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Die Bühne und ich

Ein Selbstporträt von Swaantje Lena Kleff

Immer wenn ich zu Beginn einer neuen Produktion die große Bühne des DNT Weimar zum ersten Mal betrete, nehme ich mir einen Moment Zeit, sie angemessen zu begrüßen. Ich klopfe dreimal an eine ihrer schwarzen Mauern, verspreche ihr, sie respektvoll zu behandeln – schließlich hat die Grande Dame schon einige Berufsjahre auf dem Buckel – und hoffe im Gegenzug, dass sie gut zu allen Spieler*innen, dem Team und mir sein wird.

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Vielleicht werden Sie jetzt denken: »Schon schrullig, dieser Aberglaube am Theater!« Doch zur Abwechslung hat dieses Ritual mal nichts mit Aberglaube zu tun, ich bin – zumindest was das angeht – einfach gut erzogen. Schließlich sind die Bühne und ich zwei alte Bekannte, die schon viel Zeit miteinander verbringen durften. (geflüstert) Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, die Bühne und ich sind in den letzten Jahren gute Freundinnen geworden, aber da fragen Sie sie beim nächst möglichen Theaterbesuch am besten selbst.

Nächstes Jahr kennen wir uns 10 Jahre, die Bühne und ich. Als wir uns im August 2012 kennenlernten, war ich eine junge Regieassistentin, beflügelt vom frisch absolvierten Studium an der Uni Leipzig und der Sehnsucht, alles aufzusaugen, was mit Theater zu tun hat. Das hat sich bis heute nicht geändert, auch wenn ich keine Regieassistentin mehr bin.

Als Regisseurin habe ich das große Glück, einen Beruf zu haben, in dem man jeden Tag etwas Neues lernt; und oft ist das am Ende eines Tages etwas ganz Anderes gewesen als das, was man zu dessen Beginn vielleicht angenommen hat.

Wussten Sie beispielsweise, wie kompliziert es war, die aerodynamisch perfekte Konsistenz des Erbrochenen für eine nicht ganz unwichtige Szene in unserer Inszenierung von »Der Gott des Gemetzels« zu ermitteln? Drei Sitzungen mit den Haferflocken-Zauber*innen der Requisite, zwei verklebte Handtaschen-Innenleben und acht dreckige Oberhemden später wusste ich es und ich kann heute mit absoluter Sicherheit behaupten: Einer der schönsten Momente meines jungen Berufslebens war es, als Nadja Robiné ihrem Bühnengatten Sebastian Nakajew während einer Probe endlich so perfekt auf Hemd und Gesicht spie, dass wir uns alle vor Glückseligkeit weinend in den Armen lagen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt natürlich auch weniger schöne Momente: Chaotische erste Abläufe, in denen nichts zu funktionieren scheint; die quälende Stille im Zuschauerraum nach der Lieblingspointe; oder wenn ich meinen Radiergummi während der Endproben verliere. (geflüstert) Aberglaube! Am wenigsten mag ich aber wohl den Tag nach der Premiere, an dem man leicht verkatert seine Koffer packt und abreisen muss, ohne zu wissen, wann man die Kolleg*innen, die Produktion, kurzum das Theater wiedersehen wird, in dem man jede freie Minute der letzten sechs Wochen verbracht hat. Diese Abschiede fallen mir überall schwer, in Weimar jedoch immer besonders. Aber zum Glück sehen wir uns von nun an häufiger, die Bühne und ich. Dann sprinte ich wieder zu Beginn jeder Produktion an der Pforte vorbei, lege – Achtung Aberglaube! – Jacke und Mütze ab und begrüße die Grande Dame. Denn gute Freund*innen begrüßt man nun mal als erstes, oder nicht?

Swaantje Lena Kleff wurde in einer stürmischen Juli-Nacht in Hannover geboren und lebt heute in Leipzig. Seit 2015 arbeitet sie als freie Regisseurin. Am DNT inszenierte sie u .a. Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« sowie den Weihnachtsklassiker »A Christmas Carol«. Ab dieser Spielzeit wird Swaantje Kleff als Hausregisseurin ans DNT zurückkehren. Sie hasst Oliven und liebt Dinosaurier.

Bernhard Stangl Posaune