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2. Pathologisches Glücksspiel (Glücksspielsucht

Als Glücksspiele werden Spiele bezeichnet, bei denen das Ergebnis ausschließlich oder überwiegend zufallsabhängig ist. Die Teilnahme erfordert den Einsatz eines Vermögenswertes, meistens Geld. Auch der Gewinn besteht aus einem Vermögenswert. Dazu gehören neben Spieltischen in Spielbanken (z. B. Roulette, Black Jack, Poker) auch Geldspielautomaten ebenso wie Lotterien (z. B. Lotto, Rubbellose, Toto). Glücksspiele können abhängig machen. Das größte Gefährdungspotenzial geht in Österreich von Glücksspielautomaten aus, gefolgt von Sportwetten und klassischen Casinospielen.

(vgl. Raschle & Kranz, 2013, S. 1)

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Die Sportwette wird derzeit gesetzlich als Wette definiert, die gewerbsmäßig aus Anlass sportlicher Veranstaltungen abgeschlossen oder vermittelt wird. In Österreich fallen Sportwetten noch nicht in den Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes. Von den Expert_innen wird dies jedoch dringend empfohlen.

(vgl. ISP, 2020, S. 23 und vgl. Österreichische ARGE Suchtvorbeugung, 2020, S. 5)

Diagnose nach ICD 10

Die WHO definiert das pathologische Glücksspiel in der ICD-10 als wiederholt episodenhafte Störung, welche die Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.

(vgl. Dilling, 2000, S. 237)

Diagnose nach DSM-5 Diagnosekriterien

Von einer Störung durch Glücksspielen wird gemäß DSM-5 (Falkai & Wittchen, 2015, S. 803-804) gesprochen, wenn „mindestens vier der folgenden Kriterien innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten vorliegen:

1. Notwendigkeit des Glücksspielens mit immer höheren Einsätzen, um eine gewünschte Erregung zu erreichen. 2. Unruhe und Reizbarkeit bei dem Versuch, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben. 3. Wiederholte erfolglose Versuche, das Glücksspielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben. 4. Starke gedankliche Eingenommenheit durch Glücksspielen (z. B. starke Beschäftigung mit gedanklichem Nacherleben vergangener

Spielerfahrungen, mit Verhindern oder Planen der nächsten Spielunternehmung, Nachdenken über Wege, Geld zum Glücksspielen zu beschaffen). 5. Häufiges Glücksspielen in belastenden Gefühlszuständen (z. B. bei

Hilflosigkeit, Schuldgefühlen, Angst, depressiver Stimmung).

6. Rückkehr zum Glücksspielen am nächsten Tag, um Verluste auszugleichen (dem Verlust „hinterherjagen“ [„Chasing“]). 7. Belügen anderer, um das Ausmaß der Verstrickung in das Glücksspielen zu vertuschen. 8. Gefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, eines Arbeitsplatzes, von Ausbildungs- oder Aufstiegschancen aufgrund des

Glücksspielens. 9. Verlassen auf finanzielle Unterstützung durch andere, um die durch das Glücksspielen verursachte finanzielle Notlage zu überwinden.“

Gefährdungspotenzial und Risikofaktoren des pathologischen Glücksspiels

Derzeit zeigen in Österreich rund 64.000 Personen im Alter von 14 bis 65 Jahren ein problematisches Spielverhalten, und davon gelten rund 37.000 Personen als pathologische Spieler_innen nach diagnostischen Kriterien.

(vgl. Kalke & Wurst, 2015, S. 23f.)

Das größte Gefährdungspotenzial der in Österreich angebotenen Glücksspiele geht von den Glücksspielautomaten aus. Laut einer Untersuchung von Kalke und Wurst (2015) sind in Österreich 27 % der Nutzer_innen des Automatenspiels außerhalb von Kasinos, d. h. in Spielhallen, der Gastronomie oder Tankstellen, problematische oder pathologische Spieler_innen. Es folgen die Sportwetten mit 17 % und die Automaten in Kasinos mit 8 % an problematischen oder pathologischen Spieler_innen.

