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Energieeffizienz weitergedacht: die thermisch aktivierte Gebäudehülle als Teil einer Prozesskette

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BAUTECHNIK aktuell

BAUTECHNIK aktuell

Die öffentliche Diskussion zur Energiewende findet oftmals ausschließlich im Kontext elektrischer Energie statt. Gerade im Industriesektor spielt jedoch auch die thermische Energie eine wesentliche Rolle. Entgegen einem rein dogmatischen Ansatz Energie zu „sparen“, geht es darum, das Energiesystem als Ganzes zu verstehen und energetische Abhängigkeiten zu erkennen. Leitidee des Forschungsprojekts ETA-Fabrik ist es, die richtige Energieform (Primärenergiebedarf) in der notwendigen Menge (Endenergiebedarf) zur richtigen Zeit (energieflexibel) am richtigen Ort (effiziente Infrastruktur) einzusetzen. Dabei wurde über die bisher stets isoliert betrachtete Optimierung von Einzelkomponenten (z. B. Maschine, Kühlsystem, Gebäudedämmung) hinaus das gesamte System einer Produktionsfabrik betrachtet und auf dem Campus der TU Darmstadt eine Modellfabrik errichtet, in der Gebäude, Haustechnik und Maschinen durch die drei Ebenen der Gebäudeautomation synergetisch miteinander verknüpft wurden. Einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienzsteigerung liefert hierfür die durch oberflächennahe, wasserführende, kapillarähnliche Rohrleitungsnetze thermisch aktivierte Gebäudehülle aus Beton. Diese multifunktionalen Wand- und Dachelemente vereinen die Funktionen des Tragens, des Dämmens, des Begrenzens und der thermischen Interaktion und fungieren somit als riesige Heiz- und Kühlflächen. Der Aufsatz ist eine inhaltliche Fortsetzung des Beitrags aus der Bautechnik 03/2014 und stellt die erzielten Projektergebnisse mit Fokus auf der baulichen Umsetzung vor. Hintergründe und Zielstellungen des Projekts werden aufgegriffen, Forschungsrandbedingungen dargelegt und die Energieeinsparpotenziale vorgestellt. Neben der kurzen Beschreibung der umgesetzten thermischen Vernetzung und der dafür gebauten Gebäudehüllelemente als Fortschreibung der bereits vorgestellten Konzepte werden die thermische Leistungsfähigkeit der Gebäudehülle sowie deren Beitrag zur Behaglichkeit in der Produktionshalle erläutert. Das architektonische Konzept sowie eine kritische Würdigung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Planungsprozess einer vernetzten Fabrik schließen diese Reihe ab.

Stichworte Energieeffizienz; vernetzte Fabrik; thermische Bauteilaktivierung; Gebäudehülle; zementöser Schaum; mikrobewehrter UHPC

Energy efficiency thought further: the energy activated building envelope as part of the process chain

Public discussion on energy system transformation often takes place exclusively in the context of electrical energy. In the industrial sector in particular, thermal energy plays another important role. Rather than following the purely dogmatic approach of ‘saving’ energy, our intent is to truly comprehend the energy system and to identify the energetic dependencies within it. The guiding principle and the ETA factory concepts derived from it are targeted toward using the necessary quantity (ultimate energy demand) of the appropriate form of energy (primary energy demand) at the right time (flexible energy supply) and the right location (efficient infrastructure). In practice, instead of the previously isolated optimization of individual components (e. g. machine tools, cooling systems, building insulation), the system of a production factory was considered as a whole and a model factory was built on the TU Darmstadt campus, in which building, building services and machinery were synergetically linked to one another through the three level of building automation system. A significant contribution to increase energy efficiency is made by the thermally activated building envelope made from concrete, which includes a water-bearing capillary-like piping network close to the surface. These multifunctional wall and roof elements combine the functions load-bearing, insulating, enclosing and thermally interacting and act as large heating and cooling surfaces. The paper is a continuation of the article from Bautechnik 03/2014 and presents the results achieved in the research project ETAFabrik with focus on the constructional implementation. Background and objectives of the project are taken up from the previous article, the research boundary conditions are described and the results of the energy saving potentials are presented. In addition to a brief description of the implemented thermal networking and the building envelope, the thermal performance of façade and roof elements and their contribution to achieve comfort criteria in the production hall are explained. The architectural concept and a critical appraisal of the interdisciplinary cooperation within a networked factory round off this series on the subject of the ETA model factory.

Keywords energy efficiency; thermally networked factory; building envelope; cementitious foam; micro-reinforced UHPC

1 Projekt ETA-Fabrik: Energieeffizienz vom Konzept zur Umsetzung

Die in den vergangenen Jahren auch im Industriesektor steigenden Energiekosten erhöhen den wirtschaftlichen Druck im produzierenden Gewerbe, da es mit 47% Anteil am Gesamtverbrauch der mit Abstand größte Stromverbraucher in Deutschland ist [1]. Eine gewöhnliche Werkzeugmaschine für metallbearbeitende Prozesse verbraucht jährlich in etwa so viel Strom wie drei Einfamilienhäuser.

Quelle: [3]

Bild 1 Zusammenhang von Endenergienutzung und Energieverlusten Correlation between the final energy use and the forms of energy losses

Bei Hochtemperaturprozessen wie bspw. der Bauteilreinigung metallischer Werkstoffe erhöht sich dieser Wert deutlich auf ca. 82 Einfamilienhäuser. Gleichzeitig wandelt sich im Kontext einer mechanischen Produktion die erforderliche Endenergie fast vollständig in Abwärme (Bild 1), welche bei Werkzeugmaschinen ca. 265 W/m2 Maschinengrundfläche beträgt. Aus dieser Abwärme resultieren Folgekosten für die Kühlung der Prozesse und des Produktionsgebäudes.

