an? Wird zuvor die Nachfrage ermittelt? „Wir haben die Idee nur intern und mit Digitale Empfehlungen ehrlichen Kunden diskutiert, hatten auch vom Buchhandel Kontakte mit Verlagen.“ Mit dem persönli- Der Börsenverein des Deutschen Buchhanchen Buchhändlertermin will Duchstein das dels hat einen „startup club“ gegründet, dem buchaffine Publikum ansprechen, das sich junge innovative Unternehmen angehören. austauschen möchte, aber auch eine ganz Dazu gehört auch die App „bookvibes“, hinandere Gruppe: „Wenn ich von Büchern ter der Klaus Rössler und sein Team stehen. nicht viel weiß, aber welche verschenken Mit einem Algorithmus wollen sie Krimis will, dann bin ich mit diesem Service auch sehr gut beraten“, sagt Duchstein. „Das ist das Charmante an der Idee: Sie spricht eine sehr große Zielgruppe an.“

und Thriller ein „Spannungsprofil“ geben – also etwa in blutige oder psychologische Krimis einordnen. NutzerInnen werden dann auf Basis ihrer Vorlieben Empfehlungen ausgesprochen. „Jeder User hat ein Profil, auf dem er Krimis und Thriller liken kann. So entsteht das Leseprofil.“ Buchhändler und Buchhändlerinnen wiederum können Empfehlungslisten generieren, die die User abonnieren können. „Wir wollen, dass der Buchhändler Teil des digitalen Alltags des Lesers wird“, so Rössler. Zur Leipziger Buchmesse will er die App „in die freie Wildbahn entlassen“.

Auch Thalia hat digitale Empfehlungen für sich entdeckt: Die Kundinnen und Kunden sehen nun online Buchtipps von einzelnen Angestellten, die sie vielleicht schon aus dem Geschäft persönlich kennen. Für den Filialisten ist das „Omnichannel at ist best: von der Fläche über die App direkt zum Kunden“.

Man muss lediglich die Lieblings-ThaliaFiliale auswählen und schon erscheinen die Fotos der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit jeweils zwei aktuellen Buchtipps. «

Wenn du davon überzeugt bist, dass jemand, den du kennst, am Tod der von dir geliebten Frau schuld ist, was würdest du tun?

Wien, Venedig, Belgrad sind die Schauplätze der Geschichte um Liebe und Rache.

Und Vergebung?

Dietmar Gnedt

Balkanfieber Roman

272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm Hardcover, Lesebändchen ISBN 978-3-7025-0888-3, EUR 24,– eISBN 978-3-7025-8047-6

www.pustet.at Foto: © Nerijus Juras 2018 mit Genehmigung von Shutterstock.com

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– Selbstredend –

Mir kommt das Speiben sagt Gerhard Loibelsberger über den Ersatz des Wienerischen durch genormtes Bundesdeutsch.

Er erzählt von seinen Omas, deren Geschichten eine wichtige Inspirationsquelle für die Milieus seiner Naschmarkt-Krimis sind – und wie er dazu gekommen ist, sie zu F o t o : C h r i s t o p h e r M av r i č

schreiben Interview: Erich Klein

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erhard Loibelsberger (Jg. 1957) ist ein Universalist. Als Jugendlicher textete er für die Undergroundband „Der dritte Mann“, startete das Jazz-Projekt „Club Dada“, arbeitete in der Werbeindustrie, schrieb Sachbücher, Kochbücher und Reiseführer. „Die Naschmarkt-Morde“ eröffneten 2009 eine Serie historischer Kriminalromane aus dem Wien vor und während des Ersten Weltkrieges. 2018, einhundert Jahre nach dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Ersten Republik, erscheint der Abschlussband um den legendären Joseph Maria Nechyba, ermittelnder Inspektor des k. u. k. Polizeiagenteninstituts. Der anzeiger traf den Wiener Krimiautor im niederösterreichischen, leicht verschneiten Payerbach.

