Barrierefreie Kindheit? (Diakonie Themen 2/2008)

Diakonische Information Nr. 149-4/08

Themen

Barrierefreie Kindheit?

Interview: Andrea Strachota

Im Wordrap: Christine Nöstlinger

Preisverdächtig: Starke Stücke

Manuel und der Super-Talker

EDITORIAL

Diakonie Österreich/Barbara Krobath

Die Schönheit der Welt Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

Prediger 11

W

ir sind geschaffen nach Gottes Eben- Geschöpfe entzieht sich diesem dualistischen bild, als Mann und als Frau. Geschaf- Denken. fen in Schönheit als Abglanz der Zum anderen haben wir gelernt, dass „Schönheit“ Herrlichkeit Gottes. Geschaffen als herstellbar ist. „Moderne Kleidung, zarte junge Teil einer schönen Schöpfung, geschaffen mit oder Haut, eine dezente Aufmachung des Gesichtes, ohne Behinderung. glän­zendes volles Haar, schlanke Glieder, anzieh­en­ Die jüdisch-christliche Mystikerin Simone Weil der Körpergeruch, gepflegte Hände, runde Brüste, schreibt: „Die Schönheit der Welt ist Christi zärt- ein fester Hintern, dynamisches Auftreten“ – Schönliches Lächeln für uns durch sein wird als Summe dieser den Stoff hindurch. Er ist wirkQualitäten verstanden, wie lich gegenwärtig in der Schöndie Behindertenpädagogin heit des Alls.“ Bar­bara Rohr feststellt. Und WIR sind durch Im Interview (S. 10) weist die Kosmetikindustrie und die jahrhundertealte die Professorin für Heilpädago­ plas­ti­sche Chirurgie verspreMuster geprägt chen uns täglich, dass Schöngik Andrea Strachota darauf heit machbar ist. hin, dass die „Sichtbarkeit“ Die Schönheit der Schöpvon Behinderung, der soziale fung Gottes und seiner Geschöpfe entzieht sich der Wert der „Schönheit“, unsere Einstellungen, unsere Akzeptanz, aber auch unsere Ablehnung von Men- Machbarkeit. Ein Diktat einer Schönheitsnorm zu schen mit Behinderung massiv beeinflusst. errichten, der kaum jemand entsprechen kann, ist Wir sind durch jahrhundertealte Muster geprägt. Teil des großen Sündenfalls. „Schönheit“ galt als Widerschein des Göttlichen im Stattdessen gilt es, staunend vor der Schönheit Menschen. „Hässlichkeit“ galt dagegen als Verge- der Schöpfung zu stehen, die Gottes Ebenbild in so genständlichung des Bösen, körperliche Entstel- vielfältiger Weise widerspiegelt. Sind wir doch gelung als Symbol des Dämonischen. schaffen als Mann und als Frau, als Menschen mit Wir tragen dieses dualistische Muster in uns. Behinderung oder ohne, als Schwarze oder Weiße, Die Schönheit der Schöpfung Gottes und seiner immer aber als Teil der Schönheit der Welt.

Pfarrer Mag. Michael Chalupka, Direktor Diakonie Österreich n 2

Themen

INHALT

04 06

Womit ich am liebsten spiele ...

Spiele der Kleinen und Großen.

Kein Chromosom zu viel

Machen wir Eltern Mut, sich ein Leben mit

einem Kind mit Behinderung zuzutrauen.

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Lernbehinderung: Stempel, Etikett, Stigma

Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Schönheit

bestimmen unsere Einstellungen zu Menschen

mit Behinderungen.

14 THEMA: Kinder mit Behinderungen

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Ein Stück Welt in Sprache umsetzen

Wordrap mit Christine Nöstlinger.

Starke Stücke

Ein integratives Kunstprojekt Werden aufgrund der Pränataldiagnostik nur mehr Kinder ohne Behinderungen geboren?

Expertinnen mit unterschiedlichem Fachhintergrund beantworten unsere Frage.

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Bessere Entwicklungschancen

Therapie bei Kindern mit Beeinträchtigung.

Die Welt in Zahlen Buchempfehlungen, Glossar Diakonie hautnah Kurz gemeldet Auf den Punkt gebracht Kontakte und Adressen

An diesem Heft mitgearbeitet haben Karin Brandstötter, Diakonie Flüchtlingsdienst Andrea Brummeier, Diakoniewerk Gallneukirchen Alois Dittmer, Diakonieverein Salzburg Sonja Frank, Diakonie Zentrum Spattstraße David Hofer, LifeTool Petra Jens, Diakonie Österreich Günther Karner, Diakonie Kärnten

Katharina Meichenitsch, Diakonie Österreich Verena Schöpf, Diakoniewerk Gallneukirchen Gunter Stähle, Diakonie Kärnten Anna Stöcher, Fotografin Martha Stollmayer, Diakonie Zentrum Spattstraße Katharina Titz, Diakonie Kärnten Karin Tzschentke, Der Standard

Themen

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PORTRÄTS

Womit ich am liebsten Kevin Kohlweiss

I

Diakonie Kärnten/Gunther Stähle

Kevin Kohlweiss, zehn Jahre, lebt seit vier Jahren im Haus Bethanien und besucht die Volksschule mit Integrationsklasse in Feldkirchen. Das Haus Bethanien der Diakonie Kärn­ten ist eine integrative Wohngemeinschaft mit insgesamt zwölf Kindern/Jugendlichen und sieben MitarbeiterInnen. Durch die integrative Wohnform ergibt sich die Möglichkeit, dass sich Menschen mit und ohne Behinderung näherkommen, dass beiderseitige Veränderungen initiiert werden und ein Miteinander möglich wird.

ch spiele ganz verschiedene Spiele, aber am liebsten mit David, Jens und Markus. Manchmal spiele ich auch mit mir selbst, da fahr ich dann Inlineskates, geh i außi hupfen oder les auch Ritterbücher und von der Formel 1 Bücher.

Beim Landhockey steh i im Tor, da bin ich Tormann. Ich halte auch viele Tore.

Auf den Spaß kommt’s an. Fußball spiel ich auch mit meinen Freunden. Was ich besonders mag, ist Trampolinspringen, da kann i an Salto – so nach hinten aufs Kreuz und dann kann i an Handstand.

Kreativ bin i a noch. Do hob i was gebastelt in der Schule – zoag i dir glei ... (läuft los und holt einen bunt bemalten Stifthalter aus Klorollen). Is für die Mama. In der Schule mog i gern Turnen, Mathe und den Sport. Und abends spielen wir alle oft zusammen in unserer Spielrunde, da nimm i gern teil.“

Elisabeth Fürlinger

I

ch spiele hier im Kindergarten sehr gerne mit Anna. Schaukeln macht uns beiden viel Spaß. Anna kann nicht allein auf die Reifen-Schaukel steigen, aber ich helfe ihr dabei. Wir gehen auch gemeinsam in einen Schwimmkurs.“ Sara aus Engerwitzdorf ist 5 1/2 Jahre alt und besucht den Integrativ-Kindergarten Martinstift des Diakoniewerkes in Gallneukirchen. Sie ist mit der um ein Jahr älteren Anna befreundet, die eine Beeinträchtigung hat. Sara kümmert sich um Anna, schaut darauf, dass sie überall mitmacht. Dank Sara ist Anna gut in die Kindergartengruppe integriert. Annas Leidenschaft ist die (Volks-)Musik, sie kann jedes Instrument in einer Musikkapelle benennen.

Anna und Sara

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Themen

ie Hängematte ist im Therapiebereich vielseitig verwendbar, z. B. zum Schaukeln in Bauch­lage, um eine bessere Muskelspannung zu erreichen. Umgebaut kann sie als Piratenschiff mit Sturmböen und Wellen den Gleichgewichtssinn schulen. Und genauso ist die Hängematte eine Möglichkeit, um diffuse Reize wie Sand, Matsch, Schaum besser auszuhalten. Kinder lernen am besten, wenn sie motiviert sind und Spaß am Spiel haben!

Eine Hängematte ist dazu eine ideale Möglichkeit.“ Elisabeth Führlinger, Ergotherapeutin im Diakonie Zentrum Spattstraße, ist spezialisiert auf Kinder mit Wahrnehmungsstörungen, Verhaltensschwierigkeiten, kog­nitiven und motorischen Einschränkungen.

Diakonie Zentrum Spattstraße

Diakoniewerk Gallneukirchen

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PORTRÄTS

spiele ...