Folglich ist die Effizienz eines Produktionsumfelds umso höher, je geringer die entstehende Abwärmemenge ist. Um diese Energieeffizienz zu erzielen, ist eine enge Zusammenarbeit von Ingenieuren verschiedener Fachdisziplinen unabdingbar. Aus der Effizienzbetrachtung einer zerspanenden Werkzeugmaschine heraus haben Maschinenbauingenieure gemeinsam mit Bauingenieuren und Architekten der TU Darmstadt die Idee entwickelt, die energetische Betrachtung nicht singulär auf ein Produktionsgebäude oder auf Maschinen einer Produktionsprozesskette zu begrenzen, sondern das Produktionsgebäude als „Maschine um die Maschine“ zu begreifen. Dieser Ansatz eröffnete neben zahlreichen Fragestellungen auf Maschinenebene sowie im Bereich der Digitalisierung im Hinblick auf Energieflusssteuerung auch folgende:

– Wie lässt sich Abwärme aus dem Produktionsprozess im Rahmen einer thermischen Vernetzung optimal weiternutzen? – Wie können thermisch aktivierte Flächen der Gebäudehülle dazu beitragen, das Gebäude zu beheizen und zu kühlen sowie unterstützend oder maßgebend Kühlwasser für die Fertigung bereitzustellen?

Bereits in einer sehr frühen Konzeptphase wurde der Projektträger Jülich (PtJ) und somit das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in das entstehende Forschungsvorhaben einbezogen. Durch die Beteiligung verschiedener Partner aus Industrie und Wissenschaft entstand ein Projektkonsortium aus 36 Partnern, die im Zeitraum zwischen 2013 und 2018 am Forschungsprojekt ETA-Fabrik arbeiteten. Im Fokus standen dabei die Themen Systemeffizienz und Wirtschaftlichkeit aller Maßnahmen. Eine beispielhafte Produktionsprozesskette aus dem Bereich der Metallbearbeitung bildete das Grundgerüst dieser Forschungsarbeiten [2]. Durch die Verknüpfung der Produktionsprozesse, der Versorgungs- und Gebäudetechnik sowie des Gebäudes und seiner Konstruktion wurde das Effizienzpotenzial des Gesamtsystems erforscht und demonstriert. Mit ihrer integrativen Konzeption und als weltweit erster Prototyp dieser Art eröffnet die ETAFabrik völlig neue Lösungsansätze für die energetisch optimierte Produktionsstätte der Zukunft. Zentrale Komponenten bzw. Themen sowie deren Zusammenspiel sind hierbei:

– Produktionsmaschinen und Querschnittstechnologien im Maschinenbau – Technische Gebäudeausrüstung und Versorgungstechnik – Gebäudehülle, Fassaden und Konstruktion – Monitoring, Energiedatenmanagement und Energiedatenmining durch „Industrie 4.0“-Ansätze – Lastflexibilität und Regelungsoptimierung – Simulationsansätze zum Planen und Betreiben effizienter Produktionsstätten

Als Resultat entstand eine Modellfabrik als Forschungsgroßgerät (Bilder 2a, 2b), in der durch die energetische Systemoptimierung die Grenzen zwischen Maschinen und Gebäude verschoben wurden.

Mittels dieses Ansatzes konnten in der ETA-Fabrik letztendlich marktfähige und wirtschaftlich realisierbare Energieeinsparpotenziale von rd. 45% Primärenergie gegenüber einer konventionellen Produktionsstätte aufgezeigt

Quelle: a) SINNBILD, Darmstadt; b) Eibe Sönnecken, Darmstadt

Bild 2 a) Rendering mit Blick auf die Nordfassade als Vision zum Projektstart und b) das umgesetzte Ergebnis aus dem gleichen Blickwinkel zum Zeitpunkt der Fabrikeröffnung a) Rendering with a view of the north façade, vision at the beginning of the project and b) the factual result viewed from the same angle at the time of the opening

Quelle: PTW, TU Darmstadt

Bild 3 Vergleich des Primärenergiebedarfs im Betrieb der ETA Comparison of the primary energy demand in the ETA factory

werden [3]. Dies entspricht 247700 kWh und 130500 kg CO2/Jahr entsprechend Bild 3.

Hierbei wurden 17 Produktionsschichten pro Woche bei einem Achtstundentag angenommen, innerhalb derer die Werkzeugmaschinen zu 70%, die Reinigungsmaschine zu 40% und der Wärmebehandlungsofen zu 80% ausgelastet waren. Die verwendeten Primärenergiefaktoren waren dabei für Strom 1,8 und für Erdgas 1,1. Die dabei untersuchten Szenarien sind Tab. 1 zu entnehmen.

Szenario Maßnahmen

Szenario 1 (Referenzszenario aus der Industrie) Standardmaschinen Kälteerzeugung mittels Kompressionskälte Wärmeerzeugung aus elektrischer Energie

Szenario 2 Energieeffizienzmaßnahmen an Maschinen implementiert Beheizung der Wärmebehandlung durch Erdgas-Rekuperationsbrenner

Szenario 3 Thermische Vernetzung von Ofen und Reinigungsmaschine Kühlung des Ofens und der Werkzeugmaschinen durch die Gebäudehülle

Über die genannten Forschungszwecke hinaus wird die ETA-Fabrik als Ausbildungs- und Demonstrationszentrum genutzt. So entstand ein neuer Ort des Wissenstransfers an Studierende sowie des Austauschs zwischen Forschung und Wirtschaft.