Selbstredend im Payerbacherhof. Mittags, Punkt zwölf. Auf die Frage „Lesen oder Essen?“ antwortet Gerhard Loibelsberger unumwunden: Essen! Auch die beiden anwesenden Polizisten des Ortes griffen mit dem Glockenschlag zum Suppenlöffel.

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Abgesehen von einem mörderisch spannenden Wien zwischen 1902 und 1916 wird man als Leser Ihrer Krimis mit kaum mehr bekannten wienerischen Ausdrücken beglückt: Wie heißt „Nase“ jetzt wirklich – Frnak oder Pfrnak?

Gerhard Loibelsberger — Die Aussprache variiert in Wien oftmals. Darüber diskutier’ ich mit meiner Frau auch immer wieder.

Im konkreten Fall: Meine Oma sagte Frnak und nicht Pfrnak. Mir sind diese Ausdrücke wichtig. Sie waren eine Antriebsfeder für die Saga, die ich jetzt gerade fertigschreibe.

Ich schlage vor, wir fangen ganz am Anfang an. Abgesehen von den Venedig-Krimis der letzten Zeit spielen Ihre Bücher vor allem in Wien. Sind Sie selbst auch Wiener?

Loibelsberger — Ich wurde im Rudolfinerhaus im 19. Bezirk geboren, aber meine Eltern wohnten nicht im Cottage-Viertel, sondern in der Hutweidengasse, in einem Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert. Auch meine Oma hatte in diesem Haus eine Wohnung – bei ihr habe ich immer gespielt. Man konnte dort die Bodenbretter aufheben, darunter kam die nackte Erde zum Vorschein.

Es war ein Haus mit Bassena und Klo am Gang. Vor dem Kochen musste der Ofen eingeheizt werden. Das Wasser holten wir in einem Schaffel. Einfach den Wasserhahn aufdrehen gab es da noch nicht. Meine Eltern wohnten im ersten Stock, die anderen waren „Böhm“, genauer gesagt „Bem“. Ich habe es noch im Ohr, wie sie böhmakelten. So kann ich ­behaupten, die Wohnsituation im frühen 20. Jahrhundert fast authentisch zu kennen.

Ihr Wikipedia-Eintrag verrät: Gymnasiumsbesuch in Kalksburg.

Loibelsberger — Ich habe eine Tournee durch etliche Wiener Gymnasien gemacht.

Von der ersten bis zur dritten Klasse war ich im G 13 Fichtnergasse. Dann steckte mich mein Vater nach Kalksburg zu den Jesuiten.

Als Disziplinarmaßnahme, damit der aufmüpfige Herr Sohn katholisch werde?

Loibelsberger — Ungefähr so. Ich wuchs in Lainz auf, und mein Vater war ein „Schwarzer“ bis in die Knochen. Letztlich war mir das Internat recht. Ich wollte von meinen Eltern weg und konnte es mir im Internat richten.

Ein lockeres Leben: Manchmal ging ich ins Dorfwirtshaus, kam nach drei Krügeln Bier

„Ich habe eine Tournee durch etliche Wiener Gymnasien gemacht“ Gerhard Loibelsberger

blunzenfett zurück und legte mich ins Bett.

Ich sagte mir damals, was wollt’s mir eigentlich machen?

Man darf sich Gerhad Loibelsberger in den 70er-Jahren als Punk in Kalksburg vorstellen?

Loibelsberger — Man muss sich die Freiheiten nehmen, wenn man sie sieht. Was die Punks betrifft: Die erste Platte der Clash erschien, als ich schon beim Bundesheer war.

Ich hatte mit sechzehn meine Rockband „Der Dritte Mann“ gegründet, damit glitten wir ziemlich weit Richtung Wave und Punk ab. Das war tatsächlich meine Welt und ist es noch immer! Punk war nicht am Kopf, sondern im Kopf.