Spiele der Kleinen und Großen. Betreute und BetreuerInnen innerhalb der Diakonie präsentieren ihre Lieblinge.

S

eit einiger Zeit haben wir jetzt ein neues Com­pu­ter­spiel, nennt sich „Play with me“ – das ist echt klasse, da kann ich sozusagen „gegen“ Magdalena oder Mama spielen ... Ich hab anfangs nicht so recht umgehen können damit, aber inzwischen wird’s immer besser, und ich spiel schon ganz gerne ... nur die Magdalena ist halt manchmal schon ein schwerer Gegner ... und außerdem ist sie eine schlechte Verliererin ...

http://isabella-online.blogspot.com

Isabella Isabella ist ein ganz besonderes Mädchen: Auf einem ihrer XChromosomen hat sich ein Fehler eingeschlichen; deshalb lebt sie mit dem Rett-Syndrom.

Isabella ist fröhlich und selbstbewusst, eine junge Dame, die sehr genau weiß, was sie will.

Von LifeTool bekommen Isabella und ihre Eltern professionelle Beratung und unterstützende Hard- und Software.

(Isabellas Blog: http://isabellaonline.blogspot.com/)

Wovon ich gerne erzähle ...

Maya

Hallo, ich bin Sanya (11), und das auf der Zeichnung ist meine Schwester Maya im Rolli.

Meine Schwester liebt das Computerspielen, und ich helfe ihr dabei.

Gemeinsam haben wir viel Spaß.

Wir gehen zu LifeTool und schauen, ob es für Maya etwas gibt, mit dem sie am Computer spielen kann.

Sanya spielt am Computer, und Maya kann nur zuschauen. Maya möchte die Maus probieren, es geht aber nicht. Sie ist unglücklich, denn die Maus tut nicht, was sie will.

Da probiert Maya den Joystick, und es funktioniert sehr gut.

Mama borgt den Joystick aus, und zu Hause übt Maya fleißig.

Da hat Mama eine Idee, die ich großartig finde.

Nun kann Maya alleine das Spiel PuzzleWorld spielen.

Maya freut sich sehr!

Themen

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Fotos: Diakoniewerk Gallneukirchen

THEMA

Kein Chromosom zu viel Schafft es eine Gesellschaft, Menschen mit Behinderungen in ihrer Mitte Platz zu geben und zu integrieren, so kann dies auch Eltern Mut machen, sich ein Leben mit einem Kind mit Behinderung zuzutrauen.

Von Katharina Meichenitsch

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Themen

THEMA

Kinder mit Behinderungen: n Interview mit Bildungswissenschafterin Andrea Strachota n Drei beispielhafte Projekte n Ärztin und Hebamme zu Pränataldiagnostik n Fachkommentar Werner Gerstl n Die Welt in Zahlen

Z

Zeitraum leicht gestiegen ist, lässt sich auf die Zahl jener Kinder mit einer sozialen Verhaltensauffälligkeit bzw. einem Entwicklungsrückstand erklären.

BehindertenvertreterInnen fragen bereits, ob man bei diesen Zahlen nicht schon von Selektion sprechen kann. Und Österreich ist hier nicht allein: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Anzahl der mit Down-Syndrom geborenen Kinder in zentral- und osteuropäischen Staaten ebenso wie in Österreich zwischen Mitte der 1990er-Jahre und Mitte der 2000er-Jahre kontinuierlich gesunken. Auffallend ist aber, dass im Gegensatz dazu die Anzahl in den nördlichen Ländern stabil blieb oder sogar stieg.

Warum aber kommen hierzulande immer weniger Kinder mit Behinderungen zur Welt?

s s

wischen 1997 und 2006 ist die Anzahl der neugeborenen „Kinder mit erkennbaren Missbildungen“ in Österreich um rund 40 % gesunken. Demgegenüber steht ein Minus von „nur“ 7 % weniger Kindern ohne erkennbare Missbildungen im gleichen Zeitraum (Quelle: Statistik Austria).

Obwohl sich eine solche Entwicklung verzögert in der Kindergartenstatistik niederschlägt, wurden in Österreich bereits zwischen den Schuljahren 1997/98 und 2002/03 um etwa 30 % weniger Kinder mit einer körperlichen Behinderung und 15 % weniger Kinder mit einer Lernbehinderung in Kindertagesstätten betreut.

Dass insgesamt die Zahl der „Kinder mit einer Behinderung“ in Kinderbetreuungsstätten im gleichen

Themen

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THEMA

Die Entscheidung, ein Kind mit Behinderung zu bekommen, liegt in der Verantwortung der Eltern

1) Die höheren Ausgaben für „disability“ der Eurostat ergeben sich durch andere Berechnungsmethoden, insbesondere die Hinzu­zählung der Invalidi­tätspensionen.

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Themen

Die Entscheidung, ein Kind mit Behinderung zu bekommen, liegt in der Verantwortung der Eltern. Im medizinischen Bereich hat die Pränataldiagnostik in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erzielt und kann mit unterschiedlichsten Methoden die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung oder Miss­bildung in einer laufenden Schwangerschaft feststellen. Diese Errungenschaften haben dazu bei­getragen, dass weniger Kinder mit Behinderun­ gen geboren werden. Prä- oder Perinataldiagnostik kann zukünftigen Eltern von Kindern mit Behinderungen eine Entscheidung ermöglichen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Interessanter ist es jedoch, die sozialpolitischen Umstände zu betrachten, die unter anderem diese Entscheidung beeinflussen. Schafft es die Sozialpolitik eines Landes, Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft einen Platz zu geben und zu integrieren, kann dies auch Eltern Mut machen, sich ein Leben mit einem Kind mit Behinderung zuzutrauen. Positive Beispiele von gelungener Inklusion ebenso wie niederschwellige Dienstleistungen und Angebote für Menschen mit Behinderungen können wesentlich dazu beitragen. Österreich gibt für Behindertenhilfe (Unterbringung, Betreuung, geschützte Arbeit, Beschäftigungstherapie) auf Länder- und Gemeindeebene etwa eine Milliarde Euro jährlich aus. Zusätzlich wendet es knapp 400 Millionen Euro für 72.000 Bundes- und LandespflegegeldbezieherInnen auf, die zwischen 0 und 60 Jahren alt sind. Weitere Ausgaben sind etwa Unterstützungen für impfgeschädigte Personen.

Laut „Eurostat“ verwendet Österreich etwa 2,2 % seines Bruttoinlandsprodukts für den Bereich „disabi­lity“ (Behinderung), der EU-27-Durchschnitt

beträgt 2,1 %. Die nordischen Staaten sind Spitzenreiter mit etwa 4,8 % in Schweden und 4,2 % in Dänemark. Österreich liegt im Mittelfeld der Ausgaben für Menschen mit Behinderungen in der EU. 1 Wird nun die Gestaltung des sozialpolitischen Bereichs von Behinderung betrachtet, fallen zwei Dinge auf: Erstens ergeben sich Probleme bei den verschiedenen Zuständigkeiten der einzelnen Behörden.

BEHINDERTENHILFE in Österreich erfordert weitreichende selbstständige Koordination und Information Neben Krankenversicherungsträgern für medizini­ sche Belange sind Pensionsversicherungsanstalten sowie Landesregierungen für finanzielle Unterstützungen zuständig, z. B. bei Ankäufen von Hilfsmitteln oder Wohnungsadaptierungen.

Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend bietet weitere finanzielle Unterstützungen allgemeiner Art, wie z. B. Steuererleichterungen oder eine Gratis-Autobahnvignette, die beim Bundessozial­amt vorzutragen sind.

Die erhöhte Familienbeihilfe wiederum fällt in die Kompetenz der Finanzämter. Mobile Frühförderung wird in den meisten Ländern über die Bezirkshauptmannschaften angeboten.

Es wird schnell klar, dass mittlerweile zwar viele Leistungen für Menschen mit Behinderungen verfügbar sind, diese jedoch weitreichende selbst­ ständige Koordination und Information erfordern, um in Anspruch genommen werden zu können.

THEMA

Exklusion vom Regelunterricht

Dänisches Positivbeispiel

Zweitens zielen Leistungen im österreichischen Sys­tem der Behindertenhilfe für Kinder mit Behinderungen vor allem auf die schulische Eingliederung ab, die seit Anfang der 1990er-Jahre für die Volksschule, etwas später auch für die Hauptschule gesetzlich verankert wurde. Ein flächendeckendes System der integrativen Pflichtschulen gibt es allerdings nicht. Exklusion vom Regelunterricht steht bei Kindern mit Behinderungen nach wie vor an der Tagesordnung.