(vgl. Kalke & Wurst, 2015, S. 28)

Zu beachten ist, dass vor allem jene Spiele ein hohes Suchtpotenzial aufweisen, die eine schnelle Spielabfolge haben. Gefährlich sind auch Spiele, die das Gefühl vermitteln, den Spielverlauf steuern zu können. Als Beispiel, um es zu verdeutlichen: Die ausschlaggebende dritte Kirsche wird nur halb angedeutet und vermittelt den Eindruck, „fast gewonnen“ zu haben. Fast-Gewinne sind Situationen, in denen die Spieler_innen zwar verloren haben, die ihnen jedoch suggerieren, sie wären „ganz nah dran“ gewesen am Gewinn.

(vgl. ISP, 2020, S. 24)

Ebenso motivieren sogenannte „Fast-Gewinne“ zum Weiterspielen. Forschungen haben gezeigt, dass „Fast-Gewinne“ das Belohnungssystem im Gehirn aktivieren, obwohl es keine Verstärkung durch einen Geldgewinn gab, sondern de facto Geld verloren wurde.

(ISP, 2020, S. 24)

Aktuelle bekannte/vermutete Risikofaktoren bei „problematischem bzw. pathologischem Glücksspiel“ – Gefährdungspotenzial für folgende Personengruppen

• Arbeitslose um das 5-Fache • Personen, in deren Familien es aktuelle Spielprobleme gibt, um das 4,8-Fache • Personen mit einem aktuellen Cannabiskonsum um das 3,6-Fache • Personen, die zumindest einen riskanten Alkoholkonsum aufweisen, um das 3-Fache • Männer um das 2,4-Fache

• Personen mit Pflicht-/Hauptschulabschluss um das 2,3-Fache • Personen unter 35 Jahren um das 2,2-Fache • Personen mit Migrationshintergrund um das 2,2-Fache • Personen, die in einem Elternhaus mit Spielproblemen aufgewachsen sind, um das 2,2-Fache

(vgl. Kalke, 2011, S. 175)

Männer und jüngere Personen weisen zu höheren Anteilen ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten auf. Besonders betroffen sind zudem Personen mit Pflichtschulabschluss als höchstem Bildungsabschluss, Personen ohne Beschäftigung oder gering Verdienende. Außerdem weisen Personen mit Migrationshintergrund sowie Befragte, in deren Familien es bereits glücksspielbezogene Probleme gibt, ein erhöhtes Risiko auf.

(vgl. Kalke et al., 2011; Kalke & Wurst, 2015)

Pathologisches Glücksspiel – mögliche Entstehungsphasen

Der Übergang von einem unproblematischen zu einem problematischen Spielverhalten ist fließend und dieses wird von den betroffenen Personen oft erst zu spät als solches wahrgenommen. In der Regel verläuft eine pathologische Spielsucht in folgenden Phasen:

1. Gewinnphase (positiver Anfang): Viele Spieler_innen haben anfangs größere und kleinere Gewinne zu verzeichnen. Die Erfolgserlebnisse werden als gute persönliche Leistung bewertet und dienen als Rechtfertigung, die Einsätze ständig zu vergrößern und damit mehr zu gewinnen. Die Risikobereitschaft steigt. 2. Verlustphase (kritische Gewöhnung): Das Spielen wird intensiver.

Die Verluste nehmen zu, es wird mehr Geld verloren als gewonnen.

Denken und Fühlen der betroffenen Personen kreisen nur noch ums

Spielen. Viele verheimlichen ihr Spielverhalten und beginnen, unter

Lügen und Täuschungsmanövern größere Geldbeträge zu leihen. Das

Spielen hat zunehmend negative Auswirkungen auf die Familie, das

Berufsleben und die sozialen Kontakte. 3. Verzweiflungsphase (pathologische Sucht): Diese Phase ist gekennzeichnet durch Kontrollverlust und enorme finanzielle Schwierigkeiten. Die Menschen sind getrieben von der falschen Überzeugung, verlorenes Geld zurückzugewinnen. Das Spielen hat eine Eigendynamik entwickelt. Spieler_innen versprechen sich und anderen immer wieder, mit dem Spielen aufzuhören, schaffen dies aber nicht und verzweifeln am zwanghaften Drang zu spielen. Schuldzuweisungen,

Selbstverachtung und Panik bestimmen den Alltag.