Griechisch-Professor, sie würden alles tun, damit ich die Klasse nicht schaffe. Obwohl ich bei ihnen gute Noten hatte! Ich dachte, man muss sich nicht den Schädel blutig schlagen, pilgerte ins Gymnasium Amerlingstraße und versprach dort, dass ich keinen Riot mehr inszenieren würde. Tatsächlich hatte ich in Betragen dann einen Zweier.

Und in Deutsch?

Loibelsberger — Immer ein „Sehr gut“ – auch bei der Matura.

Das Deutschstudium war also logisch …

Loibelsberger — Ich habe nicht fertig studiert. Mir ging das Geld aus. Ich bekam keinerlei Unterstützung von meinem Vater, machte ununterbrochen hunderttausend verschiedene Jobs und hatte Schulden. Eines Tages zeigte mir ein Freund eine Anzeige – Ogilvy & Mather suchte einen Junior-Texter.

Ich marschierte mit einem riesigen Packen meiner Texte zum Kreativdirektor. Der blättere das grinsend durch und sagte, wenn Sie wollen, können Sie bei mir einen Monat gratis arbeiten. Nach einem Monat meinte er, es gibt jetzt siebzig Bewerber – ich nehme zwei auf, einer wird den »

Bücher von Gerhard Loibelsberger Gmeiner „Die Naschmarkt-Morde“ (2009), „Reigen des Todes“ (2010), „Mord und Brand“ (2011), „Todeswalzer“ (2013), „Kaiser, Kraut und Kiberer“ (2014), „Der Henker von Wien“ (2015), „Schönbrunner Finale“ (erscheint im Mai 2018) Haymon „Killer-Tschick“: ein SOKO-Donau-SOKO Wien-Krimi (2016), „Im Namen des Paten“ (2017), „Krazy Words – Krätzige Wörter.

Sie haben damals schon geschrieben?

Loibelsberger — Gedichte und Songs begann ich mit vierzehn zu schreiben. Deshalb wurde ja auch die Band gegründet. Wir waren anfänglich zu zweit: der Keyboarder und ich, der Schlagzeug spielte. Und wir suchten einen dritten Mann. Es gibt diese Schulband bis heute – seit 1975! Wir haben aus meinen Songideen nie bequeme Musik gemacht.

Texte, Songs, Gedichte“ (2016) Amalthea „Der Bankert vom Naschmarkt. Ein Krimi­ nal­fall aus dem alten Wien“ (2017) – Graphic Novel, gezeichnet v. Reinhard Trinkler Falter Verlag Kurzkrimis in den „Tatort“-Anthologien, hrsg. von Edith Kneifl: „Tatort Kaffeehaus“,

Auf die Matura in Kalksburg folgte dann das Germanistikstudium?

Loibelsberger — Nein, nach drei Jahren Kalksburg erklärten mir der Latein- und der

„Tatort Burgtheater“, „Tatort Friedhof“, „Tatort Würstelstand“, „Tatort Prater“, „Tatort Naschmarkt“ (2011–2015)

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Probemonat überleben. Ich wurde dann fix angestellt und wurde sehr schnell zum hauptverantwortlichen Texter.

Was Sie zwanzig Jahre lang machten, um dann auf Schriftsteller umzusatteln?

Loibelsberger — Ich arbeitete an großen Kampagnen mit wie der Einführung von IKEA in Österreich und verdiente sieben Jahre lang wahnsinnig gut. Ich kaufte ein Haus in Mauer und eine Wohnung in Wien. Im Haus in Mauer sitzt jetzt meine geschiedene Frau. Wie gewonnen, so zerronnen! Mit vierzig dachte ich, das kann es nicht sein: Ich möchte nicht den Rest meines Lebens vier, fünf Worte zu Headlines formen. Der Übergang zur Schriftstellerei war fließend.

War das Werbetexten eine gute Voraussetzung für die Literaturproduktion oder hinderlich?