Wesentlich schwieriger scheint sich die Inanspruchnahme von Betreuungsangeboten der unter Vierjährigen zu gestalten, sind aktuell doch laut Statistik Austria nur 221 der 956 öffentlichen und privaten Kinderkrippen mit einer/einem Son­der­ pädagogin/-pädagogen besetzt. 80 % dieser Krippen befinden sich in Wien. Spezifische Leistungen für Kinder mit Behinderungen wie z. B. Frühförderungen oder frühe Kommunikationsförderung werden immer häufiger angeboten, auch wenn noch nicht alle Bundesländer flächendeckend Leistungen erbringen und oftmals Zuzahlungen zu leisten sind. „Ich würde mir wünschen, dass heilpädagogische Frühförderung bekannter würde“, kommentiert Andrea Strachota vom Institut für Bildungswissenschaften die aktuelle Situation (siehe Interview ab S. 10). „Bei der heilpädagogischen Frühförderung geht es um Begleitung, um Stärkung der Entwicklungsressourcen der Kinder und Stützung der Erziehungskompetenzen der Eltern.“ Neben den geteilten Zuständigkeiten und dem fehlenden Fokus auf Kinder unter sechs Jahren gibt es vor allem im ländlichen Raum, an Wochenenden und Feiertagen sowie in den Schulferien zu wenig Angebote. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie trifft hier wieder Frauen am stärksten. Eine solche Situation kann nicht einladend auf zukünftige Eltern von Kindern mit Behinderungen wirken.

Um ein alltägliches Leben führen zu können, müssen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen optimal erhoben werden, um auch adäquat reagieren zu können. Ein Positivbeispiel findet sich in Dänemark, wo Einstufungen der pflegeund betreuungsbedürftigen Personen individuell erfolgen.

Dies kann dazu führen, dass Menschen mit derselben Behinderung unter­schied­li­ che Dienstleis­tungen erhalten, je nach ihren persönlichen Bedürfnissen und Le­bens­ge­ wohn­heiten. Von einer derartigen Bandbreite bei sozialen Diensten, erhoben und erbracht von nur einer organisatorischen Einheit (nämlich der Gemeinde), ist Österreich noch weit entfernt.

Werden keine sozialpolitischen Ziele formuliert, und keine wohlfahrtsstaatlichen Impulse gesetzt, entstehen Nachteile für die gesamte Gesellschaft.

Menschen ohne Behinderungen sind in Situationen, in denen sie Menschen mit Behinderungen begegnen, oft überfordert und hilflos. Pluralität in einer Gesellschaft hingegen kann ein Nährboden für soli­ darisches Verhalten gegenüber dem Nächsten sein und innovatives Denken fördern.

Kinder mit Behinderungen dürfen offensichtlich nicht mehr zur Welt kommen. Eine moderne und umfassende Integrations- und Inklusionspolitik in Österreich könnte diesem Trend entgegenwirken und zukünftigen Eltern von Kindern mit Behinderungen zumindest signalisieren: Es geht! n

Solidarisches Verhalten gegenüber dem Nächsten

Themen

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INTERVIEW

Andrea Strachota

ist Assistenzprofessorin für Heilpädagogik und integrative Pädagogik am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien.

Lernbehinderung: Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Schönheit bestimmen unsere Einstellungen zu Menschen mit Behinderungen, sagt Andrea Strachota.

Interview: Katharina Meichenitsch DiakonieThemen: Frau Stracho-

ta, wie erleben Sie unsere Gesellschaft im Umgang mit Kindern mit Behinderungen?

Der gesellschaftliche Umgang mit Behinderung ist ein höchst ambivalenter, auf der allgemeinen gesellschaftlichen Ebene ebenso wie auf einer individuellen Ebene. In den letzten Jahren hat sich ja viel verändert, z. B. steht seit 1997 im Bundesverfassungsgesetz (Ar­ti­ kel 7, Absatz 1), dass niemand aufgrund seiner Behinderung be­nachteiligt werden darf. Es hat lange gedauert, bis das in Österreich erreicht wurde. Zugleich haben wir aber den Paragrafen 97 im Österreichischen Strafgesetzbuch, wo gesetzlich

Andrea Strachota:

10

Themen

geregelt ist, wann ein Schwangerschaftsabbruch jenseits der Fristenregelung, d. h. bis zur Geburt, in Österreich straffrei gestellt ist. Diese eugenische Indikation besagt, dass ein Abbruch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat bis zur Geburt mög­lich ist, wenn die „ernste Gefahr besteht, dass das Kind geis­tig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“.

Befragt man Menschen auf der individuellen Ebene nach ihrer Einstellung zu Menschen mit Behinderungen, dann ist zwar eine durchaus positive Haltung ablesbar: Integration wäre zu befürworten, Kinder wären nicht in Heimen unterzubringen etc.

Wenn es dann aber um die eigene Betroffenheit geht, um das

mögliche eigene behinderte Kind, dann kippt diese Einstellung sehr schnell in eine gar nicht mehr so positive Haltung.

? Wie werden Kinder mit intellektuellen Behinderungen oder Lernbehinderungen in Österreich integriert?

Eine Lernbehinderung ist ein ganz spezielles Phänomen, das es nur in bestimm­ ten, nämlich leistungs­orien­tier­ ten Gesellschaften gibt, nämlich da, wo Kinder innerhalb eines Schulsystems bestimmte Normen in einer bestimmten Zeit erfüllen müssen. Wenn sie diesen nicht entsprechen, ist man da recht schnell mit der Zuschreibung „Lernbehinderung“. Dann werden Gutachten erstellt, und

Strachota:

Fotos: Anna Stöcher

INTERVIEW

Stempel, Etikett, Stigma ? Wie äußert sich diese negative soziale Reaktion?

Strachota: Menschen mit Behin­ derungen verunsichern und machen oft Angst. Man weiß nicht recht, wie man reagieren soll – und geht auf Distanz; man versucht, Begegnungen mit ihnen zu vermeiden. Und es ist bemerkenswert, dass diese Distanzphänomene verstärkt dann auftreten, wenn die Behinderung stark sichtbar ist.

Das ist auch aus Studien bekannt, in denen neben der Funktionsbeeinträchtigung (da ist der soziale Wert die Leistungsfähigkeit und Gesundheit) eigentlich die Sichtbarkeit (da ist der sozialer Wert die Schönheit) als wesentlichste Determinante von Einstellungen genannt wird. Das bedeutet, es ist vor allem die Sichtbarkeit von Abweichungen, die massi­v Einfluss auf die Qua­ lität von Einstellungen nimmt.

Nicht die Schwere der Behinderung ist für einen solchen Pro-

zess wichtig. Erkennbar ist das am Beispiel Blindheit: Blindheit gilt als objektiv schwere Behinderung, die soziale Reaktion ist jedoch vergleichsweise moderat.

Was also den gesellschaftli­ chen Umgang mit Kindern mit Behinderungen betrifft, lässt sich nochmals sagen: Er ist ein höchst ambivalenter: Einerseits sollen Menschen mit Behinderun­ gen, so gut es geht, unterstützt werden. Denkt man andererseits an die Pränataldiagnostik, heißt es aber: Es sollen Menschen mit Behinderung vermieden werden – und zwar so früh wie möglich, also bereits vorgeburtlich.

? Kann Frühförderung dazu beitragen, Behinderungen zu vermeiden?

Strachota: Wenn man „funktionierende“ Kinder will, die dem System, d. h. den Normen und Erwartungen, entsprechen, dann wird man sagen: Je früher, desto besser.

s s

es kommt zur Diagnose, zur Festschreibung der Lernbehinderung: Stempel, Etikett, Stigma.

Lernbehinderung ist ein schönes Beispiel dafür, dass Behinderung erst vor dem Hintergrund und in Bezug auf gesellschaftliche Erwartungen, die nicht erfüllt werden, existent wird. Das bedeutet, dass sich Behinderung als Produkt von Zuschreibungen immer mehr in einem sozialen Kontext konstituiert.

Individuelle Einstellungen und konkrete Verhaltensweisen sind im gesellschaftlichen Werte­sys­ tem eingebettet. Weicht ein Mensch von den gesellschaftlichen Erwartungen ab, verletzt ein Mensch fundamentale soziale Werte wie Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Schönheit, dann wird dieses Anders-Sein bewertet – im Falle von Behinderungen ist diese Bewertung negativ. Und die konkrete soziale Reak­tion auf Menschen mit Behinderung ist vielfach eine negative.