2 Thermische Vernetzung

Immer dann, wenn Wärme von einer Quelle zu einer Senke transportiert wird, entsteht eine thermische Vernetzung. Ein entsprechender Austausch findet bspw. zwischen den Komponenten einer Produktionsmaschine und der umgebenden Raumluft statt. Alternativ, jedoch auch zusätzlich, kann Wärme über einen wasserbasierten Kühlkreislauf transportiert werden. Mit einer zielgerichteten thermischen Vernetzung lässt sich die Abwärme nutzen, um eine effiziente Rückkühlung nicht verwertbarer Abwärme an eine Wärmesenke außerhalb des Bilanzraums eines Produktionsbetriebs zu ermöglichen. Die in Tab. 2 aufgeführten Temperaturen von Abwärme im Umfeld der zerspanenden Produktion hängen von der jeweiligen Anwendung ab und wurden im Rahmen von Voruntersuchungen bei Projektpartnern messtechnisch erhoben.

Ausgehend von der Optimierung einzelner Maschinen zielt die Vernetzung darauf ab, verbleibende Wärmeflüsse optimal einzubinden. Technisch bilden drei wasserbasierte thermohydraulische Rohrleitungssysteme die Grundstruktur der thermischen Vernetzung in der ETA-Fabrik:

– ein Kaltwassernetz (10–20°C) zur Kühlung von Produktionsmaschinen und des Gebäudes im Sommerlastfall; – ein Warmwassernetz (30–40°C) zur Rückkühlung bzw.

Beheizung weiterer Maschinen sowie zur Niedertemperaturbeheizung des Gebäudes im Winter; – ein Heißwassernetz (70–85°C) zum Antrieb der Absorptionskältemaschine, gespeist aus Hochtemperaturabwärme des Ofens sowie von zwei Blockheizkraftwerken und einem Gasbrennwertgerät.

In diese auch für die Industrie typische Grundstruktur wurden die in Bild 4 aufgezeigten Systeme integriert. Je

Typische Temperaturbereiche von Abwärmequellen Typische Temperaturbereiche von Abwärmesenken

Raumabluft 16–30°C Raumzuluft

16–26°C Abluft aus Kühlprozessen 20–60°C Raumbeheizung 30–80°C Rückluft aus Kalt- und Kühlwasseranlagen 20–60°C Wässrige Reinigungsbäder 50–85°C Abgase aus Verbrennungs- und Verfahrensprozessen 50–450°C Wärmewandler 60–650°C

nach Betriebsszenario können einzelne Komponenten verschiedenen Netzen zugeschaltet werden.

Dieses thermohydraulische Netzwerk als Basis einer thermischen Vernetzung ermöglicht es einerseits, Abwärme aus dem Produktionsprozess effizient zu sammeln und abzuführen, andererseits kann eine effiziente Dissipation an die Umgebung oder eine Weiternutzung erfolgen.

Dabei spielt die Gebäudehülle bei der Optimierung energieintensiver Produktionsprozesse eine wichtige Rolle. Die in der Raumluft befindliche prozessbedingte Überschusswärme wird gesammelt und einem geeigneten Produktionsschritt zugeführt oder in Speichern konserviert. Zur Gebäudekühlung werden die Wand- und Dachelemente raumseitig mit im Verhältnis zur Raumluft kühlerem Wasser aus dem Kaltwasserspeicher oder direkt aus dem Kühlprozess mittels Absorptionskältemaschine durch ein oberflächennahes und feines, kapillarähnliches Leitungsnetz durchströmt. Darüber hinaus verfügbare Abwärme wird durch den Transport von warmem Wasser durch den äußeren Teil der Gebäudehülle passiv an die Umgebung abgeführt. Falls sich kein Temperaturgefälle zwischen aktivierten Fassaden- und Dachplatten sowie der Umgebungsluft einstellt, lässt sich dieses mit einer Berieselung des Dachs mit Grauwasser und der einhergehenden Verdunstungskühlung realisieren. Zur Beheizung des Gebäudes im Winter kann warmes Wasser aus den Speichern oder dem Maschinenkühlprozess durch die kapillarähnlichen Rohrleitungen geführt werden. Durch die Funktion der äußeren Gebäudehülle als Massivabsorber kann zudem aufgenommene solare Energie in das

Bild 4 Technische Umsetzung der thermischen Vernetzung in der ETA-Fabrik Technical realization of the thermal networking at the ETA factory

Quelle: PTW, TU Darmstadt

Speichersystem abgeführt werden. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Tatsache, dass die Aktivierung der Gebäudehülle im Grunde nach bereits eine von den Römern praktizierte Technik (Hypokaustenböden) ist, die in den letzten Jahren wieder zunehmend aus dem Nischendasein heraustritt und einer breiteren Anwendung entgegenstrebt [4]. Somit wird auch klar, dass das Grundprinzip thermisch aktivierter Bauteile keine Hightech-Wissenschaft darstellt, sondern im positiven Sinne eine Lowtech-Anwendung ist, die unter entsprechenden Randbedingungen, wie das Vorhandensein großer Flächen und – für die Nutzung von Umweltenergien – bei geringen Temperaturdifferenzen zwischen der zu beeinflussenden Temperatur und der Medientemperatur, sehr effizient betrieben werden kann. Im Wohnungsbau spielt der Faktor Mensch mit seinem wärmephysiologischen Empfinden eine wesentliche Rolle bei der zielgerichteten Regelung derartiger Heiz- und Kühlsysteme, im Falle von vernetzten Industriegebäuden kommt zur Raumluftkonditionierung das Thema der Prozesswärme-/Prozesskältebereitstellung mit den damit verbundenen geringen Temperaturbereichen erschwerend hinzu.