Loibelsberger — Es war keine Voraussetzung. Das ist eine völlig andere Art zu denken und zu schreiben. Wenn du ein guter Texter bist – und das war ich –, ist extreme Verknappung wichtig. Das ist das genaue Gegenteil von Romanschreiben. Ein Roman ist dann gut, wenn du eine Beobachtung oder Emotion auf dreizehn Seiten ausdehnen kannst und das Ganze äußerst präzise wird.

Wenn du nur Werbung textest, verblödest du irgendwann. Wenn du gut schreibst oder Ideen hast, wird dich diese Textarbeit nie zufriedenstellen. Du möchtest etwas anderes machen. So hat auch Peter Turrini werbegetextet, Wolf Haas war bei Demner und Merlicek, oder auch Claudia Rossbacher.

Zwischen Werbetexten und der Literatur standen Kochbücher, Reiseführer, ein politisches Österreich-Handbuch. Gab es ein Initialerlebnis fürs Krimischreiben oder Vorbilder?

Loibelsberger — Die Initialzündung war der französische Krimiautor Léo Malet – und meine Liebe und Nähe zu Frankreich.

Nach der Matura war ich zwei Jahre mit einer Französin zusammen. Wir sind durch die Bretagne und die Normandie gegeistert und haben dann eine Zeit lang bei ihrer Schwester in Paris gelebt. Dort habe ich zum ersten Mal von Malets „Die neuen Geheimnisse von Paris“ gehört. Ein weiterer Anstoß war Doderer, von dem ich fast alles gelesen habe.

Es dauerte aber noch eine Zeit lang, bis der erste Naschmarktkrimi erschien …

Loibelsberger — Ich habe mit vierzig, also ungefähr 1997, mit der ersten Niederschrift begonnen, 2009 wurden die Bücher dann veröffentlicht. An den Naschmarktkrimis habe ich zehn Jahre gearbeitet und von je-

dem Buch bis zu neun Versionen geschrieben. Ich habe sehr viel recherchiert, auch in Antiquariaten, die heute verschwunden sind.

Bei Nebehay in der Annagasse fand ich eine tolle Chronik des Jahres 1911, nach der ich „Mord und Brand“ schrieb. Ganz in der Nähe war der Albumverlag, wo „Die süßen Mädel“ mit den erotischen Fotografien aus dem Wien der Jahrhundertwende erschienen, die ich für „Reigen des Todes“ nutzte.

Können Sie schildern, wie Ihre Romanfiguren entstehen?

Loibelsberger — Nechyba ist mir eines Morgens im Halbschlaf erschienen. Ich setzte mich hin und schrieb das erste Kapitel der „Naschmarkt-Morde“. „Es klang wie das Donnergrollen eines fernen Gewitters, ganz tief unten in den Kavernen schwoll es an …“

war ein Vorbild für Nechyba, im Unterschied zu diesem aber nicht dick. Er ging jeden Tag von der Hutweidengasse bis nach Nussdorf zu Fuß, arbeitete den ganzen Tag schwer und ging am Abend wieder zurück.

Hatten Sie keine Berührungsangst mit dieser Zeit? Einerseits gibt es ja Autoren wie Schnitzler, die diese Zeit schon damals beschrieben, und dann lassen Sie Peter Altenberg oder Freud, Kokoschka und Klimt selbst auftreten.

Loibelsberger — Eigentlich nicht. Diese Zeit ist mir nahe, weil meine Großmütter viel erzählten. Diese Dinge haben sich in mein kindliches Gehirn eingebrannt. So habe ich schon als Kind verstanden, was soziale Unterschiede sind und wie es in der Gesellschaft wirklich läuft. Meine Urgroßmutter war ein Wäschermädel – die hatte nicht einmal ein

„Meine Urgroßmutter schlief in dem Waschtrog, in dem sie untertags wusch“ Gerhard Loibelsberger

So begann das ganze Epos – meine Arbeit habe ich an diesem Tag nicht gemacht.