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PROJEKTE

Wohngemeinschaften Steinergasse in Wien Barrieren brechen: 10 Jahre LifeTool

I

Diakoniewerk Gallneukirchen

P

Die räumliche Nähe zur eigenen Familie gewährleistet den BewohnerInnen die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Beziehung zu den Angehörigen.

Diese sind die wichtigsten Partner in der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und werden in die Lebensgestaltung mit einbezogen.

erfekt angepasste technologische Hilfsmittel verbessern die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen wesentlich. Seit zehn Jahren kooperieren die Austrian Research Centers (Forschungszentrum Seibersdorf) und die Diakonie bereits erfolgreich auf diesem Gebiet. Gemeinsam wurde eine Vielzahl von unterstützenden Computertechnologien auf den Markt gebracht, die inzwischen weltweit führend sind, wie etwa die Integramouse, die eine Maussteuerung per Mund ermöglicht.

Der „Grundstein“ dafür wurde am 23. Oktober 1998 in Linz mit der Arbeitsgemeinschaft „Integration durch Kompetenz“ gelegt. Heute ist LifeTool ein eigenständiges Unternehmen und wird als gemeinnützige GmbH ge-

www.lifetool.at Lifetool

n der Steinergasse im 17. Wiener Gemeindebezirk führt das Diakoniewerk Gallneukirchen drei betreute Wohngemeinschaf­ ten für Kinder und Jugendliche mit intellektueller und mehrfacher Behinderung und/oder Verhaltensauffälligkeiten.

Sie bie­­­­­ten Platz für 20 Kinder und Jugendliche mit mittlerem bis hohem Bedarf an Pfle­ge und pädagogischer Begleitung. In der Rund-um-die-Uhr-Betreuung erleben die BewohnerInnen ein Zuhause, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen können.

Die nach den individuellen Bedürfnissen liebevoll gestalte­ten Räumlichkeiten bieten glei­cher­ maßen Rückzugs­mög­lich­kei­ten und Gemeinschafts­erleb­nis­se.

Der Alltag in den drei Wohnun­ gen ist bestimmt vom Gedanken der Integration und der Normalisierung.

Die gute infrastrukturel­le Lage der Wohnun­gen ermög­licht die Teilnahme an Aktivitäten, welche die BewohnerIn­nen in ihr Wohnund Lebensumfeld integrieren.

Sterne, Blumen und Kinder in Kärnten

U

nter dem Motto „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: Sterne, Blumen und Kinder“ werden im Kindergarten St. Martin der Diakonie Kärnten zwei Kindergartengruppen für 40 Kinder geführt: die „Sonnenblumenkinder“ (altersüber­ greifend für Kinder ab zwei Jahren) und die „Sonnenkäferkinder“ als Integrationsgruppe mit Montessorischwerpunkt. Die Grup­ pen sollen vor allem miteinander leben, voneinander lernen und füreinander da sein. Zusätzlich ist es erklärtes Ziel, Selbstständigkeit und eigenverantwortliches Handeln zu fördern.

Um die Ausgestaltung dieser Leitmotive kümmern sich in St. Martin zwei Kindergartenpädagoginnen, eine Sonder­kinder­ gar­ten­pädagogin sowie eine Hel­ferin. Es gibt zahlreiche zusätzlichen Aktivitäten, wie das gemeinsame Musizieren, Wald­spazierund Lehrgänge oder den Skikurs. Auch erste Einblicke in die englische Sprache dürfen in St. Martin nicht fehlen.

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Themen

führt. Für den weltweiten Vertrieb der LifeTool-Entwicklungen wurde das gewerbliche Tochterunternehmen LifeTool Solutions GmbH ins Leben gerufen.

Die Aufgabengebiete von LifeTool reichen von der Beratung und Schulung für KlientInnen, Angehörige und Betreuungspersonen zum Einsatz von technischen Hilfen über die Forschung und Entwicklung von Informationsund Kommunikationslösungen wie Software für computerunterstützte Kommunikation bis hin zum weltweiten Vertrieb eigener Produkte durch Vertriebspartner und – als Service­leistung gegenüber den Kunden – dem herstellerunabhängigen Verkauf von Handelswaren in Österreich.

INTERVIEW

Bei der Pränatal­ diagnostik geht es im Großen und Ganzen um die Suche nach Kindern mit Down-Syndrom

s s

Aber ganz klar ist auch: Menschen müssen später mit ihrem Leben in der Gesellschaft zurechtkommen, und wo es frühe Hilfe gibt, ist das gut. Frühe Hilfe muss ja nicht automatisch Anpassung und Normalisierung heißen. Und so versteht man die heilpädagogische Frühförderung auch nicht. Bei der heilpädagogischen Frühförderung geht es um Begleitung der Kinder, der Eltern, um Stärkung der Entwicklungsressourcen der Kinder und Stützung der Erziehungskompetenzen der Eltern. Es geht weniger um die Behandlung von oder gegen etwas. Frühförderinnen geben Raum für Reflexion, sie stützen und stärken und schaffen für Eltern und Kind eine förderliche Umwelt.

? Wie sehen Sie die derzeitigen

Entwicklungen im Bereich Frühförderung in Österreich?

Strachota: Ich würde mir wünschen, heilpädagogische Früh­för­ derung würde bekannter. Wenn z. B. Eltern von einem Kind mit Behinderung Hilfe bei den Hausoder Kinderärztinnen und -ärzten suchen, und diese nicht wissen, dass es so etwas wie heilpädagogische Frühförderung gibt, bleibt das Kind im rein me­di­zi­ nisch-the­rapeutischen Kontext.

In diesem Kontext geht es vor allem um die Behandlung von Krank­heit und Behinderung. Heil­

pädagogische Früh­­för­de­rung beinhaltet wesentlich mehr.

? Liegt Österreich bei den Schwangerschaftsabbrüchen nach pränataldiagnostischem Befund im internationalen Trend?

Strachota: Es gibt für Österreich

keine statistischen Zahlen betref­ fend Schwan­ger­schafts­ab­brü­­­che nach Pränataldiagnostik, das heißt, wir können nur aus Meta­ analysen internationaler Stu­dien ein etwaiges Ergebnis für Österreich ableiten.

Diese Stu­dien deuten darauf hin, dass die Schwan­ger­schafts­ abbrüche abhängig sind von den gestellten Diagnosen: An unangefochten erster Stelle steht die Diagnose „Down-Syndrom“ mit ca. 92 %, gefolgt von der Diagnose „Anencephalie“ mit 77 – 84 %.

Für mich ist das schockierend, wenn man weiß, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht zuletzt aufgrund der pädagogischen För­­­ derung ein ausgesprochen sinn­­­ erfülltes Leben leben können.

Um nochmals auf die Frage zurückzukommen: Bei der Präna­ taldiagnostik geht es im Gro­ßen und Ganzen um die Suche nach Kindern mit Down-Syndrom. Die Nackenfaltenmessung wird jeder Frau angeboten, nicht erst ab 35 Jahren. Viele Frauen glauben auch, dass diese Untersuchung im Mutter-Kind-Pass vorgeschrie­ ben ist, was natürlich nicht

stimmt. Wenn man Pränataldiagnostik im Wissen einsetzt, dass Down-Syndrom weder heilbar noch behandelbar ist, und trotzdem gezielt auf die Suche nach Down-Syndrom geht, dann kann man das als Selektion bezeichnen. Offensichtlich möch­te unsere Gesellschaft nicht, dass Kinder mit Down-Syndrom auf die Welt kommen.

Die Suche nach Kindern mit DownSyndrom kann man als Selektion bezeichnen.

Unser gesellschaftliches Bild von Kin­dern mit Behinderungen ist dem­nach noch ver­bes­se­rungs­ wür­dig?

?

Strachota: In unserer Gesellschaft gilt es als normal, ein Kind mit Behinderung nicht zu bekommen. Und wir wissen, dass Menschen, die Kinder mit Behinderungen haben, zunehmend den Satz zu hören bekommen, dass das heute nicht mehr notwendig sei. Wenn sich Menschen wissentlich für ein Kind mit Behinderung entscheiden, dann wird das als unverantwortlich em­pfunden. Vor allem in den USA zeichnet sich diese Entwicklung schon seit Langem ab, auch vor dem Hintergrund eines liberaleren Sozialstaatmodells. Auch bei uns geht es in Richtung Individualisierung von gesellschaftlicher Verantwortung. Das hat auch mit dem öffentlichen Bild von Behinderung zu tun, und deshalb ist nach wie vor viel Aufklärungsarbeit zu leisten. n Themen 13

WORDRAP

Ein Stück Welt in Sprache umsetzen Copyright: Privat

Wordrap mit Christine Nöstlinger.