Bevor eine thermische Vernetzung umgesetzt wird, müssen Maschinen und Komponenten hinsichtlich ihrer Effizienz optimiert werden. Die Vernetzung schafft sowohl energetische als auch örtliche Abhängigkeiten, die sorgfältig abzuwägen sind. Zweifellos steigert sie jedoch in einer Fabrik die Effizienz im Sinne der Primärenergieeinsparung. Für die praktische Umsetzung müssen der Energiebedarf und der aktuelle Zustand des Energiesystems in einer Prozesskette bekannt sein, um zukunftssicher zu investieren. Sowohl der Energiebedarf als auch die Kosten können so effektiv reduziert werden. Vor diesem Hintergrund werden in der ETA-Fabrik in Echtzeit kontinuierlich mehr als 2000 Datenpunkte von verschiedensten Sensoren sowie Aktoren im Rahmen eines Energiemonitorings erfasst und von einem Energiemanagement ausgewertet, um so fundierte Maßnahmen zur Energiekosten- und Emissionssenkung abzuleiten. Hierbei werden nicht nur konventionelle, statische Regelungsstrategien angewendet, sondern auch prädiktive Verfahren unter Einbeziehung zukünftiger Prognosedaten (Produktionsprogramm, Wetter etc.) sowie Simulationsdaten.

3 Das Prozess-Maschinenhaus mit innovativer Schale und effizientem Kern

3.1 Konstruktionsmerkmale der Gebäudehülle aus Beton

Für die thermische Aktivierbarkeit bedarf es spezieller Hüllelemente, die als große Heiz- und Kühlflächen fungieren (Bild 5).

Diese, in Dach- und Wandbereich einheitliche Hüllkonstruktion wurde im Hinblick auf die Flexibilitätsanforderungen von Industriebauten modular mit Betonfertigteilen

Quelle: Dietz-Joppien Planungsgesellschaft, Frankfurt

Bild 5 Thermisch aktivierte Dach- und Wandelemente innen (rot) und außen (blau) Thermally activated roof and wall elements inside (red) and outside (blue)

Quelle: ISM+D, TU Darmstadt

Bild 6 Konstruktiver Aufbau der thermisch aktivierten Gebäudehüllelemente aus Beton im Dach- und Wandbereich Structural design of the thermally activated concrete building envelope elements in the roof and wall area

Quelle: Andreas Maier, TU Darmstadt

Bild 7 Lage der kapillarähnlichen Rohrleitungen im Stahlbetonfertigteil unterhalb der äußersten Bewehrungslage kurz vor der Betonage Position of the capillary-like piping system in the prefabricated reinforced concrete part beneath the outermost reinforcement layer, shortly before pouring the concrete

konstruiert. Beton als regional verfügbarer Verbundbaustoff erweist sich hier als besonders geeignet, da er in Abhängigkeit von seiner Konstruktionsdicke sowohl ein guter Wärmeleiter als auch ein sehr guter Wärmespeicher ist:

– Ersteres wird im Falle der thermischen Aktivierung durch eine rasche Strahlungswärmeübertragung verwendet und – Zweiteres garantiert im passiven Fall in Kombination mit einer Wärmedämmung ein angenehmes Raumklima.

Darüber hinaus ist Beton sehr flexibel formbar, sowohl vor Ort als auch werkseitig sehr gut verarbeitbar und nicht zuletzt, im Gegensatz zu anderen Baustoffen, absolut nicht brennbar, weswegen keine weiteren brandschutztechnischen Maßnahmen konstruktiver Art ergriffen werden müssen. In Kombination mit einem an der Modellfabrik erstmalig verwendeten zementgebundenen (Beton-)Schaum entsteht hier ein nahezu sortenreiner Aufbau der in Bild 6 dargestellten Gebäudehüllelemente. Diese können einfach in ihre Einzelschichten getrennt und aufgrund ihres mineralischen Charakters später der Wiederverwertung zugeführt werden.

Bild 8 a) Thermografieaufnahme der inneren Wandoberfläche während des Heizbetriebs, b) Thermografieaufnahme der inneren Wandoberfläche während des Kühlbetriebs a) Thermography image of the inner wall surface during heating operation, b) termography image of the inner wall surface during cooling operation

Der Aufbau der 3 m breiten und ca. 10 m hohen Wand- bzw. 20 m langen Dachelemente besteht raumseitig aus Pi-plattenförmigen Elementen aus schlaff bewehrtem Stahlbeton der Festigkeitsklasse C50/60 mit Steghöhen von 70–150 cm. In die Elemente sind oberflächennah kapillarähnliche Rohrleitungen aus Polypropylen im Bereich der nur 12 cm dicken Elementspiegel eingelegt (Bild 7).

Dieses wasserführende Rohrleitungsnetz besitzt einen Rohrinnendurchmesser d = 3 mm bei einem Abstand der Rohre untereinander von 15 mm. Diese wurden in Form von Matten mit einer Abmessung von 1,15 m × 7,5 m unterhalb der oberen Plattenbewehrung bzw. zentrisch in die Fassadenelemente eingebaut. Aufgrund der Engmaschigkeit seiner Leitungen gewährleistet dieses Netz einerseits ein sehr homogenes Temperaturfeld (Bild 8), andererseits stellt es durch seine Anordnung einer Tichelmann-Schaltung ein einfaches, hydraulisches System mit hoher Redundanz im Falle von Schäden an einer Rohrleitung dar.