(vgl. Promente Oberösterreich, 2011, S. 6)

Gesetzeslage

Das Glücksspiel in Österreich ist grundsätzlich dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol). Dieser übt sein Monopol über ein Konzessionssystem mit begrenzten und streng überwachten Glücksspielkonzessionen aus. Dazu sieht das Gesetz eine staatliche Glücksspielaufsicht durch das Bundesministerium für Finanzen vor.

(vgl. www.bmf.gv.at)

Eine Ausnahme vom Glücksspielmonopol bildet das „kleine Glücksspiel“ (Automatenspiele). Jedes Bundesland kann entscheiden, ob es für das „kleine Glücksspiel“ Lizenzen vergibt und es somit erlaubt oder nicht. Derzeit gibt es in Österreich fünf Länder mit einer solchen Erlaubnis: Niederösterreich, Oberösterreich, Kärnten, das Burgenland und die Steiermark. Glücksspiele und Wetten sind in Österreich erst ab 18 Jahren erlaubt (Ausnahme Lotterieprodukte: ab 16 Jahren). Für die Teilnahme an elektronischen Lotterien und das Platzieren von Sportwetten ist ein Mindestalter von 18 Jahren notwendig. Der Zutritt zu den Spielstätten in Casinos setzt ebenso Volljährigkeit voraus.

(vgl. ISP, 2020, S. 25)

Hilfe bei pathologischem und problematischem Glücksspielverhalten

Im Hinblick auf ein problematisches Glücksspielverhalten empfiehlt es sich, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Unterstützung bieten Fachkräfte in Einrichtungen der Suchtberatung und Schuldenberatung. Die Beratungsangebote stehen in der Regel auch Angehörigen der Betroffenen offen. Die Stabstelle Spielerschutz gibt einen Überblick über die Beratungsangebote in Wien und ganz Österreich. https://www.bmf.gv.at/themen/gluecksspiel-spielerschutz/spielerschutz-hilfsangebote.html

Weitere Beratungseinrichtungen finden Sie im Kapitel Unterstützungsangebote (siehe Seite 276)

LITERATUR

Dilling, H.; Mombour, W. & Schmidt, M. H. (2000): Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10, Kapitel V (F), klinisch-diagnostische Leitlinien. Weltgesundheitsorganisation. Bern: Huber

Falkai, P. & Wittchen, H.-U. (Hrsg.) (2015): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5. Göttingen: Hogrefe

Institut für Suchtprävention (ISP) (2020): Skriptum Lucky-Koffer zur Prävention der Glücksspielsucht. Wien

Kalke, J.; Buth, S.; Rosenkranz, M.; Schütze, C.; Oechsler, H. & Verthein, U. (Hrsg.) (2011): Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich: Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung und zur Prävention der Glücksspielsucht. Freiburg im Breisgau: Lambertus

Kalke, J. & Wurst, M. F. (2015): Glücksspiel und Glücksspielprobleme in Österreich. Ergebnisse der Repräsentativerhebung 2015. Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD). Hamburg

Ledgerwood, D. M. & Petry, N. M. (2006): What do we know about relapse in pathological gambling? Clinical Psychology Review, 26 (2): 216-228

Österreichische ARGE Suchtvorbeugung (2020): Positionspapier Glücksspiel – Sportwetten. Wien

Promente Oberösterreich (2011). Game Over – Glücksspiel. Infos und Risiken. Institut für Suchtprävention. Linz

https://www.bmf.gv.at/themen/gluecksspiel-spielerschutz.html (letzter Zugriff: 31.03.2020)

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