De gaunz oamen Kinder ...

... werden leider immer mehr.

Albtraum ...

... habe ich mit zunehmendem Alter seltener.

Talent ...

... hat jeder zu irgendetwas.

Kind aus der Konservenbüchse ...

Es hat Spaß gemacht, zu zeigen, wie lächerlich es ist, brav & angepasst zu sein.

Schönheit ...

... fasziniert mich, schöne Menschen haben es bei mir leider, leider leichter als andere.

Behinderung ...

Die sich „nicht behindert“ fühlen, kennen ihre Behinderung bloß nicht.

Leistung ...

Darauf bin ich getrimmt, versuche aber dagegen etwas zu unternehmen.

Bücher ...

... setzen ein Stück Welt in Sprache um.

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Themen

Christine Nöstlinger

C

hristine Nöstlinger ist eine der bekanntesten KinderbuchautorInnen Europas. Die 1936 in Wien geborene Schriftstellerin hat mehr als 100 Bilder-, Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, von denen viele in andere Sprachen übersetzt und mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet wurden. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr als erster Preisträgerin 2003 der hoch dotierte Astrid-LindgrenGedächtnispreis verliehen.

GEDANKEN

Starke Stücke

S

eit einigen Jahren kommen einmal pro Woche Jugendliche mit intellektueller Behinderung in die Schreibwerkstatt der Evangelischen Polytechni­schen Sonderschule (Orien­tierungsstufe) des Diakonievereins Salzburg. Ziel der Schreibwerkstatt ist es, sich auszudrücken, Lust am Formulieren zu entwickeln und eigene Texte vor Publikum zu präsentieren. Diese „grenzenlose“ Aus­ einandersetzung mit der Sprache stieß im Schuljahr 2006/07 auf ein ganz besonderes Echo außerhalb des Klassenzimmers.

Wenn starke Worte zu Bildern werden, Dialoge entstehen lassen und Anlass zum Feiern geben. Ein integratives Kunst-Projekt des Diakonievereins Salzburg.

Von Bettina Klinger Der Gartenzwerg und der Grashüpfer mögen sich.

(Mario Pöckl) Sie kriegen zwei Kinder.

Einen Gartenhüpfer und einen Graszwerg.

(Johannes Hofer-Bindeus)

„Ich bin ein Miststück“ Es begann damit, dass sich LehrerInnen und SchülerInnen der Orientierungsstufe gemeinsam auf die Suche nach starken Wörtern machten – und „Miststück“, „Zimmermann“ und „Ohrwurm“ fanden. Die Wörter wurden dann zu Sätzen verarbeitet, zu Gedichten verwoben und in Geschichten verpackt. Um ihnen mehr Öffentlichkeit zu verleihen, wurden sie regelmäßig im Foyer der Schule ausgehängt und in einer Literaturzeitschrift publiziert. Dabei kam es zu starken Begegnungen mit der damaligen 4i-Klasse des Musischen Gymnasiums.

Fotos: Diakonieverein Salzburg

Donnerwetter, es regnet Kuhhaut!

Gemeinsam mit ihrem Deutschlehrer soll­ ten sich die Jugendlichen von dem Geschriebenen inspirieren lassen. Die SchülerInnen der 4i-Klasse hatten zu dem Zeitpunkt keinerlei Informationen über die AutorInnen der Texte. Erst später lernten die SchülerIn­ nen einander im jeweiligen Lernumfeld kennen.

Höhepunkt und Abschluss des schulübergreifenden Projekts war eine Lyrik-Lesung im Salzburger Litera­ tur­haus Eizenbergerhof.

Im Dezember 2007 wurde dieses Projekt beim Literaturpreis Ohrenschmaus mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. n

Die Sterne und Vögel Der Singvogel singt Liebeslieder.

Der Singvogel vertreibt den Liebeskummer.

Die Vögel sind verliebt.

Es ist Winter.

Auf der Hauptstraße liegt ein toter Vogel.

Er wurde überfahren.

Das ist nicht lustig. Auch ich bin traurig.

Ich schaue zum Himmel und sehe Sterne.

Schöne Sterne sehe ich und weine.

(Dasha Wimmer)

Eine Dokumentation dieses Projekts ist unter dem Titel „Starke Stücke“ als Buch mit Hör-CD erschienen und über

Rot ist die Liebe Rot ist tot Rote Rosen sind schön Rote Rosen verwelken.

(Sabine Thaler)

den Evangelischen Diakonie­verein Salzburg erhältlich.

Diakonieverein Salzburg Hellbrunner Allee 51, 5020 Salzburg Tel.: 0662/88 48 72-14 E-Mail: verwaltung@diakonie.cc Internet: www.diakonie.cc

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PRO UND KONTRA

Dramatische Entscheidungen Werden aufgrund der Pränataldiagnostik nur mehr Kinder ohne Behinderungen geboren? Expertinnen mit unterschiedlichem Fachhintergrund geben Antwort.

Ao. Univ.-Prof.

Dr. Barbara Pertl Medizinische Universität Graz

>>

Im Rahmen von pränataldiagnostischen Un>> tersuchungen wird mithilfe von Ultraschall unter-

sucht, ob ein Ungeborenes gesund ist. Es gibt zwei besondere Untersuchungen, die auf Wunsch in Anspruch genommen werden können.

Die erste Untersuchung (Combined Test) wird in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt und besteht in einer Risikoabschätzung für Chromosomenstörungen, wobei hier vor allem die Wahrscheinlichkeit für Down-Syndrom ermittelt wird. Dieser Test ergibt bei nur 2–5 % ein erhöhtes Risiko.

Die zweite Untersuchung (Organscreening) wird in der Mitte der Schwangerschaft durchgeführt und besteht in einer Be­ urteilung der Organe des Ungeborenen. Bei ca.

3–5 % werden im Rahmen des Organscreenings

Fehl­bildungen diagnostiziert. Zur Frage: Für das Down-Syndrom, das jedoch nur einen sehr kleinen Teil der Behinderungen ausmacht, kann diese Frage wahrscheinlich mit Ja beantwortet werden.

Viele Eltern entscheiden sich nach Diagnosestellung für einen Schwangerschafts­abbruch.

Für Organfehlbildungen würde ich die Frage eher mit Nein beantworten, da die allermeisten Fehlbildungen, die beim Organscreening diagnostiziert werden können, nach der Geburt gut behan­ delbar sind. Allerdings muss man anmerken, dass die Hauptursache für Behinderungen bei Neugeborenen in den Folgen der Frühgeburtlichkeit liegt; Frühgeborene haben häufiger Hirnschäden, Probleme mit Lunge, Niere und Darm.

Das heißt, die Hauptursachen für Behinderun­ gen können derzeit durch die Pränatalmedizin nicht verringert werden. n

Der rasante Fortschritt der Technologien in ist die Rede von gestellten Diagnosen – falsch der pränatalen Diagnostik und Reproduktions­ positiven wie falsch negativen – die ohne entsprechende therapeutische Möglichkei­ten bleimedizin vermittelt zunehmend die Illusion der Realisierbarkeit einer neuen „Spezies“ Mensch – ben. Was an Krankheiten und Fehlbildun­gen in der Medizin diagnostizierbar ist, sollte therapierdes per­fekten Menschen!

Tatsache ist, dass Frauen häufiger dramati­ bar, heilbar oder wenigstens linderbar sein. Daschen Entscheidungssituationen ausgesetzt sind, von ist die Pränataldiagnostik (noch) weit entin denen sie alleingelassen werden – von Exper- fernt. Besonders nach genetischer Abklärung ten, aber auch von der Gesellschaft. Von der Prä- folgt der Diagnose nach dem ersten großen natalmedizin erhofft man sich eine perfekte Schock in den meisten Fällen ein Schwangerschaftsabbruch. Die Annahme des Kindes wird Schwangerschaft und ein perfektes Resultat. von seiner Gesundheit abhängig gemacht.

So wertvoll das vorgeburtliche Erkennen von Pränataldiagnostik hat somit einen enormen Krankheiten, Fehlbildungen und Behinderungen zuweilen sein kann, so massiv werden Technolo- Einfluss auf die Mutter-Kind-Beziehung und auf gien der Pränataldiagnostik von schwangeren die Lebenskultur in unserer Gesellschaft erlangt.