Werkseitig wurde auf diese Betonfertigteile unmittelbar nach erfolgter Betonage auf die noch frische Betonoberfläche ein ultraleichter, mineralisierter Schaum als Dämmung in Dicken von 30–40 cm aufgebracht. Die Wärme-

Quelle: Albrecht Gilka-Bötzow, WiB [5]

Bild 9 Herstellungsprozess von mineralisiertem Schaum im semikontinuierlichen Verfahren Manufacturing process of mineralized foam in a semi-continuous process

leitfähigkeit des Schaums beträgt λdry = 0,06 W/mK bei einer Zielrohdichte von ρ = 180 kg/m3 [5]. Die besondere Herausforderung besteht in der Herstellung des mineralisierten Schaums im Rahmen eines neu entwickelten semikontinuierlichen Verfahrens entsprechend Bild 9. Die hydratisierende Festigkeitsentwicklung des Zements stabilisiert den metastabilen wässrigen Schaum und ermöglicht so eine werkseitige wie auch baustellenseitige Herstellung ohne Autoklavierung und einer damit einhergehenden Beschränkung in der Bauteilgröße.

Über die Konsistenz und das Abbindeverhalten der kontinuierlichen Phase von mineralischen Schäumen lässt sich die spätere Größenverteilung der mehrheitlich runden und geschlossenen Poren bei konstanter Rohdichte im festen Zustand steuern [5] (Bild 10). Der Einfluss der Porenverteilung von festen, mineralisierten Schäumen auf deren Wärmeleitfähigkeit ist im Rahmen der anwendungsrelevanten und einstellbaren Strukturen jedoch begrenzt. Vergleicht man bspw. die Differenz der äquivalenten Wärmeleitfähigkeiten ruhender Luft in kleinen Poren mit 0,5 mm und 2 mm Durchmesser, so liegt sie mit 0,00875 W/(mK) im Bereich des messtechnisch nur schwer Nachweisbaren. Ferner ist zu berücksichtigen,

Bild 10 Morphologie des Schaums unter dem Mikroskop Morphology of the foam under the microscope

dass der mineralisierte Schaum stets eine Struktur mit Poren unterschiedlicher Größe aufweist. Dieser Umstand eröffnet die Möglichkeit, künftig weitgehend unabhängig von der Wärmeleitfähigkeit mechanische Optimierungen der Porenstrukturausbildung vorzunehmen.

Eine Bewertung der Ökobilanz des entwickelten Schaumbetons auf Basis von Primärdaten und einem Stoffstrommodell im Vergleich mit herkömmlichen, organischen Dämmmaterialien auf Basis von EPD ergibt, dass der mineralisierte Schaum, trotz der größeren erforderlichen Dicke von 25 cm im Bezug zu einem fiktiven U-Wert von 0,24 W/m2K als funktionelle Einheit, einen geringeren Gesamtenergiebedarf von 106 MJ/m2 für das Produktionsstadium von der „Wiege bis zum Werkstor“ und somit eine geringere Ressourcenbeanspruchung aufweist als die auf Mineralölbasis hergestellten Dämmstoffe [6]. Weiterhin ist der Anteil an erneuerbaren Energien im Gesamtenergieverbrauch deutlich höher. Ressourcenbeanspruchend ist hierbei vor allem der im Schaum verwendete Zement, wenngleich dieser im Stoffraum nur einen Anteil von 10% gegenüber 90% wässrigem Schaum ausmacht. Im Hinblick auf die emissionsbedingten Umwelteinwirkungen, ausgedrückt durch das Treibhauspotenzial (GWP), hat der mineralisierte Schaum ein bis zu 4,5-fach höheres Erderwärmungspotenzial als expandiertes Polystyrol gleicher Dämmwirkung (Tab. 3). Auch hier ist der verwendete Zement bzw. der Brennprozess zur Zementklinkerherstellung ursächlich für die hohen Emissionen. Dabei

Tab. 3 Vergleich mineralisierter Schaum mit EPS und XPS bei einem Vergleichs-U-Wert von 0,24 W/m2K als funktionelle Einheit Comparison mineralized foam with EPS and XPS at a comparative U value of 0.24 W / m2K as a functional unit

Parameter Mineralisierter Schaum EPS Dalmatinerplatte XPS Hartschaumplatte

λ [W/mK] 0,060

derf [m]

0,250 GWP [kg CO2-Äquv./m2] 31,230 PEe [MJ/m2] PEne [MJ/m2] PEges [MJ/m2] 15,190 90,400 105,590 0,035 0,146 6,840 3,600 196,880 200,480 0,035 0,146 8,680 3,110 263,960 267,060

Quelle: Eibe Sönnecken, Darmstadt

Bild 11 Fassadenplatten aus mikrobewehrtem, ultrahochfestem Beton (mrUHPC) Façade panels made of micro-reinforced, ultra-high-performance concrete (mrUHPC)

resultieren knapp 40% aus dem Energieeinsatz der Brennstoffe, wobei dieser Anteil im Zuge des Umstiegs auf erneuerbare Energien weiter abnehmen wird. Die anderen 60% sind prozessbedingte Emissionen aus der reinen Umwandlung des Kalksteinrohmehls in Zementklinker unter Freisetzung von CO2. Der Einsatz von Betonzusatzstoffen als Zementklinkersubstitut stellt hierbei eine Möglichkeit dar, CO2-Emissionen zu reduzieren, sofern hierbei nicht der Fokus auf Stoffen liegt, die aus anderen Produktionszweigen anfallen, die ebenfalls aus Klimaschutzgründen auf lange Frist keine Zukunft haben werden. Die Auswirkungen auf Umwelteinwirkungen aus der Nutzung sowie vor allem aus der Entsorgung sind hierbei nicht berücksichtigt und würden je nach Möglichkeit einer sortenreinen Trennung von organischen und anorganischen Materialien sowie den Recyclingmöglichkeiten der Dämmstoffbestandteile erhebliche Auswirkungen auf die ökologische Nachhaltigkeit haben.