Es begann mit einem gewaltigen Rülpser – wienerisch einem Magenschas! Wenn Wiener ihren Figuren tschechische Namen geben, spielt meist die eigene Familiengeschichte mit.

Loibelsberger — Das stimmt! Der Mädchenname jener Oma, die in der Hutweidengasse wohnte, war Tesar. Von ihr habe ich viele Erzählungen übernommen. Ihr Vater war Holzarbeiter im Nussdorfer Hafen. Damals kamen Flöße die Donau herunter, und er hat das Holz geschleppt. Er war groß und kräftig, alle sagten: ein Bär von einem Mann. Er

eigenes Bett. Sie schlief in dem Waschtrog, in dem sie untertags wusch. Schon in jungen Jahren bekam sie ein rheumatisches Leiden, an dem sie elendiglich starb. So war die gute alte Zeit. Deshalb schrieb ich keinen SisiKitsch, sondern versuchte zu verarbeiten, was mir die Großmütter mitgaben. Sie waren Jahrgang 1896 und erstklassige Quellen.

Der Großmutter, deren Cousin das Gasthaus Landerl in Erdberg besaß, habe ich mit der Figur der Greißlerin ein Denkmal gesetzt.

Sie schreiben „Literatur von unten“?

Loibelsberger — Ja, absolut. Wie immer man das definiert. Ich erzähle den Untergang

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Kramers Kinderstube Irmgard Kramer der Monarchie aus der Sicht der kleinen Leute. Dieser Fokus war mir immer wichtig.

Wer ist Ihre Lieblingsfigur – Joseph Maria Nechyba?

Loibelsberger — Nein. Ich schreib’ ja noch eine zweite Krimiserie. Lupino Severino ist mir menschlich näher als der Nechyba, der in sich ruht und ein gefestigtes Weltbild hat.

Der ist ein Urwiener, nicht unzufrieden, auch wenn er oft grantig ist, und hat fixe Gewohnheiten. Ich selber bin ein unruhigerer Geist.

Wer ist dann Ihre Lieblingsfigur?

Loibelsberger — Jetzt werden mich einige nicht mehr mögen. Wen ich wirklich mag, ist der Butka, auch wenn er ein Gauner und Strizzi ist.

Der immer ein Strizzi bleibt – wie es einmal heißt …

Loibelsberger — Er ist mit den Kriegsromanen in mein Figurenuniversum eingetreten. Er ist ein zerrissener Mensch, aber man kann ihn nicht eindeutig negativ sehen.

Auch wenn er Mädel ausbeutet, macht er ganz sympathische Sachen. Im „Henker von Wien“ merkt er etwa, dass es da einen gibt, der eiskalt mordet. Also packt er sich mit seiner alten Tante zusammen und verschwindet mit ihr nach Krakau zu Verwandten.

Ihr Lieblingsmord?

Loibelsberger — Der gemeine, sinnlose und ungerechte Mord an dem kleinen Dienstmädel Mizzi in den „Naschmarkt-Morden“. Sie ist ein armer Teufel, der in seinem Leben nie eine Chance hatte. Deshalb ist es mein Lieblingsmord: Das Leben ist ungerecht.

Foto: darko tod orovic

Wie sehr hat die Arbeit an den Büchern Ihren Blick auf das reale Wien verändert?

Loibelsberger — Im Prinzip hat sich nichts geändert! Ich habe in meinen Songtexten und Gedichten, die ich gerade als E-Book unter dem Titel „Krazy Words“ und „Ants & Plants“ veröffentlicht habe, schon immer Klartext geredet, was Gesellschaft und Sozialpolitik betrifft.

Ein Krimiautor, der Lyrik schreibt, ist eher ungewöhnlich …

Loibelsberger — Mich haben, als ich fünfzehn war, Rilke und Trakl sehr beeinflusst.