Frau­en wie auch von der Gesellschaft überschätzt.

Das Menschenbild, das zur Zunahme solcher Die wenigsten wissen, dass von Wahrschein- Untersuchungen führt, bringt beeinträchtigte lichkeiten und Abweichungen von der Norm die Menschen und ihre Familien immer stärker in BeRede ist. Deren Bedeutung ist nicht immer klar, drängnis – der Vorwurf, dass Behinderung nun n deren Konsequenzen nicht abschätzbar. Ebenso „wohl vermeidbar“ wäre, steht im Raum!

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Themen

Mag.a Helga Reich­ mann-Gitschthaler Hebamme und Psychologin, Sprecherin von Prenet

Diakonieverein Salzburg

FACHKOMMENTAR

Bessere Entwicklungschancen Therapie bei Kindern mit Beeinträchtigung.

Z

u Beginn jeder Therapie steht die ausführliche Diagnostik. Kleine Kinder können nicht beschreiben, wo es ihnen wehtut oder was sie nicht können.

Förderung ist eine vernetzte Konstruktion unter Anwendung verschiedener Techniken und Ver­­fahren. Heute wissen wir, dass die Entwicklungschancen besser sind, wenn eine frühe und kompetente Diagnostik zur frühen Versorgung führt.

Bei einem kleinen Baby mit Morbus Down wird es nicht genügen, wenn sensomotorische, akustische und taktile Förderprogramme verwirklicht werden, sondern es muss in erster Linie eine positive und optimistische frühe Mutter-Vater-Kind-Beziehung aufgebaut werden.

Das bio­logische Konzept ermöglicht frühe Kommunikations­ therapie, mobile Hausfrühförderung, Logopädie und Ergotherapie, und wir kommen heute er-

staunlich schnell zu anderen Dimensionen der neuronalen Entwicklung und Vernetzung. Erst mit den Prägungen auf psychi­­ scher Ebene im Sinne von leidloser Geborgenheit und positiver Existenzerkenntnis wird die Plas­ ti­zität der psychischen und der Ich-Entwicklung eine Reife erlangen, die diesen Menschen gleichwertig, wenn nicht in einigen Be­ reichen überlegen machen wird.

Therapie bei 0- bis 6-jähri­gen Kindern muss sich der Entwicklung und den Defiziten anpassen und nicht umgekehrt. Die kleinen Kinder lernen am schnellsten, wenn die Eltern einen Teil davon übernehmen und in den Alltag einbringen. So entsteht eine Kon­ tinuität im Sinne einer Kybernetik über Jahre.

Wir behandeln bei Kleinkin­ dern Angststörungen, psy­cho­so­ matische Probleme oder tiefgreifende Entwicklungsstörun­gen.

Ohne systemi­sche Unterstützung geht es aber oft nicht. Sie

Von Werner gerstl brauchen Hilfe nach standardisierten Me­thoden oder in abgekürzten Verfahren. Die schwierigsten Fälle mit vielleicht der schlech­tes­ ten Prog­no­se nennen wir desintegrative ist ärztlicher Direktor des Entwicklungsstörung Sonderkrankenhauses des durch Verlust der Diakonie Zentrums Spattstraße sozia­len Beziehung sowie Lehrer an verschiedenen durch Ablehnung und Kälte. So wird das Ich Fachhochschulen. dieser Kinder sich an die Lebensbedingun­ gen anpassen, und obwohl sie physiologisch und intellektuell völlig intakt wären, kommt es zu einer Verformung der Persönlichkeitsentwicklung.

In diesem Sinn ist die ganze Gesellschaft eine therapeutische Instanz für das Wohl der Kinder in ihrer Mitte. Kinder brauchen nach ihrem Start in das Leben KindergärtnerInnen und LehrerInnen, die diese Freude am Dasein der Kinder zum Ausdruck bringen und übertragen. n

Werner Gerstl

Themen 17

DATEN

Diakonieverein Salzburg, Diakoniewerk Gallneukirchen

Die Welt in Zahlen

Anzahl der Männer, die in Kindertagesheimen in Österreich beschäftigt sind Anzahl der Frauen, die in Kindertagesheimen in Österreich beschäftigt sind Anzahl der SonderkindergärtnerInnen, die in Kindertagesheimen in Österreich beschäftigt sind Geschätzte Anzahl von Kindern mit Behinderungen weltweit Anteil der Kinder mit Behinderungen in Entwicklungsländern, die keine Schule besuchen Geschätzter Anteil von Menschen mit Behinderungen an der Weltbevölkerung

245 26.528 1178 200.000.000 90% 10%

Irland

Rumänien

EU-27

Österreich Dänemark Schweden

18

Themen

0,9% 1,0% 2,1% 2,2% 4,2% 4,8%

Diakonie Zentrum Spattstraße

Anteil der Gesamtausgaben für „disability“ (Behinderung) am Bruttoinlandsprodukt 2005

BÜCHER • GLOSSAR

Buchempfehlungen Alltagsfähigkeiten. Wie mein Kind lernt, zurechtzukommen Bruce L. Baker, Alan J. Brightman Praktischer Ratgeber mit nützlichen Tipps und Hil­fen zur Förderung von Fähigkeiten, die im Alltag eine bedeutende Rolle spielen. Leichter und verständlicher Einstieg für Eltern und ErzieherInnen. Nachvollziehbare Anleitungen, die wirklich jeder selbst in die Praxis umsetzen kann. Dieses Buch hilft dabei, die Möglichkeiten eines Kindes mit Down-Syndrom in den grundlegenden Bereichen des täglichen Lebens auszuschöpfen.

Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom Etta Wilken Ein Standardwerk in der Sprachheilarbeit.

Nach ausführlicher Beschreibung der mit dem Down-Syndrom verbundenen besonderen Merkmale, der gesundheitlichen und behinderungsspezifischen Problemen erfolgen differenzierte Ausführungen zu Möglichkeiten einer ganzheitlichen Förderung im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule unter besonderer Berücksichtigung von integrierten und speziellen Hilfen der Sprachförderung.

Regenbogenkind Edith Schreiber-Wicke Eine wunderschöne Geschichte für kleine und große Kinder – aber auch für Erwachsene. „Regenbogenkind“ erzählt auf zwei Ebenen, wie eine Familie sich auf die Geburt des neuen Familienmitgliedes und wie sich genau dieses Baby im Land unter dem Regenbogen auf sein Leben auf der Erde vorbereitet. Dann kommt Naomi zur Welt – mit Down-Syndrom –, und sie hat sich vorgenommen, dass jeder, der ihr begegnet, da­ rüber nachdenken soll, was wirklich wichtig ist im Leben. Das Buch entstand nach einer Idee von Margit und Rüdiger Dahlke, die von einem Regenbogenkind wie Naomi als Eltern ausgewählt wurden.

Förderdiagnostik mit schwerstbehinderten Kindern Andreas D. Fröhlich, Ursula Haupt Eltern, aber auch MitarbeiterInnen in der Frühförderung werden immer wieder vor neue He­ raus­­forderungen gestellt, wenn es darum geht, die Fördermöglichkeiten schwer- und mehrfachbehinderter Kinder einzuschätzen. Die beiden in diesem Bereich sehr erfahrenen AutorInnen wollen vor allem jüngeren KollegInnen eine Hilfe geben, um sich in die Beobachtung und Einschätzung der Möglichkeiten schwerstbehinderter Kinder einzuarbeiten. Wichtig ist, die Kinder zu verstehen, ihre Kommunikationszeichen ernst zu nehmen und ihnen individuell passende Angebote zu machen.

D

ieser Begriff stammt ursprünglich aus dem internationalen Schadenersatzrecht und bezeichnet die Geburt eines ungewollten Kindes. Wird im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf Behinderung entdeckt und werden die werdenden Eltern nicht eindringlich von ÄrztInnen zu einer weiteren Untersuchung angewiesen, liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor.

Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes zu einem gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch entschieden, so haftet der Arzt für den gesamten Unterhaltsaufwand für ihr behinder­ tes Kind. Diese Regelung ist in Österreich höchst umstritten.

wrongful birth

M

ontessori-Pädagogik bedeutet, Kinder in ihrer Persönlichkeit zu respektieren, ihnen achtsam zu begegnen und sie auf ihrem Entwicklungsweg liebevoll und hilfsbereit zu begleiten.