Den äußeren Abschluss der Gebäudehülle bilden mechanisch hoch beanspruchbare Fassaden-/Dachplatten aus mikrobewehrtem ultrahochfestem Beton (mrUHPC) mit einer Dicke von 5,5 cm (Bild 11).

Diese Platten weisen, durch die Kombination eines besonders dichten Mörtels und einer im Querschnitt gleichmäßig verteilten Mattenbewehrung mit einer Drahtdicke von 1 mm und einer Maschenweite von 12 mm, einerseits eine Wärmeleitfähigkeit von λ = 5 W/(mK), andererseits, neben den für UHPC üblichen hohen Druckfestigkeiten, auch hohe Biegezugfestigkeiten von 35 MPa [7, 8] auf. Aus diesem Grund können die Elemente trotz ihrer Größe sehr schlank dimensioniert werden und unterstützen damit den Effekt einer schnellen thermischen Aktivierung und Wärmeübertragung.

Die multifunktionalen Hüllelemente vereinen somit die Funktionen des Tragens, des Dämmens, des Begrenzens sowie des thermischen Interagierens, reduzieren daher Schnittstellen und somit potenzielle Fehlerquellen. Darüber hinaus kann die „passive“ Rolle von Tragwerk und Gebäudehülle sowie die aus energetischer Sicht zu stark einschränkende und häufig isolierte Betrachtung der Wirkung von Dämmstoffen als Maß für die Güte der Energie-

Quelle: Andreas Maier, ISM+D

Bild 12 Statisches System des Primärtragwerks der Halle mit Querkraftgelenken im Übergang von Wand- zu Dachelementen Static system of the primary structure of the hall with lateral force joints in the transition from wall to roof elements

Quelle: Andreas Maier, ISM+D

effizienz von Gebäuden überwunden werden. Jedoch ist bei der statischen Berechnung darauf zu achten, dass Lastfälle, resultierend aus den Temperaturbeanspruchungen der Bauteilaktivierung, auf jeden Fall zu berücksichtigen sind. Aufgrund des statischen Konzepts mit einem Zwei-Gelenkrahmen (Bild 12), der an den Fußpunkten eingespannt ist und im Übergang vom Wand- zum Dachbereich ein Querkraftgelenk aufweist, ergeben sich aus den Temperaturdifferenzen nur geringe Zwängungen, dafür jedoch relative Verformungen zwischen den Bauteilen. Diese wurden in der konstruktiven Ausbildung der Anschlüsse und Fugen berücksichtigt.

3.2 Thermische Leistungsfähigkeit der Gebäudehülle

Das Konzept der ETA-Fabrik basiert auf der Interaktion von Gebäudehülle und Produktionsprozessen mit dem Ziel, auf eine konventionelle, elektrisch angetriebene Raumluftkonditionierung ebenso wie auf die isolierte Kühlung von Maschinenkomponenten verzichten zu können. Produktionsprozesse erfordern weiterhin eine kurze Reaktionszeit zur Bereitstellung von Wärme und Kälte. Um diese zu erreichen, müssen die entsprechenden gebäudeseitigen Prozesse schnell vonstattengehen. Diese Anforderung kann eine konventionelle Betonkernaktivierung nicht erfüllen, da sie die thermische Speichermasse der Bauteile nutzt und somit phasenversetzt arbeitet. Genau an diesem Punkt setzt die oberflächennahe Aktivierung der Gebäudehüllelemente in Kombination mit sehr geringen Materialdicken an. Dieses Wirkprinzip ermöglicht eine hohe thermische Reaktivität der Bauteile sowie eine nahezu gleichmäßige Temperaturverteilung in den Querschnitten der äußeren Gebäudehülle. Es ist z.B. möglich, die Temperatur innerhalb des Fassadenquerschnitts gleichmäßig von 30°C auf 45°C binnen etwa 20 min anzuheben [9] (Bild 13). Die Durchflussgeschwindigkeit des Wasser-Glykol-Gemischs in dem kapillarähnlichen Rohrleitungsnetz liegt hier bei 0,5 m/s.

Die thermisch aktivierten Bauteile der ETA-Fabrik erzielen Heizleistungen bis 95 W/m2 (38 kW) in den Dach-

Bild 13 Elementtemperaturentwicklung über die Zeit bei gegebener Vorlauftemperatur der Kapillarrohrmatten Element temperature development over time at a given incoming temperature of the capillary pipe matting

Bild 14 a) Entwicklung der Hallenraumtemperatur während der Produktion (weiße Bereiche) und während der Kühlung (blaue Bereiche), b) Entwicklung der Behaglichkeit nach W. Frank für die Produktions- und Kühlphase a) Development of indoor temperature during production (white areas) and during cooling (blue area), b) development of comfort according to W. Frank for the production and cooling phase

Quelle: Andreas Maier, ISM+D

und Wandflächen, die Kühlleistungen erreichen 92 W/m2 (35 kW), wobei der Volumenstrom 8 m3/h und die Differenz zwischen Vor- und Rücklauftemperatur jeweils lediglich 2 K beträgt; weiterhin liegt im Lastfall Heizen die max. Vorlauftemperatur bei nur 31°C. Der gewünschte Effekt der Raumluftkonditionierung in Kombination mit einer Steigerung der Behaglichkeit kann erreicht werden, wie die Bilder 14a, 14b zeigen. Hierbei wurde ohne Gegenkühlung 8 h in der ETA-Fabrik produziert und anschließend 15 h durch die thermisch aktivierten Bauteile gekühlt. Die Temperatur stieg zunächst um ca. 4 K an und wurde anschließend wieder knapp unter das Ausgangsniveau heruntergekühlt. Der COP (Coefficient of Performance) lag in diesem Fall bei 28.