Damit sind wir wieder in jener Zeit am Beginn des 20. Jahrhunderts, die mich nie loslässt. Ein Jesuitenpater führte eine Neigungsgruppe, und mir fällt bis heute die Zeile ein: „Weh dem, der keine Heimat hat!“ Das ist Nietzsche. Es wird in diesem Gedicht von

Zeile zu Zeile immer kälter, und ich denke oft daran, wenn ich mit meinem Hund durch das kalte und neblige Wien gehe. Im „Reigen des Todes“ habe ich Emil Klägers „Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“ stellenweise wörtlich zitiert.

Ein sehr wichtiges Element ist die Verwendung des Wienerischen. Ob es Pfrnak oder ­Frnak heißt, haben wir schon geklärt. Verwenden Sie Wörterbücher, oder haben Sie das alles im Kopf?

Loibelsberger — Das kommt tief aus mir heraus. So haben meine Omas geredet. Es stört mich wahnsinnig, dass all die Ausdrücke verschwinden! Wir haben einen Overflow an genormtem Bundesdeutsch, der auf allen Ebenen erfolgt. Vom Rap über die Synchronisation von Kinderfilmen bis zu den Kinderbüchern. Meine Stieftochter hat versucht, österreichischsprachige Kinderbücher zu bekommen. Es gibt sie nicht! Das geht bei den Erwachsenen mit Funk und Fernsehen weiter. Mir kommt dabei das Speiben – nicht das Kotzen!

Wer wäre Ihr Wunschdarsteller von Nechyba?

Loibelsberger — Nicholas Ofczarek. Er hat einen „bemischen“ Namen, ist groß und blond. Wenn mir den ein Produzent anbietet, sage ich sofort ja! Johannes Silberschneider müsste den Goldblatt spielen, aber mit Glatze. Und wenn es einen deutschen CoProduzenten gibt, kann er gleich Christine Neubauer anrufen.

Was denkt sich der Autor eigentlich, wenn er folgenden Satz schreibt: „Flinken Schrittes lief der Verfolger über den Platz, kam ihr immer näher, zog das Springmesser und ließ die Klinge mit einem scharfen Klick Abendluft schnuppern.“ Müssen Sie da selber lachen?

Loibelsberger — Das habe ich von Léo Malet und Chandler gelernt. Bei Chandler gibt es immer wieder Sequenzen, wo er deppert ironisch wird. Ich liebe es! Ich mag auch die Parker-Krimis. Man darf nicht alles bierernst nehmen. Ich halte erzählerische Distanz auch für notwendig. Das mögen viele Leute ganz anders sehen – mir ist es ein Anliegen.

Kommen wir zu den Venedig-Krimis. Dort geht es sehr viel grausamer und rasanter zu.

Loibelsberger — Sie sind nicht solche Heuler wie die Nechyba-Romane, aber von „Quadriga“ kommt jetzt die dritte Auflage heraus; Die Venedig-Bücher sind schneller erzählt und viel härter. Wohlmeinende Kritiker sagen, meine historischen Krimis entschleunigen, mit dem italienischen Thriller »

Jugendbuchautorin

Weihnachtsfrieden Das Schreien ist noch allen vergangen Ich habe „München“ von Robert Harris gelesen. Chamberlain unterhält sich mit Mussolini auf dem Sofa vor dem Kamin. Hitler lehnt mit verschränkten Armen neben einem riesigen Globus und langweilt sich tödlich, während Ribbentrop redet und Göring stumm dasitzt. Eine beklemmende Stimmung. Das Gesicht des Führers erhellt sich nur kurz, als die Brotsuppe gebracht wird. Er isst einen Löffel, tupft mit der Serviette den Schnurrbart ab und bestimmt dann über das Schicksal Tausender Menschen. Immer diese mächtigen Männer, die entscheiden, wer gehen muss, wer reindarf und wer draußen bleiben muss. Ob sich das je ändern wird? Am Ende schreibt Harris, welchen Werken er Dank schuldet. Dazu gehört Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“. Auch so ein Buch, bei dem es mir von vorne bis hinten eiskalt über den Rücken rieselt, weil es so verdammt aktuell ist, weil mir auf jeder Seite klar wird, wie filigran Frieden ist, bei dem mir schlecht wird, weil wir von Mitgliedern deutschnationaler, schlagender Verbindungen regiert werden, weil in Warschau mehrere zehntausend ultrarechte Nationalisten auf die Straße stürmen, Fahnen schwenken und schreien: „Gott! Ehre!