Unter diesen Gesichtspunkten ist es möglich, Kindern eine „vorbereitete Umgebung“ zu schaffen, in der sie nach ihren ganz persönlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Interessen tätig werden können. Dieses Tätigwerden ist die Voraussetzung für Entwicklung und Lernen. Montessori-Pädagogik orientiert sich am Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“.

MontessoriPädagogik

B

ezeichnet Untersuchungen des ungeborenen Kindes auf mögliche Beeinträchtigungen. Es wird zwischen nicht-invasiven, also nur außerhalb des Körpers vorgenommenen Untersuchun­ gen, wie z. B. Ultraschalluntersuchun­ gen, Nackenfaltenmessung oder dem sogenannten Combined Test, und invasiven Verfahren, wie z. B. Fruchtwasserpunktion, Organscreening oder Triple Test unterschieden. Pränataldiagnostik suggeriert oft die Möglichkeit zur Heilung der erkannten Beeinträchtigung, kann jedoch nur über die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Beeinträchtigung Auskunft geben.

Pränataldiagnostik

M

enschen mit Down-Syndrom tragen in ihren Körperzellen 47 statt der üblichen 46 Chromosomen.

Das 21. Chromosom ist dreifach vorhanden, daher stammt auch der Begriff „Trisomie 21“. Dieses überschüssige Chromosom trägt jene Gene, die Menschen mit Down-Syndrom auszeichnen. Down-Syndrom ist keine Krankheit und kann und braucht daher nicht geheilt werden. Es ist auch keine Erbkrankheit, denn Down-Syndrom entsteht durch Zufall.

Weltweit wird ca. jedes 700. bis 800. Kind mit Trisomie 21 geboren.

DownSyndrom

Themen 19

DIAKONIE HAUTNAH

Erdäpfel essen, obwohl du sie hasst!

Wie nicht sprechende Kinder kommunizieren können.

Ein Feature von Karin Tzschentke

S

tell dir vor, du kannst niemandem mitteilen, dass du zornig bist, und musst den Zorn in dir behalten. Stell dir vor, du hasst Erdäpfel und musst sie essen, weil du nicht sagen kannst, dass du lieber Brot willst. Keine angenehme Vorstellung, nicht wahr?

So ist es vor fünf Jahren dem damals dreijährigen Manuel ergangen. Der Bub konnte nicht spre­chen, sein Gaumensegel hat­ te eine Lähmung, seine Sehfähigkeit war stark eingeschränkt, seine motorische Entwicklung

Der Super-Talker ermöglicht die

Diakonie Zentrum Spattstraße

Kommunikation

www.spattstrasse.at

20

Themen

beeinträchtigt, und es wurde angenommen, dass seine geis­ti­gen Fähigkeiten sehr begrenzt seien.

Auf die Mädchen und Bu­ben im Kindergarten reagierte er aggres­ siv und zog sich immer mehr von der Gruppe zurück.

In ihrer Verzweiflung wandten sich Manuels Eltern an das Diakonie Zentrum Spattstraße in

Linz, eine seit mehr als 45 Jahren wichtige Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und deren Familien – speziell in Not- und Krisensituationen.

Nach einer gründlichen ärztlichen Abklärung und einer logopädischen Diagnostik entschied sich Andrea Boxhofer, Logopädin und Leiterin der mobilen heilpädagogischen Frühförderung des Zentrums, es bei Manuel einmal mit einem Sprachausgabegerät zu versuchen. Innerhalb von zwei Monaten konnte der Bub mit der Therapeutin über ein Bilderbuch ein „einfaches Gespräch“ führen. „Solche Erfahrun­gen waren für uns ein Anstoß, ein Pilotprojekt für ,frühe unterstützte Kommunikation nicht­ spre­chender Kinder mit besonderen Bedürfnissen‘ zu entwickeln“, erinnert sich Boxhofer.

Aus dem Projekt ist längst ein fester Bestandteil des Angebots des Diakonie Zentrums Spattstra­ ße geworden. Seit Okto­ber 2007 erfolgt die Finanzierung durch die Oberösterreichi­sche Sozialabteilung, und es wurde auch im Oberösterreichi­schen Chancengleichheitsgesetz verankert.

Kern des Angebots ist die Betreuung nicht sprechender Kinder im Alter von ein bis sieben Jahren und ihrer Eltern, zumeist innerhalb der gewohnten Wohn­ umgebung. Nach einer medi­zi­ni­ schen und psychologischen Ab­ klärung wird in einer Experimentier- und Testphase das ideale System für die Mädchen und Bu­

ben gesucht und gefunden. So kann für ein Kind ein Sprachausgabegerät passend sein, ein anderes wendet die gebärdenunter­ stützte Kommunikation an.

Der „Super-Talker“ etwa ermöglicht es nicht sprechenden Kindern, über eine bebilderte Schalttafel und einen Sprachcomputer mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, ja sogar einkaufen zu gehen.

Die Frühförderin unterstützt die Familien im Umgang mit der Lernsoftware und Lernhardware wie auch beim Einsatz von sprachbegleitenden Gebärden. „Die Kinder kommen damit zu ungeahnten Fähigkeiten. Bei man­­­­chen entdecken wir erst, wel­che Talente in ihnen stecken, wenn sie mithilfe der Technik kommunizieren können“, berichtet Dr. Werner Gerstl, ärztlicher Leiter des Diakonie Zentrums Spattstraße.

Die Technik ist bei der frühen Kommunikationsförderung jedoch nur das begreifbare Hilfsmittel. Die Förderung nicht sprechender Kinder stellt die Betroffenen und ihre Bezugspersonen auch vor erhebliche seelische Probleme und Belastungen.

Zur Arbeit der FrühförderInnen gehört deshalb auch, auf die Aspekte der Belastung und verdrängten Trauer innerhalb der Fa­milie einzugehen und bei ei­ nem vermeintlichen Stillstand der Entwicklung allen psychologi­ sche Unterstützung zukommen zu lassen. n

KURZ GEMELDET

Berufsausbildung inklusive!

S

Diakonie Kärnten

tolz sind die Lehrlinge im „StadtCafé“ Klagenfurt und die Diakonie Kärnten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) hat unter dem Titel „Fit for Futur 2008“ Österreichs beste Lehrbetriebe gesucht und gefunden: Den Sonder-Staatspreis für „integrative Berufsausbildung“ hat eine hochkarätige Jury dem Klagenfurter „StadtCafé“ der Diakonie Kärnten zuerkannt. Seit 2003 wird dort Jugend-

lichen mit besonderem Förderbedarf die Möglichkeit zur integrativen Berufsausbildung geboten.

Sie erhalten hier die Möglichkeit, eine verlängerte Lehre oder eine Ausbildung in Form einer Teilqualifikation abzuschließen. In den letzten Jahren konnten sechs junge Menschen erfolgreich ihre Ausbildung beenden und sind mittlerweile auf dem freien Arbeitsmarkt tätig.

Bettina Klinger n

Integrative Sinnstifter D

Anstoß zum Austausch

Diakonie Flüchtlingsdienst

n jedem Land der Europäischen Union gibt es verschiedene Initiativen zur Förderung von Menschen mit Behinderung. Auch die nationale Gesetzgebung ist unterschiedlich. Ein Grund für die Diakonie, zu einem Austausch zwischen den verschiedenen AkteurInnen in mehreren Län­dern anzuregen.

Erstmals veranstalteten die Diakonie Auslandshilfe, Diakonie Tschechien, LifeTool und die Erste Stiftung gemeinsam eine internationale Konferenz unter dem Titel „Zugang zum Arbeitsmarkt durch assistierende Technologien“. Die OrganisatorInnen freuten sich über 120 TeilnehmerInnen aus 16 Ländern, vor allem aus dem osteuropäischen Raum.

Darunter waren sowohl VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen als auch von Behörden unterschiedlicher Ebene.

Für die Tagung konnte die Diakonie Dr. Marcia Scherer, Professor of Physical Medicine and Rehabilitation, University of Rochester, USA, eine der wichtigsten Expertinnen im Bereich der assistierenden Technologien, gewonnen werden.

Als wichtigstes Ergebnis der Konferenz ist der große Bedarf an Vernetzung und Know-how-Transfer zwischen den Agierenden zu sehen.