Für die niedrigen und mittleren Temperaturniveaus erfolgt die Energiespeicherung in externen, erdberührten Betonbehältern, auf Hochtemperaturniveau hingegen in einem externen Vakuumspeicher auf der Gebäudeostseite. Zur Unterstützung der Wärmeabfuhr über die äußere Gebäudehülle dient eine auf dem Dach installierte Berieselungsanlage, die von einer erdberührten Regenwasserzisterne auf der nordwestlichen Gebäudeecke gespeist wird.

4 Gestaltung und Funktion der Modellfabrik

4.1 Architektonisches Konzept

Einem ganzheitlichen und synergetischen Planungsansatz folgend, vernetzt die Modellfabrik ETA die Teilsysteme Maschine, Gebäudetechnik und Bauwerk. Der im Rahmen des Projekts verfolgte Ansatz für den Industriebau entwickelt Gestalt, Funktion, Konstruktion und Gebäudehülle von innen nach außen; Mensch und Maschine definieren die Anforderungen an die energieeffiziente Fabrik der Zukunft – und nicht umgekehrt.

Die Modellfabrik befindet sich prominent am Eingang zum Campus Lichtwiese in einem Bereich, der mit dem bereits bestehenden Blockheizkraftwerk dem Thema „Energie“ gewidmet ist. Mit einer Länge von 40 m und einer Breite von 20 m erstreckt sich der linear ausgerichtete Baukörper in Nord-Südrichtung und wird von Norden her erschlossen. Das Gebäude beherbergt einen dreigeschossigen Bürobereich mit Seminar- und Besprechungsräumen sowie Technikräume im Untergeschoss (Bild 15). Im südlichen Gebäudeteil befindet sich der 11 m hohe Hallen-/Produktionsbereich mit einer Fläche von 550 m2 (Bilder 16, 17).

Längsseitig begrenzt die thermisch aktivierte, massive Hüllkonstruktion den Baukörper. Die einheitlich gestalteten Stahlbetonfertigelemente definieren dabei einem Rahmen gleich Wände und Dach. Im Kontrast zu den opaken Hüllelementen an den Gebäudelängsseiten begrenzen an den nördlichen und südlichen Stirnseiten transparente Ganzglasfassaden den Raum und gewährleisten Transparenz mit spannungsvollen Ein- und Ausblicken (Bild 18).

Für Produktionsanlagen sind das Auftreffen sowohl der langwelligen Solarstrahlung als auch des sichtbaren Anteils des Lichtspektrums problematisch. Erstere führt zu temperaturinduzierten Verformungen der Maschinen und deren Antriebe und somit zu minderer Prozessquali-

Quelle: Dietz-Joppien Planungsgesellschaft, Frankfurt

Bild 15 Grundriss Erdgeschoss Floorplan ground floor

Quelle: Dietz-Joppien Planungsgesellschaft, Frankfurt

Bild 16 Gebäudelängsschnitt Building longitudinal section

Quelle: Dietz-Joppien Planungsgesellschaft, Frankfurt

Bild 17 Gebäudequerschnitt Building cross section

Quelle: Eibe Sönnecken, Darmstadt

Bild 18 Südostansicht der ETA-Fabrik South-east view of the ETA factory

tät, Zweiteres zu Blendbeeinträchtigungen des die Maschinen bedienenden Personals. Dennoch ist im Hinblick auf eine gute Arbeitsplatzqualität ein möglichst hoher Tageslichteinfall anzustreben. An der Südfassade der ETAFabrik sind durchweg Sonnenschutzgläser mit einem g-Wert von max. 0,28 verbaut, die eine Beeinflussung des Raumklimas zusätzlich zur Maschinenabwärme minimieren. Maschinenverzug und Blendeinwirkung werden durch richtungsselektive Lamellen im Scheibenzwischenraum in den oberen beiden Dritteln der Fassade gewährleistet. Die Lamellen lenken das einfallende Sonnenlicht zur Hallendecke und ermöglichen in Kombination mit tageslichtabhängig gesteuerten, dimmbaren LED-Leuchten eine bestmögliche Tageslichtausnutzung in der Halle sowie eine Reduzierung des Kunstlichtbedarfs. Im unteren

Quelle: Eibe Sönnecken, Darmstadt

Bild 19 Die südliche Elementfassade mit lichtlenkenden Lamellen im Scheibenzwischenraum der Zweifach-Isolierverglasung (oben) und den parametrischen Fassadenelementen (unten) The south-facing element façade with light-directing lamellae in the gap between the insulating glass panes of the double-glazing units (above) and the parametric façade elements (below)

Drittel der Elementfassade wurden beidseitig der Toranlage parametrisch auskragende Fassadenelemente mit vollständig geklebten und teilweise siebbedruckten Stufengläsern eingesetzt (Bild 19).

Ein genügend weiter Abstand der Maschinen von der Fassade sowie die Neigung der Scheiben gewährleisten auch hier einen ausreichenden Blendschutz an den Arbeitsplätzen. Deren geometrische Anordnung wurde aus dem standortspezifischen Sonnenverlauf hergeleitet, sodass die seitlichen Dreieckelemente sowie die mittlere obere Trapezscheibe einen zusätzlichen Beitrag zum Sonnenschutz übernehmen. Gleichzeitig werden über die mittlere untere, vollständig transparente Trapezscheibe Blickbeziehungen zwischen dem Forschungsfeld und seinem umgebenden Campus hergestellt (Bild 20).