Vaterland!“ Das Schreien ist bisher noch allen vergangen. Spätestens, wenn sie in einem Graben frieren, der Mama mit letzter Kraft einen Weihnachtsbrief kritzeln, weil das Internet zusammengebrochen ist, und hoffen, dass am 24. Dezember nicht geschossen wird.

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beschleunige ich den Puls der Leser.

Aber ich schreibe nicht, um Blockbuster zu kreieren, sondern weil ich schreiben muss.

Es ist in mir. Ich möchte keine männliche Donna Leon werden und den achtundzwanzigsten Nechyba-Krimi schreiben. Ich habe das vor zwanzig Jahren geplant und bin jetzt – Gott sei Dank – damit fertig.

Man hat trotzdem den Eindruck, Sie hätten da ein ganz schön umfassendes Unternehmen geschaffen. Es gibt noch einen SOKO-Donau-Roman, neuerdings Nechyba auch als Comic, als Graphic Novel, wie es heute heißt. Dazu kommen noch Ihre inszenierten Lesungen mit Projektion und Musik.

Loibelsberger — Die SOKO-Donau-Geschichte war ein Spezialprojekt: Der Produzent trat an mich heran, ein Buch zur Serie zu machen. Penny Lanz ist in der Serie schlecht weggekommen und mich reizen Frauenfiguren immer. Was den Nechyba-Komplex betrifft – ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, war ja auch eine Idee der damaligen Zeit. Einen Comicstrip zu machen, ist eine Jugendsehnsucht von mir. Manchmal braucht man Glück: Ich traf Reinhard Trinkler, gab ihm die „Naschmarkt-Morde“ zu lesen, er sagte, das mach’ ich mit dir, und Amalthea stieg darauf ein.

Sie haben sich in sechs Romanen auf das Ende der Monarchie im November 1918 zugeschrieben. Kommt eigentlich der Erste Weltkrieg auch direkt mit Kriegsschauplätzen vor?

Loibelsberger — In „Schönbrunner Finale“ spielt eine kurze Sequenz des Prologs an der italienischen Front. Der Verlag wird das Buch, das im kommenden Mai erscheint, als österreichischen Staatsroman präsentieren.

Ich habe heute am Morgen die letzte Szene fertiggestellt. Es fehlte noch ein Kapitel über den November 1918. Am 11. November 1918 gab es eine denkwürdige Begegnung im Kriegsministerium. Julius Deutsch saß dort als Unterstaatssekretär, er hatte die sozialdemokratischen Volkswehren organisiert, im Prinzip war er deren Kommandant. Diese Volkswehren waren außer der Wiener Polizei die einzige exekutive Macht in dieser Umbruchsphase. Daneben gab es noch die Roten Garden, deren Hauptmann Egon Erwin Kisch war. Kisch ist an diesem Tag bei Deutsch „hineingewachsen“ und verlangte, dass Deutsch ihm einen schriftlichen Befehl zur Besetzung des Schlosses Schönbrunn erteilt. Der Kaiser war noch da. Ich hatte mir die Memoiren von Deutsch bestellt und die Post hat sie verschlampt. Dadurch hat sich das Kapitel verzögert.

Mehr sollten Sie jetzt ohnehin nicht verraten.

Können Sie sich eine Fortsetzung der Krimis in die Erste Republik vorstellen?

Loibelsberger — Nein. Außerdem ist dieses Feld schon abgegrast. Andreas Pittler und Alex Beer haben darüber geschrieben Mich haben die Ursache, das Herz der Katastrophen des 20. Jahrhunderts und der Untergang der Donaumonarchie interessiert.