Bettina Klinger n

Diakonie Auslandshilfe

I

as Integrationsprojekt „Elongó“ sowie das Projekt „Kunst und Kultur für Menschen mit Behinderungen“ wurden dieses Jahr mit dem Diakoniepreis 2008 ausgezeichnet. Die Projekte des Diakonie Flüchtlingsdienstes und des Diakoniewerks Gallneukirchen bekamen jeweils 3000 Euro zugesprochen. „Elongó“ bedeutet übersetzt so viel wie „gemeinsam, zusammen“. Dieses Kooperationsprojekt des Diakonie Flüchtlingsdienstes und des Roten Kreu­ zes unterstützt Flüchtlingsfamilien bei der Integration: Bei „Elongó“ übernehmen Ehrenamtliche, sogenannte „Buddies“, eine Patenschaft für einzelne Flüchtlingsfamilien, die durch das Familienverfahren nach Österreich gekommen sind.

Die Buddies helfen bei der Suche nach einem Schul- oder Kindergartenplatz, beim Erlernen der deutschen Sprache oder bei generellen Fragen zu Kultur und Leben in Österreich. „Das Projekt ,Kunst und Kultur für Menschen mit Behinderungen‘ des Diakoniewerks Gallneukirchen biete Menschen mit Behinderungen vielfältige Möglichkeiten, ihre Kreativität zu entwickeln und zu leben, sich künstlerisch und persönlich zu entfalten und weiterzuent­ wickeln“, heißt es in der Begründung für den Preis. „Kunst und Kultur“ ermöglicht in den Bereichen Atelier, Theater „Malaria“, Musik und Tanz Ausdrucks-, Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeit von Menschen mit Behinderungen. Kunst und Kultur werden auf diese Weise zu sinnstiftenden Tätigkeiten von Menschen mit Behinderungen. n Themen 21

Diakonie Flüchtlingsdienst

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Menschenunmöglich Das Pech der falschen Geburt.

I

ch kann die Hilflosigkeit, Wut, Verzweiflung, Sprachlosigkeit, Trauer, Hoffnungslosigkeit der Eltern nur ahnen. Denn tatsächlich wer­den Väter und Mütter von der Gesellschaft in dieser größten Not alleingelassen: Behinderte, kranke Kinder, da sollen die Eltern bitte schön selber schauen, wie sie mit diesem Problem fertig werden. „Missgeburt“ sagen sie dazu nicht nur im Dorfwirtshaus, sondern auch in medizinischen Lehrbüchern.

Und die Eltern bekannt als ORF-Moderatorin, schä­men sich. Kein geist Autorin und Filmemacherin. sundes Kind auf die Welt gebracht – persönliches Versagen. Das kranke Kind – eine Last für die Familie.

Die Familie – eine Last für die Gesellschaft.

Und ja, ich kann verstehen,

Andrea Schurian,

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Themen

Von Andrea Schurian

dass – was? Dass Eltern sagen: Geben Sie meinem Kind die Todesspritze? Noch besser verstehen kann ich, wenn Eltern sagen: Helfen Sie meinem Baby, damit es keine Schmerzen hat. Machen Sie ihm sein kurzes Leben schmerz­­frei. Lassen Sie mich bei ihm sein, geben Sie ihm Nahrung und Sauerstoff. Lassen Sie mein Kind nicht irgendwo liegen, lassen Sie es nicht verhungern, verdursten. Aber doktern Sie, bitte, nicht an ihm herum. Es wird sterben – ganz ohne unser Zutun.

Leben wird es nur mit unserer Hilfe. Ist das menschenunmöglich? Gar unmenschlich?

Vor 50 Jahren wäre mein herzkranker Sohn noch ein Todeskandidat gewesen (und in manchen Krankenhäusern und Weltregio­ nen wäre er es wohl heute noch).

Also gleich umbringen, ihm Leid ersparen, wenn der Tod doch so-

wieso sein früher Gast sein würde? Uns allen die Wartezeit aufs Sterben so kurz wie möglich machen? „Hast du nie an Abtreibung gedacht, als du erfahren hast, dass dein Kind einen Herzfehler hat?“ Oh doch, glauben Sie mir, diese Frage wird gestellt, manch­­mal ganz direkt, manchmal ein bisschen verschämter. Nein, habe ich nicht. Aber laut Auskünften der Ärzte kommen zunehmend weniger Kinder mit Herzfehlern auf die Welt. Warum wohl? Ärzte raten einer hochschwangeren jungen Frau, ihr Kind noch knapp vor der Geburt abzutreiben: Es sei nicht überlebensfähig, weil sich die Lungen nicht ausgebildet hätten. Die Eltern entschei­ den sich, das Baby auszutragen, es im Arm zu halten, solange es lebt. Das angeblich überlebensunfähige Baby ist heu­te ein fröh-

KONTAKTE UND ADRESSEN

liches Schulmädchen mit DownSyndrom und einem – mittlerweile korrigierten – Herzfehler.

Die Fehldiagnose hätte das Mädchen beinahe das Leben gekostet.

Ist es das, was wir unter „Optimierung zum Glück“ verstehen?

Wir aufgeklärten, liberalen und sozialen Menschen bekämpfen Diskriminierung und Rassismus, wir fordern Gleichberechtigung für alle Menschen! Kampf der Behindertenfeindlichkeit! Da sind wir uns alle so unglaublich eins. Theoretisch. Und praktisch?

Wo ist die Grenze für aktive Sterbehilfe, welche Behinderung wird mit dem Tod bestraft? Und: Wird die Todesstrafe gleich nach der Geburt verhängt oder noch knapp davor?

Zu 95 Prozent werden Kinder mit Trisomie 21 – also DownSyndrom – abgetrieben, oft noch lange nach der Zwölf-WochenFrist. Wie ist das aber unter dem Antidiskriminierungsaspekt zu se­hen?

Um Missverständnisse aus­zu­ schließen: Nein, ich bin kei­ne Abtreibungsgegnerin, ganz im Gegenteil. Ich befürwor­te die Fris­tenlösung. Frömmelnde Prolife-Aktivisten, die vor Ab­trei­ bungs­kliniken Andachtsbildchen von drei Monate alten Föten verteilen, machen mich wütend.

Ich halte Präimplantationsdiagnostik für vernünftig. Und ja, mir ist die Widersprüchlichkeit meiner Argumentation wohl bewusst: Aber alles in mir sträubt sich gegen legale Abtreibungen bis knapp vor der Geburt, wenn der einzige Beweggrund die Behinderung des Babys ist.

Herzstich im achten Monat als Akt weiblicher Selbstbestimmung? Nein.

Ein Kind umbringen, weil auf dieser Welt nur Platz für gesunde, tüchtige, schö­ne, leistungs­ fähige Menschen ist? Ein unerträglicher Gedanke. n

Diakonie-Angebote für Kinder mit Behinderungen Diakonie Kärnten

Diakoniewerk Gallneukirchen

(Feldkirchen, Klagenfurt, Treffen) Harbacher Straße 70 9020 Klagenfurt Telefon: 0463/323 03-200 www.diakonie-kaernten.at

(Oberösterreich, Salzburg, Schladming, Wien, Mostar) Martin-Boos-Straße 4 4210 Gallneukirchen Telefon: 07235/632 51 www.diakoniewerk.at

Diakonieverein Salzburg Hellbrunner Allee 51 5020 Salzburg Telefon: 0662/88 48 72 E-Mail: verwaltung@diakonie.cc www.diakonie.cc

Diakonie Zentrum Spattstraße

LifeTool

(Klagenfurt, Linz, Wien, Prag, Brünn, Novi Sad) Hafenstraße 47–51 Gebäudeteil B/Stiege2/1. Stock 4020 Linz E-Mail: office@lifetool.at www.lifetool.at

Willingerstraße 21 4030 Linz Telefon: 0732/43 92 71-0 E-Mail: office@spattstrasse.at www.spattstrasse.at

Diakonie-Kernkompetenz Behindertenhilfe Beratung

Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Wien, Serbien, Tschechien

Betreutes Wohnen

Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Wien

Familienbegleitung

Oberösterreich

Förderung

Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Wien, Serbien, Tschechien

Frühförderung

Oberösterreich

Kindergarten

Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Bosnien

Schule und Hort

Kärnten, Oberösterreich, Salzburg

Schulassistenz

Oberösterreich

Therapie

Oberösterreich, Salzburg, Steiermark

Themen 23

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11.08.2008

Fotografie: Volker Dautzenberg

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Wir begleiten, fördern und unterstützen Menschen mit Behinderungen.

In über 100 Einrichtungen österreichweit.

Dank Ihrer Spende!

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IMPRESSUM Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich.

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Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201) Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens (UWZ 609).

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