Weiterhin ist die gesamte Fassade konstruktiv an die Randbedingung der thermisch aktivierten Dach- und Längsfassade angepasst.

An Ost- und Westfassade sorgt ein im Scheibenzwischenraum integriertes transluzentes Kapillarsystem für eine gleichmäßig diffuse Lichtstreuung in das Gebäude.

Quelle: Eibe Sönnecken, Darmstadt

Bild 20 Zweigeteilte Elementfassade mit integrierter Toranlage Segmented element façade with integrated gate system

Bild 21 Nordfassade mit transparenter Festverglasung und opaken SenkKlapp-Öffnungsflügeln mit Vakuumisoliereinlage North-facing façade with transparent fixed glazing and opaque, projected top-hung windows with vacuum insulation

Quelle: Eibe Sönnecken, Darmstadt Nach Norden, im Bereich der Büros, wurde die Hülle als Structural-Glazing-Fassade mit einer Pfosten-Riegelkonstruktion ausgeführt. Mit dem Ziel der Optimierung des Wärmeschutzes wurden in die Scheibenzwischenräume der opaken Öffnungselemente vliesbelegte Vakuumisolierpaneele eingelegt. Der Ug-Wert dieser Elemente beträgt lediglich 0,23 W/m2K im Vergleich zu den transparenten Zweischeiben-Isoliergläsern mit einem Ug-Wert von 1,1 W/ m2K (Bild 21).

4.2 Planung im Spannungsfeld von Maschinenbauern und Maschinenhausbauern

Innovationen werden häufig an den Schnittstellen der Fachdisziplinen getätigt. Ohne die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Maschinenbauern, Haustechnikern, Bauingenieuren und Architekten können derartig komplexe Aufgaben nicht bearbeitet werden. Auch wenn Energie- und Ressourceneffizienz im System mit den Maschinen, der neuartigen, energetisch aktivierbaren Gebäudestruktur und Gebäudehülle und den thermischen und elektrischen Energiespeichern im Vordergrund stehen, tragen viele kleine Details zur Arbeitsplatzqualität und Kommunikation in einer Fabrik bei. Dessen müssen sich Fachingenieure immer wieder aufs Neue bewusst sein. Die in der kurzen Entwicklungszeit umgesetzten Innovationen waren nur möglich, weil das gesamte Forschungs- und Planungsteam mit den vielen Partnern aus Bau, Industrie, Fördergebern und der Bauherrenschaft transparent und ergebnisoffen zusammengearbeitet hat. Um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu wollen, müssen die Grenzen der Fachdisziplinen noch weiter übereinandergeschoben werden.

5 Zusammenfassung

Die Integration von Bauteilen aus Beton in das Konzept zur Energieversorgung, Energiewandlung, Energiespeicherung und Energienutzung sowie deren thermische Aktivierung bieten besondere Vorteile für energieeffiziente Gebäude. Hier kann die „passive“ Rolle von Tragwerk und Gebäudehülle sowie die aus energetischer Sicht zu stark einschränkende, häufig isolierte Betrachtung der Wirkung von Dämmstoffen als Maß für die Güte der Energieeffizienz von Gebäuden überwunden werden. Im Neubau ETA-Fabrik auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt wurden hierzu multifunktionale Gebäudehüllelemente aus Beton in Fertigteilbauweise im Wand- und Dachbereich verbaut, deren innere Tragstruktur und äußere Wetterschutzschicht durch wasserführende, kapillarähnliche Rohrleitungsnetze nahe den Betonoberflächen zum Heizen und Kühlen thermisch aktiviert sind und deren Dämmschicht erstmals aus einem ultraleichten Schaumbeton hergestellt ist.

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Autoren

Dipl.-Ing. Andreas Maier, M. Eng. (Korrespondenzautor) maier@ismd.tu-darmstadt.de Technische Universität Darmstadt Institut für Statik und Konstruktion, ISM+D Franziska-Braun-Str. 3 64287 Darmstadt

Dipl.-Ing. Architekt Martin Hochrein hochrein@dietz-joppien.de Dietz • Joppien Planungsgesellschaft mbH Schaumainkai 69 60596 Frankfurt am Main

Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider schneider@ismd.tu-darmstadt.de Technische Universität Darmstadt Institut für Statik und Konstruktion, ISM+D Franziska-Braun-Str. 3 64287 Darmstadt

Prof. Dipl.-Ing. Architekt Anett-Maud Joppien, M. Arch. joppien@dietz-joppien.de Technische Universität Darmstadt Fachgebiert Entwerfen und Gebäudetechnologie El-Lissitzky-Straße 1 64287 Darmstadt Dipl.-Wirtsch.-Ing. Martin Beck m.beck@ptw.tu-darmstadt.de Technische Universität Darmstadt Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen, PTW Eugen-Kogon-Straße 4 64287 Darmstadt

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Maier, A.; Hochrein, M.; Schneider, J.; Joppien, A.-M.; Beck, M. (2021) Energieeffizienz weitergedacht: die thermisch aktivierte Gebäudehülle als Teil einer Prozesskette. Bautechnik 98, H. 1, S. 29–41. https://doi.org/10.1002/bate.201900107 Dieser Aufsatz wurde in einem Peer-Review-Verfahren begutachtet. Eingereicht: 4. Dezember 2019; angenommen: 21. Oktober 2020.

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