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muss neu ansetzen. Seite
from Pfarrblatt
«Jesus ist für dich gestorben», «Er hat unsere Sünden getragen» – solche Kurzformeln berufen sich auf eine breite Tradition, die den Tod Jesu als Sühnopfer deutet: Sein unschuldiges Leiden und Sterben am Kreuz hätte alle menschliche Schuld aufgewogen. Weil er stellvertretend für die Menschen gelitten hätte, könnte Gott ihnen vergeben und den Himmel öffnen. Diese Interpretation reicht bis zu Paulus zurück und wurde mit der Satisfaktionslehre Anselm von Canterburys († 1109) kirchlicher Mainstream. Wie die Theologie Hans Urs von Balthasars († 1988) zeigt, wird das Kreuz Jesu auch heute noch als Sühnopfer verstanden.
Anfragen an das Sühnopfer
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Doch immer mehr Christ:innen haben mit der Sühnopfertheologie ihre Schwierigkeiten: Warum bedarf der Allmächtige eines Opfers, um den Menschen zu vergeben? Was ist das für ein Gott, der sich besänftigen lässt vom grausamen Tod seines Sohnes? Darf man ihm vertrauen und auf ihn hoffen? Wie soll es gehen, dass einer für die moralische Schuld eines anderen geradesteht? Um es kurz zu machen: Es gibt keine intellektuell und existenziell befriedigenden Antworten auf diese kritischen Anfragen. Die Sühnopfertheologie hat ausgedient. Sie wird eher als Hindernis denn als Hilfe für ein erlöstes Dasein wahrgenommen. Wer dem Kreuz eine heilvolle Bedeutung abgewinnen will, muss neu ansetzen.
Über Kreuz ...
Nach christlichem Glauben hat Jesus Christus die Menschheit durch seinen Tod am Kreuz erlöst. Aber wovon eigentlich? Und wie könnte Erlösung heute gedacht werden? Schon einfache Anfragen zeigen: Am Kreuz hängt nicht zuletzt das Gottesbild.
Von Jonathan Gardy
Erlösung – aber wovon?
Worauf soll sich Erlösung überhaupt beziehen? Was ist es, das einen Menschen fesseln und lähmen kann? Wer schuldig geworden ist, trägt mitunter schwer daran. Das erlösende Wort «Ich vergebe dir» kann sich niemand selber sagen. Mit seiner Schuld stösst ein Mensch an eine Grenze, die er aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Auch mit anderen Grunderfahrungen wie Angst, Sinnlosigkeit und Scham wird er nicht selber fertig.
Ein zeitgemässes Verständnis
Vor gut 40 Jahren entwickelten die Theologen Hans Kessler (*1938) und Karl Rahner († 1984) ein neues Verständnis des Kreuzestodes: Jesus verkündete in Wort und Tat, dass Gott es unbedingt gut mit uns meint. Wie der barmherzige Vater im Gleichnis (Lk 15) sucht Gott die Versöhnung mit den Menschen – ohne eine Wiedergutmachung zu fordern. Auf Gott kann der Mensch bedingungslos vertrauen, im Leben wie im Sterben: Für diese frohe Botschaft gab Jesus alles. Als sie abgelehnt wurde und er in Bedrängnis geriet, hätte er seinem Tod durch Flucht oder Gewalt ausweichen können. Dann aber wäre sein Evangelium an Unglaubwürdigkeit gestorben. Also blieb Jesus gewaltlos und liebend zugewandt – sogar denen gegenüber, die ihm das Leben nahmen. Dass er von der Verbundenheit mit Gott nicht nur sprach, sondern aus ihr auch die Kraft zu einem freien Leben (und Sterben!) schöpfte, machte Jesu Botschaft glaubwürdig. Und insofern lässt sich sagen: Jesus Christus ist für uns gestorben. Aber vorher hat er auch für uns gelebt! Das Kreuz und die Auferweckung Jesu Christi machen glaubhaft, dass Gott in ihm offenbart hat, wie er wirklich ist: sym-pathisch (griech.: mit-leidend) mit den Menschen, radikal gewaltlos und hingebungsvoll bis zum Letzten. Kann das Vertrauen auf einen solchen Gott erlösen von Angst, Leere und Scham? Der Blick auf das Kreuz erinnert an einen Menschen, der sich ganz in Gott festmachte. Wie sein Gebet im Garten Gethsemani am Vorabend seiner Hinrichtung zeigt, war er nicht frei von Angst. Aber er liess sich von ihr weder lähmen noch von seinem Ziel abbringen. Jesus wusste, wofür er lebte: «Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben» (Joh 10,10). Sein Beispiel zeigt auch, dass liebevolle Hingabe das Leben reich macht und den Tod überdauert. Schliesslich die Scham: Am Kreuz hing ein nackter Versager. Die meisten seiner Jünger:innen hatten ihn verlassen. In den Augen der anderen war er ein gescheiterter Hochstapler, der sich als Sohn des Höchsten ausgegeben hatte und schliesslich nur von ihm verflucht worden war. Eine grössere Beschämung lässt sich kaum vorstellen. Dass Jesus sie ertragen konnte, erinnert an einen Gott mit anderen Massstäben (vgl. 1 Kor 1,18–31; Phil 2,5–11). Er wendet sich den Armen und Bedrängten zu und richtet die Gebeugten auf (Ps 145,14). Er selbst macht von Bethlehem bis Golgota deutlich: Es ist keine Schande, ein blosser Mensch zu sein. Das Kreuz ist kein harmloses Symbol. Es erinnert auch an das Leid und die Ungerechtigkeit, welche die Menschheitsgeschichte seit jeher begleiten. Doch der Blick auf das Kreuz soll nicht Angst machen, sondern Mut: zu einem befreiten, hingebungsvollen Leben in der Weise Jesu Christi.
Den vollständigen Artikel finden Sie unter www.pfarrblattbern.ch
Illustration: iStock/Julia Lemba