Sie haben jetzt jahrelang ein klar strukturiertes Romankonzept umgesetzt. Versteht sich der Autor Loibelsberger als Unternehmer?

Loibelsberger — Da fühle ich mich missverstanden. Ich sehe mich eher als Visionär. Ich hatte vor zwanzig Jahren eine Vision, und die musst du mit allen Konsequenzen erst ein-

„Ich möchte keine männliche Donna Leon werden und den 28. NechybaKrimi schreiben“ Gerhard Loibelsberger

mal durchhalten, und zwar auf sehr leidenschaftliche Weise. Ich würde sagen, Donna Leon handelt unternehmerisch.

Ich will auf etwas anderes hinaus: Ein amerikanischer Philosoph sprach einmal davon, unsere Gesellschaft würde von drei Grundtypen beherrscht: dem Manager, dem Ästheten und dem Therapeuten. Welcher Kategorie fühlen Sie sich zugehörig?

Loibelsberger — Da bin ich der Therapeut.

Der Ästhet in dieser polarisierenden Darstellung ist der Handke. Das bin ich nicht – da würde ich mir selbst und allen anderen et-

was vormachen. Ich habe in meinen Büchern ein soziales und aufklärerisches Engagement.

Ich möchte, dass die Leute etwas begreifen – die Zeit und was passiert ist. Brecht sagte einmal, Kriminalromane sind die beste Möglichkeit, die kapitalistische Gesellschaft darzustellen. Sie kennen den berühmten Satz aus der „Dreigroschenoper“: „Ein größeres Verbrechen als eine Bank zu überfallen ist es, eine Bank zu gründen.“ Mich reizt die Möglichkeit, über eine scheinbar spannende Story Menschen einzufangen und der Gesellschaft ein Spiegelbild vorzuhalten. Das macht die Faszination des Kriminalromans aus. Würde ich einen rein literarischen Roman schreiben, würde ich über mich selbst schreiben – und da frage ich mich dann: Wozu? Das machen ohnedies schon so viele. Mit den Krimis bin ich auch der Therapeut meiner selbst. Ich würde es sonst nicht aushalten!

Ist das nicht auch eine Frage des Selbstvertrauens, wie viel man sich als Schreibender zutraut?

Loibelsberger — Letztlich geht es um unser Zusammenleben und die Darstellung des menschlichen Elends. Egal ob in Lyrik, Graphic Novel oder Roman. Ich stelle es nicht anklagend dar – ich stelle es einfach dar. Ich mache keinen Agitprop – das würden die Leser und ich selbst als lächerlich empfinden.

Zum Abschluss zwei persönliche Fragen: ­Waren Ihre Eltern eigentlich versöhnt, als Ihre Bücher erschienen?

Loibelsberger — Mein Vater wurde fast einundneunzig, meine Mutter starb schon vor zehn Jahren. Es hat Jahrzehnte gebraucht, aber mein Vater war dann stolz. Er hat die ersten Romane gelesen, und sie haben ihm gefallen. Im dritten Band „Mord und Brand“ habe ich ihm und meiner Familie mit der Kegelbahn im Gasthaus in Erdberg, das der Tante Minna gehörte, ein Denkmal gesetzt.

Mein Vater hat mir davon erzählt. Er hat sich mit dem Aufstellen der Kegel sein Taschengeld verdient.

Allerletzte Frage – wer ist die Frau, der Ihre Bücher gewidmet sind?

Loibelsberger — Meine Ehefrau. Sie war die Leserin der ersten Manuskripte und war fasziniert. Anfangs schrieb ich noch in komplizierter Syntax – ich habe Thomas Bernhards Schachtelsätze in „Frost“ gemocht. Sie meinte, das sei schwer lesbar. Dass meine Sätze moderner und knapper wurden, ist der Input meiner Frau. Ich verdanke ihr sehr viel. Wir sind seit elf Jahren zusammen und seit sieben, acht Jahren verheiratet. «

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